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Der "Notenkeller" in Celle


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Friede auf Erden - Motette op. 13
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220830_schoenberg

Komponist: Schönberg, Arnold
Herausgeberin: Pfeiffer, Iris Verlag: Carus


»Hast Du Deinen Chor überhaupt schon gehört? Weißt du denn selbst, wie schön er ist? Unerhört! Welch ein Klang! Im höchsten Grade aufregend.« So Anton Webern in einem Brief an Arnold Schönberg im November 1928 über dessen letzte tonale Komposition. Schönberg hatte die A cappella-Motette auf einen Text von Conrad Ferdinand Meyer 1907 vollendet, die Uraufführung, ein „großer Erfolg“, allerdings fand erst am 9. Dezember 1911 unter der Leitung von Franz Schreker in Wien statt. Die damals üblichen großen Besetzungen mit mehreren hundert SängerInnen hatten bei den immensen Intonationsschwierigkeiten der Komposition zu ständigem Detonieren geführt, so dass Schönberg erst noch für instrumentale Unterstützung sorgen musste. Auch heute ist ein Kammerchor in der Besetzung SSAATTBB jedenfalls die bessere Alternative - auch zum Durchhören für den Hörer. Nur für das Studium ist der Carus-Ausgabe der Klaviersatz nach Webern beigegeben.

Zugrunde liegt der Motette das Weihnachtsgedicht von Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898) aus dem Jahr 1886. In vier Strophen bewegt sich der Text von der Friedensverheißung der Engel bei der Geburt Christi über die wenig friedlichen darauf folgenden 2000 Jahre und die ewige Hoffnung zum Frieden als einer Frage der Gerechtigkeit hin zur Glaubensgewissheit auf eine vom Frieden bestimmte Zukunft. Conrad Ferdinand Meyers Text vereint die Perspektiven Realität und Ideal vor einem säkularisierten Hintergrund und ist in unseren Tagen aktueller denn je!

Wer Schönbergs Friede auf Erden jemals gehört oder gar gesungen hat, dem allerdings ist die anfängliche Weihnachtsatmosphäre ganz nah, zunehmend dann überlagert vom Ringen um den Frieden, aufgewühlt bleibt ein jeder auch nach dem versöhnlichen D-Dur-Schlussakkord. Schönbergs Einsatz von Konsonanz und Dissonanz, der Wechsel von homophonem und polyphonem Satz wirkt wie eine Allegorie auf den idealen Frieden, i.e. realen Unfrieden, Halt bietet da auch kaum die letzte Strophe, in der das Wort „Friede“ in halben Noten den Achtelnoten der „hellen“ Verkündigungs-„Tuben“ gegenübertritt.

Dass die Herausgeberin Iris Pfeiffer eine gute Einführung der Motette voranstellt und der Satz gut lesbar ist, ist für den Verlag eine Selbstverständlichkeit. Dass die Ausgabe zur rechten Zeit kommt, mag Zufall sein. Aber wenn man einen Moment Frieden herbeisingen kann, dann mit dieser Motette Schönbergs!


Rainer Goede
Januar / August 2022
Carmina Predulcia aus Schedels Liederbuch
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Ensemble Almara
Label: Naxos


Hartmann Schedel (1440 – 1514), Kompilator einer universalhistorischen Darstellung der Weltgeschichte, des 'Liber chronicarum', Sammler einer riesigen Bibliothek (667 Bände, heute in der BSB in München), Stadtarzt in Nürnberg, erwirtschaftete 1493 mit seiner o.g. Schedelschen Weltchronik einen finanziellen Misserfolg, heute ist es eines der berühmtesten Bücher des Frühhumanismus und die bedeutendste mit Holzschnitten von Michael Wolgemut illustrierte Inkunabel. Anders ist es seinem Liederbuch ergangen, heute neben dem Lochamer und dem Buxheimer Liederbuch eines der wichtigsten Zeugnisse der Liedkunst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das Ensemble Almara hat das Liederbuch nun wieder an die Öffentlichkeit gebracht.

1459 begann Schedel seine umfangreiche Sammlung von Liedern anzulegen, zwischen 1460 und 1467 ergänzte er seine Sammlung von knapp 130 Liedern. Nahezu zwei Drittel der Liedtexte sind nur aus dieser Handschrift bekannt, fast ausschließlich sind es weltliche Lieder, 55 französische Rondeaus und lateinische Motetten sowie 75 deutsche Lieder, meist im dreistimmigen Satz. Als Komponisten werden genannt u.a. Johannes Ockeghem (ca. 1425-1497), Gilles Binchois (ca. 1400-1460), Guillaume Dufay (ca. 1400-1474), Conrad Paumann (ca. 1410-1473) und der Nürnberger Schulmeister Wencz Nodler (gest. 1489). Fast alle deutschen Liedkompositionen blieben anonym. Die Liederhandschrift hat wohl dem persönlichen Gebrauch und damit eher dokumentarischen als aufführungspraktischen Zwecken gedient. Der Originaltitel lautet: Carmina francigenum liber hic predulcia claudit (Dieses Buch umschließt die allerliebsten französischen Gesänge).

Aus dieser Sammlung sind auf der CD 10 Lieder eingespielt, meist anonymer Dichter, bzw. Komponisten. Das fünfköpfige Ensemble Almara mit Elisabeth Pawelke, Sopran und Harfe, dazu Dudelsack, Viella, Laute und Percussion, bringt die Strophenlieder in lebendiger abwechslungsreicher Gestalt. Die Liedtexte - laut einer Notiz im Internet zu finden, was aber nicht gelingt - hätten sicherlich im Booklet noch Platz gefunden. Dort findet sich eine knappe Einführung von Timo Nüßlein, die ob der geringen Punktgröße kaum lesbar ist. Unerklärt ist auch die Gesamtspielzeit von nur knapp 37 Minuten. So wirkt die ganze CD ein wenig nach Resteverwertung, was dem Rang des Liederbuches und dem der Wiedergabe nun wirklich nicht entspricht.


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juli 2022
Gottfried Heinrich Stölzel - Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld - Passions-Oratorium
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Interpreten: Rheinische Kantorei, Hermann Max
Label: cpo


Gottfried Heinrich Stölzel (1690 – 1749) hat sich im Laufe der Jahre seiner Ausbildung zunächst konzentriert auf das Schreiben von Opern, für Naumburg und Gera dichtete und komponierte er mehrere, dann nach einer Italienreise auch für Prag und Bayreuth. Für den Bayreuther Hof schrieb er 1717 auch die Festmusik für die Feier des 200. Jubiläums der Reformation. 1718 erhielt er die Hofkapellmeisterstelle am Hof des Grafen Heinrich XXV. Reuß in Gera, wechselte aber gut 1 1/2 Jahre später in gleicher Funktion an die Residenz des Herzogs Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg nach Gotha, was seine Lebensstellung wurde. Schwerpunkt seines Komponierens war hier die Kirchenmusik. Ab 1731 – zu dieser Zeit ging der Sondershäuser Kapellmeisters Johann Balthasar Christian Freislich (1687–1764) nach Danzig – erhielt Stoelzel auch zahlreiche Aufträge für Kasualmusiken und geistliche Vokalwerke am Sondershäuser Hof. Zu Stoelzels umfangreichen Schaffen zählen neben zahlreichen Orchester- und Kammermusikstücken 18 musikdramatische Werke, mehrere Oratorien und Messen, 12 komplette Kantatenjahrgänge, Motetten und mindestens sieben Passionen sowie zahlreiche weltliche Kantaten. Über die Hälfte des gesamten Werkbestandes gilt heute als verschollen. Die größte Anzahl seiner Werke hat sich im Schlossarchiv Sondershausen (342 Kirchencantaten und 11 weltliche) erhalten, aus der Hermann Max auch das Aufführungsmaterial bezog. Auch in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin findet sich ein Exemplar dieser Passion, andere Kompositionen sind erhalten im Archiv der Thomasschule in Leipzig, in der Staatsbibliothek in München und in Upsala.

Eine seiner überlieferten Passionen, Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld, entstand 1720 in der Form des aufgeklärten dramatischen Passions-Oratoriums. Den in Art einer Life-Reportage beschreibenden Rezitativen der Evangelisten (wie die Opern selbst getextet) folgen Arien (Gläubige Seele) und Choräle (Die christliche Kirche). Die Rezitative sind mit besonderer Dramatik gestaltet – Stoelzel schrieb mit seiner reichlichen Opernerfahrung denn auch später eine Abhandlung vom Recitativ (hs. ca. 1739), setzte sie auch oft mehrstimmig, so ist das Rezitativ Nr. 62 á 3 auch der Höhepunkt der Passion – die Arien zeichnen originell und treffend den Affekt der Gläubigen Seele nach dem geschilderten Geschehen nach. die Choräle sind im alten Stil (Kantionalsatz) geschrieben.

Mit seinem ausgesuchten Solistenquartett Veronika Winter, Franz Vitzthum, Markus Brutscher und Martin Schicketanz und seiner Rheinischen Kantorei und Kleinem Konzert gelingt Max eine straffe Aufführung der insgesamt 22 Betrachtungen in 63 Nummern (Spieldauer fast zwei Stunden). Da der Rezensent den Notentext nicht vor sich hat, sei die Frage nach den Tempi der Choräle gestellt, die für den oft beschriebenen Gebrauch der Zeit doch sehr rasch daher kommen, auch die Rezitative klingen oft sehr im Takt gesungen, nicht nach Satzgestaltung und Wortbedeutung. Doch ist die Passion insgesamt eine sehr gelungene Einspielung.

Der Passion gebührt auch deswegen eine besondere Beachtung, da sie Bach am Karfreitag 23.04.1734 unter dem Titel Der gläubigen Seele geistliche Betrachtungen ihres leidenden Jesus in der Thomaskirche aufführte. Bach kannte Stölzel von seinen Besuchen in Gotha, wo er den Hofkapellmeister kennen und schätzen lernte. 1735/36 ließ er Stölzels ganzen Kantatenjahrgang nach Benjamin Schmolcks Das Saiten-Spiel des Herzens aufführen. Die Arie „Dein Kreuz, o Bräutigam meiner Seelen“ aus dem Passions-Oratorium schrieb er um 1740 zu der Arie „Bekennen will ich seinen Namen“ (BWV 200) um. Die Arie Bist du bei mir (BWV 508) aus Stölzels Oper Diomedes oder die triumphierende Unschuld (Bayreuth 1718) übernahm er 1725 in das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach.

Wer die Bewunderung Bachs für Stölzels Kompositionen übernimmt, ist sicherlich sehr gut beraten!


Rainer Goede
Januar 2022 / August 2022
Johann Jeremias Du Grain - Sacred Cantatas
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220816_dugrain

Interpreten: Goldberg Baroque Ensemble, Andrzej Szadejko
Label: MDG


Die vierte CD in der Reihe Musica baltica bringt vier Kantaten des Elbinger Bassisten, Cembalisten und 2. Organisten an der Hauptkirche St. Marien Johann Jeremias du Grain (17?? – 1756). Du Grain stammte wohl von Hugenotten ab, lernte bei Telemann in Hamburg und war von 1732 bis 1739 in Elbing verpflichtet, offenbar auch zum Komponieren von Kantaten und Kasualmusiken, die Elbings Kantor Daniel Dibbe, der sein Amt von 1707 bis 1740 ausübte, dann aufführte. Dass du Grain sein Handwerk gelernt hatte, ist der mitreißenden Musik, deren Themen zeitgemäß unkompliziert sind, anzusehen und zu hören. Sie markieren auch den Übergang der Oratorien und Passionen aus der Kirche in den Konzertsaal. Du Grain leitete ab 1740 in privaten Aufführungen in Danzig weltliche Kantaten, das „Dramma per musica“ in dialogischer Form deutet sich in der hier eingespielten Trauermusik „Mitten wir im Leben sind“ von 1739 an. Luther-Choral, Bibeltext, Lamentatio, Trost und schließlich Laudatio des Verstorbenen sind da kunstvoll ineinander gewebt. Mit den vier Kantaten scheint das hinterlassene Werk du Grains nahezu ausgeschöpft, die Danziger Choralkantate zu „Hertzlich lieb hab ich dich, o Herr“ ist bereits in der CD-Folge 1 eingespielt. Vor Ort liegen noch das Dramma „Der Winter“ (1740, Text nach H. Brockes), eine Matthäuspassion und drei Cembalokonzerte, die Szadejko wohl bald einspielen wird.

Mit seinen Ensembles Goldberg Baroque und Goldberg Vocal und den vier Solisten Marie Smolka, Elisabeth Holmer, Georg Poplutz und Marek Rzepka gelingt Szadejko eine mitreißende Aufnahme, lediglich bei der Alt-Kantate „Alter Adam, du musst sterben“ bleibt die Frage offen, ob nicht besser ein Altus die Morddrohungen der ersten Aria (Ich will … diesen … Mord begehen) ausstoßen sollte. Treffend schildert du Grain in der Aria derselben Kantate Des Windes Sausen, ebenso treffend wird musiziert. Wunderbar gefasst wirkt die Sopran-Aria Brechet, ihr verfallnen Augen in der Lirchtmess-Kantate Herr, nun lässest du deinen Diener fahren, ebenso anrührend wird musiziert. Das musikalische Niveau macht du Grains Lehrer Telemann alle Ehre, Szadejkos Einspielung ehrt Komponisten und Ausführende gleichermaßen.


Rainer Goede
Januar 2022 / August 2022

Auld Lang syne
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Komponist/Bearbeiter: Thoams Caplin
Verlag: Cantando


Mit der Bearbeitung des schottischen Volksliedes „Auld Lang syne“, arrangiert von THOMAS CAPLIN, legt der „cantando musikkforlaget Norwegen“ eine weitere Version des bekannten Liedes, diesmal für Solo und gemischten Chor, vor.

Thomas Caplin ist als Chorleiter international unterwegs, sein Schwerpunkt ist allerdings in Dänemark, Norwegen und Schweden. Eine umfangreiche Publikationsliste von Bearbeitungen für Chor (mit und ohne Solisten) liegt im Cantando musikkforlaget Norwegen, vor. Die Ausgabe von „Auld lang syne“ umfasst acht Seiten.

Thomas Caplin verwendet in seinem Arrangement neben der weltweit bekannten, und von den Pfadfindern als Abschiedslied verwendeten Version, noch eine weitere, spätere Version dieses Liedes. Die bekannte Version erscheint musikalisch erst in Takt 37 des knapp 80 Takte umfassenden Arrangements. Der Chorsatz ist durchgehend harmonisch und rhythmisch schlicht gehalten, der Chor – oder verschiedene Chorstimmen – beteiligen sich selten mit Text – die meiste Zeit singt der Chor auf Tonsilbe. Die Harmonik spiegelt eine einfache Jazzharmonik wieder, die sich gerne Sextakkorden, Sextakkorden mit hinzugefügten Septimen etc. bedient, aber immer zum harmonischen Dur-Zentrum zurückkehrt. Harmonisch steigert sich das Arrangement von B-Dur über Es-Dur nach As-Dur. Der Notentext ist gut lesbar, der Druck und Papierqualität gut. Blätterstellen sind für den Chor in Ordnung.

Das Arrangement ist von den musikalischen Proportionen durch die zwei Versionen des Liedes geprägt. Die erste Hälfte ist der „neueren Fassung“ gewidmet (Chor nur Begleitung), die zweite Hälfte der „traditionellen Fassung“, in der  Teil der Chor aus der Begleiterrolle herausrückt und aktiv den Text – neben dem Solo – mit gestaltet. Im zweiten Teil rückt der Chor für kurze Zeit in den Mittelpunkt, da dem Solo eine Pause (15 Takte) komponiert ist.
Das Arrangement sieht auf den ersten Blick leicht aus – aber es erfordert eine rhythmische Sicherheit und Stabilität und eine saubere Intonation, die nicht nur in den Rückungen sich bewähren muss, sondern auch in der Harmonik. Das Solo wird keiner Stimmlage zugeschrieben – nur ab Takt 37 notiert der Komponist des Arrangements, dass „(a) female Soloist humming“ eine weibliche Stimme summen soll. Für das Solo können durchaus stimm,- und intonationssichere Sängerinnen und Sänger aus dem Chor genommen werden, da der Ambitus des Solos (as – d1) für alle Lagen gut darstellbar ist.

Ob es eine weitere Bearbeitung dieses Liedes gebraucht hätte, mag der Verfasser dieser Rezension nicht urteilen, die hier vorliegende ist schön, musikalisch ansprechend, eingängig. Sie bietet aber keine Überraschungen, weder musikalisch, rhythmisch noch harmonisch.

Fazit: Das Stück ist gut umsetzbar, wenn es auch Rhythmus,- und Intonationssicherheit des Chores voraussetzt. Es ist eine wohlgefällige Bearbeitung der unbekannten und der tradierten Melodie des gern gesungenen „Auld Lang syne“ und damit eine Bereicherung des Repertoires für viele gemischte Chöre, die nach einer gefälligen Zugabe suchen.


Ingo Hoesch
NOvember 2021 / Juli 2022

Beethoven - Piano Sonatas
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Interpret: Jingge Yan
Label: Fonetnay Classics


Jingge Yan (*1986 in Peking) lernte am Zentralkonservatorium für Musik in China, von 2007 bis 2011 studierte er am Oberlin Conservatory in Ohio (USA) bei Peter Takacs und ergänzte seine Ausbildung am Mozarteum in Salzburg bei Pavel Gililov, wo er nun seit 2017 auch selbst Klavier unterrichtet. Nach seinem Erfolg beim Internationalen Beethoven Wettbewerb in Bonn im Dezember 2011 spielte er 2013 seine erste CD mit Beethovens Diabelli-Variationen, op. 120 (1823), und den Bagatellen, op. 126 (1824), ein, die hoch („Stiltreue und gleichzeitige Kreativität“) gewürdigt wurde. 2015 wurde Jingge Yan vom Beethoven-Haus und der Stadt Bonn mit der Ernennung zum “Beethoven Botschafter” geehrt.

Seit 2016 widmete er sich einer Gesamteinspielung aller Sonaten Beethovens, welche nun vorliegt. So groß das Vorhaben, so groß auch die Erfüllung dieser selbst gestellten Aufgabe. Jingge Yan spielt mit einer Präzision, die betroffen macht. Da ist selbst bei den schwierigsten pianistischen Griffen kein Rubato o.ä. zu hören, jedes Piano, Forte etc. wird genauestens erfüllt. Sein Spiel ist perlend klar, wozu ihm ein „Concert Royal“-Flügel von Grotian-Steinweg unterstützend zur Verfügung stand. Jinge Yan lässt Beethoven pur sprechen, nimmt dabei aber auch Rücksicht auf formale Gliederungen. Durch seine Sonaten hindurch ist der Weg vom hochbegabten Komponisten zum Konstrukteur allerhöchsten Anspruchs an sich und sein Publikum gut zu verfolgen, Jingge Yan dabei sein getreuer Diener, befähigt, Beethovens Ansprüche an sprühende Virtuosität jederzeit zu befriedigen. Bewunderung!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juli 2022

Beethoven - Ein neuer Weg
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Interpret: Andreas Staier
Label: harmonia mundi


Klaviersonaten op. 31, Variationen op. 34 und 35

Andreas Staier hat diese CD auf dem Fortepiano von Matthias Müller (Wien c 1810) aus der Sammlung Edwin Beunk eingespielt. Das Instrument liefert glasklare Töne, in der Tiefe etwas blasser. Phantastisch! Auf diesem nahezu zeitgleichem Instrument zu Beethovens Kompositionen, die 1802 gedruckt wurden, zeigt Staier eine nachdenkliche wie virtuose Sicht auf den Wiener Klavier-Revolutionär. Traditionell sind eigentlich nur noch die Wiederholungen in den Eingangssätzen der drei Sonaten, pausendurchsetzte aphoristische Gegensätze prägen die Binnengestaltung, fast an barocke Rhetorik erinnernd, fast. Selten sind melodische Miniaturen zu hören, harmonisch reihen sich Arpeggien an chromatische Tonleitern, trotz allem Formaufbrechen auch Formerfüllung, ein gleichzeitiges ständiges Suchen und Finden, dem Staier mit seiner haargenauen Interpretation den Spiegel vorhält, nichts verklärt oder gar in andere Welten entführt als Beethoven total, noch urwüchsiger kann wohl selbst Beethoven nicht gespielt haben.

Die Variationen op.34 beginnen ganz traditionell, gleichzeitig Unerhörtes versprechend, was bereits die erste Variation mit virtuoser rechter Hand und vollgriffiger Begleitung in linker Hand einlöst, die vierte mutiert zu einem Menuett, die fünfte zu einem Trauermarsch, nicht ohne wahnsinnig schnelle Oktavgänge der linken Hand, die sechste schließt mit einer Coda, die das Thema am siebten Himmel erscheinen lässt, ehe es sich nach virtuosem Treiben leise verabschiedet. Die Eroica-Variationen op. 35, nach vier „Vorstellungen“ schreibt Beethoven „Tema“, nach 15 Variationen, die alles, aber auch alles bringen, was denkbar ist, folgt das „Finale. Alla Fuge“, bravouröser Höhepunkt einer atemlosen Atemlosigkeit fordernden Durchführung, die gleicherweise Variation, Kontrapunkt, finale Kadenz und Griff nach den Sternen ist. Peter Gülke versucht, Formales im Booklet klarzustellen, Andreas Staier folgt dem Komponisten durch alle Passagen mit einer Genauigkeit, die nur staunen lässt. Da ist nichts mehr vom komponierten Griff nach den Sternen, sondern nur noch Ehrfurcht vor einer hier Ereignis werdenden Klammer zwischen Evolution, Revolution und Vollkommenheit. Beethoven total, phantastisch!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juli 2022

"Heiteres bis Besinnliches" - Kammermusik - Band 1-3
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Komponistin: Ruth Scheunert
Verlag: Daniel Kunert


1–3stimmig für Violine/Cello & Klavier // Violine, Flöte und/oder Oboe & Klavier // Flöte/Oboe/Klarinette und Klavier // Blechbläser und Klavier

Bei dem vorliegenden Werk möchte ich zunächst auf die „Hardware“ eingehen, bevor ich zur Musik komme:
Die Bände liegen im handlichen DINA4 Format vor und sind nicht zu dick. Das Papier lässt sich gut blättern. Die Verwendung von weißem Papier und der erfreulich deutliche Druck und der klare Satz machen die Noten auch für Musiker mit Sehbeeinträchtigungen gut lesbar, selbst bei immer mal wieder auftretenden schlechten Lichtverhältnissen.
Der Pianist benötigt nicht zwangsweise einen Notenwender, da beim Layout darauf geachtet wurde sinnvolle „Blätterstellen“ einzufügen. Einige wenige Stücke wie z. Bsp. „Träume“ und „Serenity, Repose, and Glee“ erstrecken sich auf 5 bzw. 7 Seiten. Hier könnte evtl. über die Möglichkeit nachgedacht werden, gegen eine kleine Gebühr eine einzelne Seite erstehen zu können, um es dem Pianisten etwas luxuriöser einzurichten.
Die Melodieinstrumente müssen gar nicht blättern. Einzig eine Nummerierung der Stücke wäre auch komfortabel, wenn man zusammen sitzt und eine Auswahl trifft.

Diese Bände zeichnen sich im besten Sinne durch ihre Vielseitigkeit aus. Die vorliegenden Stücke bieten sich nicht nur für die Hausmusik oder die Ensemblearbeit an, sie eignen sich auch vorzüglich für das Musizieren im sakralen Rahmen. Möchte man in der Kirche musizieren, so kann die Klavierstimme auch gerne von der Orgel übernommen werden. Wobei erfreulich ist, dass man nicht ausschließlich manualiter spielen muss, sondern sogar ausgiebig das Pedal einsetzen kann.

Auch in der Besetzung bieten sich viele Möglichkeiten. Stehen nur Flöten zur Verfügung? Kein Problem, sie übernehmen einfach den Part von Oboe oder Violine. Sehr reizvoll ist auch die Besetzung Cembalo und Gambe/Violine/Flöte.

Die Bände eignen sich gut, um erste Erfahrungen im Ensemblespiel zu sammeln. Die Komponistin versteigt sich nicht in unzumutbare Herausforderungen, wobei ein überraschender Akkord hier, eine kleine rhythmische Raffinesse dort keine Langeweile aufkommen lassen. Die Stücke erwecken schon beim bloßen Ansehen der Noten den Wunsch einfach los zu spielen und sich und andere damit zu erfreuen, eben heiter bis besinnlich.

Der Organist ist überraschend ausgefallen, der Kollege spontan verhindert? Kein Thema! Der Anfänger wird nicht überfordert, der Wiedereinsteiger findet sich schnell zurecht. Für den Profi bieten die Bände eine ebenso leichte wie erfrischende Möglichkeit sein Repertoire um eine „Schnelle Eingreiftruppe“ zu erweitern.

Einziger Wermutstropfen: Es fehlt (vorerst hoffentlich) ein Band für 4stimmige Besetzung, etwa 1./2. Violine/Flöte, Viola, Violoncello und Klavier/Orgel.
Ebenso reizvoll wäre eine reine Streicher oder (Holz-)Bläserbesetzung ganz ohne Klavierstimme.

Fazit: Bitte mehr davon!


Karin Buntrock
Dezember 2021 / Juli 2022

Basevi Codex
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220616_basevi_codex

Interpreten: Dorothee Mields, Boreas Quartett Bremen
Label: audite


Musik am Hof der Margarete von Österreich (1480 – 1530) in Mechelen bringt das Bremer Blockflötenconsort auf seiner neuen CD.
1507 hatte ihr Vater Kaiser Maximilian I. ihr die Regentschaft der habsburgischen Niederlande übertragen, die sie in der Zeit von 1507 bis Januar 1515 und von 1517 bis 1530 innehatte. Außerdem war sie Vormund und Erzieherin u.a. ihres Neffen Karl, dem späteren Kaiser Karl V. Gegenüber ihrem Herzogshof ließ sie ein Palais erbauen, wohin sie viele Künstler und Gelehrte einlud und so den Hof von Mechelen zu einem Zentrum des Humanismus machte. So verkehrten dort Persönlichkeiten wie Erasmus von Rotterdam, Pierre de la Rue und Josquin Desprez. Als gewichtige Musikmäzenin ihrer Zeit gewann Margarete eine große Bedeutung.

Hier entstand in der Schreibwerkstatt des Petrus Alamire (c 1470 – 1536), der auch als Sänger am Hof wirkte, der Basevi Codex, der seinen Namen von einem Besitzer im 19. Jahrhundert erhielt. Der Codex versammelt 87 Kompositionen von u.a. Pierre de la Rue (1460-1518), Jakob Obrecht (1457-1505), Antoine Brumel (1460-1520), Johannes Ockeghem (1430-1497), Alexander Agricola (1446-1506) und Heinrich Isaac (1450-1517). Es handelt sich um Chansons und Chanson-Motetten meist in französischer Sprache, aber auch in niederländischer, lateinischer und italienischer. Er diente wohl zum geselligen Musizieren einer adligen Dame.

Die vier Damen des Boreas (in der griechischen Mythologie die Personifikation des winterlichen Nordwinds) Quartetts Jin-Ju Baek, Elisabeth Champollion, Julia Fritz und Luise Manske fanden sich an der Bremer Musikhochschule zusammen, es ist nach ihrer CD mit Werken von Christopher Tye ihre zweite Einspielung. Was die vier Bläserinnen hie abliefern, ist große Ensemble-Kunst, gepaart mit großer Spielfreude aber vor allem auch großem Stilbewusstsein, in die sich Dorothee Mields problemlos einfügt. So werden etwa Loyset Compères (c 1445 – 1518) „Scaramella“-Variationen und Isaacs „La mi la sol“ zu virtuosen Höhepunkten, während Obrechts Sätze aus der „Missa Fortuna desperata“ zu tiefsinnigen Ausdeutungen werden. Der Booklettext von Sibylle Schwantag sucht diese Musik des frühen 16. Jahrhunderts dem heutigen Hörer nahezubringen, was ja nach 500 Jahren nicht so ganz einfach ist.
Dem Boreas Quartett und Dorothee Mields sei gratuliert zu dieser tollen Ensemblearbeit!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Storie di Napoli
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220616_storiedinapoli

Interpreten: Maria Laurner, Sopran; Barbara Heindlmeier, Flöte: la festa musicale
Label: audite


Erstklassige virtuose Leistungen sind auf dieser CD zu hören, konzentriert auf Werke aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die in Neapel entstanden. Komponisten sind Francesco Mancini (1672 – 1737), Domenico Sarro (1679 – 1744), Giuseppe Porsile (1680 – 1750), Nicola Fiorenza (161700 – 1764) und Alessandro Scarlatti (1660 – 1725). Was Barbara Heindlmeier in den Flötenkonzerten von Mancini, Sarro und Fiorenza da aus ihren Flöten herauszaubert, Maria Laurner in verschiedenen Opernarien von Sarro, Porsile und Scarlatti an Koloraturen und die Streicher und Continuo-Spieler von la festa musicale, voran Anne Marie Harer, mit artistischem Können abliefern, ist nahezu unglaublich. Wer beim deutschen Bach den einsamen Höhepunkt der Zeit für sich festgelegt hatte, wird hier eines besseren belehrt, Kontrapunkt wider Opernbravour.

Zwar wird nicht alle Musik in Neapel so klinisch rein gespielt worden sein wie auf dieser CD, zumindest ähnlich ist das doch aber zu vermuten. Eine begeisternde Einspielung, zu der man sich weitere Fortsetzungen wünscht.


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Saint-Saëns: Works for Violin & Orchestra
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220616_saintsaens

Interpreten: Jinjoo Cho, Violine, Appassionato, Mathieu Herzog
Label: naive


Am 16.12.2021 jährte sich zum hundertsten Mal der Todestag von Camille Saint-Saëns (*1835), in Deutschland ist er wohl bekannt vor allem durch sein Oratorio de Noël (Weihnachtsoratorium, op. 12, 1858) und seine Orgelsinfonie (Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78, 1886). In seinem immens reichen Schaffen von Klavier- und Orgelwerken, Kammermusik jeder Art, Liedern und Chorwerken, Sinfonien und Solokonzerten hat er neben drei Violinkonzerten noch sieben weitere Werke für Solovioline und Orchester geschrieben. Ihnen widmet sich in dieser Aufnahme die in Canada lebende Koreanerin Jinjoo Cho, akribisch im Hintergrund begleitet von Mathieu Herzogs Ensemble Appassionata.

Aufgenommen sind Introduction & Rondo capriccioso, Op. 28 (1863), Havanaise, Op. 83 (1887), das Violinkonzert H-moll No. 3, Op. 61 (1880), der letzte Satz des Violin-Konzertes A-Dur No. 1, Op. 20 (1859), die Romanze C-Dur, Op. 48 (1874), und die Aria „Mon cœur s'ouvre à ta voix“, arrangiert für Violine und Viola (Caroline Donin) von M. Herzog aus der Oper Samson et Dalila, Op. 47 (1877). Die Tontechnik versteht es, die sinnlich-raffinierten Klänge des ausdrucksstarken Hochromantikers, die die Solistin detailgenau mit großem Sinn für poetische Linien und einsam virtuoser Technik hervorzaubert, in seltener Klarheit wiederzugeben. Nie ist diese Aufnahme ohne guten Geschmack bei aller Süße und Gefühligkeit, die in ihr steckt, immer dominiert eine Musikalität voll genauer Observanz. Wunderschön!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Gregor Joseph Werner - Salve Reginas & Pastorellas
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220616_werner

Interpreten: la festa musicale, Ltg. Lajos Rovatkay
Label: audite


Gregor Joseph Werner (1691 – 1766) war Schüler des Vize-Hofkapellmeisters Antonio Caldara in Wien und wurde 1728 Hofkapellmeister in Eisenstadt bei Fürst Nicolaus Eszterházy. Werner, bekannt für seine kontrapunktischen Fähigkeiten, schrieb u.a. Oratorien, welche in der Karwoche in der Chorfrauenkirche am heiligen Grabe aufgeführt wurden, Kantaten, Messen, Vespern, Kirchensonaten sowie Klavier- und Orgelkonzerte für Eisenstadt als auch Opern. 1761 löste ihn Haydn bei den Opern, Schauspiel- und Kammerkonzerten in Schloss Eszterház ab. Unter Werners 420 erhaltenen Kompositionen finden sich nur vier gedruckte Werke, zwei vergnügliche „Tafelstücke“, eine Sammlung von sechs Symphonien und der „Neue und sehr curios musicalische Instrumentalkalender“ (Augsburg 1748).

Aus dem großen Schatz der nur handschriftlich überlieferten Werke hat der Organist Lajos Rovatkay, ehemals Leiter des Studios für Alte Musik an der Hochschule Hannover und Gründer (1981) und Leiter des Barockorchesters „Capella Agostino Steffani“ (seit 1996 „Hannoversche Hofkapelle“), der sich schwerpunktmäßig mit Werner befasst hat, je sechs Salve Reginas und Pastorellas für diese CD eingespielt, die strenge Kontrapunktik eingebettet in volkstümliche Figuren in den weihnachtlichen vokalen Salve Reginas und instrumentalen Pastorellen hören lässt. Werners Musik bezaubert gerade auch durch die virtuosen Orgelsoli der Pastorellen, die Lajos Rovatkay klar zeichnend spielt, so dass die CD großes Hörvergnügen bereitet.
Das erprobte Vokalensemble Magdalena Harer, Johannes Euler, Georg Poplutz und Markus Flaig bringen die kurzen Sätze der Salve Reginas je eigen zum Leuchten. Die Eszterházys müssen berechtigt stolz gewesen sein auf ihren Hofkapellmeister, sollten sie gleich qualifizierte Sänger gehabt haben. Da Werners Werke bisher kaum gedruckt wurden, ist er unterrepräsentiert geblieben. Das sollte nicht so bleiben!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Requiem - Reger/Brahms
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220616_requiem

Interpreten: Ukrainischer Nationalchor DUMKA, Merseburger Hofmusik, Denny Wilke, Orgel, Ltg. Michael Schönheit
Label: Querstand


Eine bereits erprobte Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Nationalchor DUMKA führte am 20.09.2016 zu einem gemeinsamen Konzert mit der Merseburger Hofmusik in der Marienkirche Mühlhausen. Der Mitschnitt dieses Konzertes mit dem Requiem op. 144b für Alt, Chor und Orchester (Hebbel-Requiem, 1916), drei Orgelchorälen von Brahms (Op. posth. 122, 3 und 11, 1897) und Reger (WoO IV,3, 1893) und dem Brahms-Requiem (Op. 45, 1869) liegt seit Mitte 2021 auf CD vor.

Die Merseburger Hofmusik spielt auf Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Instrumenten und Dennis Wilke auf der (2016 noch unrestaurierten) Sauer-Orgel (1891, III/58). Solche Voraussetzungen gibt es nur selten, das Brahms-Requiem ist normalhin ohne den ad-libitum-Orgelpart zu hören. Hier ergänzt die Orgel das Orchester zu einem breiten, flächigen, wohltuend romantischen Klang. Ohnehin verschmelzen die romantischen Instrumente besser miteinander als moderne. Dank des hervorragenden ukrainischen Chores und der drei ausgesucht schön singenden Vokalsolisten Marie Henriette Reinhold (Alt), Jana Reiner (Sopran) und Tobias Berndt (Bariton) ist hier ein nur selten zu hörendes Klangerlebnis erster Güte eingefangen. Michael Schönheit neigt dabei zu sehr zügigen Tempi, was auf der einen Seite der Stringenz des Brahms-Requiems zugutekommt, auf der anderen Seite kostbare Schönheiten, z.B. bei Übergängen, nicht auskostet. Anders das Reger-Requiem, das eine berauschende Wirkung zeitigt. Schade, dass es so selten im Konzertbetrieb auftaucht. Reger stand da nicht nur sowieso am Zenit seines Schaffens, sondern nutzte auch die Textvorgabe zu plastischen Tonmalereien aus, die nur er so schreiben konnte. Demgegenüber stehen die drei Choralbearbeitungen (O, Welt, ich muss dich lassen und Komm, süßer Tod) leider als kurze (Pausen-)Beiträge vollkommen im Schatten, so wertvoll sie eigentlich sind. Der selten zu hörende Totalklang eines romantischen Orchesters samt großer Orgel allein ist schon Grund genug, diese CD sehr zu empfehlen!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Amante Franzoni - Vespro per la Festa di Santa Barbara
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Interpreten: Accademia degli Invaghiti, Concerto Palatino, Cappella Santa Barbara, Ltg. Francesco Moi
Label: Brilliant


Zwischen 1562 und 1572 ließ Herzog Guglielmo Gonzaga (1538 – 1587) die monumentale Basilika Palatina di Santa Barbara als Hauskapelle und Grablege der Gonzaga in Mantua errichten. Um sie der Kontrolle der Bischöfe zu entziehen, gab er ihr einen eigenen Ritus, der sich vom römischen unterschied. Die Kirche war deshalb konzipiert für reiche liturgische Zeremonien, die mit groß besetzter Musik auf höchstem Niveau ausgestaltet wurden. Dazu diente auch die Graziadio Antegnati-Orgel (1565, I/12, sieben geteilte Obertasten für Subsemitonien dis/es, gis/as, ¼-Komma mitteltönig, a‘=466 Hz, angehängtes Pedal, 2006 von Giorgio Carli aus Pescantina restauriert), hier gespielt von Liuwe Tamminga und Francesco Moi.

Amante Franzoni (c 1575 – 1630), bereits 1607 in den Diensten der Gonzaga verzeichnet, wurde im Oktober 1612 als einer der Nachfolger von Jacques de Wert und Gian Giacomo Gastoldi Kapellmeister von Santa Barbara. So bedeutend diese Stelle war und so ausgesucht die Mitglieder der Kapelle waren, so hohe Ansprüche wurden auch an den komponierenden Kapellmeister gestellt, an seine Messen, Magnificats und Motetten auf Cantus firmi der Liturgie der Palatin-Basilika.
Und so bedeutend wurde auch die Musik, die Franzoni zum höchsten Fest dieser Kirche, das Leben und Martyrium der Barbara feierte, schrieb. Die hier eingespielte Barbaravesper (für den Barbaratag, dem 4. Dezember) bringt die ein- bis sechsstimmig auch doppelchörig vokal wie vokal-instrumental gesetzten Vesperpsalmen, eingeleitet durch ihre gregorianisch gesungenen Antiphonen, die Motette Duo Seraphim, die Sonata sopra Sancta Maria, den Hymnus Exultet celebres virginis inclite, ein Magnificat, rein instrumentale Canzonen und Concerti und die gesungenen Lektio, Oratio et Conclusio. Die grandiose komplexe Musik vom monodischen Falsobordone-Stil bis hin zum polyphonen kanonischen Kunstwerk ist besetzt mit Zinken und Posaunen positioniert im Chor hinter dem Altar, der gregorianischen Schola vor dem Altar und dem Vokalensemble auf der Empore gegenüber der Orgel im Langhaus. Ein Vergleich mit Monteverdi, dessen Vesper-Ingressus Domine, ad adiuvandum me aus dem L’Orfeo (da bei Franzoni keiner vorhanden ist) die Einspielung auch eröffnet, liegt da ganz nahe. Dabei ist Franzoni sowohl ein Vertreter der Palestrina-Technik wie der venezianischen Gabrieli-Technik wie der Seconda prattica Monteverdis.

Das Booklet bringt eine gründliche Einführung von Francesco Moi (nur engl./ital.) und die lateinischen Texte. Die (Vokal-) Accademia degli Invaghiti, das Bläserensemble Concerto Palatino und die Schola der Cappella bereiten unter Francesco Moi einen Festgottesdienst, wie er nur in Mantua konzipiert werden konnte. Fantastisch!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Prokofieff - Peter und der Wolf
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Interpreten: Klavierduo Vilija Poskute und Tomas Daukantas, Winterthurer Streichquartett
Label: Claves


Zum 100. Todestag des Pariser Klavierlöwen, Organisten, Dirigenten und Komponisten Camille Saint-Saëns (1835 - 1921) spielten das Klavierduo Vilija Poskute und Tomas Daukantas und das Winterthurer Streichquartett mit einigen zusätzlichen Instrumentalisten nun den größten Erfolg des französischen Romantikers, den Karneval der Tiere (Untertitel Grande fantaisie zoologique, 1886, ohne op.) neu ein.

Dass zum tief- wie vordergründigen Humor eine große Portion ernsthafte Arbeit gehört, ist so selbstverständlich wie eine Karikatur auch nur die Wirklichkeit (überzeichnet) darstellt. Und so zitiert Saint-Saëns mit spitzer Feder einige Kollegen wie z.B. Jacques Offenbach bei den Schildkröten, die zum Can-Can aus Orpheus in der Unterwelt in Zeitlupe „tanzen“, und Berlioz sowie Felix Mendelssohn Bartholdy beim Elefant(en), wo der Kontrabass die Elfentänze übernimmt. Rossinis Arie Una voce poco fa aus dem Barbier von Sevilla krönt den Tanz der Skelette, in dem er ausgiebig auch seinen eigenen Xylophon-klappernden Danse macabre (op. 40, 1874) zitiert. Das nächtliche Treiben der Skelette geht aber auch nicht ab ohne Mozarts Ah! vous dirai-je, maman, eine kunstvolle Parodie-Parade von fossilen alten Knochen.
Die schönsten „Karneval-Tiere“ sind aber offenbar die Pianisten, die mit ihren Tonleiter-Etüden auch den Komponisten selbst ironisch vorführen.
Fast geht das alles unter unter den vielen Imitationen von Tierstimmen, stolzierende wie gähnende und brüllende Löwen sind da zu hören, die von Trommelwirbeln begleitet in die Zirkusarena einziehen. Hühner zetern, Hähne bringen vergebliche Ordnungsrufe, Vögel zwitschern rasant kunstvoll, Esel rufen, mit einem großen aufgeregten Finale wird die Arena schließlich wieder verlassen. Kunstgriffe wie der zu einer Glasharmonika, die die Wellen im Aquarium malt, und das viel zitierte Stimmungsbild, in dem der Schwan in stolzer Ruhe über das Wasser gleitet, sind Höhepunkte der Komposition, für Kinder und Erwachsene in gleicher Weise fesselnd.

Kurt Aeschbacher verbindet die Tier-Auftritte im Schwyzerdütsch mit höchst gepflegter emphatischer Aussprache, die der Vorstellung ihren besonderen Reiz verleiht. Es wäre schön gewesen, wenn im Booklet seine Texte hochdeutsch abgedruckt worden wären als eine große Hilfe zumindest für Nordfriesen, Preußen und Sachsen. Aber selbst die Lebensdaten der beiden Komponisten verschweigt das Booklet, das sich auch nur sehr knapp noch mit Profieffs wohl bekanntem Musikmärchen Peter und der Wolf (op. 67, 1936) beschäftigt. Das Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Roberto Gonzales-Monias bereitet dieser Geschichte eine frische Aufführung, der man gerne aufs Neue zuhört.


Rainer Goede

Dezember 2021 / Juni 2022
Praetorius Dances
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Interpreten: Margaret Hunter, Sopran, Capella de la Torre, Katharina Bäuml
Label: dhm


Der Titel der Tanzsammlung von Michael Praetorius (1571 – 1621) lautet im Original: „TERPSICHORE, / Musarum Aoniarum / QUINTA. / Darinnen / Allerley Frantzösische / Däntze und Lieder / Als 21. Branslen: / 13. andere Däntze mit sonderbaren Namen. / 162. Couranten: / 48. Volten: / 37. Balletten: / 3 Passamezze / 23. Gaillarden: und / 4. Reprinsen / Mit 4. 5. und 6. Stimmen.“ Nicht weniger als 312 größtenteils französische Tänze hat Praetorius in dieser Sammlung 1612 in Wolfenbüttel herausgegeben. Terpsichore ist in der griechischen Mythologie die Muse des Tanzes. Quelle für die Tänze war für Praetorius die enge Zusammenarbeit mit Antoine Emeraud, dem Tanzmeister des Herzogs Friedrich Ulrich zu Braunschweig und Lüneburg (1591–1634).

Diese Zusammenarbeit suchte und fand nun Katharina Bäuml aufs Neue mit den drei TänzerInnen Marie-Claire Bär Le Corre, Susanna Curtis und Pierre-Francois Dollé, die die alten Tanzschritte wiederbelebten und auf diese Weise die richtigen Tempi eruierten. Da Praetorius keine Besetzungen für seine Tänze vorgeschrieben hat, öffnete sich ein großer Freiraum für die Capella de la Torre, die auch improvisatorisch den Notentext belebte. So bleibt die CD eigentlich eine halbe Sache, eine Video-Dokumentation, die sich unter www.brklassik.de/Praetorius finden lassen soll, ist leider nicht aufrufbar (der Link lautet derzeit: https://www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/alte-musik/praetorius-tanzt-capella-della-torre-102.html - Anm.d.Red). So rufen nur einige Fotos die glückliche Geburt dieser CD im Kloster Auhausen in Erinnerung.

Dieses Manko ist für die Musik der Capella de la Torres aber kein Manko, hier wirken Schalmey, Flöten, Posaune, Dulcian, Orgel, Laute und Perkussion perfekt zusammen und spielen die Atmosphäre des französischen Königshofes mit großem Engagement herbei. Wenn man auch nicht selbst die historischen Tänze tanzen kann, zappeln tun die Beine schon! Frank P. Bär hat im Booklet eine hervorragende Einführung in das zweiseitige Phänomen geschrieben. Den wenigen bisherigen Einspielungen von Terpsichore-Tänzen ist hier eine sehr wertvolle hinzugefügt, der Größe von Praetorius‘ Sammlung entsprechend sollten noch viele folgen!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Johann Balthasar Christian Freislich - Secular Cantatas
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Interpreten: Goldberg Vocal Ensemble, Goldberg Baroque Ensemble, Andrzej Szadejko
Label: MDG


In der MDG-Reihe Musica Baltica bringt das Vol. 8 drei weltliche Kantaten von Johann Balthasar Christian Freislich (1687 – 1764).
Freislich war seit 1720 Kapellmeister in Sondershausen und seit 1731 in Danzig an St. Marien. Zu seinen Werken zählen u.a. eine Matthäuspassion (1720, 1755 überarbeitet), eine Brockes-Passion (gegen 1750), ein Kantaten-Jahrgang (Sondershausen, vor 1731), 21 Festkantaten auf kirchliche Feiertage, Rats-Kürmusiken u. –kantaten, Trauerkantaten, alle f. Doppelchor u. großes Orchester, Kantate z. Einweihung d. neuen Orgel zu St. Marien (4. Advent 1760), die Operette „Die verliebte Nonne“ (Sondershausen vor 1731) und ein Klaviertrio (Verlag Breitkopf u. Härtet, Leipzig, ungedr.). Zu den weltlichen Kantaten zählen die hier eingespielten Kantaten "Kinder der Musen" für Soli, Chor, Orchester, "Eilet, ihr beglückten Schiffe, aus dem weiten Orient" für Bass und Orchester und "Auf, Danzig, lass in jauchzenden Chören" für Soli, Chor und Orchester. Sie waren zur Einführung mehrerer Lehrer am Gymnasium (Danzig, 1749), als Kaffeekantate für einen „Männerstammtisch“ (vor 1731) und zum 300. Jubelfest zum Andenken an den Rückzug des Deutschen Ordens aus Danzig (1754) bestimmt.

Freislich schreibt einen sehr unterhaltsamen Stil, amüsante Wortmalereien im vorwiegend homophonen Satz wechseln sich ab in Dacapo-Arien und Sinfonien mit anschließenden Recitativen. Hoch virtuose Partien finden sich in den Arien, z.B. der Bassist Thilo Dahlmann in „Eilet, ihr beglückten Schiffe“ und der Altus David Erler in „So tut ein Falk mit seinem Raube“ legen sich mächtig ins Zeug, große Sprünge in hohem Tempo wollen da bewältigt sein, Einsatz ist alles! Zadejko fordert von seinen Ensembles dazu sowieso immer olympiareife Tempi, was gerade in den groß besetzten Stücken bewundernswert ist, nur leidet dort dann natürlich die Textverständlichkeit. Schade, dass diese Kantaten so anlassgebunden sind, dass sie auf einer CD zwar wunderbar konserviert, aber woanders wohl kaum einen Anlass zu einer Aufführung finden können.

Wie bei MDG Gewohnt, ist die Aufnahmequalität ohne Makel, doch ist die Trinitatiskirche in Danzig leider etwas überakustisch. Das Booklet bringt einen guten, wenn auch knappen Einführungstext von Karla Neschke. Die Solisten Ingrida Gapova, Georg Poplutz, David Erler, Thilo Dahlmann, das Goldberg Vocal Ensemble und das Goldberg Baroque Ensemble unter Andrzej Szadejko haben hier eine Meisterleistung vollbracht, der man nur großen Applaus zollen kann.


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022
Johann Valentin Meder - Sacred Music
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Interpreten: Goldberg Baroque Ensemble, Andrzej Szadejko
Label: MDG


In der Reihe Musica baltica ist diese Einspielung bereits das Vol. 7, gewidmet ist sie dem Werk des Revaler Kantoren, Danziger Director musices und Rigaer Domorganisten Johann Valentin Meder (1649 – 1719). Er hinterließ vier Opern, darunter Die beständige Argenia (1680, erhalten), mehr als zehn Messen, vier Magnifikats, viele Kantaten sowie vier Passionen, darunter die Matthauspassion (1701, erhalten). Der weitläufig Gebildete beherrschte die italienische Oper, die oratorische Passion und das neuartige Kantatenschaffen des ausgehenden Jahrhunderts (vergl. Kuhnau). Nähere Informationen zu Meders Vita bringen Johann Mattheson (Grundlage einer Ehrenpforte, Hamburg 1740, S. 218ff) und die estnische Musikwissenschaftlerin Anu Schaper, die schwerpunktmäßig die Musikgeschichte Estlands erforscht (s. Fehler! Linkreferenz ungültig.Johann Valentin Meder (1649 – 1719) in Tallinn (Reval) und Riga. Anu Schaper).

Von Meders Schaffen ist einiges (weniges) in Danzig, Berlin und Upsala erhalten. Aus diesem Schatz brachte bereits „Musica baltica“ Vol. 1 (MDG 902 1989-6, P 2017) eine Michaelskantate, Vol. 7 bringt nun 10 weitere Kantaten, über deren Opulenz wie Wortausdeutung sowie Virtuosität man nur staunen kann. Vor allem die Choralkantate „Meine Seele seufzt und stöhnet“ ist ein herausragendes Beispiel für die Kunst Meders, ausdrucksvolle und packende Musik zu schreiben, die ihresgleichen suchen muss. Wie hätte wohl Bach komponiert, wenn er Meders Kantaten hätte kennenlernen können?



Die zehn Vokalisten, darunter David Erler (Altus) und Christian Immler (Baß), und das Danziger Goldberg Baroque Ensemble unter der Leitung von Andrzej Szadejko musizieren auf höchstem Niveau, wobei die hallige Akustik der Trinitatiskirche Danzig sich ab und zu negativ bemerkbar macht. Hätten da nicht ein paar spanische Wände gute Dienste leisten können? Die Tontechnik leistet ansonsten eine Superarbeit, bietet direkte Verständlichkeit und hervorragenden Surround-Sound. Das Booklet bringt eine gute, wenn auch knappe Einleitung von Anu Schaper, beim Textteil sind etliche Nachlässigkeiten anzumerken wie schlechte Zeilenschaltungen, Tippfehler und die fehlende Titelangabe der vierten Kantate. Die Übersetzungen der italienischen Kantatentexte fehlen ganz. Aber tolle Musik, toll gemacht!!!


Rainer Goede
Dezember 2021 / Juni 2022

Messe e-moll
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Komponist: J. Dismas Zelenka
Verlag: Breitkopf & Härtel


Mit dem Band 5577 der Partiturbibliothek legt der Verlag Breitkopf und Härtel nun eine weitere Messe des J. Dismas Zelenka (1679-1745) vor. Diesmal ist es die groß angelegte Missa votiva in e-moll für Solisten (SATB), Chor (SATB) und Orchester – wobei dies nur aus Streichern, Continuo-Gruppe und zwei Oboen besteht. Der 198 Seiten umfassende Band kostet 96,-€

Breitkopf legt hier ein Werk vor, die „Missa votiva“ von Zelenka, welches bis dato nur in der Reihe „Erbe deutscher Musik, Bd. 108; Abteilung Motette/Messe Band 17; 1997, rev. 2016) erschienen ist. Der Herausgeber ist Reinhold Kubik, die Generalbassaussetzung erfolgte durch Wolfgang Horn. Die Aufführungsdauer der Messe wird mit 70 min. angegeben. Die Partitur / der Klavierauszug ist käuflich zu erwerben, das Stimmmaterial nur leihweise erhältlich.

Das sehr umfangreiche Vorwort, von Reinhold Kubik und Thomas Kohlhase (Wien, Tübingen, 1988/1994) ist sehr umfangreich. Es bietet Informationen zur Entstehungsgeschichte des Werkes, zur Aufführungsgeschichte, zu Besonderheiten der Komposition und zur Quellenlage der Stimmen für diese Messe. Es ist Zelenkas bedeutendster Beitrag zur Gattung der Messe, da diese eine sog. „Missa integrae“ ist – eine Messe, die den ganzen Messtext vertont (im Gegensatz zur Missa Brevis etc.). Ihr folgen noch weitere Messen und kleinere kirchenmusikalische Werke.
Am Ende der Ausgabe findet sich ein sehr umfangreicher kritischer Bericht, der sehr dezidiert auf die generelle Quellenlage eingeht und im folgenden dann die einzelnen Sätze auflistet und bespricht.
Das Notenbild des Notentextes ist sehr übersichtlich und kontrastreich gedruckt. Die Oboen stehen oben, darunter die Streicher (Violinen/Viola), dann der Chor / Solisten und darunter das Continuo. Der Generalbass ist sowohl ausgesetzt, als auch in der Bezifferung notiert. Somit behält Breitkopf die übliche Reihung der Stimmen bei. Standardmäßig sind zwei Stimmblöcke pro Seite gedruckt, bei Solo-Arien auch mal drei.

Breitkopf legt hier eine überarbeitete, revidierte Fassung vor, die  auf die Ausgabe von 1997 zurückgeht, aber neuere Erkenntnisse der Forschung über die Werke Zelenkas mit einbezieht. Die „Missa votiva“ ist ein Werk, dass den Rahmen des liturgischen Gebrauchs sprengt (70 min), aber ein sehr lohnendes und selten zu hörendes Werk des böhmischen Meisters.


Ingo Hoesch
November 2021 / April 2022

Monastische Marienantiphonen
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Verlag: Doblinger

Der Verlag Doblinger ergänzt seine Ausgaben alter Musik durch die Edition „Klostermusik“, die in der Reihe „Diletto Musicale“ erscheint und bisher zwei Editionen ausweist. Der erste Band veröffentlicht ein „Divertimento“ des unbekannten österreichischen Komponisten Marian Paradeiser. Der zweite – der hier zur Rezension vorliegt – enthält drei „monastische Marienantiphonen“. Die Veröffentlichung umfasst 16 Seiten plus Stimmmaterial.

Der Band „monastische Marienantiphone“ aus dem Hause Doblinger ist einer von zwei Editionen, die aus einem Forschungsprojekt der Donau-Universtität Krems, gefördert durch das FTI (Forschung,- Technologie,- Innovationsstrategie) - Programm des Landes Niederösterreich gefördert wird.  In dem Forschungsprogramm geht es vor allem darum, die Notenbestände der Klöster Stift Melk, Stift Göttweig und Stift Klosterneuburg zu erheben, zu erfassen, katalogisieren und schrittweise, so weit noch nicht geschehen, zu veröffentlichen. Das Augenmerk der Forschung liegt dabei auf der Sammlungsstrategie und Sammlungspraxis der der Klöster, die allerdings nicht isoliert von einander sammelten, sondern in vielfältiger Weise miteinander vernetzt waren – so entstand auch der Projektname „Kloster-Musik-Sammlungen". Die Aufgabe und das Ziel des Projektes ist es, die Daten und Ausgaben digital aufzuarbeiten, zu katalogisieren und die Ergebnisse digital zugänglich zu machen (https://klostermusiksammlungen.at).

Das ausführliche Vorwort zu dieser Edition stellt die Biographien der drei in diesem Band vertretenen Komponisten (Cramer (1660-1733), Albrechtsberger (1736-1809), Schmidt 1746-1820)), eine Information zu der Überlieferungsgeschichte, Literaturhinweise und eine Erläuterung des Forschungsprojektes zur Verfügung. Diese Informationen werden auch in  englischer Sprache geliefert. Ein kritischer Bericht und die Texte der drei editierten Marienantiphonen sind ebenfalls zu finden. Abgedruckt sind die Antiphone: „Alma redemptoris mater“ (. Advent und 2. Februar (Darstellung des Herrn)); „Regina caeli“ (Ostern und Pfingsten); „Salve Regina“ (Trinitatis bis 1. Advent). Bedauerlich ist es, dass dieser Band eine weitere Antiphon „Ave Regina Caelorum“, die die Zeit zwischen der Darstellung des Herrn und dem Gründonnerstag abdeckt, nicht abgedruckt ist. Die Vertonungen der Antiphone sind zwischen zwei und fünf Seiten lang – sämtlich für Chor (SATB) und Continuo (inkl. Violone (Cello) und Orgel). Die Antiphone „Alma Redemptoris mater“ und „Regina caeli, laetare“ weisen noch eine Solostimme für eine „Violetta“ (Violine) auf. Die drei Werke weisen weitestgehend eine schlichte, homophone Schreibweise auf, nur „Regina caeli, laetare“ weist eine kurze „Alleluja“-Fughette auf und eine konzertante Geigenstimme.
Die Continuostimme liegt in der Partitur sowohl in bezifferter Form als auch in einer ausgesetzten Form vor – die Aussetzung des Generalbasses hat Marek Cermak dieser Ausgabe beigesteuert. Der Notentext ist übersichtlich und gut lesbar, der Text steht jeweils unter dem Notensystem. Die Blätterstellen für das Continuo sind nicht immer optimal gelöst, aber das ist zu verschmerzen.

Eine lobenswerte editorische Leistung, die aufgrund eines Forschungsprojektes den ungehobenen Schatz klösterlichen Musizierens nach und nach Heben wird, entstanden ist. Ein sehr gutes, informatives Vorwort, Übersetzung der Texte der Antiphone, kritischer Bericht. Das macht die Ausgabe für den praktischen Gebrauch sehr gut nutzbar und ermöglicht eine informierte Aufführung dieser chormusikalischen Kleinodien. Einen erheblichen Mangel allerdings hat diese Ausgabe: es fehlt, wie oben schon erwähnt, die vierte Antiphon für die Vervollständigung des Kirchenjahres. Das Fehlen wird nur in einer Fußnote erwähnt – leider aber nicht ergänzt mit einer Information, ob die vierte Antiphon möglicherweise zeitnah in einer weiteren Veröffentlichung folgen wird.


Ingo Hoesch
November 2021 / April 2022
Beethoven: Complete Works for Piano Trio - Vol. VI
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220426_beethoven_trios

Interpreten: Swiss Piano Trio
Label: audite


Nach der erfolgreichen Einspielung aller Klaviertrios in den Jahren 2015 bis 2018 legte das Swiss Piano Trio (Martin Lucas Staub, Klavier, Angela Golubeva, Violine, Joël Marosi, Violoncello) nun noch eine letzte CD vor, die ihre Entstehung der Corona-Seuche verdankt, sonst wären die Noten wohl nicht vor den Mikrofonen gelandet. Die CD bringt zwei unbekannte Klaviertrios, die Beethoven mit großer Wahrscheinlichkeit selbst arrangiert hat. Das Klaviertrio Es-Dur op. 63 geht auf das Streichquintett op. 4 zurück, von seiner Sinfonie Nr. 2 D-Dur hat Beethoven ebenfalls eine Fassung für Klaviertrio eingerichtet. Diese beiden Raritäten sind nun erstmals eingespielt. Dabei würde man nicht an Bearbeitungen denken, so genial eigen wie unverbraucht spielt das Trio die in der Besetzung reduzierten Fassungen, wobei der Klavierpart dominiert. Beethovens überraschende Ideen kostet das Trio aus mit wohl gestalteter Ruhe wie mit brillantem rhythmischen Schwung. Perfekt ist das Zusammenspiel, hörbar das Spielvergnügen, der Hörer wird durch die spannende Wiedergabe regelrecht gefangen genommen. Unbedingt hören!


Rainer Goede
November 2021 / April 2022
Beethoven: Ein neuer Weg
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220426_staier

Interpret: Andreas Staier (fortepiano)
Label: harmonia mundi


Klaviersonaten op. 31, Variationen op. 34 und 35

Andreas Staier hat diese CD auf dem Fortepiano von Matthias Müller (Wien c 1810) aus der Sammlung Edwin Beunk eingespielt. Das Instrument liefert glasklare Töne, in der Tiefe etwas blasser. Phantastisch! Auf diesem nahezu zeitgleichem Instrument zu Beethovens Kompositionen, die 1802 gedruckt wurden, zeigt Staier eine nachdenkliche wie virtuose Sicht auf den Wiener Klavier-Revolutionär. Traditionell sind eigentlich nur noch die Wiederholungen in den Eingangssätzen der drei Sonaten, pausendurchsetzte aphoristische Gegensätze prägen die Binnengestaltung, fast an barocke Rhetorik erinnernd, fast. Selten sind melodische Miniaturen zu hören, harmonisch reihen sich Arpeggien an chromatische Tonleitern, trotz allem Formaufbrechen auch Formerfüllung, ein gleichzeitiges ständiges Suchen und Finden, dem Staier mit seiner haargenauen Interpretation den Spiegel vorhält, nichts verklärt oder gar in andere Welten entführt als Beethoven total, noch urwüchsiger kann wohl selbst Beethoven nicht gespielt haben.

Die Variationen op.34 beginnen ganz traditionell, gleichzeitig Unerhörtes versprechend, was bereits die erste Variation mit virtuoser rechter Hand und vollgriffiger Begleitung in linker Hand einlöst, die vierte mutiert zu einem Menuett, die fünfte zu einem Trauermarsch, nicht ohne wahnsinnig schnelle Oktavgänge der linken Hand, die sechste schließt mit einer Coda, die das Thema am siebten Himmel erscheinen lässt, ehe es sich nach virtuosem Treiben leise verabschiedet. Die Eroica-Variationen op. 35, nach vier „Vorstellungen“ schreibt Beethoven „Tema“, nach 15 Variationen, die alles, aber auch alles bringen, was denkbar ist, folgt das „Finale. Alla Fuge“, bravouröser Höhepunkt einer atemlosen Atemlosigkeit fordernden Durchführung, die gleicherweise Variation, Kontrapunkt, finale Kadenz und Griff nach den Sternen ist.

Peter Gülke versucht, Formales im Booklet klarzustellen, Andreas Staier folgt dem Komponisten durch alle Passagen mit einer Genauigkeit, die nur staunen lässt. Da ist nichts mehr vom komponierten Griff nach den Sternen, sondern nur noch Ehrfurcht vor einer hier Ereignis werdenden Klammer zwischen Evolution, Revolution und Vollkommenheit. Beethoven total, phantastisch!


Rainer Goede
November 2021 / April 2022
Boundless
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220426_boundless

Interpreten: Artur Pizarro / Rinaldo Zhok
Label: Odradek


Beethoven: Complete Works for Piano four hands

Beethovens Kompositionen für Klavier vierhändig entstanden in seiner ersten großen Schaffensphase bis zur Ertaubung, beginnend 1792 mit den Acht Variationen C-Dur über ein Thema von Graf Ferdinand Ernst von Waldstein, WoO 67 (1792), über die zweisätzige Sonata D-Dur, Op. 6 (1797), das Quintett for Piano und Bläser Es-Dur, arrangiert für Klavier vierhändig, Op. 16b, (1801), die Sechs Variationen D-Dur über „Ich denke dein“, WoO 74 (1803) bis zu den Drei Märschen, op. 45 (1803) sowie die singuläre Große Fuge B-Dur, op. 134 (1826), die er selbst für Klavier vierhändig umgeschrieben hat. Das fängt an mit noch an Mozart u.a. erinnernde Variationskunst, gepaart mit großer Virtuosität, mit bereits zukunftsträchtigen Kadenzfiguren in der Sonate und mit geschmackvoll wie immer wieder überraschender gehobener Unterhaltungsmusik bei den Drei Märschen.

Das portugiesisch-italienische Duo Artur Pizarro und Rinaldo Zhok spielt temperamentvoll und mit hörbarer Freude am Dialog, am Zusammenmusizieren, an genauer Interpretation ohne Manierismen, nimmt die dynamischen Wechsel wie alle Spielhinweise sehr ernst. Mit größter Präzision erklingt die Große Fuge, mit bewundernswertem Engagement begegnet das Duo Artur Pizarro und Rinaldo Zhok diesem Kronjuwel Beethovenschen Spätwerks. Davon machen die beiden aber eher wenig Aufhebens, eher mit ein wenig Understatement machen sie es auf einem Kawai Shigeru SK-EX zu einem mitreißenden Erlebnis.


Rainer Goede
November 2021 / April 2022
Michael Gotthard Fischer - Kammermusik
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Interpreten: Parnassus Streicher-Akademie, Michael Groß
Label: MDG


Die Beethovenzeit birgt noch so manche Überraschungen, z.B. dass der Kittelschüler und Erfurter Predigerorganist Michael Gotthard Fischer (1773 – 1829), bevor er sich seit 1810 ausschließlich mit Orgelmusik, die er für das dortige Lehrerseminar benötigte, beschäftigte, ein ausgewiesener Kammermusik- wie Orchester-Spezialist war. Neben dem hier eingespielten sehr beachtlichen wie vergnüglichen Klavierquartett F-Dur, op. 6 (1804), wird der Hörer neugierig gemacht z.B. auf seine weiteren Streichquintette und -quartette, Sinfonien, Konzerte für Klarinette, Fagott etc. und, Klavier-Sonaten, nur das Konzert C-Dur für Klarinette, Fagott und Orchester C-Dur, op. 11, ist derzeit greifbar.

Fischer war aber auch, da es zu seiner Zeit ein großes Bedürfnis dafür gab, ein begabter Bearbeiter großbesetzter Werke, die, um sie zu verbreiten, in eine kleinere Besetzung gebracht werden mussten, wie es Beethoven bei seiner 2. Sinfonie (1802) selbst vorgemacht hatte (Fassung für Klaviertrio, op. 36b). So entstand aus Fischers Begeisterung für Beethovens Pastorale seine hier eingespielte Streichsextett-Fassung (1810), in der diese Musik lebt fast wie das Original.

Die Parnassus Streicher-Akademie unter Michael Groß hat sich dieser beiden Werke angenommen mit hörbarer Spielfreude, Respekt vor den Partituren wie Lust am Klang. Johann Blanchard steuert ein virtuoses Klavierspiel bei, leider wird nicht genannt, auf welchem Instrument er spielt.

Sehr empfehlenswert!


Rainer Goede
November 2021 / April 2022

Gloria
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Komponist: Sundlisaeter, Ole Karsten
Verlag: Cantando


Ole Karsten Sundlisaeter ist ein 1976 geborener norwegischer Komponist, Organist und Dirigent. Hier soll sein Werk „Gloria“ für Chor, Flöte, Trompete und Orgel rezensiert werden. Leider ist das Datum der Komposition nicht bekannt – allerdings ist das Copyrigth des Cantando Musikkforlaget, Norwegen von 2010.
Die Partitur umfasst 14 Seiten. Die Noten für Flöte, Trompete und Chor liegen bei. Der Preis der Ausgabe liegt ca. 12 €.

Das Werk „Gloria“ von Sundlisaeter ist ein zeitgenössisches Werk in kleiner Besetzung (Flöte, Trompete, Orgel & Chor), 114 Takte lang, damit gut in der Liturgie des Gottesdienstes zu verwenden.  Die Struktur des Werkes erschließt sich aus der Partitur: 8 T + 4 T + 12 T + 4T + 6T + 4 T + 8 T – Generalpause – Wiederholung – ab Takt 92 neue Motivik, die sich aber von den Harmonien und Rhythmus auf den Anfang bezieht. Das Metrum schwankt zwischen Vierteln und punktierten Vierteln – damit kommt ein tänzerischer Aspekt in die Musik. Die Orgel übernimmt in diesem Stück den perkussiven Part, wobei die Akkordik von großen Septimen und Tondoppelungen geprägt ist. Der Schwierigkeitsgrad der Orgelstimme ist nicht hoch. Das ist darauf gegründet, dass sich der erste Teil wiederholt und in den einzelnen klein-taktigen Phrasen keine rhythmischen oder tonalen Änderungen passieren.

Der Flötenpart ist anspruchsvoll. Dies, weil die Stimme meistens in der dreigestrichenen Lage (oder darüber) zu spielen hat, sondern auch, weil die Spielweise „flutter“ (Flatterzunge) intensiv zum Einsatz kommt. Dagegen ist die Trompetenstimme nicht so anspruchsvoll. Die Trompete steht im melodiösen Dialog mit der Querflöte steht, egal, was die Orgel als rhythmisch, perkussives Instrument, macht.

Die Stimmenauszüge für Trompete und Flöte sind ohne Blätterstellen eingerichtet, der Orgelauszug (vier Seiten) ist mit eigenem Blättern nicht zu bewältigen – entweder muss man hier eine Hilfe haben oder sich die vier Seiten zurechtkopieren. Das Druckbild der Noten (Einzelstimmen sowohl auch Partitut) ist sehr großzügig, lesefreundlich. Die Einzelstimmen sind auf schwererem Papier gedruckt als normales Papier.
Es ist unabdingbar – trotz der kleinen Besetzung – einen Dirigenten zu haben – die Partitur ist von den Blätterstellen für einen „Dirigenten“ zu bewältigen, für einen „orgelspielenden Dirigenten“ allerdings nicht – der könnte den Chor nur durch Kopfnicken durch die Partitur „dirigieren“. Der Dirigent ist dabei nur für den Chor wichtig – die Instrumentalisten benötigen ihn nicht.

Einen „Chor“ gibt es in diesem Stück nicht als Gruppe, in diesem Stück ist der Chor reduziert auf eine sprech-singende/singend-sprechende Gruppe vom Imdividuen. Im Chorauszug finden sich für den Chor nur Anweisungen: Stimmen starten im forte mit einem Cluster (mittlere Stimmlage) und singen/improvisieren kurze Phrasen auf „Gloria“ (intensiv(im Ausdruck)) / Die Sänger singen auf größeren Intervallen – mehr Intensität / Die Hälfte der Gruppe singen / improvisieren auf: „in excelsis Deo“ / Alle singen individuell „in excelsis Deo“.  Der Chorgruppe ist also absolut frei in ihrem Tun, es gibt keine tonalen Vorgaben, nur die Aufforderung zur freien Improvisation...

Das Werk macht einen sehr festlichen, einem Gloria angemessenen Eindruck. Es entspricht sicherlich nicht den Hörerwartungen eines Gottesdienstbesuchers, doch kann sich dieser durch die einfache Kompositionsstruktur gut in das Werk hineinfinden. Auch für den Chor ist es sicherlich erstmal ein Experiment, improvisatorisch tätig zu sein, und damit als Gruppe singend-sprechender Individuen das Stück zu prägen, aber sicherlich ein lohnendes und spannendes Experiment.
Für Musiker sicherlich ein lohnendes Stück auch für die sonntägliche Liturgie oder Konzert.
Für einen Chor sicherlich ein spannendes Stück, da es die Individualität der einzelnen Sängerin/des einzelnen Sängers betont. Ein lohnendes Stück, nicht nur für Musiker, die sich für moderne Musik interessieren.


Ingo Hoesch
November 2021 / April 2022

Herrnhuter Weihnacht
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Interpreten: Vocal Concert Dresden, Dresdener Instrumental-Consort, Peter Kopp
Label: Berlin Classics


Peter Kopp beschäftigt sich gerne mit Themen, die so selbstverständlich bekannt wie völlig unbekannt sind, zuletzt z.B. mit Dresdener Freimaurermusik (0301152BC) und dem Florilegium Portense (CV 83.492). Jetzt also, quasi zum 300. Jahrestag der Gründung der Herrnhuter Gemeinde in Hernhut im Landkreis Görlitz in der Oberlausitz eine Einspielung mit Weihnachtsmusik. Der Schwerpunkt liegt auf der Christ-Nachts-Music am 24. December 1765, die sich gliedert in Chöre, Soli, Gemeinde-Choräle, Kinderchor und Lesungen. Sie stammt von Christian Gregor (1723 – 1801), seit 1742 Organist und Leiter der Gemein-Musik, seit 1789 dann Bischof der Gemeinde. Die Musik ist zeitgemäß vierstimmig homophon mit schönen Melodien, sie lässt an Homilius und Rolle denken, gefällig und so geschrieben, dass sie für breite Schichten der Herrnhuter vokaliter wie mit Streichern gut musizierbar war. Dass dieses Niveau auch der Grund war, dass die eifrigen Boten von Glaube und Kultur ihre Musik auch in ihren Gemeinden in Nordamerika etc. verbreiten konnten, ist nachzulesen in den reich bestückten Musik- und Kirchen-Archive in Bethlehem (Pennsylvania) und Salem (North Carolina) oder bei den aus den Herrnhuter hervorgegangenen bedeutenden Musikern wie z.B. der schwedischen Familie Mankell.

Kopp beschränkt sich auf Herrnhuter Musiker aus dem 18. Jh., auf Kompositionen u.a. auch von Peter Mortimer, Gregors Schwager, der aus einer englischen Brüdergemeinde kam. Er war ein ausgezeichneter, liturgischer, gefühlvoller Orgelspieler. 1821 erschien sein Hauptwerk Der Choral-Gesang zur Zeit der Reformation, gedruckt mit Hilfe Zelters und des preußischen Ministeriums. Das umreißt auch die enge Verflechtung Herrnhuter Musiker mit der Wissenschaft.

Die eingängige Musik, so einfach, naiv und zeitgemäß sie ist, ermüdet allerdings nach einiger Zeit, der Hörer wünscht sich dann eine wenig Schwarzbrot in Gestalt einer deftigen Fuge o.ä. Das schmälert nicht die Leistung der Ausführenden auf dieser CD, die musikwissenschaftlich orientiert ist und das 18. Jh. in Hernhut dokumentiert samt urlangsamer Choraltempi mit Zwischenspielen ohne jede Dramatik, einfühlsam gekonnt gespielt von Sebastian Knebel. Aber nicht nur Dokument ist diese CD, sondern in gleicher Weise auch eine persönliche wie gemeindliche Weihnachtsbotschaft der Hallenser Pietisten, hörens- wie wissenswert.


Rainer Goede
November 2021 / April 2022

Lieder II; RWA Bd II,2
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Komponist: Reger, Max
Herausgeber: König, Stefean / Ried, Dennis
Verlag: Carus


Ein weiterer wahrer Meilenstein in der Editionsgeschichte ist der neue Band II,2 der RWA. Die überaus sorgfältige und genaue Auflistung zur Entstehung und Herausgabe der Lieder (hier: die Lieder zwischen 1899 und 1901: Sechs Lieder Op. 35, Fünf Gesänge Op. 37, Lieder WoO VII/21 und VII/22, Acht Lieder Op. 43, Sieben Lieder Op. 48, Lieder WoO VII/23-29, Zwölf Lieder Op. 51 und Fünfzehn Lieder Op. 55, dazu im Anhang einige Transpositionen) mit den Erklärungen zur Edition, zur Chronologie aller Lieder, zum biographischen Kontext und zur frühen Rezeption und zu Parallelvertonungen mit Richard Strauss sowie zu Orchesterfassungen lässt keinen Wunsch offen. Dazu kommt der Kritische Bericht von 38 Seiten, der genaueste Auskunft gibt über Entwürfe, Autographe, Widmungsexemplare, Erstschriften, Stichvorlagen, Erst- und Neudrucke sowie Regers Revisionen. Das Notendruckbild ist superklar und mühelos zu lesen, wäre da nicht Regers Stil, der ihn oft unmöglich viele Noten in einen Takt schreiben lässt, so dass eine Notenzeile oft nur einen Takt fassen kann. Ungenauigkeiten bleiben nur da stehen, wo Reger, bzw. Setzer schon ungenau war, bei Phrasierungsbögen und Notenlängen bei Noten, die durch einen Hals zusammengefasst sind.

Reger, der mit seinen Kompositionen penetrantes Aufsehen erregen wollte, schrieb die Lieder mit einer harmonisch wie melodisch ausufernden  Kompromisslosigkeit, die bis heute Interpreten und Publikum fasziniert wie abschreckt. Die Texte fand er bei u.a. Detlev von Liliencron und Richard Dehmel, die einer modernen Gefühlssprache Ausdruck gaben. So sind weniger schöne Melodien als vielmehr Deklamationen in der Nachfolge Hugo Wolfs, dem das Opus 51 gewidmet ist, zu hören. In der Einleitung werden die damaligen Sänger genannt, die sich der mühsamen Arbeit des Lernens von Regers Liedern unterzogen, seltsamer Weise die Pianisten nicht, die diesen Wust gleichermaßen zu studieren hatten. Lediglich die Lieder, die Reger als Einzelbeiträge zum Abdruck in der Neuen Musik-Zeitung (WoO VII/23–29) schrieb, sind einfacher gehalten.

Wie schön wäre es, wenn jede Edition so aussähe!!! So hieße das Maximallob für diese Ausgabe, wäre da nicht auch noch der technische Fortschritt zu verzeichnen, der mit diesem Band Einzug in die Editionsgeschichte hält. Waren bisher den Bänden der RWA DVDs beigegeben, so wird bei dieser Hybrid-Ausgabe auf das Internet verwiesen, wo bis auf die Gesamtansicht des Editionstextes, die dem Nutzer der gedruckten Bände vorbehalten bleibt, alle Editionsbestandteile auf der neuen Projektseite RWA online zentral und frei zugänglich sind. Diese Editionsteile bestehen aus den Begleittexten, den digitalen Editionen mit Kritischem Bericht und einer umfangreichen digitalen Enzyklopädie zu Leben und Werk Max Regers. Hier kann auch der Fortgang des gesamten Editionsprojekts mitverfolgt und der aktuelle Forschungs- und Publikationsstand eingesehen werden. Noch 2022 sollen alle bisher erschienenen Bände der Reihe II (Lieder und Chorwerke) und I (Orgelwerke) auf diese Weise erschlossen werden, womit die umfangreiche digitale Reproduktion von Regers Handschriften und der jeweiligen Erstdrucke der edierten Werke verbunden ist.


Zur Information (Stand: November 2021):
RWA Abteilung II: Lieder und Chorwerke

II/1

Lieder I (1889–1899)

CV 52.808   

erschienen

II/2

Lieder II (1899–1901)

CV 52.809    

erschienen

II/3

Lieder III (1902–1903)

CV 52.810

 

II/4

Lieder IV (1903–1905)

CV 52.811

 

II/5

Lieder V (1906–1916)

CV 52.812    

II/6

Lieder mit Orchesterbegleitung

CV 52.813    

 

II/7

Vokalwerke mit Orgelbelgeitung

CV 52.814

erschienen

II/8

Werke für gemischten Chor a cappella I (1890–1902)

CV 52.815

erschienen

II/9

Werke für gemischten Chor a cappella II (1904–1914)

CV 52.816

erschienen

II/10

Werke für Männerchor/Frauen- oder Kinderchor

CV 52.817

 

II/11

Werke für gemischten Chor mit Klavier

CV 52.818

 


Rainer Goede
November 2021 / April 2022

Jesu meine Freude
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Interpreten: BachWerkVokal, Leitung: Gordon Safari
Label: MDG


Kantaten, bzw. Motetten zum ewig faszinierenden Johann Franck-Choral „Jesu, meine Freude“ mit der ebenso faszinierenden Johann Crüger-Melodie von Telemann, Doles, Bach und Krebs, eine Programm-Idee, die so frappierend wie einfach ist – bisher kam nur noch niemand drauf. Gordon Safari und sein Ensemble aalen sich in dieser Idee wie der allemal tollen Musik der vier barocken Zenite, deren zwei Gipfel Krebs und Doles in keiner Weise geringer sind als die von Telemann und Bach. Faszinierend das Tik-tak der Uhr (Schlage doch, gewünschte Stunde) in Neumeisters Kantatenfassung bei Telemann und das Ticke-tacke zur gleichen Textgrundlage (Schlage doch, geliebte Stunde) bei Krebs. Unmittelbar mitreißend der Donner und Krach (mag es donnern, krachen, blitzen) in Schlegels Text bei der Doles-Kantate. Höhepunkte dieser Art ließen sich noch dutzendweise nennen, da muss sogar Bachs Motette um ihren Platz kämpfen.

Hoch engagiert musiziert das junge Salzburger Ensemble BachWerkVokal, das natürlich auch instrumental besetzt ist. Spiritus Rektor ist Diözesankantor Gordon Safari, der sein Ensembles zu Spitzenleistung verführt, was die Interpretation angeht. Dazu braucht er keine übertriebene Lautstärke oder Tempi, sondern eine genaue inspirierte Gestaltung der „Klangrede“ nach den barocken Regeln der Rhetorik. Und das kommt rüber und an, direkt. Höchst empfehlenswert!


Rainer Goede
November 2021 / März 2022

Auld Lang syne
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Bearbeiter: Caplin, Thomas
Verlag: Cantando


Mit der Bearbeitung des schottischen Volksliedes „Auld Lang syne“ arrangiert von THOMAS CAPLIN legt der „Cantando musikkforlaget Norwegen“ eine weitere Version des bekannten Liedes für Solo und gemischten Chor vor.

Thomas Caplin ist als Chorleiter international unterwegs, sein Schwerpunkt ist allerdings Dänemark, Norwegen und Schweden. Eine umfangreiche Publikationsliste von Bearbeitungen für Chor (mit und ohne Solisten) liegt vor allem im Cantando musikkforlaget Norwegen, vor. Die Ausgabe von „Auld lang syne“ umfasst acht Seiten und kostet um die drei Euro (27 norwegische Kronen), die Mindestbestellmenge sind 15 Exemplare.

Thomas Caplin verwendet in seinem Arrangement neben der weltweit bekannten und von den Pfadfindern als Abschiedslied verwendeten Version noch eine weitere, spätere Version dieses Liedes. Die bekannte Version erscheint musikalisch erst in Takt 37 des knapp 80 Takte umfassenden Arrangements. Der Chorsatz ist durchgehend harmonisch und rhythmisch schlicht gehalten, der Chor – oder verschiedene Chorstimmen – beteiligen sich selten mit Text – die meiste Zeit singt der Chor auf Tonsilbe.  Die Harmonik spiegelt eine einfache Jazzharmonik wieder, die gerne Sextakkorde, Sextakkorde mit hinzugefügter Septime etc. bedient, aber immer zum harmonischen Dur-Zentrum zurückkehrt. Harmonisch steigert sich das Arrangement von B-Dur über Es-Dur nach As-Dur. Der Notentext ist gut lesbar, der Druck und Papierqualität gut. Blätterstellen sind für den Chor in Ordnung.

Das Arrangement ist von den musikalischen Proportionen durch die zwei Versionen des Liedes geprägt. Die erste Hälfte ist der „neueren Fassung“ gewidmet (Chor nur Begleitung), die zweite Hälfte der „traditionellen Fassung“, in der  Teil der Chor aus der Begleiterrolle herausrückt und aktiv den Text – neben dem Solo – mit gestaltet. Im zweiten Teil rückt der Chor für kurze Zeit in den Mittelpunkt, da dem Solo eine Pause (15 Takte) komponiert ist.

Das Arrangement sieht auf den ersten Blick leicht aus – aber es erfordert eine rhythmische Sicherheit und Stabilität und eine saubere Intonation, die nicht nur in den Rückungen sich bewähren muss, sondern auch in der Harmonik. Das Solo wird keiner Stimmlage zugeschrieben – nur ab Takt 37 notiert der Komponist des Arrangements, dass „(a) female Soloist humming“ eine weibliche Stimme summen soll. Für das Solo können durchaus stimm,- und intonationssichere Sängerinnen und Sänger aus dem Chor genommen werden, da der Ambitus des Solos (as – d1) für alle Lagen gut darstellbar ist.

Fazit: Das Stück ist gut umsetzbar, wenn es auch Rhythmus,- und Intonationssicherheit des Chores voraussetzt. Es ist eine wohlgefällige Bearbeitung der unbekannten und der tradierten Melodie des gern gesungenen „Auld Lang syne“ und damit eine Bereicherung des Repertoires für viele gemischte Chöre, die nach einer gefälligen Zugabe suchen.


Ingo Hoesch
November 2021 / März 2022

Joy of Music
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Discoveries from the Schott Archives
Verlag: Schott Music


Anlässlich des 250-jährigen Jubiläums hatte sich der Traditionsverlag Schott Schätze aus dem Archiv gesucht, gefunden und neu ediert. Schon allein das Durchblättern und Studieren der Titel macht große Freude. Chronologisch geordnet gibt es Werke von vierzehn Komponisten, angefangen von Sebastian Lee (1805-1887) bis hin zu Arnold Trowell (1887-1966). Damit wendet sich dieser hochwillkommene Sammelband an professionelle Musiker und fortgeschrittene Liebhaber, die an lohnenden Neuentdeckungen abseits des Standartrepertoires interessiert sind. Er enthält Werke der Romantik: virtuose Kabinettstücke, Zugabe-, Charakterstücke, Perlen der Salonmusik bzw. kunstreiche Arrangements von bekannten (Opern-)Melodien. Neben Tannhäuser de Richard Wagner gibt es auch Reminiszensen an Mozart, Chopin. Äußerst reizvoll ist: Fantaisie facile sur l´Opera de Rossini „Le Barbier de Seville“ op. 71 von keinem Geringeren als Jacques Offenbach. Ein weiteres Plus: viele Originalkompositionen und Bearbeitungen stammen von Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts.

Fazit: Rundum eine vielseitige und sehr empfehlenswerte Ausgabe für die Kombination Violoncello und Klavier.


Christoph Brückner
November 2021 / März 2022

Bach - Brandenburgische Konzerte
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Interpreten: Il Gusto barocco, Jörg Halubek
Label: Berlin Classics


Jörg Halubeks Ensemble Il Gusto barocco spielte bei der Bachwoche Ansbach 2019 die Brandenburgischen Konzerte. Die CD bringt den Mitschnitt vom 3./4.08.19 aus der Orangerie in Ansbach. Bemerkenswert dabei ist, dass Anais Chen im Concerto Nr. 1 F-Dur, BWV 1046, eine Violino piccolo spielte, Jörg Halubeks Cembalo, Soloinstrument im Concerto Nr. 5 D-Dur, BWV 1050, wird leider nicht benannt. Il Gusto barocco hält sich zugute, dass hier nicht einer allein den Ton angibt, sondern dass ein jeder seinem Part Eigenes ablauscht und im Ensemble einbringt. So mag ein „demokratisches“ freundschaftliches Miteinander, das Miteinander von lauter Solisten zu alten Wurzeln und neuen Klängen führen.

Das ist wirklich zu hören im ersten F-Dur-Konzert, dem die Hörner eine aparte Dominanz abgewinnen und das die Violino piccolo mit ihren speziellen Reizen in den hohen Lagen mit großer Selbstverständlichkeit pikant garniert. Die große Selbstverständlichkeit wird auch durch die Tempi erreicht, da muss kein Satz arrogant schnell sein, um spannend zu werden. Andererseits kann das Ziel auch sein, eine besondere Homogenität erklingen zu lassen, das verlangen vor allem die Konzerte Nr. 3 G-Dur, BWV 1048, und Nr. 6 B-Dur, BWV 1051, was den Streichern denn auch sehr gut gelingt. Die Primaria dominiert hier keineswegs, während sich Halubek am Cembalo klug zurückhält, allerhöchstens zu Beginn den Start signalisiert. Ein Prüfungsstück ist immer wieder das Konzert Nr. 2, BWV 1047, in dem Trompete und Flauto dolce eine gleich beanspruchende Ehe eingehen sollen. Das wird meist geschönt mit spezieller Aufnahmetechnik, hier ist es ein Life-Erlebnis, bei dem die naturgemäße Unterschiedlichkeit nicht negiert, aber doch berücksichtigt wird.

Ein Designer-Gag sind die Coverbilder „Cembalo oder Musiker in endloser Landschaft“, ein Bild von Freiheit oder einsamen Zentrum. Heutzutage gibt es da leider auch schlimme Exzesse, die alles andere als das Thema Musik focussieren. Der etwas knappe Booklettext von Jesper Klein bringt auf sympathische Art den „Thinktank“ des Ensembles dem Hörer nahe. So ist auch die Musik, nicht Applaus erheischend, sondern Dienerin der Komposition, sympathisch und selbstverständlich auf eine neue, sehr angenehme Weise!


Rainer Goede
November 2021 / März 2022
Bach - The Overtures - Original Versions
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Interpreten: Concerto Copenhagen, Lars Ulrik Mortensen
Label: cpo


Die Originale der vier Ouvertüren Bachs sind zwar nicht greifbar, da aber die Trompeten und Pauken in den beiden D-Dur-Suiten BWV 1068 und 1069 keine substantielle kompositorische Rolle spielen, sind diese ohne weiteres als ein späterer Zusatz – analog der Kantate BWV 80 Ein feste Burg – denkbar. Zudem sind die Streicherstimmen nur einfach nachweisbar, weshalb eine solistische Besetzung ebenso denkbar ist. Mortensen gelingt mit seinem Concerto Copenhagen in rein solistischer Besetzung aller Partien dennoch eine klanggesättigte Aufnahme, bei der nichts vermisst wird, aber alles bis ins Feinste durchhörbar ist. Die hohe spielerische Technik aller Beteiligten verhilft der Aufnahme zudem zu einem spritzigen Klangbild, ohne dass die Tempi überzogen wirken. Wer einmal Bachs Ouvertüren hören möchte ohne den gewohnten prächtigen bombastischen Ballast, der greife hier zu!


Rainer Goede
November 2021 / März 2022
Bach Toccatas
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Interpretin: Clair Huangci
Label: Berlin Classics


Bach im Winde verweht signalisiert das Cover mit einem Portraitfoto der jungen Frankfurter Solistin, die sich mit ihrem Toccaten-Programm in die Gesellschaft von u.a. Angela Hewitt und Masaaki Suzuki begibt, die in naheliegender Weise ein Cembalo für ihre Einspielung nutzen, Leon Berben macht es anders, er spielt die Schnitger-Orgel in Alkmaar. Clair Huangci macht es noch anders, sie spielt BWV 910 – 916 auf einem Yamaha-Flügel und beginnt mit der Busoni-Fassung der Toccata BWV 565 – womit vergangene Zeiten wieder höchst präsent werden. Unterstützung hierfür bekommt sie in einem längeren Bookletaufsatz von dem Wiener Pianisten, Organisten und Komponisten Kit Armstrong, der sich wortreich windet, ob denn das moderne Klavier eine eigene Perspektive auf Bachs Toccaten erlaubt.

Der Höreindruck bestätigt tatsächlich eine neue Perspektive, zunächst ist da die unglaubliche Fingerfertigkeit und Artikulationsfähigkeit der Interpretin, die am Curtis Institute of Music in Philadelphia und von 2007 bis 2016 an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover bei Arie Vardi studiert hat. Nur selten verhallt sie ihren Bach mit dem Pedal. Der Yamaha-Flügel kommt ihr mit einem eher trockenen aber präzisen Sound entgegen. Was Busoni nun für seine Zeit meisterhaft auf das Klavier uminstrumentierte, sind rauschende Kaskaden, Rubato-gesättigtes Spiel, das eben die durchaus forschende Tradition des 19. Jahrhunderts spiegelt, Clair Huangci gelingt eine bemerkenswerte Wiedergabe dieses romantischen Geistes.

Bei den Toccaten, im 19. Jahrhundert nicht bemerkt und romantisiert, wirkt eine solch romantische Interpretation heute anders, wie ein künstlicher (Liszt-)Deckel auf einem original flammenden Topf. Bachs Noten wollen nicht so recht unter diesen Interpretationsdeckel passen, quellen immer wieder hervor und rufen nach ihrer ihnen eigenen Stilistik. So gekonnt das technische Spiel der Interpretin ist, das Ganze hat nicht nur den Hauch von Esoterik, es passt einfach nicht zusammen. Experimente sind von der Sache her immer gut, wenn sie denn als solche gesehen werden. Clair Huangci aber sieht ihre romantische Interpretation als modern an, doch in Wahrheit wirkt die Musik jetzt verkitscht. So muss, was Experimenten ja durchaus eigen ist, das Scheitern – auf hohem spieltechnischem Niveau - konstatiert werden. Auch ein Kit Armstrong kann da mit vielen Worten keine Berechtigung herbeischreiben.


Rainer Goede
November 2021 / März 2022

Brücke ohne Ufer
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220303_brueckeohneufer

Verlag: Furore

Mit über 50 Seiten in guter Papierqualität liegt ein Sammelband mit Klaviermusik von Komponistinnen aus Serbien, Slowenien und Montenegro vor, der in Folge des Konzerts unter dem Titel „Medio in ponte“ (2012) entstanden ist. Initiatorinnen waren die Komponistinnen Snežana Nešić und Tatjana Prelević sowie die Kulturwissenschaftlerin Cornelia Hemmann. Idealerweise verbinden ja Brücken über räumliche Distanzen hinweg und wer denkt da nicht auch etwas an „Bridge over troubled water“. Somit klingt das Bild „Brücke ohne Ufer“ zunächst nicht einmal unbedingt besonders positiv.

Erfreulicherweise handelt es sich um einen gut gestalteten Notenband mit vielen Besonderheiten. Zu allen fünf vertretetenen Komponistinnen gibt es Biografien und Werknotizen. Der Notensatz ist meistens sehr großzügig, leider aber eben nicht beim komplexen Stück „Skozi ogledalo“ (Through a mirror), denn gerade hier ist aufgrund vieler Vorzeichen, rhyhtmischen Turbulenzen wie Triolen, Quintolen, Septolen u.a. eine wahnsinnige  konzentrative Gedächtnisleistung beim Vortrag erforderlich. Exotisch: Eine Gebrauchsanweisung mit Stimm- und Gummistäbchen  zu „Bolero in Dark Red“ wird auf Seite 34 und 35 mitgeliefert. Dementsprechend innovativ ist das Notenbild gestaltet. An meinen früheren Schlagzeugunterricht erinnert mich dabei das Stück Djet(l)ic (The Woodpecker/Der Specht) im doppelten Wortsinn, ein Wortspiel aus Djetic (heranwachsender Junge) und Djetlic (Specht). Aufgrund der Abstraktion des Notenbildes entsteht hier bereits optisch nicht nur ein dissonanter Eindruck, sondern noch mehr das Gefühl von Zerissenheit. Eine Klangcollage, die neben Noten auch geometrische Elemente mit einbezieht. Musik mit happening und performance-Attributen. Musik mit Auflösungsphasen.
Am meisten spricht mich von Jelena Dabic die Danube Suite (Donau Suite) an. Es ist ein origineller Zyklus aus individuellen Stimmungsbildern zu I. Germany II. Austria III. Slovakia IV. Hungary V. Serbia VI. Romania VII. Bulgaria an. Es wurden hier absichtlich bekannte Melodien ausgewählt, die sofort Assoziationen evozieren. Hier ist ein melodischer Bogen erkennbar, die Stücke steigern sich von ¾ Takt über Rubato-espressivo  mit bewusstem Taktverzicht (Senza misura), über Allegro, bis hin zum Finale: Vivace im 7/8-Takt.

Fazit: Musik für besondere Zielgruppen im Rahmen interaktiver cross-over-Projekte.


Christoph Brückner
November 2021 / März 2022

Händel - Suites for Harpsichord Vol. 3
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Interpret: Gilbert Rowland
Label: Divine art recordings group


Gilbert Rowland wurde 1946 in Glasgow geboren. Er studierte Cembalo bei Millicent Silver am Royal College of Music und debütierte noch während seines Studiums im Fenton House. Auftritte bei großen Festivals in Großbritannien und im Ausland sowie Sendungen für BBC Radio 3 und Capital Radio haben dazu beigetragen, seinen Ruf als einer der führenden britischen Cembalisten zu etablieren. Seine Aufnahmen mit Werken von Soler, Fischer, Rameau, Scarlatti und Soler sind beachtlich und wurden von der Musikpresse hochgelobt.

Obwohl die Aufnahmen der Doppel CD bereits ins Jahr 2015 zurückgehen, kommt auch beim jetzigen Hören immer noch viel Freude auf. Eingespielt sind insgesamt auf zwei CDs jeweils fünf, summa summarum also zehn Suiten von G. F. Händel. Das Doppelalbum ist die dritte Aufzeichnung von Rowland für Divine Art „Die Göttliche Kunst“.
Auch wenn davon zwei Suiten, nämlich Suite in C minor, HWV 445, sowie Suite in G minor, HWV 451 unvollendet sind, wird man durch den vitalen und nuancierten Vortrag immer von der angenehmen Seite berüht. Es handelt sich bei allen Suiten um virtuose Kompositionen, die aber viel zu lange von Händels Opern, Oratorien und Orchesterwerken überschattet waren. Neben zahlreichen Einzelarbeiten wie Fugen, Chaconnen, Fantasien, Präludien und Tanzsätzen hat Händel insgesamt 25 Cembalosuiten komponiert. Dabei wurde die Tonart d-Moll offensichtlich von Händel mehrfach bevorzugt.

Für mich bedeuten diese angenehme Musikstücke immer auch rezeptfreie und ganzheitliche Therapie. Gerne hört man sich diese Stücke als Kraftquellen immer wieder an. Bereits die Ausgestaltung von  Arpeggien bieten jedem Interpreten viele kreativen Freiräume. Und Gilber Rowland nutzt diese. Ganz besonders inspiriert davon und tänzerisch wirkt auf mich Suite in G minor, HWV 453 mit den Sätzen: Ouverture, Enrée, Menuets I & II, Chaconne. Rhythmisch prägnant und wirkungsvoll präsent wirkt die Courante der Suite in C minor,  HWV 445. Einfalls- und Variationsreichtum von Händel wirkt immerzu lebendig und perlend prickelnd. In diesem Sinne wirkt auch Chaconne mit 62 (!) Variationen unübertroffen. Barocke repräsentative überzeugende Meisterschaft in einer mustergültigen Interpretation. 

Als Referenzinstrument (das leider nicht näher vorgestellt wird), diente für die grandiosen Aufnahmen ein zweimanualiges französisches Cembalo von Andrew Wooderson (2005) nach Goerman (Paris 1750).

Fazit: es lohnt sich sehr,  diese facettenreichen und filigranen Kunstwerke anzuhören. Der Einfalls- und Variationsreichtum von Händel wirkt und bleibt immerzu lebendig und perlend prickelnd.


Christoph Brückner
November 2021 / Februar 2022

Reinventions - Rhapsodies for Piano
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220210_reinventions

Komponistin: Tanya Ekanayaka
Label: Grand Piano


Tanya Ekanayaka, Jahrgang 1977, hat  sich mit Ihrem Portfolio an Klavierkompositionen schon frühzeitig zu einer der berühmtesten internationalen Solopianistinnen Sri Lankas entwickelt. Sri Lanka (bis 1972 Ceylon) als südasiatischer Inselstaat gilt als multireligiöses und multiethnisches Land. Die Künstlerin arbeitet somit in einer musikalischen Welt voller spontaner Kreativität. Dabei können Partituren innerhalb weniger Minuten entstehen. Ihr etwa zehnminütiges Vannam (Gajaga, Mayura & Hanuma) & You, wurde an an einem einzigen Februar-Nachmittag Februar 2013 vollendet. Von jedem etwas, oder wie kann man Ihr Erfolgsrezept sehen? Zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke soll unbedingt das Booklet konsultiert werden,  denn dieses liefert hier nützliche Hinweise und Übersetzungen.

Stilistisch sind ihre Partituren etwa zwischen Liszt, Beethoven, Debussy,  Chopin und Rachmaninow einzuordnen, angereichert  mit virtuosen Passagen, Läufe, Arpeggien und Arabesken. Dieser „Mix“ zeigt gefällige Motive und Stücke, mit einer breiten Vielfalt an nationalen und folkloristischen Melodien. Viele Kompositionen mit jeweiliger Spieldauer von 5 bis zu über 15 Minuten pro Titel erfolgten als Uraufführungen in St Martin in the Fields in London.  Ich denke, wir können uns einfach zurücklehnen und diese angenehme und melodische Musik genießen:  Spontan. Subtil. Schön. Musik auch als Therapie.


Christoph Brückner
November 2021 / Februar 2022

Buxtehude-Studien - Band 4
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220210_buxtehude

Herausgeber: Matthias Schneider / Jürgen Heering
ISBN: 978-3-928412-29-2
Verlag: Butz


Der Band vereint Beiträge von den Jahrestagungen der IDBG 2018 und 2019 mit einigen freien Beiträgen. Ulf Grapenthin beschäftigt sich in seinem sehr informativen Aufsatz, betitelt nach einem Walther-Zitat (Artikel Leyding), mit Reincken, Buxtehude und Theile als ‚Informator‘ von Buxtehude. Harald Vogel schreibt über den Codex E.B. 1688 und die Buxtehudewerke im Zusammenhang mit der Musica sub communione, ein wahres Lückenthema, denn bisher wurde die liturgische Bestimmung der Werke Buxtehudes nicht thematisiert. Wenn auch keine direkten Quellen exakte Zuweisungen bieten, so lässt doch die Praxis, bzw. die Spuren, die sie hinterlassen hat, einige Rückschlüsse zu und führt damit zu einer gewinnbringenden sinnvollen Positionierung von einigen Buxtehudewerken in der heutigen Praxis. Matthias Schneider schließlich bringt einige interpretatorische Anmerkungen zur Aufführungspraxis, vornehmlich der Toccata in d, BuxWV 155, die jedem Studierenden u.a. nur ans Herz gelegt werden können.

In weiteren Beiträgen schreibt Jürgen Heering zu den Nachmittagsgottesdiensten und Vespern zur Zeit Buxtehudes, ebenfalls ein Beitrag zur liturgischen Ordnung der Zeit. Ulf Werner stellt das wieder aufgefundene Fragment eines Choralconcerts „Christ lag in Todesbanden“ vor, Gary Verkade bringt einige Anmerkungen zur Choralbearbeitung „Herr Jesu Christ, ich weiß gar wohl“, BuxWV 193, dem leider der Hinweis fehlt, dass dessen Melodie auch im EKG noch vertreten ist unter den Nr. 89 und 219. Nadine Heydemann stellt in einem sehr instruktiven Beitrag einen der Nachfolger Buxtehudes vor, Adolph Carl Kunzen (1720 – 1782), leider ist ein Werkverzeichnis nicht angefügt. Derzeit kann an Orgelwerken offenbar nur eine Fuge C-Dur nachgewiesen werden (Caecilia I, 21), Cembalokonzerte finden sich in: Norddeutsche Klavierkonzerte des mittleren 18. Jahrhunderts, ed. A. Edler, München/Salzburg 1994 (= Denkmäler norddeutscher Musik Bd. 5/6), ISBN 3-873971-71-2, einige Oratorien und Sinfonien sind immerhin im Manuscript erhalten.

Mit diesem Band mausern sich die Buxtehude-Studien zu einem Periodikum mit hohem Anspruch, dessen gleichbleibende hohe Qualität immer wieder fesselt.


Rainer Goede
Oktober 2021 / Februar 2022

Johann Krieger - Sechs Musicalische Partien
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20220127_krieger

Interpretin: Tatjana Vorobjova
Label: MDG


Auf ihrer neuen CD hat sich die in Riga gebürtige Kölner Cembalistin Tatjana Vorobjova Johann Kriegers (1652 – 1735) Sechs Musicalische Partien,bestehende in Allemanden, Courenten, Sarabanden, Doublen und Giquen, nebst eingemischten Bouréen, Minuetten und Gavotten allen Liebhabern des Claviers auf einem Spinet oder Clavicordio zu spielen… (Nürnberg In Verlegung Wolfgang Moritz Endters, 1697) vorgenommen. Neben den bedeutenden 25 freien Stücken der Anmuthige Clavier-Übung (Nürnberg, 1699) für liturgischen Bedarf sind es die einzigen überlieferten Cembalokompositionen des großen Zittauer Director Chori Musici und Organisten an St. Johannis. Seit 1682 prägte er bis zu seinem Tode 54 Jahre lang das musikalische Leben der Stadt. Auch von seinen titelmäßig bekannten 235 geistlichen Werken sind  nur 33 erhalten. Neben einigen Liedern und Motetten ist noch eine Sonate à 5 für Streicher greifbar.

Die Partien, Suiten in traditioneller Satzfolge, sind prachtvolle Beispiele für die damalige Kunst, harmonische Vorlagen in Tanzsätzen vielgestaltig zu variieren. Schade, dass Vorobjova die Wiederholungen ausspart, hätten doch gerade sie noch weiten Raum für Auszierungen gegeben, die sie doch gekonnt virtuos zu spielen weiß. Das hört man bereits im eröffnenden Preludio in d, das wie einige andere Programmnummern aber nicht zu den Partien gehört. Unter diesen ist vor allem die abschließende Passacaglia in d ein Glanzstück. Weitere Tänze füllten leere Seiten der Druckausgabe 1697, alle hervorragende spielfreudige Stücke, dass man sich fragt, warum Johann Krieger im Konzertleben so selten, eigentlich gar nicht auftaucht. Insofern ist diese Einspielung von ganz großem Wert.

Matthias Schneider lieferte für das Booklet eine kundige Einführung in Kriegers Vita und Werk. Die Aufnahmequalität ist wie immer bei MDG auf hohem Niveau. Wer die Nürnberger Hohe Schule eines Heinrich Schwemmer (1621–1696) und eines Georg Caspar Wecker (1632 – 1695), zu denen auch ein Johann Pachelbel gehörte, noch nicht kennt, der muss hier unbedingt zugreifen.

Rainer Goede
September 2021 / Januar 2022

Notari: Arien / Fontana: Sonaten
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211214_notari_fontana

Interpreten: Julia Fritz, Flöte, Magdalena Harer, Sopran, Reinhild Waldeck, Harfe, Johannes Hämmerle, Orgel
Instrument: Orgel, Antegnati-Orgel der Basilica di Santa Barbara, Mantua
Label: Audite


Die vielseitige Bremer Blockflötistin Julia Fritz leitet seit März 2017 die Flötenklasse am Vorarlberger Landeskonservatorium. Für ihre neue CD hat sie sich auf Werke des u.a. in Venedig und seit 1612 am englischen Königshof wirkenden Angelo Notari (1566 - 1663) und des in Rom, Venedig und Padua wirkenden Giovanni Battista Fontana (1589 -1630) konzentriert.

Von Fontana sind nur seine 1641 in Venedig erschienenen 18 Sonate a 1. 2. 3. per il violino, o cornetto, fagotto, chitarone, violoncino o simile altro istromento überliefert, deren erste sechs Sonaten für Solovioline und B.c. Julia Fritz hier für ihr Instrument adaptiert hat. Fontana, „einer der einzigartigsten Virtuosen des Violinspiels, die das Zeitalter erlebt hat“, stellt sich Julia Fritz als ebenbürtig virtuose Interpretin von heute zur Seite, so schnell wie sie spielt, kann man kaum hören. Fontanas Notentext fügt sie zumeist Auszierungen wie z.B. Tonleitern hinzu, die in ihrer gefälligen Art den Frühbarock erstklassig lebendig werden lassen.

Der englische Hofmusiker Notari unter den Thronfolgern Henry und Karl, bzw. nach dessen Thronbesteigung 1625 unter König Karl diente als Sänger und Lautenspieler bis spätestens 1649. Einzig gedruckt wurden seine Prime musiche nuove (London 1613), das verschiedene Stücke im neuen italienischen Stil der „seconda prattica“ bringt. Daraus hat Fritz verschiedene „Arien“ über bekannte Themen wie „Il ruggiero“, „La monica“ und „La romanesca“ ausgesucht sowie eine Ciacona und die Canzone passaggiata. Beiseite stehen ihr in weiteren Arien die Sopranistin Magdalena Harer, die Harfenistin Reinhild Waldeck und Johannes Hämmerle an der Antegnati-Orgel (1565) der Basilica di Santa Barbara, Mantua. Diese gibt Stimmtonhöhe und mitteltönige Temperatur vor, denen zu folgen die anderen Musiker keine Schwierigkeiten haben.

Natürlich ist diese Einspielung eine Demo-CD für die absolute Virtuosin Julia Fritz, gerne hätte man aber auch die anderen Beteiligten Musiker dynamisch auf gleicher Ebene gehört. So gehen vor allem die Delikatessen der Antegnati-Orgel unter, die wenigstens das Schlussstück, eine Toccata von Francesco Rovigo (1541 – 1597), noch solistisch beisteuern darf. Ebenso gern hätte man auch die Continuotehnik der Harfenistin Reinhild Waldeck deutlicher vernommen, Magdalena Harer musste sich beschränken auf die wenigen Textvorlagen, die ihr einen Platz einräumten. Wenn man auch nicht von einem ausgeglichenen Teamwork sprechen kann, so ist die CD natürlich reizvoll allein durch die hohe Virtuosität von Julia Fritz. Michael Struck-Schloen steuerte einen kundigen Booklettext bei.

Rainer Goede
Juli / Dezember 2021

24 pastels for Piano
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211130_takle_pastels

Herausgeber: Martin Schmeding
Verlag: Carus


Mit diesen intimen Miniaturen ist wahrlich für einen Klangrausch der Sinne im besten Sinne gesorgt! Und warum gibt es bislang leider nur eine YouTube Einspielung von Pastels 2, denn auch die Orgel verträgt weitere solcher Stücke mühelos, bis zum Beweis des Gegenteils!

Bereits Michelangelo und Raffael fertigten Skizzen mit Pastellkreiden. Und speziell beim Begriff Pastell in der Kunst: wer denkt da nicht an Lebendigkeit, Leuchtkraft, Leichtigkeit?

Musikalisch hat Mons Leidvin Takle, Jahrgang 1942, hier wunderbare kurze Stücke geschaffen, die zu unterschiedlichsten Anlässen passen und viele Zuhörer ansprechen.
Bis auf wenige Ausnahmen (3/4 und 12/8) sind ansonsten alle Titel im 4/4 Takt angelegt. Das unterstreicht sehr passend den mal groovigen, mal melancholischen, jazzigen Stil.
Für Freunde der Chromatik: auch hier findet sich entsprechendes in Pastels 16, ich würde sagen: Ein Perpentuum mobile. Für Gospel-Feeling würde ich Pastel 19 konkret empfehlen. Solche wunderbare Musik des Augenblicks lebt von Triolen, originellen Pattern, punktierten Rhythmen im Sinne von Free Jazz. Und genau das ist überzeugend gelungen.

Zudem: Zu allen Stücken gibt es konkrete Zeitvorgaben. Damit hat der Komponist eine gute Vorstellung geliefert, wie lange die jeweiligen Stücke dauern.
Ein weiteres großes Plus: Viele Stücke lassen sich kombinieren. Wie wäre es mit einem Medley? Und: Wer sucht, der findet!
Durch dieses Albums habe ich eine wunderbare neue collection dankbarer Stücke, die sich für Unterrichtszwecke, Gottesdienste, Konzerte, Zugaben idealerweise eignen.
Trotzdem sei die Warnung ausgesprochen: hochexplosiv! Denn Good vibrations, Freude, gute Schwingungen und Stimmungen sind gewollt. Diese werden sich übertragen und könnten sich fortsetzen. Garantiert. Wetten, dass….?

Somit Erkennungs-Motto: kleine aber äußerst feine Stücke!
Wer somit hoffentlich Appetit auf noch mehr Werke des vielseitigen Musikers bekommt: unbedingt hier einsehen:
www.monstakle.no

Christoph Brückner
Mai / November 2021

Robert Schumann - Werke für Orgel oder Pedalflügel op. 56, 58 und 60
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211130_schumann_pedalfluegel

Herausgeber: Martin Schmeding
Verlag: Carus


Seiner bemerkenswerten (inzwischen 15 Jahre alten) CD-Einspielung der Schumann-Kompositionen auf einem Pedalflügel ließ Martin Schmeding nun eine Neuausgabe der Werke für Pedalflügel von Robert Schumann folgen. Sein umfangreiches wie gründlich informierendes Vorwort gliedert sich in die Abschnitte „Zur Entstehung der Zyklen für Pedalflügel und Orgel“, „Die Bedeutung von Orgel und Pedalflügel für Robert Schumann“, „Orgeln im Umfeld Robert Schumanns“ und „Der Pedalflügel“. Vor allem für Studienanfänger sind die Abschnitte zur Interpretation „Über die Darstellung von op. 56 und op. 58 auf der Orgel“, „Die BACH-Fugen auf der Orgel“ und „Zur Neuedition der Werke“ gedacht, die die Praxis von Czerny und Mendelssohn miteinbeziehen. Im Anhang beigegeben ist noch der Canon / 1854 aus den Albumblätter für Klavier, op. 124,20, dessen Beginn mit der Studie op. 56,6 frappante Ähnlichkeit hat, in einer Fassung für Pedalflügel. Allein neun Seiten benötigt der Kritische Bericht am Ende des Bandes. Da es sich bei Schumanns Kompositionen von 1845/46 – die Bachgeprägten kanonischen Studien op. 56, die Skizzen op. 58, Charakterstücke edelster Romantik, und die sehr viel gewichtigeren und orgelmäßigeren Fugen op. 60 (herausragend u.a. die Scherzofuge 5 und die umfangreichen symphonischen Fugen 2 und 6) – um solche der wichtigsten Beiträge zur romantischen Klavier-, bzw. Orgelmusik in der Mitte des 19. Jahrhunderts handelt, ist die Neuausgabe nur zu begrüßen. Das übersichtliche raumgreifende Druckbild erleichtert zudem die Lesearbeit ungemein.

Rainer Goede
Mai / November 2021
Ruhm und Ehre durch Musik
Beiträge zur Wolfenbütteler Hof- und Kirchenmusik während der Residenzzeit
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211123_ruhmundehre

Herausgeber: Rainer Schmitt, Jürgen Habelt, Christoph Helm
Verlag: Kulturstadt Wolfenbüttel e.V.


Wenn Musik verklungen ist, verbleibt zumeist nichts, im besten Fall noch das Notenmaterial. Besser ergeht es da anderen Tätigkeiten, in Wolfenbüttel z.B. der Büchersammelwut des Herzogs August der Jüngere (1579–1666). Bei seinem Tod war seine Bibliothek mit 135.000 Titeln in 35.000 Bänden eine der umfangreichsten Büchersammlungen dieser Epoche, bis heute verwahrt in der berühmten Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die im 17. Jahrhundert den legendären Ruf als 8. Weltwunder genoss. Ihr erster Bibliothekar unter Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528–1589) war übrigens ein Musiker, 1571/72 Leonhart Schröter (1532 – 1601, später Kantor in Magdeburg), seine Nachfolger waren u.a. Gottfried Wilhelm Leibniz (1690–1716) und Gotthold Ephraim Lessing (1770–1781).

Unbedingt ranggleich sind aber die Musicalien zu werten, die am Hof und in der herzoglichen Grablege, der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis, erklangen, dafür bürgen schon allein die Namen etlicher Hofkapellmeister, z.B. Thomas Mancinus, Michael Praetorius, Heinrich Schütz, Johann Jakob Löwe von Eisenach, Johann Rosenmüller, Johann Theile, Reinhard Keiser, Georg Österreich, Johann Adolf Hasse und Carl Heinrich Graun. Als die Residenz 1753 nach Braunschweig verlegt wurde, endete diese ruhmreiche stolze Epoche, an die dieses Buch mit seinen 14 Aufsätzen erinnert.

Dieses faszinierende Panorama deutscher und europäischer Musikgeschichte wird aufgeblättert von Matthias Meinhardt, der einen Überblick über die Geschichte der Welfen in Wolfenbüttel an den Anfang stellt. Rainer Schmitt schreibt zur Musik am Hof, Gerhard Aumüller zu Herzog Heinrich Julius als Förderer der Orgelkunst, speziell der Beck-Orgel in Gröningen, Winfrid Elsner zur Compeniusorgel der Herzogin Elisabeth in Schloss Hessen, die seit 1616 in Frederiksborg/DK steht. Der Lautenist Gregorius Huwert steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Sigrid Wirth, Michael Praetorius und seine Festmusiken werden von Siegfried Vogelsänger beschrieben, Heinrich Schütz von Anne Spohr und Johann Rosenmüller von Josef Floßdorf. Carsten Neimann widmet sich dem letzten Hofkapellmeister in Wolfenbüttel Georg Caspar Schürmann.

Kurzvitae der Kapellmeister und die Wiedergabe einiger Dokumente beschließen den Band, der so informell wie kurzweilig geschrieben ist.
Dieser wichtige, grundlegende Informationsband kann nur bestens empfohlen werden!


Rainer Goede
Mai / Oktober 2021

Mare Balticum Vol. 3
Wizlav von Rügen - Sämtliche Lieder und Sprüche
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211022_marebalticum3

Interpreten: Ensemble Peregrina, Ltg: Agnieszka Budzinska-Bennett
Label: Tacet


Diese CD ist die dritte von vier geplanten Programmen, die sich mit dem musikalischen Erbe der Ostseeregion des Mittelalters beschäftigen. Den Schwerpunkt setzt Agnieszka Budzińska -Bennett mit ihrem Ensemble Peregrin a dieses Mal auf die überlieferten Texte eines sich darin selbst nennenden Wizlav. Ob es sich dabei um den Fürsten Wizlaw III. von Rügen († 1325) handelt, muss offenbleiben. Überliefert sind die Texte in der Jenaer Liederhandschrift Ms El f 101.

Die Gesänge werden von Agnieszka Budzinska-Bennett und Marc Lewon vorgetragen, sparsam begleitet mit Laute, Citter und Vielle versetzen sie den Hörer in das Reich der Minnesänger. Ein instruktiver Booklettext von Meinolf Schumacher verhilft zu einigem Verständnis dieser musikgeschichtlich so weit zurückliegenden Kunst. Das Ziel, die mittelalterliche Musik an der Ostsee zu sammeln und ein wenig populärer zu machen, erreicht diese CD wieder mühelos.

Rainer Goede
Mai / Oktober 2021

Psalms and Motets from Renaissance Switzerland
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211022_switzerland

Interpreten: Ensemble Lamaraviglia, Ltg. Stephanie Boller
Label: Radio SRF 2/claves


Eine sehr interessante Entdeckung ist dem Vokalensemble Lamaraviglia mit den räteromanisch gesetzten Psalmen von Lurainz Wietzel (Strada/Engadin 1733) und Andrea Planta (Strada 1740) gelungen. Es kombiniert einstimmige französischsprachige Genfer Psalmen von 1562 mit den vierstimmigen Sätzen von Claude Goudimel (Genf 1564) und den Übertragungen ins Deutsche von Ambrosius Lobwasser (Zürich 1749) zu einem dreisprachigen Schweizer Erlebnis.

Calvins Psalter wurde von Goudimel (c. 1514 – 1572) im einfachen Note-gegen-Note-Satz mit der Melodie im Tenor gesetzt und bald darauf ins deutsche (Ambrosius Lobwasser, Königsberg 1573), niederländische, italienische (ders. 1574) und räteromanische (Lurainz Wietzel, 1661) übersetzt. Jan Pieterszoon Sweelinck (1562 – 1621) legte seine kompletten  Psalmenvertonungen in französischer Sprache in vier Editionen 1604, 1613, 1614 und 1621 vor, alsbald erschienen sie auch mit der deutschen Textunterlegung Lobwassers, der Kirchenchor in Zuoz im Engadin sang diese Psalmmotetten zu Beginn des 18. Jahrhunderts in räteromanischer Sprache.

Aus diesem Fundus stellte Stephanie Boller ein sprachlich buntes wie musikalisch formal abwechslungsreiches Programm zusammen, das so verschiedenes unter einer Nation, der schweizerischen Nation kompetent zusammen bindet. Nicht nur ob dieser Einmaligkeit gebührt dieser CD besondere Beachtung, auch das Ensemble singt akkurat und nicht auf Extravaganz bedacht, dass es eine große Freude ist. Stephanie Boller zeichnet auch für den instruktiven Booklettext verantwortlich. Preiswürdig sind Idee und Ausführung gleichermaßen.


Rainer Goede
Juni / Oktober 2021

Ravel & Saint-Saens - Piano Trios
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211022_ravel_saintsaens

Interpreten: Sitkovetsky Trio
Label: BIS


Noch vor Corona-Zeiten ist diese CD eingespielt worden, sie bringt mit den Klaviertrios von Ravel und Saint-Saens zwei traumhaft schöne Werke. Ravels Trio, entstanden 1914, fußt im ersten Satz auf (unhörbaren) Einflüssen des Baskenlandes und ist in strenger Sonatenhauptsatzform geschrieben. Ihm folgen nach dem schwelgerischen langsamen Satz eine Passacaglia und ein atemberaubendes Finale. Saint-Saens Trio op. 92 von 1892 macht seinem Schöpfer als Meister herrlicher Melodien in durchaus strengen Formen alle Ehre, die fünfsätzige Komposition ist ein herrliches Beispiel für die schönste Romantik französischer Provenienz.
Im Booklet ist eine genaue Beschreibung der Werke von Jean-Pascal Vachon zu lesen und ein kurzes Portrait der drei Solisten Alexander Sitkovetsky, Isang Enders und Wu Qian.


Rainer Goede
Juni / Oktober 2021

The Artist's Secret
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211012_artistssecret

Interpreten: Bettina Smith, Mezzo-Sopran / Jan Willem Nelleke, Klavier
Label: LAWO


Im Grunde ist es eine wunderbare CD. Die Aufmachung stimmt. Das Cover ist schlicht und geheimnisvoll. Das Booklet ist inhaltsreich, mit Texten zu den Liedern und Informationen zu den Künstlern. Auch ein Großteil der „inneren“ Werte stimmen: Die Intonation der Sängerin ist hervorragend, der Pianist überzeugend, die Aufnahmetechnik einwandfrei. Und doch kann ich diese CD nicht empfehlen, denn die Texte sind völlig unverständlich. Das Vibrato der (wirklich eindrucksvollen) Stimme von Bettina Smith ist so stark und die Aussprache so undeutlich, dass man nicht entspannt zuhören kann, sondern etwas lauter aufdrehen und mit aller Anstrengung lauschen muss, um den ein oder anderen Wortfetzen zu erhaschen. Bedauerlich: Damit ist die CD für einen angenehmen Musikgenuss nicht zu gebrauchen.


Daniel Kunert
Mai / Oktober 2021

Komponisten-Reihe von Peter Heilbut - Leichte Spielstücke für Klavier
Georg Friedrich Händel / Frédéric Chopin
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20211012_heilbut

Herausgeber: Peter Heilbut
Verlag: Edition Hug


Von dieser Komponisten-Reihe von Peter Heilbut bin ich rundum begeistert. Hier hat der Herausgeber eine beliebte Collection ins Leben gerufen, die überzeugt. Jedes Heft ist einem bestimmten Komponisten gewidmet und somit immer auch individuell „einmalig“. Dabei wird ausführlich, detail-, und facettenreich Leben, Weg, Wirkung des jeweiligen Komponisten gewürdigt. Schon künstlerische Portraits sind dabei jeweils ein hoch willkommener Einstieg. Stabiler Kartoneinband und hochwertige Papierqualität machen diese Hefte darüber hinaus immer zu etwas Besonderem, eben: Qualitätsprodukte der Edition Hug. Obwohl diese Notenausgaben (hier: G. F. Händel und F. Chopin)  bereits ins Jahr 1974 zurückgehen, sind diese Hefte zeitlos gültig und für pädadogische Unterrichtszwecke meiner Meinung nach unübertroffen. Die Kunst liegt wohl in der geglückten Auswahl.

In der Händel-Ausgabe finden sich: Menuette, Chaconne, Rigaudon, Suite d-Moll mit den Einzeltiteln: Allemande, Courante, Sarabande, Gigue.
In der Chopin-Ausgabe sind herrliche Mazurkas, Préludes in e-Moll, h-Moll, a-moll, g-moll sowie Valse vertreten.

Bei allen ausgewählten Stücken handelt es sich um originale Klaviermusiken, die sich als reizende Spielstücke und Miniaturen ideal für Unterrichtszwecke eignen und die zudem mit individueller Tonsprache Maßstäbe setzen. Besonders hingewiesen sei ebenfalls auf die Auswahl (Sammel)bände: Leichte Spielstücke (epocheübergreifend) von Telemann bis Schubert, quasi Barock meets Romantic


Christoph Brückner
Mai / Oktober 2021

Hummel - Weber - Mendelssohn
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210824_kirschnereit

Interpreten: Matthias Kirschnereit, Frankfurt Radio Symphony, Ltg. Michael Sanderling
Label: hr / Berlin Classics


CDs unter Corona-Bedingungen gibt es Gott sei Dank inzwischen mehrere, eine ist die hier vorliegende mit dem Klavierkonzert Nr. 2 a-Moll (1821) von Johann Nepomuk Himmel (1778 – 1837), dem Konzertstück F-Dur, op. 79 (1821), von Carl Maria von Weber (1786 – 1826) und dem Capriccio brillant h-Moll, op. 22 (1832) von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 – 1847). Aufgenommen in einer Lockdown-Pause im Dezember 2020 bringt die CD diese brillanten Kompositionen, die nie den Weg in den Mainstream gefunden haben und deshalb viel neugieriger angehört werden können als andere bekannte Highlight-Klavierkonzerte. Was der Rostocker Klavierprofessor hier zusammen mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks auf die Beine gestellt hat, ist nicht nur eine erfolgreiche Perlenfischerei, die eingespielten Werke entpuppen sich eher als Diamanten einer glücklichen Epoche am Anfang des 19. Jahrhunderts, für die Experimente genauso wichtig waren wie die Leuchttürme Beethovens. „Die Werke verlangen ein hohes Maß an Präzision, Virtuosität und eleganter Klangrede“, wird Kirschnereit im Booklet zitiert, dieses Streben hört man in der höchst glücklichen Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Orchester, freut sich über die markanten Töne einzelner Orchesterinstrumente wie über das klare Spiel Kirschnereits und das wunderbare Tuttierlebnis unter dem unauffällig aber stringent leitenden Michael Sanderling. Ein Hörerlebnis erster Klasse, eine CD zum glücklich werden!


Rainer Goede
Mai / August 2021

Johann Friedrich Fasch - Quartetts und Concertos
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210824_fasch

Interpreten: Ensemble Marsyas
Label: Linn Records


Eine wahre Schatzkiste haben da die Editoren dieser Musik geöffnet, was eigentlich für alle Musik des Zerbster Hofkapellmeisters gilt. Johann Friedrich Fasch (1688 – 1758) hatte 1714 bei Christoph Graupner studiert, 1722 trat er auf Vermittlung seines Freundes Gottfried Heinrich Stölzel aus Gotha den Dienst am Anhalt-Zerbster Hof an und schlug im Dezember deswegen die vakante Thomaskantorenstelle zu Leipzig aus. Fasch organisierte von ca. 1728 bis 1755 einen „Musicalien-Wechsel“ von Zerbst aus mit Kollegen in Dresden(Pisendel), Darmstadt (Graupner) u.a.. Prägend war seine Musik vor allem durch die bevorzugte Bläserbesetzung und die motivisch-thematische Arbeit, z.B. in den zweiten Abschnitten der Ouvertüren anstelle von Fugen. Sein Werkverzeichnis umfasst u.a. 82 Ouvertürensuiten, 67 Konzerte, 32 Sonaten und 19 Sinfonien, ist aber immer noch nicht komplettiert. Darin nehmen die hier eingespielten sechs Quartette (darunter ein Horn- und ein Flötenquartett) eine besondere Rolle ein, zu ihnen gesellen sich in dieser Einspielung noch das Fagott-Concerto C-Dur, FWV L:C2, und das Flöten-Concerto F-Dur, FWV L:F6. Die Quartette sind nach der älteren Art der italienischen Kirchensonate viersätzig, die moderneren Concerti dreisätzig.

Das Ensemble Marsyas, besetzt mit Oboe, Horn, Violine, Viola, Violoncello, Theorbe und Cembalo, dazu den Solisten Peter Whelan, Fagott, und Pamela Thorby, Flöte, bereiten sich und dem Hörer ganz große Spiel- und Hörfreude, die Musik von Fasch gehört schließlich zum Besten ihrer Zeit, voller Schwung und Einfälle. So vergehen die 72 Minuten der Einspielung im Nu, so dass man die CD gleich noch einmal einlegen muss. Das Booklet bringt einen gründlichen Text von Brian Clark, der auch für die Notenherstellung verantwortlich zeichnete. Musik vom Feinsten, aufs Feinste zu Gehör gebracht!  


Rainer Goede
April / August 2021

Francesco Venturini - Concerti
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210812_venturini

Interpreten: la festa musicale, Leitung: Anne Marie Harer
Label: RadioBremen/audite


Der in Brüssel gebürtige Francesco Venturini (1675 – 1745) war seit 1698 Mitglied der hannoverschen Hofkapelle, wo er ab 1714 in der Nachfolge Georg Friedrich Händels Hofkomponist und als „Maestro die Concerti“ die Kammermusiken leitete und schließlich 1725 auch Hofkapellmeister wurde. Agostini Steffani ,seit 1688 Opernkapellmeister unter Kurfürst Ernst August hatte die Musik am Hof in Hannover groß gemacht, Venturini setzte dieses Niveau mit reiner Instrumentalmusik fort unter Georg Ludwig, der allerdings 1714 König in England wurde und nur einige Male nach Hannover zurückkehrte. 12 Concerti di camera a 4 – 9 instromenti, op. 1 (Amsterdam 1715), außerdem Violinkonzerte und Sonaten sind überliefert, zudem eine Ouvertüre à 5 e-Moll und ein Concerto à 6 A-Dur aus schwedischen Quellen. Diese beiden und drei Concerti di camera (No 2, 9 und 11) sind auf dieser CD eingespielt.

Venturinis Musik ist eine Entdeckung, geschrieben im vermischten Stil bringen sie einerseits italienische Concerti, andererseits französische Suiten und dritterseits auch einen kunstvollen Kanonsatz. Die Concerti wechseln zwischen Tutti-, Gruppen- und Solobesetzungen diverser Art lebhaft hin und her, Kombinationen von Oboen, Blockflöten, Violinen, auch zwei Fagotten und zwei Celli oder auch Oboe, zwei Blockflöten und Violine führen zu Farbwechseln, die an die später entstandenen Konzerte Bachs denken lassen. Die meist kurzen Sätze, die den Eingangsätzen folgen, bringen eine virtuose, anspruchsvolle, auch elegant tänzerische Musik, die ihresgleichen sucht.

Das 2014 in Hannover gegründete Ensemble la festa musicale spielt das alles erstklassig zupackend und mitreißend! Mit dieser CD legt das Ensemble, das bisher vor allem Kantaten und Oratorien begleitete, seine erste eigene CD, eine gewichtige Visitenkarte vor. Dass es damit auch noch einen lokalen Komponisten vorstellt, der wie so viele der Vergessenheit anheimfiel, obwohl er dasselbe Niveau wie z.B. ein Fasch bot, ist ganz hoch zu würdigen!


Rainer Goede
April / Juli 2021

Johann Friedrich Fasch - Overture Symphonies
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210812_fasch

Interpreten: Les Amis de Philippe, Ludger Rémy
Label: mdr/CPO


Fünf von 82 Ouvertürensuiten haben hier mit dem zu früh verstorbenen Luder Rémy befreundete Musiker eingespielt, dass es eine wahre Freude ist. Die dreisätzigen Ouvertürensuiten bringen nach einer umfänglichen Ouvertüre, deren Mittelsatz Fasch anstelle einer Fuge mit einfallsreicher thematischer Arbeit füllt, noch jeweils zwei Sätze, seien es italienische Arias oder mit Andante und Allegro betitelte Suitensätze. Fasch, seit 1722 Hofkapellmeister am Hof in Anhalt-Zerbst, war durch seinen von ca. 1728 bis 1755 betriebenen „Musicalien-Wechsel“ mit Kollegen in Dresden(Pisendel), Darmstadt (Graupner) u.a. hervorragend vernetzt und konnte so Musik auf modernsten und höchstem Niveau schreiben. Das ist auch der hier eingespielten Musik anzuhören, prächtig, lustvoll, gediegen und rauschhaft gelingt dem groß besetzten Orchester diese kaum bekannte Musik. Ein Gewinn in jeder Hinsicht! Im Booklet schreibt Manfred Fechner einen gründlichen sehr guten Text zu den Kompositionen, der allein schon den Kauf dieser Edition rentabel macht. Wer sich in Pandemiezeiten eine besondere Freude machen möchte, der greife hier zu!


Rainer Goede
April / August 2021

Dresden Anonymous Six Concertos
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210727_dresden

Interpreten: Les Amis de Philippe, Ludger Rémy
Label: RadioBremen/CPO


Eine der letzten Aufnahmen des unvergessenen Ludger Rémy (1949 – 2017) beschäftigt sich mit ungezeichneten Concerti aus der Sammlung „Schrank II“ der Sächsischen Landesbibliothek * Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Dieser Schrank stand in der katholischen Hofkirche und enthielt die nach dem preußischen Bombardement der Stadt 1760 dort gebündelten Reste eines einst riesigen Bestandes aus dem frühen 18. Jahrhundert, für den Namen wie Pisendel, Fasch, Graun und Vivaldi stehen. Man könnte diese Concerti, besetzt mit Flauto, Violino, Violoncello (oder Viola da spalla) und Basso continuo, auch Triosonaten nennen, da die Stimme des Violoncellos häufig sich mit dem der Continuostimme deckt, ab und u aber auch dem Violoncello Raum gibt für virtuose eigene Partien. Die drei- oder viersätzigen Concerti sind herrliche Beispiele für den vermischen Stil der Zeit, da finden sich italienische Concerti und französische Suitentänze wie Fugensätze in munterer Abwechslung wie Geschlossenheit. Wie unbekümmert man damals musiziert hat, macht Rémy deutlich mit einer eigenen Bearbeitung eines Concertos für zwei Cembali.

In seinem  Bookletbeitrag beschreibt Rémy in kunstvoller Bescheidenheit die Kunst der Anonymi, in den Abschnitten „Über die Schönheit des Namenlosen“ und „Über den Wert des Namenlosen“ sinniert er über die Bedeutung von signierten und unsignierten Kompositionen und die Schwierigkeit, sie gleichermaßen zu schätzen. Rémys Ensemble „Les Amis de Philippe“ spielt bei aller Kunstfertigkeit mit solchem Verve, dass diese CD eine reine Freude ist, Unterhaltungsmusik des Dresdener Hofes vom Feinsten des 18. Jahrhunderts.


Rainer Goede
April / Juli 2021

Jauchzet dem Herrn alle Welt - Sacred Works
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210727_hertel

Interpreten: NDR Chor, Mecklenburgisches Barockorchester, Ltg. Johannes Moesus
Label: NDR/cpo


Johann Wilhelm Hertel (1727 – 1789, aufgewachsen in Eisenach, vom Vater ausgebildet im Spielen der Violine und des Klaviers, dann in Neustrelitz, Zerbst und Berlin bei u.a. Franz Benda) kam 1754 zunächst als Konzertmeister, dann als Hof- und Capell-Compositeur nach Schwerin. Sein reiches kompositorisches Werk umfasst 40 Sinfonien, 45 Solokonzerte, Cembalosonaten, Lieder, Psalmen, 25 Kantaten und Oratorien, darunter ein Weihnachts-Oratorium (1777) und vier Passionsoratorien (1780ff). Seine Sammlung von sechs Cembalo-Sonaten op. 1 (1756), eine von Sinfonien sowie ein Konzert wurden schon zu Hertels Lebzeiten gedruckt. Hertel besitzt einen hervorragenden Ruf als gewichtiger Vertreter des „empfindsamen Stils“, sein Name ist in Mecklenburg bis heute allgegenwärtig.

Die CD versammelt die Sinfonia à 14 zur Kantate Die ihr das Glück genießet (1754 zum 37. Geburtstag von Herzog Friedrich), pikant dabei der zweite Satz, in dem zwei Traversen mit einem einstimmigen Streichersatz konzertieren, zwei Choral-Motetten (1755), bei denen in Thüringer Tradition der Sopran den Cantus planus über einen imitierenden Satz legt, die Kirchen=Musik – Zur Feyer des Friedens=Festes (1763), bestehend aus zwei instrumentalen Choralvorspielen und Chorälen vor und nach der Predigt, in dem der Te Deum-Text im Forte kontrastiert mit dem Choral Nun danket alle Gott im Piano mit Zeilenzwischenspielen der Orgel, die gewichtige Choral-Kantate Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (1774) und den jubelnden mehrchörigen 100. Psalm (1780), der zum 63. Geburtstag von Herzog Friedrich, „dem Frommen“, geschrieben wurde. Dieser hatte seinen Wohnsitz nach dem Siebenjährigen Krieg nach Ludwigslust verlagert, was bis heute sein einzigartiges Flair atmet.

Den Ausführenden ist für die Mühe der Übertragung der Noten von den Manuskripten sehr zu danken, der 100. Psalm ist reine Freude pur. Hertels Werke sind mit dem NDR-Rundfunkchor sicherlich überbesetzt, dafür erklingt im Schlusschoral der Friedensfestkantate ein völlig unterbesetztes nicht näher beschriebenes Positiv. Die damals in der Schlosskirche Schwerin existierende Orgel stammte von Ahasverus Schütze (1676, jetzt umgebaut in Redefin, 2008 von Jehmlich restauriert). Es wird ein Principal 8‘-Instrument gewesen sein, dass einem großen Ensemble wie hier ein richtiges Pendant hat sein können. Die schwergewichtige Choral-Kantate Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (1774) in stetem langsamen Tempi dominiert das Programm einseitig, so dass zu hoffen ist, dass sich der vorliegenden CD bald weitere Einspielungen von Werken des Schweriner Hof- und Capell-Compositeurs anschließen.


Rainer Goede
April / Juli 2021
Weiss - Sonatas
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Interpret: Wolfgang Rübsam
Label: Brilliant


Wolfgang Rübsam hat die Lauten-Sonaten des Dresdener Virtuosen und Freund Bachs Silvius Leopold Weiss (1687 – 1750) für das Klavier transkribiert. Er spielt die fünf Sonaten WeissSW 61, 93, 95 bis 97 auf einem Lauten-Clavier in Kielflügelform, das Keith Hill 2015 gebaut hat mit je einem 8‘ und 4‘-Register und mit zwei Springerreihen, eine nahe der Klaviatur, eine nahe der Rosette. Nun ist über Lauten-Claviere recht wenig bekannt, die Chance, im Booklet hier genauere Informationen zu diesem Instrument und der Geschichte des Lauten-Claviers allgemein zu bringen wurde leider vertan. Ebenso wenig ist zu den Kompositionen von Silvius Leopold Weiss zu lesen. Diese geballte Booklet-Schwäche können leider die großartige Musik des Dresdener Meisters und das gekonnte Spiel Rübsams nicht wettmachen, da einfach nicht klar ist, welche Spezialitäten hier zu hören sind. So wird die CD leider zu einer Mußestunde der gepflegten Unterhaltung degradiert, schade um die vertane Chance!  


Rainer Goede
April / Juli 2021

Krieg und Revolution, 1917 als (Ein-)Bruch der Moderne
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Herausgeber: Wolfram Enßlin und Christoph Krummacher
ISBN: 978-3-7776-2883-7
Verlag: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig


Der Band enthält die Vorträge der Tagung der Strukturbezogenen Kommission Kunstgeschichte, Literatur- und Musikwissenschaft der Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig vom November 2017, die sich mit der Frage zur Zeitenwende 1917 beschäftigte, wie diese in den verschiedenen Kunstbereichen greifbar wird. Nach einführenden Vorträgen wie den von Michael Dreyer Krieg und Revolution 1917 – der Einbruch der USA und der Sowjetunion in die europäische Politik und Kultur und Beiträgen zur Politik Woodrow Wilsons und der sowjetischen Kulturpolitik verweist Helmuth Kiesel in seinem Beitrag zur Literaturgeschichte Vorschein und Widerhall darauf, dass die russische Oktoberrevolution keinen baldigen deutschen literarischen Text evozierte, erst 1940 erschien Alfred Döblins November 1918. Matthias Warstat beschreibt in seinem Beitrag zur Versammlungskultur und Theater der Weimarer Republik, wie die sozialdemokratischen Massenspiele und kommunistisches Agitproptheater zwischen Kunstsphäre und Mobilisierung pendeln. Frank Zöllner beleuchtet in seinem Beitrag Kunst als Sinnstiftung anhand der Gemälde Bernhard Heisigs zur Pariser Kommune die Frage, ob Kunst mit ihrem Autonomiepostulat sinnstiftend oder Sinn befragend zu sein habe. Die Beispiele der Einheitsdenkmäler in Berlin und Leipzig zeigen offenbar nicht Sinn befragende Natur. 

Helmut Loos beschäftigt sich unter dem Titel Der Komponist der Moderne, Kontinuität statt Bruch mit der neuen Sachlichkeit anhand der Entwicklung der Oper (Orff, Hindemith, Will, Krenek, Egk und Strauß) sowie der Jugenmusikbewegung, beschreibt mit Adorno ihren unangemessenen Kultus fernab jeder Kunst (eine leichte Beute des Nationalsozialismus). Wolfgang Hirschmann beschreibt neben den aufsehenerregenden Ereignissen des Jahres 1913 (Sacre du printemp und Watschenkonzert des Schönbergkreises in Wien) die Edition Sports & Divertissements, in der Eric Satie zu Illustrationen von Charles Martin Klaviersätze „schrieb“, oder eher kongenial zu den Mode-Jugendstilbildern, bzw. kubistischer Art Deco kalligraphisch notierte. Saties Kunst der Negierung alles Althergebrachten wie Anspruchsvollen, das dennoch Premiere eines Kunststils war, nimmt vorweg, was Minimalistik und andere Stilformen der zweiten Hälfte des Jahrhunderts praktizierten.    

So ist der Band eine gute Lektüre für alle, die sich orientieren wollen über die Hintergründe der breiten musischen Entwicklung in der Zeit der Weimarer Republik.


Rainer Goede
April / Juli 2021

24 Pastels
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Komponist: Mons Leidvin Takle
Verlag: Cantando


Die 2018 im norwegischen Musikkforlag Cantando erschienen 24 Pastels von M.L. Takle sind abwechslungsreiche Stücke mit verschiedenen technisch tendenziell hohen pianistischen Ansprüchen. So finden sich Stücke, in denen die Geläufigkeit mal für die rechte Hand und mal für die linke Hand betont gefordert wird. Die Musik erinnert manchmal an große Vorbilder, wie z.B. J.S. Bach (1), Chopin (3), Scarlatti (4), C. Czerny (5), Anklänge von Ravel z.B. Klavierkonzert (6), Sonatine (14) und vielen anderen. Insgesamt betrachtet sind die Stücke von Takle oftmals harmonisch ungewohnt, jedoch immer interessant. Für den sehr fortgeschrittenen Klavierspieler ist das gesamte Werk gut zu schaffen und lohnenswert. Um einen Eindruck zu erhalten, gibt es einen verlinkten Soundtrack.


Cristian Peix
März / Juli 2021

Paradisi Gloria - Sacred music by Emperor Leopold I.
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Interpreten: Cappella Murensis, Les Cornets Noirs, Ltg. Johannes Strobl
Label: audite


Kaiser Leopold I. (1640 – 1705) war gleichermaßen ein Machtpolitiker (1683 zweite Türkenbelagerung Wiens, anschließend Eroberung Ungarns) wie ein kultivierter Herrscher, Musikliebhaber sowie ein ganz passabler Komponist. Auf dieser CD sind sein Stabat mater (1678), die Motette de septem doloribus BMV (undatiert), die Missa pro defunctis (1673) und die Tres Lectiones I. Nocturni pro defunctis (1676) eingespielt. Die letzten beiden Werke beziehen sich auf den Tod seiner ersten beiden Gattinnen. Leopold spielte mehrere Instrumente und dirigierte sein Kammerorchester selbst, er hinterließ über 230 Kompositionen verschiedener Art.

Wer sich nun große Kunst gleichbedeutend mit Kompositionen seiner Hofkomponisten Antonio Bertali (1605 – 1669) und des Vizekapellmeisters Johann Heinrich Schmelzer (um 1623 – 1680), den er als ersten Nicht-Italiener in Wien 1679 zum Hofkapellmeister ernannte, erwartet, wird schnell korrigiert auf die Ebene eines Dilettanten. Leopold schreibt vorwiegend kurze homophone Abschnitte mit schnell wechselnden Besetzungen, nur in den Tres Lectiones gewinnt die Musik eine höhere Ebene. Immerhin, eine Ehrenrettung für Leopold stellt die CD dar und gibt einen interessanten Einblick in höfische Kultur des 17. Jahrhunderts.

Natürlich spielen die Ensembles auf hohem Niveau, ihrem Leiter Johannes Strobl sei vor allem Dank gesagt für diese Ausgrabungen und ihre Aufbereitung für die Einspielung. Herbert Seifert bleibt in seinem Einführungstext im Booklet keine Information schuldig. Zu Vergleichszwecken ist die Einspielung von großem Interesse, künstlerisch eine Enttäuschung. Noch enttäuschender ist, wie es dem Rezensenten einige Male erst jüngst passiert ist, das Zeitgenossen auf demselben Niveau Kompositionen vorzeigen und meinen, das wäre einer Kritik würdige Kunst.

Rainer Goede
April / Juli 2021
Muffat - Missa in labore requies
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Interpreten: Cappella Murensis, Les Cornets Noirs, Ltg: Johannes Strobl
Label: audite


Die Klosterkirche St. Martin in Muri im Aargau/CH, 1697 als Oktogon erbaut, ist der größte Kuppelzentralbau der Schweiz. Er verfügt (wie der Salzburger Dom) über vier Emporen, auf den zwei Ostgalerien stehen Orgeln, die Joseph und Victor Ferdinand Bossart im Jahr 1743 erbauten: Epistelorgel im Süden: II/16, Evangelienorgel im Norden: I/8. Sie sind fast unverändert erhalten. Seit 20 Jahren amtiert Johannes Strobl in Muri und nutzt diese Anlage vorzüglich, um mit seinen Ensembles mehrchörige Musik aufzuführen.

Georg Muffat (1653 – 1704), aufgewachsen in Frankreich, Studium in Italien, war seit 1687 Domorganist in Salzburg und seit 1690 Kapellmeister in Passau. Daher konnte er in beiden Stilen schreiben. Sein kompositorisches Werk umfasst vor allem Sammlungen von Instrumentalmusik in Sonaten- wie Suitenform, dazu Concerti grossi und die mehrteiligen Toccaten des Apparatus Musico Organisticus (1690). Von 3 Messen und einem Salve Regina ist lediglich die fünfchörige Missa in labore requies erhalten geblieben. Umso mehr gewinnt diese Einspielung deshalb an Gewicht.

Georg Muffats 24-stimmige Missa in labore requies, für zwei Vokal- und drei Instrumentalchöre ist vermutlich für den Salzburger Dom geschrieben worden, sie könnte aber auch für Passau 1690 entstanden sein. Die notwendig harmonisch etwas flache Anlage der Sätze wird mit Energie hochgeladen durch den Wechsel der Chöre und die lebendigen Instrumental-Verzierungen. Der Klangeindruck ist natürlich gewaltig und überwältigend, die direkte Konkurrenz zu Bibers Missa Salisburgensis ist nicht zu überhören. Die große Klangpracht der Missa wird ergänzt durch mehrchörige Sonaten des Wiener Hofkomponisten Antonio Bertali (1605 – 1669) und des Vicekapellmeisters Johann Heinrich Schmelzer (um 1623 – 1680) sowie zweier Streichersonaten des Salzburger Kapellmeisters Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704), die als Epistelsonaten gedient haben könnten.

Dass sich Strobls Ensembles mit Feuereifer der prächtigen Musik widmen, ist da ganz selbstverständlich. Von Ernst Hintermaier stammt ein guter Einführungstext im Booklet, das nur Messetext und Übersetzung vermissen lässt. Wer sich eine Freude machen möchte, der höre in diese CD hinein, er wird es dann bestimmt noch einmal tun.

Rainer Goede
April / Juli 2021
Sebastian Knüpfer - Geistliche Konzerte
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210708_knuepfer

Interpreten: Johann Rosenmüller Ensemble, Ltg. Arno Paduch
Label: Christophorus


Zwar handelt es sich um die zweite Auflage einer bereits 2004 eingespielten CD, aber die ist so vorbildlich geraten, dass ihr auch heute weiter höchstes Lob gebührt, zumal bis heute nur sehr wenige CD-Aufnahmen von Kompositionen Knüpfers gemacht worden sind.

Sebastian Knüpfer ( 1633 - 1676), Nachfolger von Tobias Michael im Amt des Thomaskantoren - ihm folgten Johann Schelle und Johann Kuhnau - schrieb Motetten, Geistliche Konzerte, Kantaten und Messen. 1663 erschien eine Sammlung von Madrigalen und Kanzonetten im Druck. Paduch hat damals drei Choralkonzerte mit großer Streicher- und Bläserbesetzung und drei lateinische Psalmkonzerte und zwei Evangelienkonzerte mit Streicherbesetzung eingespielt. Die Konzerte gliedern sich in kurzweilig unterschiedlich besetzte Abschnitte, die eng an den vorgegebenen Cantus firmus angelehnt sind oder sich lautmalerisch an die inhaltliche Aussage halten, wobei z.B. der Dialog bei der Vertonung von Mt 6,25ff „Was werden wir essen“ besonders plastisch geraten ist, wenn die Vögel und die Lilien benannt werden.

Es ist aber nicht nur die erstklassige Musik, die fesselt, sondern ebenso die erstklassige Gestaltung der Musik durch das Johann Rosenmüller Ensemble, das mit großer Textdeutlichkeit und Virtuosität arbeitet und Klangpracht und Aussage wie selbstverständlich unter einen Hut bringt. Bewundernswert!

Rainer Goede
April / Juli 2021
Christoph Graupner - Jesus ist und bleibt mein Leben
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Interpreten: Marie Luise Werneburg, Dominik Wörner, Kirchheimer BachConsort, Rudolf Lutz
Label: SWR2/cpo


Solo- & Dialog-Kantaten

Auf den beiden CDs sind fünf (von c. 2400) Kantaten des Darmstädter Kapellmeisters Christoph Graupner (1683 – 1760) eingespielt, die von Anfang bis Ende schwer begeistern. Die Tonmalkunst Graupners, etwa bei den Wörtern „Eitelkeit“ und „lachend“ u.a. ist so unmittelbar einleuchtend, dass die aufgeklärten, aber keinesfalls abgeschmackten Texte des Hofpoeten Georg Christoph Lehms unmittelbar gefangen nehmen.

Die Kantaten für Weihnachten, für den 11., 21. und 25. Sonntag nach Trinitatis sowie „Über alle Sonntage“ geben den beiden Vokalsolisten reichlich Gelegenheit, ihre Kunst vorzuführen, was sie mit etwas Understatement und ohne Künstlichkeiten auf sehr angenehme Weise tun. Glänzt Werneburg mit lockeren Koloraturen, so überzeugt Wörner mit großer Textdeutlichkeit, heute oft ein Schwachpunkt neuerer Einspielungen. Einen besonderen Genuss bereitet die Kantate „Diese Zeit ist ein Spiel der Eitelkeit“, GWV 1165/09 (1709) mit ihrer zweiten Arie, in der das Fagott eine Extrarolle in Tenorlage spielen darf. Sergio Azzolini genießt seine Partie offenbar selbst in großen Zügen, bringt zum streicherbegleiteten Sopran einen klangvollen Kontrapunkt extra Klasse!

Das reich bebilderte Booklet bringt einen guten Einführungstext von Corinna Wörner, der keine Information vermissen lässt. Den Genuss dieser Kantaten des verhinderten Thomaskantoren sollte sich niemand entgehen lassen!

Rainer Goede
April / Juli 2021
Johann Peter Kellner - Sacred Cantatas
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210708_kellner

Interpreten: Cantus Thuringia und Capella Thuringia, Ltg: Bernhard Klapprott
Label: cpo


An Kellners Wirkungsstätte, in St. Laurentius Gräfenroda mit ihrer Weise-Orgel (1736, II/24, gebaut nach Vorstellungen des damaligen Organisten Johann Peter Kellner, 2005 rekonstruiert von Orgelbau Waltershausen), wurde diese CD aufgenommen. Zu hören sind sieben Kantaten: zum Fest Mariae Heimsuchung (mit Organo obligato), zum Fest Mariae Verkündigung, zu Weihnachten (mit Organo obligato), zum 4. Sonntag nach Epiphanias, zu Estomihi, zum 22 Sonntag nach Trinitatis (mit Organo obligato) und eine Hochzeitskantate (mit Organo obligato). Zu den Solisten Anna Kellnhofer, Christoph Dittmar, Mirko Ludwig und Ralf Grobe treten fallweise Trompeten und Pauken, Flöten und natürlich immer Streicher hinzu. Die Weise-Rekonstruktion spielte bei dieser Aufnahme Mikhail Yarzhembovskiy.

Johann Peter Kellner (1705 - 1772) war seit 1727 Schuldiener, Kantor und Organist an der Kirche St. Laurentius seines Heimatdorfes Gräfenroda im Thüringischen Wald. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Johann Philipp Kirnberger, Johannes Ringk (der Überlieferer von BWV 565 und nachmalige Organist an St. Marien in Berlin), Ernst Rembt (1749 – 1810, seit 1772 Organist und Komponist in Suhl) sowie seine Söhne Johann Andreas (1724–1785), der spätere Gothaische Hoforganist und Komponist, und Johann Christoph Kellner (1736–1803), der spätere Kasseler Hoforganist und Komponist. Kellner war ein eifriger Sammler Bachscher Musik, er schrieb vorwiegend für Klavier und Orgel, daneben ist eine große Zahl von Kantaten erhalten. Anzunehmen ist, dass er die gesammelten Werke Bachs auch alle spielen konnte und in ihrer Art auch improvisierte, was ihm eine große Zahl von Schülern bescherte.

Die jeweils rund 10 Minuten langen Kantaten sind typische Beispiele für die vor allem in Thüringen, aber auch in Franken und anderswo gepflegte Adjuvantenmusik, man kann sich gut vorstellen, wie sonntäglich alle Dorfbewohner zusammenströmten, um die eigenen Familienmitglieder eine solch fröhliche Musik aufführen zu sehen und zu hören. Ein besonderer Clou dabei waren Besetzungen mit solistischer Orgel. Die Kantaten entstammen mehreren Jahrgängen der 1750er Jahre, wobei die Mitwirkung des Sohnes Johann Christoph nicht immer klar ist. Peter Harder, Kantor und Organist in Gräfenroda, der auch den äußerst fundierten Booklettext verfasste, hat sich um die Erforschung der Kellner-Kantaten mehr als verdient gemacht. Der Motor der Kellner-Weise-Rekonstruktion ist Ehrenbürger seiner Stadt und Vorsitzender der Kellner-Gesellschaft.

So konnte sich Bernhard Klapprott mit seinen Solisten, Cantus und Capella Thüringia in ein gemachtes Nest mit aufbereitetem Notenmaterial und komponistengestylter Orgel setzen. Das Ergebnis ist in jeder Sekunde beglückend, eine CD, deren Klänge noch lange nachhallen. Höchst empfehlenswert!

Rainer Goede
April / Juli 2021
Sigfrid Karg-Elert - Opern von Richard Wagner in Bearbeitungen für Klavier und Harmonium
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Interpreten: Jan Hennig, Ernst Breidenbach
Label: Pan Classics


Musik für Harmonium auf CD ist per se schon etwas Besonderes. Musik für Harmonium und Klavier noch mehr. Und dann sind hier auch noch Klänge von Richard Wagner für diese Besetzung bearbeitet: Das kennt wohl selbst der besten Wagner-Kenner nicht unbedingt. Auch wenn manch Musikkenner mit dem Bearbeiter und Komponisten Sigfrid Karg-Elert vielleicht noch etwas anfangen kann, mit diesen Stücken ist nicht viel Staat zu machen. Karg-Elert war durchaus ein origineller Komponist der späten deutschen Orgelromantik mit durchaus entdeckenswerten Werken. Aber diese Bearbeitungen sind es ehrlich gesagt nicht. Außer der Tatsache, dass man mit diesen Bearbeitungen etwas wahrlich Besonderes kennen lernt und mit Raritätenkenntnissen angeben kann, gibt es wohl keinen Grund, sich diese Musik zu Gemüte zu führen, außer wenn man sich für die historische Dimension derartigen Komponieren beziehungsweise Bearbeitens interessiert.

Der dünne Klang eines Harmoniums, der durchaus faszinierend sein kann, wenn man an Arnold Schönbergs Wiener-Walzer-Bearbeitungen denkt, erscheint hier zumeist nur wie ein schwachbrüstiges Akkordeon oder eine Orgel, die zu wenig Luft hat. Das mag am speziellen Instrument liegen, am Spieler oder auch an der Aufnahmetechnik, auf jeden Fall mag ein Harmoniumsklang  vielleicht für Wagners „Siegfried-Idyll“, das „Parsifal“-Vorspiel oder die „Gralsmusik“ aus der gleichen Oper eine Option im positiven Sinne am Rande des Denkbaren sein, der hier genauso eingespielte Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ jedoch wirkt einfach nur lächerlich und armselig in dieser Bearbeitung. Armer Wagner! Aber auch so Nummern wie „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ aus der „Walküre“ oder das Spinnerlied aus dem „Fliegenden Holländer“ wirken eher wie Karikaturen ihrer selbst und Wagners in einem, aber nicht wie ernst zu nehmende Musik.

Karg-Elert ist vielleicht der einzige Komponist, der sich speziell dem Instrument Harmonium zugewandt hat. Die Unmengen von Originalstücken mögen ja teilweise reizvoll sein, aber die Wagner-Bearbeitungen dieser CD sind eher skurril.

Natürlich gibt es Momente, in denen die Klangfarben eines Harmoniums reizvoll sind als Annäherungen an die Orchesterklangfarben Wagners, aber diese Annäherungen sind eben doch Lichtjahre vom Original entfernt. Und auch die Argumentation, dass man mit diesen Arrangements die Musik Wagners einem weiteren Zuhörerkreis hat zugängig machen können – die Bearbeitungen stammen schließlich aus der Zeit direkt vor dem ersten Weltkrieg – kann nicht recht ziehen. Das Harmonium war nie ein Instrument, das weit verbreitet gewesen wäre. Und heute gibt es solche Instrumente höchstens mal noch in Ausnahmefällen auf Friedhöfen oder in privaten Sammlungen. Dieses Instrument hat sich total überholt. Und wenn, dann spielt man doch besser Originalliteratur, zum Beispiel von Cesar Franck oder dessen Umfeld, wo durchaus manch Reizvolles für das Harmonium zu entdecken ist. Oder man spielt eben Orgelliteratur auf dem Harmonium, aber dann natürlich Stücke ohne Pedal. Historisch ist diese CD hoch interessant. Mehr aber nicht.    

Reinald Hanke
April / Juli 2021

Magdeburger Kantaten
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Interpreten: Märkisch Barock, Kammerchor der Biederitzer Kantorei, Ltg. Michael Scholl
Label: Querstand


Nicht nur Telemann ist ein hoch bedeutender Barockmusiker aus der preußischen Metropole Magdeburg gewesen. Wie in anderen Städten auch wurde das Musikleben vom Kantor des (Altstädtischen) Gymnasiums, der als Director musices zuständig war für die Musik in den fünf Hauptkirchen (u.a. waren das Agricola, Dressler und Schröter) und natürlich im selbstständigen Dom von dem Summissario oder Directore musices am Dom diktiert. Die CD versammelt fünf Kantaten des Dommusikdirektors Johann Friedrich Ruhe (1699 – 1776), dessen zwei Kantaten aus dänischen Vorlagen aus Arhus rekonstruiert wurden, zwei Kantaten, die Ostermusik Ertönt ihr Hütten der Gerechten (1723) und die Trinitatis-Kantate Befördre dein Erkenntnis, deren Vorlagen in Brüssel liegen, des Domorganisten Georg Tegetmeyer (1687 – 1764) und die weit verbreitete Osterkantate Auf, preiset Gott mit vollen Chören des Magdeburger Stadtkantoren Johann Heinrich Rolle (1716 – 1785), die in nicht weniger als 12 Quellen überliefert ist.

Die beiden Osterkantaten von Tegetmeyer, der seit 1715 an der viel gerühmten Domorgel von Heinrich Compenius d.J. (1605, III/43) wirkte, und von Rolle, der nach seiner Zeit in der Berliner Hofkapelle mit Benda, den Graunbrüdern und Carl Philipp Emanuel Bach seinem Vater 1752 im Amt des Kantoren gefolgt war, sind prächtige Musiken, die Kompositionen anderer Barockmeister wie Graupner in Darmstadt, Stölzel in Gotha oder Homilius in Dresden keinesfalls nachstehen.

Solisten, Chor und Orchester unter der Leitung von Michael Scholl musizieren hörbar begeistert die schöne Musik. Unter den Solisten sticht der Bass Matthias Vieweg hervor, während die Sopranistin Melanie Hirsch mit ihrem allzu großen Vibrato barocker Singekunst ferne steht. Das Booklet bringt eine angenehm zu lesende gute Einführung von Ralph-Jürgen Reipsch. Sehr zu hoffen bleibt, dass noch mehr Kantaten Magdeburger Provenienz aufgefunden und eingespielt werden können, nicht nur von Johann Heinrich Rolle, der inzwischen wieder gerne aufgeführt wird.

Rainer Goede
März / Juli 2021
Die Auferstehung des Erlösers
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Interpreten: Kölner Akademie, Ltg.: Michael Alexander Willens
Label: Deutschlandfunk/cpo


Das Osterereignis ist immer wieder ein unvergleichliches Freudenfest, hier gebündelt gefeiert mit Kantaten von Agricola und Homilius. Überraschend für viele wird sein, dass der vor allem als Musiktheoretiker („Anleitung zur Singkunst“, Berlin 1757, u.a.) nach wie vor präsente Berliner Hofkomponisten Johann Friedrich Agricola (1720 – 1774) hier als begabter Komponist auftritt. So unbekannt seine anderen Oratorien Die Sendung des Heiligen Geistes durch den aufgefahrnen Erlöser, (Pfingstkantate 1757), Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem (1757 Berlin), Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu (1757 Berlin) und Der 21. Psalm: „Der König jauchzt“ (Berlin 1758) geblieben sind, haben wenigstens seine Lieder, die der „Ersten Berliner Liederschule“ angehören, eine gewisse Resonanz erfahren. Als Dirigent, Sänger, Gutachter, Übersetzer, Rezensent, Musikschriftsteller und vor allem als Privatmusiklehrer war er vielseitig und unermüdlich tätig. Seiner Kantate Der Gottmensch jauchzt und dem zehnsätzigen Musikalischen Gedicht: Die Auferstehung des Erlösers ist die bei Bach, Graun und Hasse gesammelte Erfahrung anzuhören: der Affekt wird genau getroffen, Agricolas Satzkunst überzeugt jeden Moment.

Auch die Ausführenden, Solisten, Chor und Orchester der Kölner Akademie überzeugen in jedem Moment, was ebenso für das zehnsätzige Osteroratorium von Homilius gilt, dessen Tonsprache inzwischen durch viele Aufführungen und Einspielungen wohl vertraut ist. Das Booklet bringt eine gute Einführung von Klaus Winkler und natürlich die Texte, die der Rektor an St. Petri Buchholz schrieb im nach wie vor gewöhnungsbedürftigen Tonfall der Aufklärung. So ist diese CD eine rechte Osterfreude und lässt die Coronastimmung in den Hintergrund treten.

Rainer Goede
März / Juli 2021
Chessmen
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Komponist: Miller, Timothy
Verlag: Cantando


Das Klavierwerk „Chessmen“ von Timothy Miller enthält  sechs Charakterstücke. Als Vorlagen dafür dienen die Figuren des Schachspiels. Jede einzelne von ihnen wird von dem Komponisten mit pädagogischen Hinweisen zur Spielweise am Klavier bedacht. Die musikalischen Umsetzungen sind wunderbar gelungen: 1.der König majestätisch, 2.die Königin elegant, 3.der Springer hurtig, 4.der Turm starr und steinern, 5.der Läufer eilig und abschließend 6.der Bauer energiegeladen. Das geforderte technische Niveau an PianistInnen ist nicht besonders hoch (2.Lernjahr), dennoch ist der künstlerische Wert der Stücke aufgrund der musikalisch interessanten Ideen beachtlich.

Cristian Peix
März / Juli 2021

Hans Fährmann
Direktlink: www.notenkeller.de/rezensionen.html#20210701_faehrmann

Hans Fährmann, Sieben Sprüche für mehrstimmigen Chor op. 45, Hg. Dieter Zeh, Einzelausgaben Carus 1.776 – 1.782
CD Hans Fährmann, Motetten op. 34, 45, 56, SWR Vokalensemble, Ltg. Frieder Bernius, SWR/CV 83.499
CD Hans Fährmann, Orgelwerke V, Sonate Nr. 6 op. 24, Abschieds- und Friedensgesänge op. 66, Dietrich von Knebel, querstand vkjk 2012


Derzeit erfährt Hans Fährmann (1860 – 1940), von 1890 bis 1926 Organist und Kantor an der Dresdner Johanneskirche und seit 1892 Orgellehrer am Dresdner Konservatorium und damals herausragender Virtuose, eine echte Wiederbelebung mit dem Revidierten Reprint der Erstausgabe Leipzig o.J. seiner Chorwerke, einer CD-Einspielung dieser Werke mit dem renommierten SWR Vokalensemble und bereits der Folge V seiner Orgelwerke. Von denen gibt es 14 teilweise sehr umfangreich angelegte Orgelsonaten, 3 Konzerte für Orgel und Orchester und darüber hinaus noch eine ganze Reihe weiterer großer Orgelkompositionen, Choralvorspiele und Charakterstücke, außerdem Lieder, weitere Chorwerke, zwei Oratorien und Kammermusik.

Fährmanns spätromantische Kunst – er arbeitet viel mit übermäßigen, bzw. chromatisierten Akkorden, ungewöhnlichen harmonischen Verbindungen, relativ wenig polyphonen Strukturen bei einem meist achtstimmigen dichten Satz – ist höchstens vergleichbar mit der Kunst eines Middelschulte oder Reger, viel Aufsehen hat sie damals erregt. Damit war es aber auch schnell vorbei, als Sing- und Orgelbewegung andere Ziele deklarierten und sich die Romantik schlichtweg überlebt hatte. Nach dem zweiten Weltkrieg war nicht nur sein Verlag (Junne) zerstört und seine Druckausgaben vergessen, sondern ihr Komponist Fährmann damit ebenso. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Dietrich von Knebel hat sich das geändert, zumindest in studierten Kreisen ist Fährmanns Name wieder ein Begriff. Seine Musik, so beeindruckend schön sie stellenweise ist, tut allerdings heute auch eine andere Wirkung, sind doch rund hundert Jahre inzwischen vergangen, die neue Erfahrungen gebracht haben. Unter diesen Voraussetzungen hört man sich seine gesteigerte Chromatik auch schnell über, was das Verdienst der Interpreten nicht schmälern darf, ist doch das von ihnen geforderte Können sehr hoch anzusetzen.

Interessant sind Fährmanns Chor- und Orgelwerke allemal, aber Weniges ist da auch genug! Nach solcher Vollkost wirkt der Biedermeierstil eines Rheinberger oder Mendelssohn wie Schwarzbrot. Wer Fährmann noch nicht kennt, hat jedenfalls eine Wissenslücke, darum sehr empfehlenswert!

Rainer Goede
März / Juli 2021

Tomás Luis de Victoria

Interpreten: Nordic Voices
Label: Chandos


Der Spanier Tomás Luis de Victoria (um 1548 – 1611) erhielt seine Ausbildung in der Kathedrale von Ávila und dem örtlichen Jesuitengymnasium, seit 1565 dann als Stipendiat von König Philipp II. in Rom am Collegium Germanicum, dem Priesterseminar der Jesuiten. 1571 übernahm er die Leitung der Kapelle des Collegiums. 1585 ließ Victoria in Rom eine Sammlung musikalischer Werke drucken, darunter das Officium Sanctae Hebdomadae (Motetten zu den Matutinen der Karwoche). Zurück in Spanien wirkte er als persönlicher Kaplan der verwitweten Kaiserin Maria, als Leiter der Kapelle des Klosters der barfüßigen Clarissen und als Konventorganist. Seine Messen, Motetten und Passionen gehörten über dreihundert Jahre lang zum festen Repertoire des Chors der Sixtinischen Kapelle. Insgesamt hat er wohl über 180 geistliche lateinische Werke geschrieben, basierend auf den Anforderungen, die das Konzil von Trient 1563 gestellt hatte. Entsprechend durchsichtig und in klaren Linien verläuft seine Polyphonie, vielleicht war er damit der letzte Meister der alten niederländischer Tradition.

Aus seinen Sammlungen Motectae (Venedig 1572), Liber primus qui Missas, Psalmos ad Magnificat (1576) und dem Officium Sanctae Hebdomadae (Rom 1585) haben die Nordic Voices elf sechsstimmige Motetten ausgesucht, die sie in vollendetem Wohlklang zelebrieren. Tonmalereien in Melodien und Trennungen in Ober- und Unterchor sind Victoria nicht fremd, malen Stimmungen in vornehmer Art. Das Booklet bringt eine etwas fühlsame Einleitung von Soterrana Aguirre, (zu) viele Fotos der Sänger und verschweigt die Textquellen. Eine schöne CD!


Rainer Goede
März / Juni 2021
BACH

Thomas Dunford
Label: Alpha


Der junge Franzose Thomas Dunford (*1988) legt hier seine erste Bach-Einspielung vor, zu der die g-Moll-Suite BWV 995 und eigene Übertragungen der 1. Violoncello-Suite G-Dur BWV 1007 und der Chaconne aus der Violin-Partita d-Moll BWV 1004 gehören. Er spielt eine Laute, die Giuseppe Tumiati aus Cremona 1993 fertigte. Der Lautenlaie, als der sich der Rezensent bezeichnen muss, hört eine sehr angenehme knappe Stunde Musik, wie die Auswahl des Komponisten auch nicht anders erwarten lässt. Dass Übertragungen vorhandener Kompositionen auf die Laute gängig waren und sind, dafür steht vor allem Bach selbst Pate mit seiner Fassung von BWV 995, die nichts anderes ist als die Lautenfassung der Cellosuite c-Moll, BWV 1011, transponiert nach g-Moll. Insofern ist das Programm logisch und in sich schlüssig aufgebaut. Bach war bekanntlich auch in der Transkriptionstechnik ein Meister. Der Höreindruck dieser CD besagt, dass seine g-Moll-Suite auch die klangvollste der drei Opera ist. Dunfords Übertragungen sind notengetreu und sehr durchsichtig anzuhören, die Chaconne natürlich immer ein Ohrwurm. Dunford spielt überlegt, überlegen und ohne die so oft zu hörenden Nebengeräusche. Der Rezensent kann ob seiner fehlenden Kenntnisse nicht sagen, warum Dunfords Transkriptionen weniger klangvoll klingen. Was aber nichts bedeutet, Bachs Musik ist, egal wer sie überträgt, immer Spitzenmusik!


Rainer Goede
März / Juni 2021

Claudio Monteverdi - il terzo libro de‘ madrigali

Interpreten: Concerto italiano, Rinaldo Alessandrini
Label: naive


Claudio Monteverdi (1567 – 1643), aufgewachsen in Cremona, seit 1591 für 22 Jahre bei Vincenzo I Gonzaga (1562–1612) am Herzogshof in Mantua, danach Kapellmeister am Markusdom in Venedig, hat früh begonnen, seine Opera zu veröffentlichen. So ist er beim Druck seiner dritten Madrigalsammlung 1592 gerade 25 Jahre alt - und mitten drin in der aufregenden Entwicklung einer neuen Musiksprache, seiner Seconda prattica. Den fünfstimmigen A-Capella-Madrigalen liegen Dichtungen von Pietro Bembo, Giovanni Battista Guarini, Torquato Tasso und Angelo Grillo zugrunde, lyrische Liebesgedichte, hohe Kunst der späten Renaissance. Vergessen ist die alte Kunst der Niederländer - und blieb doch Grundlage dieser Sätze. Aber nicht die Satzkunst als solche steht im Vordergrund, sondern der empathische Ausdruck, am besten zu hören in Torquato Tassos Combattimento di Tancredi e Clorinda (Track 15 – 17, i.e. der Moment am Ende des Kampfes zwischen Tancredi und Clorinda, in dem der christliche Krieger seinen Helm abnimmt, nur um festzustellen, dass er unwissentlich seine Geliebte getötet hat, aus Tasso’s Gerusalemme liberata 1574). Monteverdi sollte ihn ein Lebensalter später 1624 noch einmal vertonen, dann veröffentlicht in seinem VIII. Madrigalbuch Madrigali guerrieri et amorosi (Madrigale von Liebe und Krieg, Venedig 1638), mit der Seconda prattica so theatralisch, dass seine Zuhörer weinen mussten.

Dahin ist Monteverdi hier auf dem Weg, was Altmeister Rinaldo Alessandrini eindrucksvoll mit seinem Ensemble Concrto italiano nachzeichnet. Wechsel in jeder Hinsicht, Homo- und Polyphonie, Lautstärke, Tempo, Besetzung, Dynamik, vor allem die gekonnte deutliche Artikulation macht die Sprache mitfühlend, lässt die musikalischen Farben sprühen, die dramatische Bühne erahnen. In seinen Madrigalen schuf Monteverdi eine Atmosphäre, in der Schilderungen traumatisch werden, Liebe tötet. Mehr als Empfehlenswert!


Rainer Goede
März / Juni 2021

Claudio Monteverdi - Vespro della Beata Vergine

CD 1 - Interpreten: Ludus Modalis, Ltg. Brumo Boterf
Label: Ramée


CD 2 - Interpreten: Il Gusto Barocco, Ltg. Jörg Halubek
Label: SWR 2/cpo


Der 450. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2017 war dankenswerterweise Anlass für eine ganze Reihe an Produktionen. Dass es eines solchen Anlasses nicht wirklich bedarf, sondern die Marienvesper eine währende Anziehungskraft hat, bezeugen zwei weitere Einspielungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da Monteverdi in seiner Sammlung Sanctissimae Virgini missa senis vocibus ad ecclesiarum choros ac vespere pluribus decantandae cum nonnullis cacris concentibus ad sacella sive principum cubicula accomodata opera … nichts Genaues zum Zweck, Verwendung und Besetzung aussagt außer, dass die Sammlung ihn Papst Paul V. empfehlen soll, muss ein jeder Interpret zunächst sich Gedanken zur Zielsetzung seiner eigenen Aufführung machen.

Boterf sieht mit Blick auf die zuvor stehende sechsstimmige Messe den liturgischen Rahmen als bestimmend an, Halubek aus seiner Praxis heraus eine Darstellung im Opernbetrieb. Boterf beschränkt sich deshalb auf eine A-Cappella-Besetzung mit Basso continuo (Gambe, Posaune, Basszink und eine italienische Orgelkopie, die also den Gesamtklang stark beeinflusst) und zweier Cembali, ergänzt die Antiphone, behält aber die die Vesperpsalmen kontrastierenden Concerti bei, anstelle der Sonata supra Sancta Maria steht das Ricercar von Frescobaldi (aus Fiori musicali, 1635) mit demselben Text und schließlich ertönt das sechsstimmige Magnificat, so nähert sich Boterf der üblichen Besetzung von Messen und Vespern um 1610 an.
Halubek wählt die schon traditionelle groß besetzte Instrumentalfassung, lässt allerdings die jeweiligen Instrumente, bzw. Soli zusammen aus je einem Stimmbuch musizieren, um der Aufführungspraxis von 1610 näherzukommen, wobei er besonderes Augenmerk auf die Durchhörbarkeit der Psalmtöne legt, und schließlich erklingt das siebenstimmige Magnificat. Beide Ansätze sind so selbstverständlich wie überzeugend und das klangliche Ergebnis ist in jedem Fall wirklich toll zu nennen. Die entschlackte Boterf-Lösung lässt die komponierte Pracht des virulenten Opernkomponisten ebenso klingen wie die virtuosen Leistungen der erprobten Halubek-Mannschaft, vor allem die Zinken glänzen hier natürlich bravourös. Die Aussprache bei der französischen Produktion ist etwas gewöhnungsbedürftig, die der deutschen aber auch nicht immer ganz deutlich.

Die Booklets bringen jeweils eine notwendigerweise knappe Einführung von Clément Stagnol, bzw. Silke Leopold, dazu persönliche Bemerkungen beider Dirigenten. Der letzte Korrekturdurchgang beider Textteile ließ horrende Übersetzungsfehler, bzw. falsche Zeilenschaltungen stehen. Der Rezensent aber ist begeistert von den musikalischen Leistungen beider Ensembles und hört in die CDs nicht nur einmal hinein!


Rainer Goede
März / Juni 2021
Nun danket alle Gott

Interpreten: Julie Roset, Sopran / Enemble Clematis
Label: Ricercar


Die CD versammelt Werke aus der Düben-Sammlung für Sopran und Streicherensemble, wozu fallweise noch ein Fagott tritt. Im Mittelpunkt steht eine Vertonung des Psalms 100 (Confitebor tibi Domini) von Claudio Monteverdi, Spitzenstück ist aber Johann Rosenmüllers Fassung des Psalms 6 (Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn), in der der Wolfenbütteler Hofkapellmeister (zwischen 1682 und 1684) selbst die Theatralik eines Heinrich Schütz weit übertrifft. Formal umfassen die Geistlichen Konzerte instrumentale Sinfonien, Ritornelle und  madrigaleske Vokalpartien, typisch hierfür ist Augustin Pflegers lateinische Motette „Ad te clamat cor meum“. Rein instrumental ist Scheidemanns Choralbearbeitung „Christ lag in Todesbanden“ wiedergegeben, ob seiner strengen polyphonen Gestaltung nicht so recht passend in das übrige Programm. Christoph Bernhard ist vertreten mit Psalm 130 (Aus der Tieffen), Dieterich Buxtehude mit der Kantate „O clemens, o mitis, o coelestis pater“, BuxWV 82, und Andreas Hammerschmidt mit seinen Konzerten „Vulnerasti cor meum“ (Hohelied Salomonis 4,9ff, nur mit der Orgel (Brice Sailly) besetzt) und „Nun danket alle Gott“ (Jesus Sirach 50,24-26).

Die CD gibt der Sopranistin Julie Roset eine einzigartige Gelegenheit für ihr CD-Debüt, was wohl die Programmzusammenstellung auch motiviert hat. Sie singt einsam schön, versteht sich auf die Kunst des Non-vibrato-Singens genauso gut wie auf Verzierungen, und bringt jeden Textinhalt emotional vollkommen  herüber. Leider hat die Aufnahmetechnik sie etwas weit in den Hintergrund gestellt. So dominieren die Streicher unter der Leitung von Stéphanie de Failly, denen man allerdings auch sehr gerne zuhört.

So gelungen die Interpretation von Julie Roset, die leider nicht immer textverständlich singt, und dem Ensemble Clematis ist, so defizitär ist das Booklet. Abgesehen von einigen Satzfehlern verschweigt es jede Information über die benutzten Instrumente sowie alle Texthintergründe, weswegen ihre Herkunft wenigstens in dieser Rezension genannt sei. Auch ein Wort zur Verwendung der Geistlichen Konzerte am Hof und im Gottesdienst fehlt im Beitrag von Jéróme Lejeune. Macht aber akustisch nichts, denn die Musik ist wirklich sehr gut gemacht!


Rainer Goede
März / Juni 2021

Rejoice

Interpreten: Julie Stewart-Lafin, Götz Payer, Kensuke Ohira, Solistenensemble Stimmkunst, Kay Johannsen
Label: Carus


Eine CD mit unglaublich stimmungsvoller, farbiger Musik. Die Interpreten überzeugen rundherum durch hervorragende Qualität des Gesanges. Die Stimmen sind klar, sauber abgegrenzt und gerade die lupenreine Intonation beeindruckt. Jedes Stück sitzt rhythmisch absolut sicher, jeder Ton ist “voll da“ und die gesamte Interpretation wirkt nicht einen Moment lustlos.

Die Mühleiesen-Orgel erklingt dezent und unaufdringlich, aber klanglich wie immer reizvoll. Ein trauhaft schönes Instrument!

Ein kleiner Einblick in einzelne Titel:
Titel 3: Absolut reizvoll mit den Sprüngen und dem “aufschauen”
Titel 4: Wunderbar vorgetragen, hervorragende Aussprache, eindruckvolle Symbiose von Stimme und Instrument
Titel 5: ungewohnter Einsatz, Stimmen setzen nacheinander ein, ergänzen einander und geben der Aussage dadurch Dringlichkeit
Titel 6: Beginnt mit einem Kopfschütteln “Ach, meine Seele”. Frei nach dem Motto “Was grämst Du Dich? Nun los, tu es schon. Lobe den Herren”. Faszinierende zeitliche Verzögerugen in den Stimmen, dadurch wird der Text sehr lebendig, trotz langsamer Tempi
Titel 8: Das umfangreichste Werk der CD. Die Musik setzt den Text hochinteressant um, sicherlich sehr schwer zu singen mit den ungewöhnlichen Sprüngen und Dissonanzen. Aber irre spannend zu hören.
Titel 9: Einfach anhören. Es geht kaum schöner. Die Flöte ist ein Traum und die tiefen Töne der unglaublich schönen Mühleisen-Orgel sind unglaublich. Dazu diese betörende Musik. Anhören!

Klare Choralmusik mit typischen kleinen “Johannsen”-Verzierungen, die Freunde seiner Orgel-Improvisationen an ihm so lieben. Es bleibt zu hoffen, das Kay Johannsen irgendwann auach einmal so wunderbare Musik in etwas leichterer Form für “normale” Chöre mit Laiensängern schreibt. Und dass auch mehr deutschsprachige Werke entstehen.


Daniel Kunert
Mai 2020 / Juni 2021
Josef Suk - Piano Works

Interpret: Karl-Andreas Kolly
Label: MDG


In der vorliegenden Auswahl finden sich Klavierstücke des tschechischen Komponisten Josef Suk eingespielt von Karl-Andreas Kolly. Einflüsse von Schwiegervater und Lehrer Antonin Dvorak sind besonders im Zyklus op.10 sowie Dumka op.21,3 zu erkennen. Kolly gelingt hier das Virtuose  (Capriccio) sowie der Griff in den Farbtopf der Klangmöglichkeiten. Manches Ruhige erinnert gar an Gabriel Fauré.
Der Kern der Einspielung – der Zyklus op.30 „Erlebtes und Erträumtes“ ist kompositorisch abwechslungsreich und fordert den Pianisten heraus dieses zu zeigen, was dem Interpreten auch gut gelingt, besonders erwähnenswert hier der Ausklang „Adagio“.

Für den Rektor des Prager Konservatoriums Josef Suk scheint die Klavierkomposition eine besondere Herausforderung zu sein. Selbst als 2. Geiger im böhmischen Streichquartett arbeitet er viele Möglichkeiten für das Klavier heraus. Das jazzige „Vivace“ z.B. zeigt neue harmonische Ufer.

Das letzte Stück der CD „Liebeslied“ schließt großartig den Kreis dieses interessanten Projektes, das den Zeitgenossen Arnold Schönbergs auf liebevolle Art und Weise würdigt.


Cristian Peix
März / Mai 2021

Hanns Eisler - Lieder Vol. 4

Interpret: Holger Falk (Bariton), Steffen Schleiermacher (Klavier)
Label: MDG


Diese sehr hörenswerte Aufnahme früher Lieder Hanns Eislers zeigt die Vielseitigkeit des jungen Komponisten. Aus den ca. 500 Liedern ist in dem 4. Volume Holger Falk und Steffen Schleiermacher eine abwechslungsreiche Auswahl gelungen. Thematisch und musikalisch zeigt die vorliegende Zusammenstellung den großen Bogen der Jahre 1917-1927. Sensibel und stimmungsvoll gestalten Sänger und Pianist die manchmal musikalisch reichhaltigen, manchmal fast trocken anmutenden Stücke des Schönberg – Schülers. Hanns Eislers 1.Weltkriegserfahrungen spielen in die Kompositionen hinein (Der Tod u.v.a.), wie auch die Prägung im Umfeld der 2. Wiener Schule (Sechs Lieder op.2). Besonders hervorzuheben sind die Vertonungen von Zeitungsausschnitten.

Die überwiegend kurzen Lieder bieten den beiden arrivierten Interpreten die Möglichkeit, viel von ihrem Handwerk – welches sie sehr gut beherrschen -  zu zeigen. Holger Frank überzeugt mit einem samtigen Timbre, müheloser Höhe und ehrlichem Ausdruck, Steffen Schleiermacher gestaltet als wunderbarer Partner am Klavier mit vielen Nuancierungen und hält dabei gleichzeitig den musikalischen Bogen.


Cristian Peix
März / Mai 2021

24 Pastels for Piano

Komponist: Mons Leidvin Takle
Verlag: Cantando


24 Klavierstücke des Norwegers Mons Leidvin Takle legt der Cantando Verlag vor.
Vorneweg: Bestens geeignet für Unterricht, Konzert und Homeoffice.

Die Miniaturen, kein Stück ist länger als 4.30 min., sind wunderbare Inventionen, die mit pastellfarbenen Bildern ausgefüllt werden können.
Nr. 1 kling wie ein leicht verjazztes Bachpräludium
Nr. 2 ist eine schöne, verträumte Cantilene, die auch vom Komponisten als Orgelstück verbreitet wird. (YouTube)
Hier und da entsteht Kopfkino, wie in der Nr. 3, in der ein leicht Angetrunkener, nachts durch die Straßen von Paris zur Musette tanzt und dabei ab und an aus dem beschwippsten Tritt kommt.
Im Weiteren wechseln Jazzimpressionen mit verzerrt-barocken Kabinettstückchen ab und einiges erinnert an die Etüden Czernys oder oder Burgmüllers.
Ganz leicht sind die Sachen nicht, aber das Üben lohnt. Es schadet nicht, wenn man ein Gefühl für swingige Musik hat, zu grade sollte man es nicht spielen.
Wundervolle kleine Kabinettstückchen, die Spaß machen, beim Spielen, wie beim Hören.

Das Druckbild ist etwas klein geraten, ist aber trotzdem gut lesbar und klar. Das jedes Stück auf einer neuen Seite beginnt, führt an mancher Wendestelle zu ungeschickten Umbrüchen. Das hätte der Verlag besser machen können. Mit beigefügtem QR-Code sollten alle Stücke, gespielt vom Komponisten als mp3 heruntergeladen werden können, leider funktionierte der Link nicht.

Für die Musik aber eine dringende Empfehlung nicht nur für Klavier, sondern teilweise auch auf der Orgel oder auf dem Cembalo, die Farbigkeit steckt an!


Sven Dierke
Januar / Mai 2021

Magnificat für Frauenchor a cappella

Komponist: Christian Bährens
Verlag: Cantando


Das Magnificat für Frauenchor, des Berliner Sängers, Chorleiters und Komponisten, Christian Bährens bietet in 150 Takten eine lohnende Repertoireerweiterung für versierte Frauenchöre. Das im Januar 2018 entstandene Stück ist durchgehend vierstimmig (SSAA) komponiert und wurde dem norwegischen Chorleiter Norunn Illevold Giske und seinem Ensemble EMBLA aus Trondheim gewidmet.

Durchgehend im tonalen Rahmen bietet es eine Klangreise durch den klassischen Text aus dem Lukas-Evangelium. Es beginnt mit einer klassischen gregorianischen Intonation, die in der mehrstimmigen Bearbeitung des Textes wieder aufgenommen wird. Durchkomponiert und doch unterteilt, erfordert das Stück sichere Intonation, wobei sicher auch die Unterstützung durch colla parte Instrumente möglich sein sollte.

Wie häufig bei Cantando ist der unterlegte Text in der Partitur etwas klein geraten. Das Cover färbt ab, wenn man es länger in der Hand hält, da ist Nachbesserungsbedarf.
Lohnende Musik für Gottesdienst (Evensong) und Konzert.


Sven Dierke
Januar / Mai 2021
The Fitzwilliam Virginal Book - Vol. 7

Interpret: Pieter-Jan Belder
Label: Brilliant


In der letzten Folge seiner Kompletteinspielung des Fitzwilliam Virginal Book, (15 CDs, 16‘14‘‘) bringt der renommierte niederländische Cembalist Pieter-Jan Belder Werke von Giles und Richard Farnaby, William Byrd und einige anonyme Stücke. Für diese Gesamteinspielung regte er die Neuausgabe des FVB bei Lyrebird an, die die Cembalisten Francis Knights und Jon Baxendale jüngst edierten. Nach der ersten Druckausgabe des Manuskriptes (ca. 1607 – 1619) durch John Alexander Fuller-Maitland im Verlag Breitkopf & Härtel 1899 und etlichen Nachdrucken ist dies erst die zweite Ausgabe, die manches revidiert und klärt. Jon Baxendale schrieb denn auch den ausführlich informierenden Booklettext zur Einspielung.

Bewundernswert ist allein schon das Mammut-Vorhaben, das FVB, der größten Sammlung von Klaviermusik des 16. und des 17. Jh., mit seinen 297 Tänzen, Variationen, Grounds, Fantasias, Intavolierungen, Preludes und Toccaten, komplett einspielen zu wollen. Das immense Repertoire umfasst Werke fast aller großer Komponisten der elisabethanischen Zeit und der Epoche Jakobs I., die für Tasteninstrumente komponiert haben: John Bull (1563–1628), William Byrd (ca. 1543–1623) und Giles Farnaby (c. 1563–1640) stellen den größten Teil der Stücke. An vierter Stelle folgt Peter Philips (1561–1628). Auch Stücke unbekannterer Komponisten, wie Martin Peerson (c. 1572–1650), John Mundy (1550–1630), Edward Johnson (ca. 1572–1601), William Tisdale (auch Tisdall, c 1590) und William Inglott (1554–1621) sowie anonyme Stücke hat der Kopist Francis Tregian d.J., Rekusant aus Cornwall (1574–1619), in seine Sammlung aufgenommen. Als ausländische Komponisten sind nur der Niederländer Jan Pieterszoon Sweelinck, der befreundet war mit Peter Philips, und Giovanni Picchi, venezianischer Komponist und Tanzlehrer, vertreten.

Giles Farnabys hier eingespielte Werke sind eine Entdeckung mit ihren kompositorischen Freiheiten wie ungekannten Taktarten (z.B. 3+3+2/4) oder Wechsel von je zwei Takten 4/4 und 6/4, seinen ideenreichen Virtuosität verlangenden Variationen, Grounds und Tänzen. Belder tischt diese auf zwei klangschönen Ruckers-Kopien von Adlam Burnett von 1980 und 2014 auf, versieht sie mit geschmackvollen Verzierungen (Triller, Mordente, Schleifer) und spielt sie mit nicht nachlassender Hingabe und klarer überlegter, manchmal etwas kurzer Artikulation, seine Interpretation richtet sich nach den Spielanweisungen Frescobaldis. Die vier Stücke, die von Farnabys früh verstorbenen Sohn Richard im FVB überliefert sind, sind stilistisch denen seines Vaters ähnlich. Etwas „seriöser“ geben sich die Stücke des ja fast eine Generation älteren William Byrd, z.T. gespielt auf einem Muselar, einem rechtsspieligen Virginal, das sich sehr reizvoll „klopfig“ anhört. Byrds Meisterstück, die Phantasie „Ut, re, mi“ ist eine phänomenale kontrapunktische, eben „altmeisterliche“ Komposition. Dass er auch ganz anders konnte, auch mit verschiedenen Taktbetonungen in beiden Händen und virtuosen Läufen, zeigt er in den anderen Phantasien, Variationen und Tänzen. Den Praeludien sieht man so richtig ihre praktische Funktion an, bei ihrem Erklingen die später mitspielenden Gamben zu stimmen.
Die CD reizt förmlich, die meist nicht allzu langen Stücken selbst zu spielen, welch schöner Effekt einer Einspielung!

Im Booklet-Programm haben sich bei der Nummerierung der Stücke leider einige Fehler eingeschlichen.


Rainer Goede
März / Mai 2021

Federico Mompou - Fetes Lointaines

Interpret: Steffen Schleiermacher
Label: MDG


Der spanische Komponist Federico Mompou schrieb vor allem Klavierstücke übersichtlicher Art. Die zumeist kurzen Stücke werden von dem Pianisten Steffen Schleiermacher treffend als Kostbarkeiten erkannt und gestaltet.

Der Titel der vorliegenden Aufnahmen ist nicht nur einer der Zyklen, sondern auch wohl Lebens- und Kompositionsthema von Mompou selbst. Schleiermacher fühlt sich ein und bringt die Welten zum Klingen.

Das Zurückgezogene in Mompous` Kompositionsstil ist Spiegelbild seines Lebens. Außenseiter, Fremdling – aber in der Welt der Musik mit sich und allem in Einklang. Das bringt Schleiermacher zu Gehör. Eine wunderbare Aufnahme, wunderschöne Klaviermusik. Beides darf ruhig große Verbreitung finden.

Cristian Peix
März / Mai 2021

Franz Schubert - Die letzten drei Klaviersonaten

Interpret: Tobias Koch
Instrument: Fortepiano Conrad Graf (Wien um 1835)
Label: Musikmuseum 45


Wer die Sonaten-Trilogie (c-Moll, A-Dur und B-Dur, D 958–960) noch nicht kennen sollte, braucht diese CD! Was Schubert da geschrieben hat, war eine Revolution nach Beethovens formenden Blick auf die Sonate. Von nun an herrschte pure Romantik, nachdenkliche individuelle Einblicke in das Innerste, verstört fragend, suchend nach Erlösung in einer Ideal-Welt. So verstörend bereits die drei Impromptus D 946, die Es-Dur-Messe D 950, das Streichquintett D 956 und der sog. Schwanengesang aus dem Jahr 1728 schon waren, hier faltet man die Hände, um gebannt zuzuhören. So dramatisch die c-Moll-Sonate beginnt, so pausendurchsetzt spielt Schubert in der B-Dur-Sonate mit dem Hörer, bzw. sich selbst, so krank, wie er schon war.

Tobias Koch haben diese Sonaten schon lange umgetrieben. Mit dem Conrad-Graf-Flügel spielt er ein wunderschönes Instrument, das mit seinen vier Pedalen für vielfältige Farben sorgt. Sehr feinsinnig gestaltet er die Sonaten, wovon auch sein elegisch phantasierender Beitrag im Booklet zeugt. Der letzte Sonaten-Schubert ist ein ganz besonderer Schubert!


Rainer Goede
Januar / April 2021
ABBA YITKADASH SHEMAKH

Komponist: Paul Ayres
Verlag: Carus


für Klarinette oder Viola und vierstimmigen Chor

Die Vertonung einer aramäischen Fassung (Rekonstruktion: Bruce Chilton), die sich an der Textfassung des Lukasevangeliums (Lk. 11,2-4) orientiert, bietet in moderner Tonsprache ein anspruchsvolles Werk für ein Soloinstrument (Klarinette oder Viola) und gemischtes Vokalensemble (SATB). Zu Beginn, gleich einem jüdischen Niggun, intoniert das Soloinstrument eine fast klagende Melodiefloskel, die in den Vokalstimmen übernommen wird. Abwechselnd mit dem Instrument, das zunächst improvisatorische Einwürfe spielt, werden die 6 Textzeilen des Vater Unser zunächst einzeln vorgestellt, als wären es verschiedene Gebete. Im zweiten Teil der Motette wird mit dem gleichen musikalischen Material eine etwas dichtere Struktur geschaffen, die das Instrument immer mehr in den Chorsatz integriert. Die für „I Cantori of Walla Walla University“ entstandene Auftragskomposition ist eher für ein Konzert als im Gottesdienst zu gebrauchen und bietet anspruchsvoll singenden Ensembles eine spannende Erweiterung des geistlichen Repertoires.


Sven Dierke
Januar / April 2021
Auld Lang Syne

Arrangeur: Thomas Caplin
Verlag: Cantando


für Solostimme und Chor SATB a cappella

„Auld Lang Syne“ mit dem berühmten Text von Robert Burns gibt es in zwei verschiedenen Melodien, die der Arrangeur Thomas Caplin in seiner Bearbeitung geschickt kombiniert. Der Aufbau der Komposition ist vierteilig.

  1. Chor als Begleitung der Solostimme
  2. Solostimme als Begleitung bzw. zusätzliche Klangfarbe des Chores
  3. Chorsatz klassisch
  4. Alles kombiniert.

Der an sich klassische Chorsatz wird durch popularmusikalische Stilmittel aufgelockert und bietet sowohl klassisch singenden als auch popularmusikalischen Ensembles die Möglichkeit gemeinsam zu singen. Der Satz ist nicht schwer, die Solostimme ist in Alt-Lage auch gut von einer kleinen Chorgruppe zu singen.
Die Ausgabe ist übersichtlich, wenn auch etwas klein gedruckt, offenbar haben sich einige Druckfehler eingeschlichen, die beim redigieren nicht aufgefallen sind.

Sehr gut singbarer Satz auch für weniger geübte Chöre.


Sven Dierke
Januar / April 2021

Auld Lang Syne

Arrangeur: Thomas Caplin
Verlag: Cantando


für Solostimme und Chor SATB a cappella

„Auld Lang Syne“ mit dem berühmten Text von Robert Burns gibt es in zwei verschiedenen Melodien, die der Arrangeur Thomas Caplin in seiner Bearbeitung geschickt kombiniert. Der Aufbau der Komposition ist vierteilig.

  1. Chor als Begleitung der Solostimme
  2. Solostimme als Begleitung bzw. zusätzliche Klangfarbe des Chores
  3. Chorsatz klassisch
  4. Alles kombiniert.

Der an sich klassische Chorsatz wird durch popularmusikalische Stilmittel aufgelockert und bietet sowohl klassisch singenden als auch popularmusikalischen Ensembles die Möglichkeit gemeinsam zu singen. Der Satz ist nicht schwer, die Solostimme ist in Alt-Lage auch gut von einer kleinen Chorgruppe zu singen.
Die Ausgabe ist übersichtlich, wenn auch etwas klein gedruckt, offenbar haben sich einige Druckfehler eingeschlichen, die beim redigieren nicht aufgefallen sind.

Sehr gut singbarer Satz auch für weniger geübte Chöre.


Sven Dierke
Januar / April 2021

Puer Natus Est Nobis

Komponist: Tord Kalvenes
Verlag: Cantando


für SSATB a cappella

Die Weihnachtsmotette „Puer natus est“ über den bekannten Text aus dem Buch Jesaja (Vers 9,6) basiert auf der der bekannten Choralmelodie aus dem 14. Jahrhundert. Der norwegische Komponist Tord Kalvenes bedient sich in seinem Stück improvisatorischen Techniken, die einen geübten Chor bzw. ein geübtes Ensemble erfordern, die sich auch mal trauen, solistische und individuelle rhythmische Partien zu übernehmen. Ähnlich, wie z.B. bei Nysted, arbeitet der Komponist mit sich verändernden Cluster-Klängen aus denen die Melodie des Chorals immer wieder hervortritt. Dieses spannende Stück hat sowohl den lateinischen Text, wie auch eine norwegische Übersetzung, die aber leicht in andere Sprachen übertragbar ist. Etwas Akustik schadet dem Stück sicher nicht. Endlich mal ist das Druckbild des Stückes in einer ordentlich lesbaren, die Seiten ausfüllenden Größe.

Für Kammerchöre sehr zu empfehlen.


Sven Dierke
Januar / April 2021

Chorserie "Variert Velklang"

Verlag: Cantando

H. Arlen/E.Y. Harburg/B. Rose: PAPER MOON
arrangiert für Solostimme, SATB mit Akkordsybolen vom Håvard Sveås, Starvanger, Cantando o.J.

Ole Børud: THE VOW
für SAT+SAT (oder Bläser) mit Akkordsymbolen, arrangiert vom Håvard Sveås, Starvanger, Cantando o.J.

Bobby Troup: ROUTE 66
arrangiert für Solostimme, SATB mit Akkordsybolen vom Håvard Sveås, Starvanger, Cantando o.J.


Die Chorserie „Variert Velklang“ des Cantando Verlages bietet meist arrangiert von Håvard Sveås, Popchorarrangements von Klassikern wie neueren Songs in englischer und norwegischer Sprache. Die drei vorliegenden Ausgaben bieten eine nicht zu schwere Repertoireerweiterung für Chöre, die sich gerne mit Popularmusik beschäftigen. Alle Arrangements dürften Interpreten wie Publikum Spaß machen:

THE VOW
„I made up my mind, I made up my soul“ ist eine funkige Liebeserklärung an die Angebetete von Ole Børud. Komponiert für zwei SAT-Chöre, bietet die Ausgabe verschiedene Besetzungsvarianten. Chor 1 hat den Songtext, Chor 2 füllt den Satz mit Scatsilben, bläserähnlich auf. Es besteht die Möglichkeit, diesen Chor auch mit Bläsern zu besetzen. Improvisatorische Kenntnisse von Pianist oder Band sind unabdingbar, da es keine ausnotierte Instrumentalstimme gibt.

ROUTE 66
Håvard Sveås Bearbeitung des Bobby Troups Hit „Route 66“ für Solostimme (f1-d2) und vierstimmigen Chor, bietet Chören die Möglichkeit „Background-Chor“-Erfahrungen zu machen, singt der Chor doch durchgehend auf Scatsilben („Bap, bap bara bap“). Text und Melodie sind der Solostimme anvertraut. Für versierte Pop-Chöre ein schönes „Futter“ für zuwischendurch.

PAPER MOON
Der Klassiker „It is only a Paper Moon“ von 1933 erinnert im Arrangement von Håvard Sveås an die großen Vokaljazz Ensembles, wie die Andrew Sisters. Sowohl a cappella, als auch mit Piano oder Bandbegleitung (Jazz-Trio) bietet die nicht sonderlich schwere Bearbeitung eine gelungene Repertoireerweiterung für Chorkonzerte. Die Solostimme (a0-h1) bietet auch mal einer „Alt-Stimme“ die Möglichkeit zu solistischen Auftritten, aber auch in einer kleinen Chorgruppe ist der Solopart gut machbar.


Sven Dierke
Januar / April 2021

Suiten für Cembalo (Clavier)

Komponist: Gottlieb Muffat
Herausgeber: Glen Wilson
Verlag: Breitkopf & Härtel


„Nachdeme unter Anleitung des ohne Schmeicheley besten Meisters der Welt Hr. Jo: Jos. Fux, Kaiserl: Obrist-Capell-Meister durch vieljährige Mühe in der Schlagkunst mich so weit als möglich zu kommen geflissen, habe mich bereden lassen in Väterliche Fussstapfen zu tretten…“ Als Sohn des berühmten Geigers, Organisten und Theoretikers Georg Muffat waren diese Fußstapfen groß. Allerdings schloss Gottlieb Muffat meisterhaft an das musikalische Erbe seines Vaters und das seines Lehrers Johann Joseph Fux an. Er komponierte in einem italienisch-französischen Mischstil, den man durchaus als österreichisch bzw. süddeutsch bezeichnen kann. Geboren in Passau machte sich der junge Gottlieb nach dem Ableben seines Vaters auf den Weg nach Wien, um als Angestellter am Wiener Hof tätig zu sein. Neben seiner Aufgabe als Hoforganist war er als „Maestro di Cembalo“ auch für den Clavierunterricht zuständig. Zu seinen Schülerinnen zählte unter anderem die spätere Kaiserin Maria Theresia.

Neben seinen 72 Versetten sammt 12 Toccaten, aus dessen Vorwort „An den günstigen Leser“ das Zitat zu Beginn stammt, und einer Vielzahl an kleineren Clavierstücken, sei noch sein cembalistisches Meisterwerk, die Componimenti musicali per il cembalo, erwähnt. Sie bilden 6 Suiten und eine Ciaccona mit 38 Variationen. Nach der Rückkehr des Archives der Berliner Singakademie nach dem 2. Weltkrieg wurde Muffats Nachlass an Cembalosuiten um 26 bis dahin unbekannte „Parthies“, wie er sie selber nannte, reicher. Sechs dieser Suiten sind 2017 in der Edition Breitkopf & Härtel unter der Verlagsnummer EB 8904 erschienen und wurden von Glen Wilson herausgegeben.

Nach einer Eröffnung durch ein Prélude bzw. einer Fantaisie folgen Sätze der klassischen Suitenform Allemande-Courante-Sarabande-Gigue. Diese werden durch allerhand „Galanteriestücke“, wie Muffat seine Stücke im Componimenti musicali nennt, bereichert bzw. ersetzt. Sie sollen „auf dem Clavier nach einer richtigen oder accuraten Art und Weise zu spielen nicht allein künstlich eingerichtet, sondern auch dem Gehör all‘ Vergnügen geben dörfften.“ So finden wir Sätze wie Contrefaiseur, L’Allégresse oder Coquette, die schon aufgrund ihrer Bezeichnung weg von steifen Suiten hin zu freien Aneinanderreihungen von Charakterstücken führen, so wie es in Frankreich zu dieser Zeit praktiziert wurde.

Die bewährte Qualität des Breitkopfverlags ist auch in diesem Notenband präsent. Ebenso hat der Herausgeber seine Aufgabe vorbildlich wahrgenommen. Zu Beginn des Bandes steht ein ausführliches Vorwort auf Deutsch und Englisch; im Anhang findet sich ein klar strukturierter Kritischer Bericht. Dieser ist allerdings nur in englischer Sprache verfasst. Außerdem finden wir nach dem Vorwort eine Fotokopie der äußerst umfangreichen Verzierungstabelle Muffats aus den Componimenti musicali vor. Des Weiteren wurden gelegentlich Einzelseiten abgedruckt, welche einen kleinen Einblick in die Originalquellen geben.

Als Resümee kann man besten Gewissens behaupten, dass es sich hierbei um eine sehr gelungene Ausgabe von bislang unveröffentlichten Cembalosuiten handelt, die aus der Feder eines der bedeutendsten Wiener Komponisten jener Zeit stammen. Eine Wonne für alle Liebhaber der Cembalomusik, die ins Wien des frühen 18. Jahrhunderts reisen möchten.


Johannes Zeinler
Januar / April 2021





Anmerkung eines aufmerksamen Lesers:
Die Suiten (Componimenti) sind nicht „bislang unveröffentlicht“, sondern bereits 1959 in den DTÖ erschienen, Jahrg. III/3, Bd. 7.
Klingende Hamburgensien

Interpreten: La Porta Musicale (Gabriele Steinfeld, Violine / Anke Dennert, Cembalo)
Label: Genuin


Johann Schop (1590 – 1667), seit 1621 Direktor der Hamburger Ratsmusik, war einer der ersten deutschen Geiger, der die moderne freie Gestaltung, den Stylus phantasticus, den die italienische Opernmusik der Zeit kreiert hatte, im Norden heimisch machte. Seine virtuose Kunst führt hier Gabriele Steinfeld auf einer Geige eines anonymen Meisters aus Hamburg von 1680 an sechs Stücken aus ‘t Uitnement Kabinet eerste deel (Amsterdam 1655) für Violine und Cembalo exemplarisch vor. Seine, bzw. ihre Virtuosität sind einfach beeindruckend, heute wie damals, unglaublich unerwartete Wendungen bringen höchstes Hörvergnügen. Das wird noch gesteigert in zwei Violinsolostücken, Praeludium in c und Allemande in g von dem in Lübeck geborenen Thomas Baltzar (1631 – 1663). Der spätere Londoner Violinist verlangt zum ersten Mal mehrstimmiges Spiel und die hohen Lagen der Violine, womit er vor einem staunenden Publikum brillierte. Anke Dennert steuert zu diesem Hamburg-Portrait vier Variationen zu „Die lieblichen Blicke“ bei, bisher vernachlässigte Cembalopiecen des Jacobi-Organisten Matthias Weckman (1616 – 1676), gemacht wie bestellt für das dreiregistrige Cembalo von Carl Conrad Fleischer, Hamburg 1716. Hauptwerke der CD aber sind drei Sonaten und eine Partita für Violine und Cembalo von Georg Philipp Telemann (1681 – 1767), zwar nicht so aufregend wie die vorgenannten Stücke, aber sehr gefällige unterhaltsame Musik mit hohem Anspruch. Die Partita (1716) stammt bereits aus Telemanns  Frankfurter Zeit, ebenso die Sonate g-Moll, TWV 41:g1. Aus Hamburger Zeit stammt die Sonata terza TWV 41:e2, bestückt mit extravaganten Verzierungen und allerhand Galanterien. Telemanns letzte große Sammlung beinhaltet die Sonate F-Dur, TWV 41:F4, gediegene wie einfallsreich witzige Musik. So kann man sich einen spannenden wie gemütlichen und vergnüglichen Konzertabend eines Collegium musicum in Hamburg des 18. Jahrhunderts gut vorstellen.


Rainer Goede
Februar / April 2021

HIER BIN ICH!

Autorinnen: Erika Kielholz und Elke Landenberger
Verlag: Larynx


Lieder für Grundschule, Kindergarten, Kinderchor, Kindergottesdienst, Religionsunterricht

Die vorliegende Publikation mit 19 Liedern bietet eine reiche Auswahl an musikpädagogischen Anregungen zum Singen und Spielen vom Kindergarten bis zum Grundschulalter.
Die Autorinnen Erika Kielholz aus der Schweiz und Elke Landenberger aus Deutschland vereinen Spiel- und Mitmachlieder von unterschiedlicher Schwierigkeit und Anspruch. Manche Melodien meint man schon öfter gehört zu haben (Wer ist heute da), andere sind anspruchsvoller mit schönen Ideen zum Lernen des Kanonsingens (Geburtstag). Manch Text wirkt wie aus der Feder Helge Schneiders entsprungen (Wenn es keine Kartoffen gäbe, könnten wir keine Pommes essen) andere bieten, teilweise aus dem Schwäbischen oder Schwytzerdütschen übertragen, eine gute, kindgerechte religiöse Sprache (Jeden Morgen ist ein neuer Tag). Geistliche (Salz der Erde) wie weltliche (Großes Vogelkonzert) Texte sind vorhanden und bieten so ein Kompendium für die Kirche wie für Kita oder Schule.

Zu allen Liedern gibt es gute Hilfen zur Einstudierung und zu passenden Bewegungsspielen. Wie immer in Sammlungen ist vieles zu gebrauchen, einiges aber auch nicht. Die beiliegende CD, mit Ensembles der Autorinnen ist eine hilfreiche Einstudierungshilfe, zum häufigeren Hören klingen die Aufnahmen aber zu direkt und selbstgemacht.
Empfehlung als Materialsammlung für ErzieherInnen und LehrerInnen im Grundschulbereich.

Sven Dierke
Januar / April 2021

Beethoven - The Six Piano Concertos

Interpreten: Gottlieb Wallisch, Orchester Wiener Akademie, Leitung:Martin Haselböck
Label: cpo


Beethovens Klavierkonzerte sind experimentelle singuläre Ereignisse gewesen, die Wiener lagen ihm zu Füßen und gewährten ihm die erhoffte Anerkennung als Künstler ersten Ranges, seine Verleger verdienen sich noch heute entsprechende goldene Nasen. Beethoven, so musiziert wie auf dieser Einspielung, wirkt heute noch genauso experimentell und singulär! Zumal die Aufnahmen nicht nur mit historischen Orchesterinstrumenten – Wallisch spielt zwei Hammerflügel von Conrad Graf (1818 und 1824) und einem von Franz Bayer (1825) – gemacht wurden, sondern zudem auch der Ortsvorteil der historischen Räume, in denen damals die Klavierkonzerte zum ersten Mal erklangen, genutzt werden konnte. Das ermöglicht Klänge, die der Hörer aufsaugt als Offenbarung so mancher raffiniert ausgetüftelter akustischer Phänomene, z.B. in den langsamen Sätzen des c-Moll-Konzertes op. 37 (1804) und der Adaption des Violinkonzertes op. 61a (1810)! Da wird offenbar, was moderne Instrumente ob ihrer obertongeschärften Brillianz zuschleifen, aber Beethoven doch gemeint hat, z.B. im G-Dur-Konzert op. 58 (1806) - und was Interpreten wie Wallisch und Haselböck in superfein abgestufter Dynamik herausspielen als qualitativen Topsound! Orchester und Solist zeichnen sich hörbar aus durch ihr gemeinsames gespanntes Musizieren und Aufeinanderhören, wie es wohl nur selten vorkommt. Dass die Einspielung etwas dem Wiener Charme erlegen ist, die dem Revolutionären der Kompositionen ein wenig von ihrer Verve nimmt (wofür die örtlichen Grundvoraussetzungen wohl die Verantwortung tragen), ist dabei durchaus sympathisch.

Das Booklet bringt kurze Einführungen zur Chronologie der Kompositionsgeschichten, vermeidet aber leider jeden Ansatz einer satztechnischen oder formalen Analyse der Klavierkonzerte. Die Hammerklaviere werden kurz vorgestellt, außerdem wird auf ein Bonus-Video verwiesen. Die Einspielung stellt eine Krönung so vieler bisheriger Einspielungen dar, dass sie zu einem regelrechten Muss wird.

Rainer Goede
Januar / April 2021

The Italianate Bach – At His Best (Part I)

Interpret: Slobodan Jovanovic
Label: KuK


Der Gesichtspunkt, Bachs Schaffen nach Stileinflüssen zu gliedern und einzuspielen, mag neuartig wirken, doch hat man die Entstehungszeiten seiner Werke schon immer beschrieben nach norddeutschen, Italienischen und französischen Stileinflüssen, die er schließlich zu seinem „deutschen“ Stil verband. Zweifelsfrei gehören natürlich die Konzerte nach Vorlagen von Vivaldi und Marcello zu diesem Komplex, hier BWV 974. Ob sich das Capriccio BWV 992 auf den Abschied seines Bruders Johann Jacob (Arnstadt 1704) dazu rechnen lässt, darüber ließe sich bei diesem frühen Stück von Programmmusik sicherlich streiten, Jovanovic begründet es mit „einer italienisierenden musikalischen Architektur“. Ein in diesem Zusammenhang überraschender Gewinn stellen die vier Toccaten BWV 910, 913, 914 und 916 dar, die in Weimar 1709/1710 und in Köthen 1720 entstanden sind. Ihr regelmäßig einstimmiger Beginn weist auf norddeutsche, so manche Figur auf italienische Gepflogenheiten hin. Solche Figuren kennt Bach bereits aus seiner Schulzeit bei Böhm in Lüneburg, wo er die italienische Celler Kapelle kennengelernt haben dürfte. Den bisher meist vernachlässigten Toccaten ist anzumerken, wie Bach hier größere zeitliche und klangliche Dimensionen gewinnen will und gewinnt. Sein „deutscher Stil“ dominiert schließlich völlig.

Der serbische Cembalist und Komponist Jovanović aus Karlsruhe spielt auf einem klangschönen Cembalo aus der Werkstatt von Susanne Merzdorf  (Remchingen 1997) nach einem Pariser Vorbild von 1754. Slobodan Jovanović (*1977) nutzt seine Einspielungen auch immer dazu, seine eigenen Kompositionen zu promoten. Hier ist es Prelude and Fugue (1996/98), das sich sehr gut in das Bach-Programm einfügt, da es viele barocke Einflüsse hat. Das gut informierende, fast etwas redselige  Booklet hätte sicherlich lesbarer gestaltet werden können.

Rainer Goede
Dezember 2020 / März 2021

Musiktraditionen in der Itzehoer St. Laurentiikirche

Autor: Konrad Küster

Um es kurz zu machen: die 12 € für diese liebevolle Broschüre sind eine sehr gute Investition, weil man hier Informationen allgemein verständlich und immer mit angenehmen Foto- und Textteilen in idealer Mischung vorfindet. Konrad Küster machte es möglich. Ein weiteres K für Kompetenz füge ich gerne hinzu.

Nach der 1713 durch Kircheneinsturz zerstörten Vorgängerorgel wurde das Nachfolgeinstrument erbaut von 1716 bis 1719. Allerdings verstarb Arp Schnitger 1718 und so wurde im Auftrag seiner Witwe von seinem Meistergesellen Lambert Daniel Kastens dieser Neubau zu Ende geführt. Diese Orgel wurde 1720 von keinem Geringeren als Vincent Lübeck, Hamburg, abgenommen. Sauer gegen Schnitger! Ja, nach Repraturen und Umbauten erfolgte 1905 ein vollständiger Neubau unter Integration des aber nun stummen Orgelprospektes durch die Firma Sauer, Frankfurt/Oder. 1976 fand durch Franz Grollmann (1911-1999 Hamburg) eine Erweiterung von drei auf jetzt vier Manuale & Ped. mit klanglichen und technischen Veränderungen statt. Im IV. Manual (Bombardwerk) sind: Bombarde 16´, Schweizer Trompete 8´, Hautbois 8´, Clairon 4´, Cornett 5f. ab f 8´disponiert. Dabei wurde die pneumatische Traktur auf elektrische umgestellt. Heinz Hoffmann, ebenfalls Hamburg, erhielt 2000 den Auftrag, die immer noch stummen Prospektpfeifen wieder zum Leben zu erwecken. Und somit war nach fast hundertjährigem Schweigen der originale Prospekt aus der Werkstatt Arp Schnitgers endlich wieder klingend! Diese sogenannte „Prospektorgel“ ist über einen eigenen Spieltisch bzw. auch vom Hauptspieltisch spielbar und enthält: Prinzipal 16´ und 8´ (original) sowie Oktave 4´und 2´ (rekonstruiert).

Neben dieser besonderen Orgel finden weitere Erwähnung der Kirchenchor von 1919, examinierte Kirchenmusiker des 20. Jahrhunderts Ernst Dibbern, Alexander Kern, Hartmut Bethke. Zudem sind Dispositionen ab 1594 sowie eine Zeittafel für die geschichtlichen Ereignisse sehr hilfreich. Aktuelle Kirchenmusikerin ist Dörthe Landmesser, die die Nachfolge von Hartmut Bethke antrat. Sie zeichnet auch für die Redaktion dieser wunderbaren Broschüre verantwortlich. Der Rezensent wünscht dieser stimmigen Erstauflage (300 Stück) eine große Leserschar, damit weitere Auflagen, sprich: Nachdrucke nicht ausgeschlossen sind.

Christoph Brückner
November 2020 / März 2021

Beethoven - Piano Concerto no. 4

Interpreten: Kristian Bezuidenhout, Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado
Label: HMM


Wahnsinn! - Als zweite CD im Rahmen der Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte Beethovens bei HMM erschien nun das G-Dur-Konzert, op. 58 (1807), verbunden mit den Overtura zu Coriolan, op. 62 (1807), und der zu Die Geschöpfe des Prometheus, op. 43 (1801). Mit ungehörter Stringenz verfolgen Bezuidenhout und Heras-Casado ihr anvisiertes Ziel, Beethovens Konzerte als quasi Improvisationen darzustellen. Das führt nicht nur zu rasanten Läufen und überraschenden Übergängen, das macht auch den Hörer atemlos, ja platt! Man sieht dabei Bezuidenhout auf der allervordersten Kante des Klavierhockers sitzen, Spannung scheint nicht das richtige Wort für dieses Hörerlebnis ersten Ranges! Einfach Wahnsinn!

Bezuidenhout spielt ein Fortepiano nach Graf (1824), das perlt - direkt aufgenommen – mit ungeheurer Verve! Das Orchester begleitet kraftvoll und nutzt effektvoll alle musikalischen Möglichkeiten, die alte Instrumente bieten, wozu die beiden kurzen Ouvertüren mit ihren Orchesterschlägen und wirkungsvollen Pausen reichlich Gelegenheit geben. Was Beethoven als Pianist von sich forderte und als Komponist niederschrieb, ist hier mit aufregendem Impetus auf die Scheibe gebannt! Einfach Wahnsinn!
Das Fazit der ersten CD in dieser Reihe gilt hier fast noch mehr: Engagement und Können potenzieren sich hier zum Ereignis, zu einem Jahrhundert-Ereignis!

Rainer Goede
November 2020 / März 2021

Jehan Titelouze - Les Messes retrouvées Vol. 2

Interpreten: Ensemble Les Meslanges, Ltg. Thomas von Essen und Volny Hostiou; Francois Ménissier, Orgue de Champcueil
Label: paraty


Die CD bringt die Missa sex vocum Simplice Corde, das Magnificat Quinti toni, die Missa quatuor vocum Votiva und den Hymnus zur Eucharistie „Annue Christe“. Damit wird Vol. 1 aus dem Jahr 2018 komplettiert, auf der die ersten beiden wieder aufgefundenen Messen eingespielt waren. Die vorliegende Einspielung unterscheidet sich in den Kritikpunkten von der ersten nur marginal, darum sei hier meine Rezension zu Vol. 1 aus dem Jahr 2018 noch einmal wiedergegeben:

Erst vor drei Jahren entdeckte Laurent Guillo in der Bibliothèque de Fels im Institut Catholique de Paris 26 Kompositionen aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, darunter zwei vier- und zwei sechsstimmige Messen von Jehan Titelouze (1563 – 1633). Diese Entdeckung war sensationell, denn dass Titelouze Kompositionen für Vokal- und Instrumentalbesetzungen geschrieben hat, war zwar überliefert, aber seit Jahrhunderten waren sie nicht mehr greifbar. Titelouze amtierte seit 1588 an der Kathedrale von Rouen in der Normandie. Bisher waren nur seine Hymnen (1623) und Magnificat-Versetten (1626) bekannt, die als die ersten französischen Beiträge zu einer speziellen Orgelmusik gelten müssen. Auch als Orgelexperte hat er Spuren hinterlassen, so wurden die Orgeln der Kathedrale 1601 (16‘-Instrument mit einem Terzregister, Flöten und Zungenstimmen) und die in der benachbarten Abteikirche Saint-Ouen 1630 nach seinen Plänen durch Crespin Carlier gebaut (8-Fuß-Instrument mit zwei Manualen zu 48 Tasten und einem selbstständigen Pedal mit 12 Tasten), sie gründeten sich auf flämische Renaissance-Instrumente.

Auf dieser CD erklingen die sechsstimmige Missa Cantate und die vierstimmige Missa In Ecclesia, kombiniert sind sie mit dem Hymnus Pange lingua und dem Magnificat Secundi toni, deren Alternatim-Orgelversetten Francois Ménissier auf der Orgel von Dominique Thomas (2010, III/33, mitteltönig) in Champcueil (Essone Department) spielt, während die Alternatim-Vokalversetten in Sätzen des Maître de Chapelle an der Sainte-Chapelle du Palais in Paris Jean de Bournonville (c 1585 – 1632) im Fauxbourdon-Stil, bzw. in einem mehr polyphonen Satzstil erklingen. Diese Sätze gehören ebenfalls zu den 2016 von Laurent Guillo wieder aufgefundenen Kompositionen, was die Aufnahme hervorragend abrundet.

Thomas von Essen besetzt sein Ensemble Les Meslanges neben den Vokalstimmen mit colla-parte mitlaufenden Zinken, Posaunen und Serpent, aber ohne Generalbass. Diese Besetzung ist zwar historisch verbürgt, die Instrumente dominieren aber klangmächtig und lassen den Text in den Hintergrund rücken. Nur im Benedictus und an wenigen anderen Stellen erklingt das Ensemble a cappella, aber auch hier ist die Textaussprache gewöhnungsbedürftig unklar, was auch noch zusätzlich erschwert wird, da eine Textwiedergabe im Booklet, das sonst gute Informationen bietet, fehlt. Francois Ménissier unterteilt die Magnificat-Orgelversetten mit verschiedenen Registrierungen in zwei Teile, was die Sätze ja auch nahelegen, sein Spiel ist temporeich virtuos, aber sehr kurz artikuliert. Mit treffenden Verzierungen versieht er zudem Titelouze‘ Sätze.

Der Satzstil der Messen ist polyphon wie im Zeitalter der Spätrenaissance üblich, ein Aufbruch zu neuen barocken Klängen noch nicht intendiert. Bemerkenswert bleibt: Hieronymus und Michael Praetorius waren bereits Geschichte, als Titelouze seine Messen schrieb, Giovanni Gabrieli, Hans Leo Hassler, Claudio Monteverdi waren seine Zeitgenossen, bis in die Normandie muss der Weg weit gewesen sein.

Da es schlichtweg zu wenig Quellen von der damaligen Aufführungspraxis gibt und damit die Wiederbelebung dieser Musik noch in den Anfängen steckt, verdient diese Einspielung eine hohe Akzeptanz. Es bleibt zu hoffen, dass noch etliche Einspielungen dieser Musik in unterschiedlichen Interpretationen folgen werden, um in eine bessere Diskussion um ihre Aufführungspraxis eintreten zu können. Der Ausnahmewert dieses Repertoires allerdings berechtigt, diese Einspielung sehr zu empfehlen!


Rainer Goede
November 2020 / Januar 2021
Agnus Dei lux mundi

Komponist: Trond Kverno
Verlag: Cantando


Der Titel des für einstimmigen Chor oder Sologesang und Orgel komponierten Stückes gibt mehr Rätsel auf als nötig: Es handelt sich ganz einfach um ein Agnus Dei mit lateinischem und norwegischem Text. Kverno hat sich in den letzten Jahren besonders als Komponist anspruchsvoller Chormusik einen Namen gemacht. In Corona-Zeiten ist ein Beitrag in so reduzierter Besetzung natürlich für die gottesdienstliche Praxis höchst willkommen.

Mit recht bescheidenen Mitteln und wenigen Akkorden evoziert Kverno hier einen Klang, den wir in der Tradition Griegs als „typisch nordisch“ wahrnehmen. Der Schwierigkeitsgrad ist gering, die Singstimme hat den Umfang e‘ bis e‘‘. Weder vom Organisten noch von den Sängern wird irgendeine Virtuosität gefordert, was die verinnerlichte Wirkung in keiner Weise mindert. Auch der überschaubare Umfang von drei Druckseiten empfiehlt das Stück für Gottesdienst uns Messe. Als solide Gebrauchsmusik zu empfehlen. Man mag nur bedauern, dass der Komponist nicht gleich ein vollständiges Ordinarium vertont hat.


Axel Wilberg
August 2020 / Januar 2021

JOY of MUSIC

Herausgeber: Wilhelm Ohmen und Robert Schäfer
Verlag: Schott Music


Discoveries from the Schott Archives - Entdeckungen aus dem Verlagsarchiv Schott
Virtuoso and Entertainig Pieces for Piano - Virtuose und unterhaltsame Stücke für Klavier

JOY of MUSIC!
Nein es geht hier ausnahmsweise nicht um den gleichnamigen youtube Channel der Konzertorganistin Diane Bish.
Allerdings wurde dem Rezensenten die Aufgabe anvertraut, zum 250-jährigen Bestehen des Musikverlages Schott (gegr. 1770 von Bernhard Schott) den vortrefflichen Band hier vorstellen und besprechen zu dürfen. Herzlichen Dank für dieses Vertrauen und die damit verbundene Wertschätzung..

Um es gleich vorwegzunehmen:
Anlässlich dieses besonderen Jubiläums ist mit diesem Klavierband „Joy of Music“ eine hervorragende Dokumentation in Form einer wahren Schatztruhe entstanden und dieselbe ist meisterhaft gelungen. Ein Archiv lebt ja wenig von der bloßen historischen Existenz allein, sondern vielmehr von seiner lebendigen Erschließung und kommunikativer Weitergabe an Gegenwart und Zukunft.
Einen roten Faden konnte ich im Bezug auf die Auswahl feststellen: Es handelt sich überwiegend um Salonmusik, Kabinett-, Charakterstücke bis hin zu (hoch-) virtuosesten Bravour-Piecen. Dass Virtuosenkult um Paganini, Chopin, Liszt + Co. (und wie sie noch alle heißen mögen) schon damals durchaus kontrovers gesehen wurde, liegt bereits in der Natur der Sache. Und dementsprechend hat es immer Befürwortung und Ablehnung gegeben. Die dazu entsprechenden teils rivalisierenden Wertschätzungen von Zeitgenossen sind vielfältig.
Ein abschreckendes Extrem? Jedenfalls: Auf den Seiten 77 bis 86 (die Spieldauer/Wiedergabe des Stückes beträgt nicht einmal fünf Minuten) gibt es Notengirlanden in 128 (!) – jawohl der geneigte Leser liest hier richtig – ich wiederhole: 128tel. Komponist ist Sigismund Thalberg (1812-1871), der in USA immense finanzielle Erfolge erzielte, und trotzdem als Gentleman und bescheidene Persönlichkeit galt. Dazu auch später mehr unter Inhalt: Nr. 7.


A. Outfit:
Ausgehend von dem mit bunten Sternen gestalteten stabilen Einband fällt mir eine bekannte lateinische Redewendung ein. Diese lautet „Per Aspera ad Astra“ :und ist interpretierbar mit der geläufigen Kurzformel „Ohne Fleiß kein Preis!“ (Wörtlich: nur durch Mühsal gelangt man zu den Sternen). 15 Werke erhält der anspruchsvolle Klavierband JOY of MUSIC, dessen Stücke chronolgisch angeordnet sind. Wendestellen und optimaler augenfreundlicher Notensatz lassen keine Wünsche offen. Zusätzlich hilfreich sind zahlreiche Angaben zu Tempo und zur Dynamik.


B. Inhalt:
Der Vollständigkeit halber sei mir die Form der durchnummierenden Aufzählung gestattet, so wird nichts vergessen oder übergangen:
Und so ist folgerichtig als erster
1. der „Jubilar“ Ludwig von Beethoven (1770-1827) gebührend mit 24 Variations sur l`Ariette Venni Amore par Righini, einheitlich in D-Dur, vertreten. (NB: Vincenzo Righini (1765-1812) war Hofkapellmeister in Mainz).

Die musikalische Entdeckungsreise geht weiter über den Beethovenschüler und Lisztlehrer
2. Carl Czerny (Nocturne Le Désir),
3. Henri Herz (Cavatine mit Variationen über Thema von Rossini aus der Oper Aschenputtel),
4. Ferdinand Beyer (Nocturne im Stil von Chopin),
5. Friedrich Burgmüller (Grande Valse),
6. Franz Liszt (La Danza),
7. Sigismund Thalberg (Air anglais Home! Sweet Home! Übersetzbar mit: Trautes Heim – Glück allein),
8. Charles-Valentin Alkan (programmatische Etüde „Le Chemin de Fer“ / Synonyme: The Rail / Die Eisenbahn / La Strada Ferrata),
9. Charles Gounod (mit Meditation sur le 1er Prélude de J.S. Bach, unsterblich geworden und bekannt unter „Ave Maria“),
10. Julius Schulhoff (Albumblatt / Feuille d´Album),
11. Louis Moreau Gottschalk (Le Banjo bzw. auch unter „Fantaisie grotesque“ in youtube zu finden – ein wunderbares Zugabestück von Klaviervirtuosen der ganzen Welt, Stichwort „Encore“),
12. Carl Tausig (mit einer Klaviertranskription von Siegmunds Liebesgesang a.d. Walküre von Richard Wagner),
13. Giovanni Sgambati (Melodie de Gluck),
14. Moritz Moszkowski (Tarantelle), bis zu:
15. Edward Elgar (Salut d´Amour / Morceau Mignon / Liebesgruss). Welch wunderbare poetische und lyrische Musik!


C. Besonderheiten / Level:
Als Auswahlkriterium galt die romantische Epoche. Als bereits große technische Herausforderungen werden sicher die Tonarten Fis-Dur (Nr. 11) , AS-Dur (Nr.2, Nr. 4), DES-Dur (Nr. 7, Nr. 10), E-Dur (Nr. 15) gelten. Aber es gibt durchaus für „Einsteiger“ auch die d-moll-Tonarten (Nr. 12, 13, 14).
Meiner Meinung nach gehören die gemachten (Kurz-)biografien unbedingt zum Hintergrundwissen um Komponist, Wirkung im Vergleich damals – heute dazu. Und so ist man sehr dankbar zu den erfolgten biografischen Angaben. Eine extrem kurze Lebensdauer gibt es zu dem Liszt(Lieblings-)schüler Carl Tausig, der im zarten Alter von 29 an Typhus verstarb. Ebenfalls bringen damaligen Wertungen (von Chopin, Mendelssohn, Clara Schumann, Robert Schumann über ihre Zeitgenossen) immer noch interessante Aspekte.


D. Fazit:
Es ist ein wohl absoluter Glücksfall, dass die Schott-Archive das Inferno der Bombardierung von Mainz am 27.2.1945 überdauerten. Und: alle niveau- und anspruchsvollen Stücke haben auch heute immer noch Ihre Liebhaber. So fand der Rezensent zu sämtlichen Stücken Mehrfach-Treffer auf facebook. Somit kann man schon allein dadurch den Akzeptanz-, Bekanntheits-, ja Beliebheitsgrad dieser gültigen Musik bestätigen.
Zum Herausgeber Wilhelm Ohmen (über 40 Jahre Klavierpädagoge) gibt es die folgende Intenetseite: www.wilhelm-ohmen.de
Zudem ist Robert Schäfer geleichermaßen für die gültige Auswahl als Herausgeber zu erwähnen.

Wie bereits im Vorwort abgedruckt, wendet sich dieser Sammelband an professionelle Musiker (Konzertpianisten) und fortgeschrittene Liebhaber, die auf interessante (Zusatz)-Entdeckungen des Standardrepertoires neugierig sind. Dieser Zielsetzung wurde man perfekt gerecht. Zudem dürfte der moderate Preis für einen hoffentlich weiteren guten Verbreitungsgrad sorgen. Außerdem gibt es noch die Option(en) download für einzelne Notentitel. Dem Traditionsverlag Schott gebührt großer Dank und Wertschätzung für diese höchst empfehlenswerte Publikation, die besonders im Umfeld der momentan nicht unbedingt einfachen Zeiten überzeugt.
Ich möchte schließen mit: Ad multos annos!

Christoph Brückner
August 2020 / Januar 2021

Lux aeterna & Laudate Dominum

Komponist: Christian Bährens
Verlag: Cantando


Lux aeterna - for female choir
Laudate Dominum - for female choir

Christian Bährens (*1958), Sänger, Chorleiter und Komponist aus Berlin, legt im Cantando Verlag zwei klangreiche Motetten für Frauenchor, bzw. Frauenensemble vor. Beide Kompositionen sind dem Ensemble EMBLA aus Trondheim und Norunn Giske gewidmet. Gleich vorweg: Beide Stücke sind für ambitionierte Frauenensembles sehr lohnende Repertoireerweiterungen, für den gemeinen „Dorffrauenchor“ aber sicher nicht geeignet.

Lux aeterna lebt von flächigen Klängen, die die Stimmung Skandinaviens einzufangen scheinen. Zunächst auf „y“ gesungen, schwingt, wie aus der Ewigkeit kommend, der Text im Klangteppich zu „Lux“, über dem, gregorianisch anmutend im Sopran 1 die erste Zeile des kompletten Textes erklingt. Die Unterstimmen nehmen die Text und Musikbewegung auf, ehe wieder auf liegendem Akkord, die zweite Zeile des Textes bearbeitet wird, ebenso die dritte Zeile (Requiem aeternum). Zum Schluss, wieder auf „y“ gesungen, geht das Stück in die Ewigkeit zurück.

Laudate Dominum beginnt gregorianisch mit den ersten zwei Versen des Psalms. Rhythmische Zerlegungen des Wortes „Laudate“ lassen den nun folgenden 28 Takte langen schnellen Teil madrigalistisch und fast volkstümlich daherkommen. Über diesem rhythmischen Effekt erklingen im Kontrast immer wieder Psalmverse in längeren Notenwerten, unterbrochen von einem langsamen, choralartigen, motettischen Teil (Quonian confirmata), ehe der Schluss freudig den schnellen Teil wieder aufnimmt und zum jubelnden „Halleluja“ steigert.

Sven Dierke
Juli 2020 / Dezember 2020

Home for Christmas

Arrangeuer: Håvard Sveås arr.: Maria Mena & Martin Sjølie
Besetzung: SSAB mit Akkordsymbolen
Verlag: Cantando


Home for Christmas ist ein Popsong, den Maria Mena & Martin Sjølie im Jahr 2010 veröffentlicht haben und der durch die Netflix-Serie „Weihnachten zu Hause“ von 2019 weitere Verbreitung gefunden hat, vorher war er hauptsächlich in Norwegen bekannt, wo er einige Zeit die Charts angeführt hat. Inhalt des Textes ist die Sehnsucht, nach den Rückschlägen des Lebens, an Weihnachten zu Hause zu sein.

Håvard Sveås hat diesen typischen Popsong für Frauenstimmen vierstimmig mit Akkordsymbolen gesetzt. Versierte Popchöre dürften mit Noten und Text keine Probleme haben, der Chorleiter vielleicht schon, denn die Ausgabe ist doch sehr unübersichtlich in einem zusammengefassten System gesetzt, vielleicht wäre es besser gewesen, auf vier Notenzeilen zu notieren. An vielen Stellen fehlt die gewünschte Vokalise „o“ im Notentext, der Liedtext steht sehr eng beieinander und rutscht in die Akkordsymbole.

Schade eigentlich, denn das Arrangement ist ganz gut gelungen. Vielleicht lässt sich damit der Song etwas bekannter machen.

Sven Dierke
Juli 2020 / Dezember 2020

The Lord is my shepherd

Komponist: Christian Bährens
Verlag: Cantando


für Chor SATB

Die vorliegende Motette über die ersten vier Verse des Psalms 23, ist die englische Version der Vertonung des gleichen Textes aus Christian Bährens „deutschem Requiem“, das der Berliner Komponist und Chorleiter seit 2016 in mehreren Abschnitten vertont hat.
In gemäßigt romantischer Tonsprache erinnern die 82 Takte Musik an die a cappella Motetten des 19. Jahrhunderts. Für versierte Chöre eine schöne Ergänzung des Programms aber kein Muss.

Sven Dierke
Juli 2020 / Dezember 2020

TrAd(d)itionals

Komponist/Bearbeiter: Stefan Glasbrenner
Verlag: Strube


Fünf Chorsätze zur Weihnachtszeit für 4-stimmig gemischten Chor a cappella

Bereits optisch mit einem ansprechenden Einband versehen, verstärkt sich dieser angenehme Eindruck weiter in den einzelnen Notensätzen. In den Tonarten F- und G-Dur sind vertreten:

  1. Away in a manger (F)
  2. Kling, Glöckchen (G)
  3. Kommet, ihr Hirten (F)
  4. Stern über Bethlehem (G)
  5. Wir sagen euch an (F)

Alle Arrangements (man könnte dazu auch sagen:  inspirierte und rhythmisch angereicherte „Klangcollagen“ ) stammen aus der Feder von Stefan Glasbrenner (*1980).
Es sei eigens hingewiesen auf: www.vokalensemble-ulm.de / sowie auf die Klangeinspielung von Nr. 3 (mit dem einladenden Titel: Bitte folgen zur Krippe…) in Form der youtube Einspielung: https://www.youtube.com/watch?v=x42-1j6YnC4

Sämtliche Sätze versprechen große Musizierfreude und Abwechslung vom gesetzten Liederkanon der Advents-/Weihnachtszeit.

Christoph Brückner
Juli 2020 / Dezember 2020

Fear no more the heat of the sun & Shall I compare thee to a summer’s day

Komponist: Christian Bährens
Verlag: Cantando


Fear no more the heat of the sun - für 2 Violinen und Chor SATB
Shall I compare thee to a summer’s day - für Chor SATB

Der Berliner Sänger Chorleiter und Komponist Christian Bährens komponierte die vorliegenden Stücke im Sommer 2018 in Schweden und in Hiddensee auf Texte von William Shakespeare für den Wilmersdorfer Kammerchor Berlin. Sie stellen in ihrer Art, wunderbare Repertoireerweiterungen für Kammerchöre dar, die sich gerne mit unbekannteren Werken, abseits des Mainstreams einlassen.

„Fear no more“ ist eine einfühlsame Komposition mit der ungewöhnlichen Besetzung Chor SATB und zwei Violinen. Komponiert für den Wilmersdorfer Kammerchor und das Duo Gelland, uraufgeführt im November 2019. Das etwas 6 Minuten lange Stück ist in gutem tonalen Harmoniespektrum gehalten, intonatorische Schwierigkeiten werden durch die Instrumentalstimmen abgemildert. Klanglich atmet die Komposition durchaus skandinavische Stimmung.

Fast parallel dazu entstand in Hiddensee die Vertonung des Sonetts „Shall I compare thee to a summer’s day?“ Klassisch 4-stimmig gesetzt lebt das Stück durch kleingliedrigen Wechsel der Notenwerte Achtel, Achtel-Triolen, Sechzehntel…. Und fordert so vom Ensemble eine gewisse Flexibilität in Artikulation und Tempo, so schreibt der Autor: „The generally calm flow of the music shall be flexible – feel free to slow down and then get back in tempo between the phrases even if not indicated.“

Lohnende Musik…….

Sven Dierke
Juli 2020 / Dezember 2020

Bis an der Welt ihr Ende & Und wenn die Welt voll Teufel wär

Bis an der Welt ihr Ende, Deutsche Lieder der Reformationszeit, Per-Sonat, Ltg.: Sabine Lutzenberger, Werke von Luther, Senfl, Hassler, Lechner, Lassus, Schein, Label: Christophorus
Und wenn die Welt voll Teufel wär, Musik um Luther, La Villanella Basel, Werke von Walter, Senfl. Isaac, Obrecht, Josquin Desprez, Label: Querstand


Verwandte Besetzungen und Programme bieten diese beiden CDs, die die bisherigen Editionen zur Liedgattung des 16. Jahrhunderts im Luther-Gedenkjahr ergänzen. Ist die erste CD geprägt von dem Lautenisten Marc Lewon, der neben Sätzen von Senfl, Lassus und Schein Lieder wie Ein feste Burg und Aus tiefer Not in eigenen Sätzen vorträgt, so wird in der zweiten CD ein Positiv (Mechthild Winter) für Sätze von Kleber, Isaac und Obrecht verwendet. Das bringt zwar eine größere Klangfülle, hat aber nur eine geringe historische Wahrscheinlichkeit für sich.
Die prinzipiell variablen Besetzungsmöglichkeiten sind begrenzt auf je zwei Sänger, Blockflöte, Gamben und Violine. Erstaunlich, wie beide Gruppen die z.T. hochkomplizierten Sätze doch ziemlich gleichartig gestalten. Eher begrenzt sind die Tempi und leider auch der Ausdrucksreichtum der MusikerInnen. Zwar lernt man auf der zweiten CD Luthers erstes Lied, das Fahrenslied Ein newes Lied wir heben an von 1524, im Satz von Johann Walter einmal klanglich kennen, mitreißen tut aber der geschilderte Kampf um Leben und Tod der beiden Brüsseler Augustinermönche nicht. Auch die glutvollen Liebestexte wirken abgeklärt wie geschichtliche Ereignisse aus einer anderen Epoche. Mit Andacht und Verehrung beschreibt Sabine Lutzenberger ihr chronologisch in vier Abschnitte gegliedertes Programm, wobei Johann Hermann Schein bereits für eine neue Zeit steht, die sich hörbar absetzt vom Reformationsjahrhundert. Ob das den Zugang zu dieser Musik tatsächlich öffnet, ist doch sehr fraglich. Der Bookletbeitrag von Sonja Tröster schöpft den historischen Hintergrund der Kompositionen gut informierend aus, vermag aber im Bereich der musikalischen Analyse nicht voll zu überzeugen.

Das Programm der zweiten CD ist stärker auf Luther und seinen Freund Walter und deren Zeitgenossen fokussiert, Michael Märker beschränkt sich in seinem knappen Bookletbeitrag auf geschichtliche Anmerkungen, die eingespielten Sätze erfahren keine detailliertere Beschreibung, obwohl gerade die Sätze Walters zu Ein feste Burg und Aus tiefer Not doch dazu verlocken. Ebenso wenig werden die Quellen der Sätze genannt, leider fehlen auch die Übersetzungen der lateinischen, bzw. französischen Textvorlagen. Höhepunkt ist hier Senfl’s Fassung des Fronleichnams-Hymnus Pange lingua, den er echt humanistisch zweisprachig lat./dt. gesetzt hat. Wenn am Schluss Walters Verknüpfung des Da Pacem mit Erhalt uns Herr erklingt, ist das zwar kompositorisch überzeugend, musikalisch aber fehlt der Biss.

Schade, dass die wohldurchdachten Interpretationen doch eher verkopft klingen, eine Wiederbelebung klingt anders.

Rainer Goede
Mai 2020 / Dezember 2020

Erasmus Kindermann - Opitianischer Orpheus

Interpreten: Ina Siedlaczek/Jan Kobow, United Continuo Ensemble
Label: BR/cpo


Martin Opitz (1597 – 1639), Vater und Wiederhersteller der Dichtkunst, verfasste 1624 sein Buch von der Deutschen Poeterey, womit er die Grundlage schuf für den Höhenflug deutscher Dichter seiner Zeit. Beispielhaft veröffentlichte er im selben Jahr seine Teutsche Pöemata und: Aristarchvs Wieder die verachtung Teutscher Sprach, Item Verteutschung Danielis Heinsij Lobgesangs Iesu Christi, vnd Hymni in Bachum, Sampt einem anhang Mehr auserleßener geticht anderer Teutscher Pöeten. Der gleichen in dieser Sprach Hiebeuor nicht auß kommen.

Aus dieser Gedichtsammlung stellte der Nürnberger Egidienorganist Johann Erasmus Kindermann (1616 – 1655) seinen Opitianischer Orpheus (Straßburg 1642), 24 z.T. sehr umfangreiche Strophenlieder, zusammen, womit er sich der gesellschaftlichen Bewegung  anschloss, die neue barocke Gedichtbegeisterung für die Hausmusik umzusetzen. Und vielleicht hat er damit auch die 1644 erfolgte Gründung des Pegnesischen Blumenordens (Pegnitzschäfer), einem heute noch bestehenden Forum für Sprach- und Literaturpfleger, mit angeregt. Dass das Nürnberger Patriziat da spezielle Möglichkeiten öffnete, zeigt sich im Unterschied zu Kindermanns Zeitgenossen, z.B. Franz Tunder, Johann Jakob Froberger und Matthias Weckmann, die unter ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnissen ganz andere Vitae aufweisen. Das weltliche wie geistliche Strophenlied jedenfalls machte Karriere, was für die Komponisten die Schwierigkeit intendierte, immer gleiche Musik für verschieden Inhalte zu schreiben. Erst in der Romantik löste man das Problem.

Kindermann löste das Problem auf seine Weise mit (möglicher) zusätzlicher Besetzung mit zwei Violinen und einer vielgestaltiger Continuo-Besetzung. Der Gambist Jörg Meder nutzt diese Möglichkeiten mit seinem United Continuo Ensemble weidlich und einfallsreich, Ina Siedlaczek und Jan Kobow gestalten ihre Melodien mit viel Phantasie und barockem Affekt aus. Im Booklet steuert Hans-Gerhard Dürr einen sehr sachkundigen Beitrag hinzu, der nur getrübt wird, weil über die beiden eingestreuten instrumentalen Sonaten nichts zu lesen ist. Die geringe Punktgröße macht seinen Beitrag leider kaum mehr lesbar. Im Textteil sind die Vorlagen von Opitz teilweise nur mit gekürzten Strophen abgedruckt, die mit der eingespielten Fassung nicht unbedingt übereinstimmen.

Mit dieser CD wird der viel zu wenig beachtete Nürnberger Egidienorganist zu seinem 400. Geburtstag würdig geehrt. Kindermann, als Organist vergleichsweise wenig bedeutend, hat seine Meriten vor allem als Komponist von Liedern und weltlicher Instrumentalmusik verdient. Die Kunst des häuslichen Musizierens hat bei ihm einen reichen Fundus, der viel mehr genutzt werden sollte!


Rainer Goede
Juni 2020 / November 2020

Reformatorische Kirchenumgestaltung

Autor: Dietrich Diederichs-Gottschalk
Verlag: Schnell + Steiner


In der Reihe Kunst und Konfession in der Frühen Neuzeit (Hg. Harasimowicz, Sarkadi-Nagy, Selderhuis, Weiland, Wien) ist der Band 5 mit dem Untertitel Tho Gots ere und guder gedächtnis – Die Veränderung und künstlerische Neuausstattung der mittelalterlichen Landkirchen in den norddeutschen Marschen Land Wursten und Osterstade von den Anfängen der Reformation bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges erschienen. Der Autor Dietrich Diederichs-Gottschalk ist der Frage nachgegangen, wie und wann aus den Marschkirchen mit katholischer Ausrichtung evangelische Gemeindekirchen wurden. Interessant nachzuverfolgen ist, wie z.B. aus spätgotischen katholischen mit reichen Fresken geschmückten Räumen evangelische Räume mit prachtvollen Renaissance-Altären und Kanzeln sowie umfassenden Kirchenstühlen  wurden, wie die mittelalterlichen Geldquellen, die nach Bremen orientiert waren, für die Gemeinden umgeleitet wurden, aus denen dann z.B. die Orgeln, die ab dem frühen 17. Jahrhundert den Status der Gemeinden heben sollten (und an denen Tonjes Moitz aus Buxtehude und der junge Arp Schnitger aus Golzwarden auf der anderen Seite der Weser ihren Anteil hatten), finanziert wurden. Statusfragen spiegeln auch die Kirchenstuhleinbauten wider oder die Höhe der Kirchtürme. Traurig dann die Geschehnisse im 19. und 20. Jahrhundert, als viele Zeugen des 16. und 17. Jahrhunderts verunstaltet oder ganz vernichtet wurden.

Mit diesem Buch führt der Verfasser den Leser zu einem umfassenden Verständnis der  theologie-, reformations- und kunstgeschichtlichen Entwicklung des Landes Wursten nördlich von Bremerhaven und Osterstade nördlich von Bremen, stellvertretend für die Marschkultur auch in anderen Gebieten. Mit dem Wasser, Fluten und Stürmen (Allerheiligenflut 1570) und dem Strom einerseits und andererseits mit den fruchtbaren Böden lebend, haben sich die Marscheinwohner im Anfang des 17. Jahrhunderts, verschont von den Türkenkriegen und zunächst auch vom Dreißigjährigen Krieg, eine Kultur geschaffen, die den Vergleich zur neuzeitlichen städtischen Kultur nicht scheuen braucht. Die gute Bebilderung mit hervorragenden Farbaufnahmen von Beate Ulich ist dabei eine sehr gute Hilfe, z.B. die Details der Bild- und Schriftprogramme der Ringkmaker-Kanzeln zu verstehen. So nebenbei wird auch die Verwaltungs-Geschichte vom Erzbistum Bremen über die schwedisch e Verwaltungsstelle in Bremervörde bis hin zur Landeskirche Hannover verdeutlicht.

Ein Buch, was seinesgleichen sucht, und das klar macht, wie auch Orgelbauten immer von örtlicher Begeisterung und Unterstützung gelebt haben und noch leben.


Rainer Goede
Juni 2020 / November 2020

Samuel Scheidt - Geistliche Concerte

Interpreten: Kurt Schoch, Tenor / I Sonatori
Label: Christophorus


Zur Gruppe I Sonatori zählen Christa Kittel, Violine, Ursula Bruckdörfer, Dulcian, Isolde Kittel-Zerer, Orgelpositiv, und Harald Martens, 8‘-Violone. Dazu gesellt sich der Tenor Kurt Schoch. Aus dieser Besetzung ergibt sich ein Programm mit ausgewählten Stücken aus der Tabulatura nova (1624), Geistliche Concerte I (1631), II (1634) und III (1635) und den Liebliche Kraftblümelein (1635). Ergänzt wird das Programm mit rein instrumentalen Werken von Selam Y Salaverde und Vinco Jelic, die Violine und Dulcian reiche Spielmöglichkeiten schenken, und weiteren Soli für Tenor von Andreas Hammerschmidt, Melchior Franck, Johann Erasmus Kindermann und Thomas Selle. So bleibt ein roter Faden durch das Programm in Dunkeln, ist doch die Musik eines Hammerschmidt oder Kindermann stilistisch weit entfernt von der Scheidts (1587 – 1654).

Dieses Manko stellt Kurt Schoch, der mit seiner vollen hellen Stimme allzeit für sich einnimmt, vollkommen in den Schatten. Auch Ursula Bruckdörfer versteht mit ihrem Spiel in jedem Moment zu faszinieren. Isolde Kittel-Zerer spielt unauffällig zuverlässig auf dem kleinen ganz schönen Lutz- Orgelpositiv, was naturbedingt ist durch die Größe des Instrumentes, das keine interessante klangliche Abwechslung auch nicht für die Solostücke aus der Tabulatura erlaubt. Jederzeit präsenter Inspirator dieser Continuo-Formation ist Harald Martens.

So sprechen die Kompositionen Scheidts für sich, etwa die charakteristischen Ausrufe zu Beginn von Wie schön leuchtet der Morgenstern oder die Chromatik in Da Jesus an dem Kreuze stund. Seit 1630 musste Scheidt als Privatier sein Geld verdienen, interessant, dass seine Editionen der Geistliche Konzerte Teil I bis IV (zwischen 1631 und 1640) sowie der Liebliche Kraftblümlein (1635) diese Amtslosigkeit und Vereinsamung kaum widerspiegeln. Sie spiegeln eher einen  fundierten Glauben und den Willen, sich zu behaupten in haltlosen Zeiten, wider. So titelt denn der Bookletaufsatz von Gundela Bobeth auch: Musik als Trost, Hoffnung und Friedenstifterin.  

Schön ist es zu sehen, dass die Musik Scheidts an Bekanntheit zu gewinnen scheint!  Nicht die Qualität, sondern vordergründiges Selektieren der Musikwissenschaft und populäre Rezeption sind es, die den Hallenser Meister ziemlich in den Hintergrund rücken ließen. Dabei ist gerade diese klein besetzte Musik hoch aktuell für die Gegebenheiten in heutigen Gottesdiensten und Konzerten!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar - Concerti

Interpreten: Thüringer Bach-Collegium, Ltg.: Gernot Süßmuth
Label: audite


Der talentierte Prinz Johann Ernst IV. von Sachsen-Weimar (1696 – 1715), bereits im Alter von 18 Jahren an einer Geschwulst verstorben, hatte schon früh von dem Weimarer Hofmusiker Georg Christoph Eylenstein Unterricht auf der Violine und 1713/14 von Johann Gottfried Walther im Clavierspiel und Komposition bekommen. Seine große Bildungstour 1712 nach Brüssel und Amsterdam, das damals ein Zentrum der Musikverleger war, bekam musikgeschichtliche Bedeutung. Von dort brachte er etliche der modernsten Kompositionen mit, nämlich Vivaldis Concerti, deren Vorbild er nun selbst nacheiferte. Von seinen in einem dreiviertel Jahr komponierten ca. 19 Konzerten sind heute noch 10 erhalten, sechs davon hatte bereits Georg Philipp Telemann 1718 veröffentlicht.

Johann Sebastian Bach, seit 1708 am Weimarer Hof als Organist, dann als Kammermusiker und schließlich seit 1714 als Konzertmeister angestellt, transkribierte mehrere dieser Konzerte für das Cembalo solo: BWV 982 B-Dur, BWV 984 C-Dur und BWV 987 d-moll; für die Orgel transkribierte er G-Dur, BWV 592, und auch noch einmal das C-Dur-Konzert, BWV 595, und machte sich damit den italienischen Concertostil zu eigen. Aus Bachs Concerto C-Dur (BWV 595) konnte nun Gernot Süßmuth ein Konzert für zwei Violinen rekonstruieren, dessen Original nicht mehr greifbar ist. Daneben und neben den sechs durch Telemann überlieferten Konzerten bringt das Programm zwei Konzerte in G-Dur, deren Stimmenmaterial in Rostock überliefert sind – eines ist die Vorlage für BWV 592 – und noch ein ungesichertes kurzes Konzert für Trompete (Rupprecht Drees) und Streicher.

1718 hatte Georg Philipp Telemann die 6 Violinkonzerte op. 1 des Prinzen herausgegeben. Diese Original-Ausgabe wurde in der Weimarer „Anna-Amalia-Bibliothek“ aufbewahrt und beim Großen Brand 2004 zerstört. Glücklicherweise existierten noch Microfiche-Aufnahmen der Noten, so dass das Thüringer Bach Collegium nun eine CD mit den erhaltenen zehn Konzerten herausgeben konnte. Michael Maul schreibt im Booklet eine äußerst inhaltreiche Einführung, tituliert das Geschehen als „schillernd virtuoses Konzertrepertoire der Weimarer Hofkapelle zur Zeit Bachs“, eine Charakterisierung, der das Ensemble in allen Facetten gerecht wird. Der sportliche Zugriff bekommt den meist weniger als 3 Minuten langen Sätzen sehr gut, aber auch die langsamen Sätze sind sehr ausdrucksvoll wiedergegeben. In Weimar musste es nicht immer Bach sein, auch die Kompositionen von Prinz Johann Ernst IV. von Sachsen-Weimar standen sicherlich dort auf dem Programm. Auch heute muss es nicht immer Bach sein, die Concerti des Prinzen sprühen vor virtuoser Spiellust und treffend gewitzter Komposition, man höre und freue sich! Sehr empfehlenswert!


Rainer Goede
Juni 2020 / November 2020

Giuseppe Peranda - Sacred Music from Dresden

Interpreten: Abendmusiken Basel, Ltg.: Jörg-Andreas Bötticher
Label: Coviello


Giuseppe Peranda (1625 – 1675) kam 1651 als Altist nach Dresden, 1661 wurde er Vizekapellmeister, und 1663 Kapellmeister als Nachfolger von Vincenzo Albrici. Nachdem Christoph Bernhard seine Stelle in Hamburg angetreten hatte, erhielt er (bis zu seinem Tode Katholik) 1672 als Nachfolger von Heinrich Schütz die Stelle des Hofkapellmeisters in Sachsen. Die Geschichtsschreibung hat nicht viel Notiz von ihm genommen, für Schütz hat sie alle anderen benachteiligt. Noch existent sind auch nicht allzu viele Kompositionen von ihm, immerhin ist seine Markus-Passion, die er in Ergänzung der drei Schütz-Passionen schrieb, erhalten sowie in der Kremsierer Residenz in Mähren zwei Messen und ein geistliches Konzert, dazu kommen einige weitere geistliche Werke und die Oper Dafne von 1671, die er in Zusammenarbeit mit Giovanni Andrea Bontempi geschrieben hat.

So sind die hier eingespielten Werke Perandas bis auf die sechsstimmige Missa in a alle Ersteinspielungen. Zu hören sind der Pfingstantiphon Repleti sunt omnes, und die geistlichen Konzerte Accurite gentes (zu Weihnachten), Fasciculus myrrhae (1690, zur Passion), Timor et tremor (Responsorium in der Vigil zur Bußzeit, Ps 54,6 etc.) und Factum est proelium (zu Michaelis), die genauen liturgischen Verwendungsbezeichnungen fehlen leider. Ergänzt wird das Programm mit zwei Instrumentalstücken von Perandas Vorgänger Vincenzo Albrici (Sinfonia à 2) und David Pohle, Kapellmeister in Merseburg und Zeitz (Sonata à 6), deren Auswahl leider auch nicht näher begründet ist.
Mit Miriam Feuersinger und Maria Cristina Kiehr (Sopran), Alex Potter (Altus), Raphael Höhn und Jakob Pilgram (Tenor), Markus Flaig (Bass), den Musikern der Abendmusiken Basel steht Jörg-Andreas Bötticher ein kompetentes Ensemble zur Verfügung. Mit hörbarem Engagement und gleichzeitig etwas distanzierter musikwissenschaftlicher Haltung wird der Stylus luxurians, diese vornehme hochbarocke Mischung aus (Schützscher) Wortmalerei und (italienischer) Klangpracht zelebriert. Etwas Schwierigkeiten hat die Tontechnik, den weiten Spagat der musizierten Dynamik einzufangen, was vor allem den Altus einige Präsenz kostet. Peter Wollny schrieb einen treffenden Text im sehr gut bebilderten Booklet, wo nur in der Besetzungsliste ein Fehler stehen blieb. Die CD gibt eine bisher unbekannte schöne Musik, von der man gerne mehr wüsste, wieder.


Rainer Goede
Juni 2020 / November 2020

Johann Sebastian, Bernhard, Ludwig Bach - Ouvertures for Orchestra

Interpreten: Concerto Italiano, Rinaldo Alessandrini
Label: naive


Ein renommiertes Ensemble muss natürlich auch einmal die Bachschen Ouvertüren, BWV 1066 – 1069, eingespielt haben - und dabei versuchen, seine Einspielung zu etwas Besondern zu machen. Das passiert hier auf zweifachen Wege: Alessandrini macht die Ouvertüren durchhörbarer als andere, indem er ausnehmend kurz artikulieren lässt, so dass nie ein Klang dominiert, und die Dynamik der Mittelstimmen gegenüber den Oberstimmen anhebt. Das bekommt vor allem der D-Dur-Air sehr gut, die hier gar nicht abgedroschen klingt. Aber auch die anderen Sätze gewinnen durch gesättigte Klangfarben der Mittelstimmen, die Tempi sind rasch, aber nicht übereilt, gelassene wie sportive Spielfreude dominiert.

Der zweite Weg ist die Hereinnahme von Ouvertüren aus Bachs naher Verwandtschaft, als ersten von dem nur 11 Jahre älteren Erfurter Vetter 2. Grades Johann Bernhard (1677 – 1749), der 1703 als Stadtorganist und als Kammermusikus am Hof Nachfolger seines Onkels Johann Christoph Bach in Eisenach wurde. 1715 bat ihn Sebastian zum Paten seines dritten Sohnes Johann Gottfried Bernhard, während Sebastian 1722 Pate seines ältesten Sohnes Johann Ernst wurde. Seit 1723 hatte Bernhard für den Hof in Eisenach zu komponieren. In Bachs Nekrolog steht über ihn: „Johann Bernhard hat viele schöne, nach dem Telemannschen Geschmacke eingerichtete Ouvertüren gesetzet“. Vier sind überliefert, Sebastian hat sie um 1730 in Leipzig aufgeführt, die dritte in e-Moll mit acht Sätzen für Streicher hat Alessandrini in sein Programm mitaufgenommen. Der Charakterisierung „nach dem Telemannschen Geschmacke“ ist nichts hinzuzufügen, gut gemachte Musik mit Zuhöreffekt!

Das gleiche gilt für die sechssätzige Ouverture G-Dur seines Meiniger „Vetters“ Johann Ludwig Bach (1677 - 1731). Ludwig war seit 1699 als „Hoboist und Laquay“ am Meininger Hof tätig, 1703 wurde er Kantor und Pagenlehrer, und 1711 Kapellmeister. Von seinen Instrumentalmusikstücken, die Johann Ludwig als Kapellmeister in großer Zahl komponierte, ist nur die hier eingespielte Ouvertüre von 1715 und ein Concerto für 2 Violinen und Streicher in D-Dur überliefert. Sein hohes Können ist heute breiter im überlieferten Vokalwerk (Motetten, Messen, Kantaten) zu erleben, Ludwig war ein Komponist hohen Ranges. Das ist auch in dieser Ouvertüre zu erleben, die zusätzlich zu den Streichern hier mit zwei Blockflöten erklingt. Die muntere Musik ist kunstvoll gesetzt und steht den Werken Sebastians nicht nach! Herzliche Empfehlung!


Rainer Goede
Juni 2020 / November 2020

Johann Kuhnau - Complete Sacred Works V

Interpreten: Opella Musica, Camerata Lipsiensis, Ltg. Gregor Meyer
Label: DrK/cpo


Das Kuhnau-Projekt umfasst die Noten-Edition der ca. 38 Kantaten (Hg. David Erler bei Breitkopf & Härtel) und die Einspielung auf insgesamt 8 CDs bis zum Jahr 2022, dem dreihundertsten Todesjahr des Leipziger Thomaskantoren. Bei seit 2014 jährlich einer CD-Edition hat Gregor Meyer jetzt die fünfte seiner Gesamteinspielung der überlieferten Kantaten von Johann Kuhnau (1660 – 1722) vorgelegt.
Über Kuhnau, Stipendiat an der Kreuzschule in Dresden, dann Student der Philosophie und Rechtswissenschaft in Leipzig, 1680 Kantor in Zittau, 1684 Organist an der Thomaskirche, 1701 Thomaskantor als Nachfolger von Johann Schelle, auch Universitätsmusikdirektor, schrieb Johann Christoph Adelung: „Ich weiss nicht, ob er dem Orden der Tonkünstler oder den anderen Gelehrten mehr Ehre gebracht. Er war gelehrt in der Gottesgelahrtheit, in den Rechten, Beredsamkeit, Dichtkunst, Mathematik, fremden Sprachen und Musik.“!

Seine Klavierwerke hat die Nachwelt immer mal wieder zur Kenntnis genommen, gegenüber den Vokalwerken blieb sie bis auf die Motette „Tristis est anima“ abstinent. Dabei hätte schon diese Motette neugierig machen müssen auf den einfallsreichen und einfühlsamen, den Werdegang der Kantate von der „Concerto“-Form des 17. Jahrhunderts hin zur aus Rezitativen, Arien und Chorsätzen bestehenden Kantate des 18. Jahrhunderts gestaltenden Thomaskantoren. Seine Weihnachtskantate Uns ist ein Kind geboren (früher BWV 142, jetzt Anh. II 23) wurde sogar seinem Nachfolger Johann Sebastian Bach zugeschrieben.
Kuhnaus Kantatenwerk ist nur arg lückenhaft überliefert. Michael Maul formuliert es so: „Von diesem einst umfangreichen Werkkomplex [an Musicalischen Kirchen-Stücken], der denjenigen seines Amtsnachfolgers Johann Sebastian Bach quantitativ in den Schatten stellt, hat sich nur ein Bruchteil erhalten. Etwas mehr als dreißig ‚Kirchenstücke‘ aus Kuhnaus Feder haben die Zeiten überdauert.“ Dass sich nicht alle gesichteten Kantaten einwandfrei Kuhnau zuweisen lassen (das Kürzel „JK“ kann auch Johann Krieger bedeuten), spielt musikalisch gesehen keine Rolle, in jedem Fall ist Spitzenmusik der Zeit zu hören.

In der vorliegenden CD sind denn auch als musikalische Höhepunkte gleich mehrere Kantatensätze zu benennen: der Eingangssatz von „Gott sei mir gnädig nach deiner Güte“, die volksliedhaften Arien der Soprankantate „Weicht, ihr Sorgen, aus dem Herzen“ und natürlich der glorreiche Schlusssatz von „Singet dem Herrn ein neues Lied“. In hervorragender Erinnerung des Rezensenten sind aus der Vol. II noch immer die Sopranarie „Gelinder West(wind), komm zu mir“ aus der umfänglichen Pfingstkantate „Schmückt das Fest mit Maien“ und die raumgreifende Trinitatislitanei „Gott, der Vater, wohn uns bei“. Dass sich die Ausführenden, zu denen als Altus auch der Herausgeber David Erler gehört, hingebungsvoll und mit viel Entdeckerlust der Musik Kuhnaus widmen, ist Ton für Ton zu hören. Und die Musik ist nicht nur gut geschrieben und klangvoll schön, sondern natürlich auch ihrem Zweck entsprechend theologisch aussagekräftig. Kaum zu glauben, dass sie noch gesteigert werden konnte. Wenn Bach nicht gewesen wäre…


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Augsburger Weihnacht

Interpreten: Ensemble FAMA
Label: Perfect Noise


Der Untertitel „Augsburger Weihnachtsmusik des 17. Jahrhunderts“ klärt, dass es sich hier um Komponisten handelt, die in irgendeiner Weise mit der Stadt Augsburg zu tun hatten. Mit Namen wie Hans Leo Hassler, Christian Erbach u.v.a. mehr bietet die Geschichte der Stadt ja auch einen großen viel versprechenden Fundus. Die Idee zu dieser „Lokal-CD“ ist hervorragend - und die musikalische und die Bookletgestaltung sind gut gemeint. Diese Formulierung beschreibt, dass das Ziel einer ansprechenden Weihnachts-CD leider weit verfehlt ist.

Enttäuschend bereits die stumpfe Akustik des Aufnahmeraumes, die im Gegensatz zum Firmennamen steht. Die ganz ordentliche musikalische Leistung, auch wenn man es hier wohl nicht mit Vokalprofis zu tun hat, wird dadurch konterkariert. Herauszuheben sind die Virtuosität der Blockflötistin Iris Lichtinger und die Kompetenz des Cembalisten und Organisten Michael Eberth, der wohl auch so etwas wie ein Spiritus Rector war. Er hat auch die Günzer-Orgel von 1609 aus der Barfüsserkirche, die jetzt in Gabelbach steht, miteinbezogen, wer verfügt schon über ein solches Instrument für eine solche Programmidee? Aber das Hassler-Magnificat wird nur halb gebracht, die Vokalverse fehlen, obwohl eine Vokalgruppe zur Verfügung stand. Überhaupt fehlen im Booklet alle Angaben zu der Orgel, alle Texte und auch einige Kurzlebensläufe. Bei der Fülle von 16 Tracks bleibt der Einführungstext von Manfred Hermann Schmid notwendig etwas oberflächlich, befasst sich nur mit dem lokalgeschichtlichen und weihnachtlichen Hintergrund. Genauere Angaben zu den einzelnen Stücken, ihre liturgische Einordnung und ihre damalige Aufführungspraxis unterbleiben völlig. Schade, eine gute Idee, nur blieb der Anlauf zu ihr ziemlich stecken!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Samuel Scheidt - Cantiones sacrae

Interpreten: Athesinus Consort Berlin, Ltg.: Klaus-Martin Bresgott
Label: DfK/Carus


Die Einspielung bringt je fünf Psalmmotetten (Ps 13, 121, 147, 148, 150) und Choralmotetten (EG 4, 23, 101, 138, 397) sowie Nun danket alle Gott (Text nach Sirach 50,24ff, Melodie nach Rinckart EG 321) aus der ersten gedruckten Sammlung Scheidts, den Cantiones sacrae (1620), dazu als „Kontrapunkt“ die Motette Die Stimme meines Freundes von Frank Schwemmer (*1961) nach Texten des Hoheliedes und der Sprüche Salomonis (2016).

Die Sammlung SSWV 1 – 39 (i.e. 31 z.T. geteilte Vertonungen von Samuel Scheidt) ist doppelchörig (Hoch- und Unterchor oder gleich) besetzt, ihre Satzart eng verwandt mit seinen Orgelkompositionen der Tabulatura nova 1(624). Tief geprägt war Scheidt durch seinen Unterricht bei Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam, zu dem er von 1607 bis 1609 geschickt worden war. Daher kam auch seine Fachkenntnis über den Orgelbau, berühmt ist die Abnahme der Frietzsch-Orgel in Bayreuth 1619 zusammen mit Johann Staden, Michael Praetorius und Heinrich Schütz.

Scheidts geradlinig polyphone, häufig kanonische, etwas steife Schreibweise kann aber durchaus auch anders als in seiner Tabulatura nova, wie in einigen der hier vorgestellten Motetten zu hören ist. Der Hallesche Hoforganist und Musikdirektor, der unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges arg zu leiden hatte, folgt mit der Veröffentlichung seiner Cantiones sacrae den großen stilbildenden Editionen seiner gleichaltrigen Komponistenkollegen Johann Hermann Schein (1609: Venus-Kräntzlein, 1615: Cymbalum Sionium und 1618: Opella nova. Erster (-ander) Theil Geistlicher Concerten) und Heinrich Schütz (op. 1 Il primo libro de Madrigali (1611), SWV 1–19, und op. 2 Psalmen Davids (1619), SWV 22–47.

Dass Scheidts Vokalopera erst in unseren Tagen wieder an Bekanntheit gewinnen, liegt wie so häufig nicht an der Qualität, sondern am vordergründigen Selektieren der Musikwissenschaft und populärer Rezeption, so ist derzeit nur eine bereits 10 Jahre ältere Einspielung auf dem CD-Markt. Die Einspielung überzeugt jedenfalls vom ersten bis zum letzten Ton, dazu kommt eine sehr gute Einführung des Dirigenten im Booklet. Die ausgezeichnete Interpretation spricht nicht nur für das Ensemble, sondern in gleicher Weise für den Komponisten!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

The Saint and the Sultan 1219 (2 CDs)

Interpreten: Pera Ensemble, Ltg.: Mehmet C. Yesilçay
Label: Berlin Classics


Für diese CD nehmen Sie sich bitte Zeit, viel Zeit!
Bitte informieren Sie sich zunächst über Sufismus, über die Seldschuken, über die Kreuzzüge, speziell über den 5. Kreuzzug nach Damiette am Nildelta, über die Reise von Franziskus 1219 zum Sultan Al Malik Al Kalim, dann über das türkische Pera Ensemble in München, seinen Leiter und Ideenlieferanten Mehmet C. Yeşilçay und ihre hier verwendeten Instrumente wie Oud und Colascione (Lauten), Saz (Langhalslaute), Kemençe (gestrichene Kastenhalslaute), Rebab (zweisaitige Stachelfidel), Kanun (Zither), Ney (Endkantenflöte), Mey (Kurzoboe ohne Schallbecher), Zurna (Trichteroboe) und diverse nahöstliche Perkussionsinstrumente, und laden Sie sich das vollständige Booklet mit einem Aufsatz zur Motivation dieser CD und den gesungenen Texten, die im mitgelieferten Booklet leider fehlen, herunter: https://www.dropbox.com/sh/3raywcd7gchyi0e/AACd6mruox6ofgfKFrKYsrgMa?dl=0!

Eigentlich ging es nur um das Zugangsrecht zu den Heiligen Stätten dreier Religionen in Jerusalem - noch heute machen etliche sich und anderen daraus ein Problem. Um 1073 waren es die muslimisch gewordenen Seldschuken, die in Jerusalem wenig tolerant mit Ausschreitungen gegen die christliche Bevölkerung vorgingen, wogegen sich das inzwischen ziemlich geschwächte Byzanz nicht mehr zu wehren wusste. Seitdem vermeinten die Päpste, das Heft in die Hand nehmen zu müssen und die abendländischen Ritter & Co. in gesellschaftlich hoch angesehenen „Kreuzzügen“ zu vereinen. Dazu halfen Ablassversprechen mit guten Aussichten nach dem Tod, der vermeintliche Beistand von Märtyrern, Heiligen und Maria, Mord und Totschlag und Plünderungen etc. mitinbegriffen. Und Handelsleute wie die aus Venedig wollten ihre Marktsituation verbessern. Dass das alles von den Teilnehmern ehrlich gemeint war, ist z.B. dem Palästinalied von Walther von der Vogelweide zu entnehmen. Mittendrin versuchten die neu gegründeten Ritterorden zunächst einmal, das folgende körperliche und seelische Leid auf christlicher Basis zu mildern.

Aktueller Hintergrund zu diesen beiden CDs, die das renommierte Pera Ensemble hier mit insgesamt 35 Tracks vorlegt, ist das genau 800 Jahre zurückliegende Treffen zwischen Franziskus und dem damals neuen jungen Sultan der Ayyubiden Al Malik Al Kalim in Damiette am Nildelta. Was Franziskus trieb, sich dem 5. Kreuzzug anzuschließen, ist in der Gemengelage zwischen dem Aufbau und der papstgeführten Festigung seines Ordens und den langjährigen weltkriegsartigen Machtkämpfen in der Levante nur zu vermuten. Das versammelte Heer der Kreuzritter unter dem kompromisslosen päpstlichen Legaten Kardinal Pelagius von Albano belagerte die Festung Damiette bereits seit April 1218, Franziskus kam also in eine bereits ziemlich ausgehungerte muslimische Festung, predigte dort vor einem geduldig zuhörenden Sultan, dessen Macht noch keineswegs gefestigt war und der deshalb gerne verhandelt hätte (Übergabe Jerusalems einschließlich aller Gebiete des ehemaligen Königreiches Jerusalem etc.), aber Pelagius wollte nur Kampf, Ruhm, Ehre und Reichtum. Eine Taufe war für den Sultan natürlich kein Thema, unverrichteter Dinge fuhr der Bettelmönch also zurück nach Italien. Im November 1219 fiel die Festung in einem fürchterlichen Gemetzel, die wenigen Überlebenden wurden versklavt.

Zu diesem geschichtlichen Ereignis hat Mehmet C. Yeşilçay auf der ersten CD Kreuzzuglieder, Sätze aus den Cantigas de Santa Maria (Spanien, Mitte des 13. Jh.) und den Laudario di Cortona (Franziskus, 2. Hälfte 13. Jh.), Sufilieder und Instrumentalstücke aus Orient und Okzident zusammengestellt. Die zweite CD ist ganz der Improvisation gewidmet, u.a. unterlegt mit den Texten des Sonnengesangs und einem Derwisch-Pendant dazu. Improvisationen verschiedener Art, meist einstimmig über einem Bordunton aber mit höchst abwechslungsreichen Klangfarben der eingesetzten Instrumente, verstehen zu faszinieren über zur Ekstase führenden Sufitexten oder einem Text von Jacopone da Todi. Nicht unbekannt kommt der Sound dieser Musik herüber, hat sich da etwas in den letzten 800 Jahren geändert? Der Rezensent muss hier seine ganze Unwissenheit dieser Kultur eingestehen, hört deshalb gebannt zu und sucht, die Musik, oft in Refrainform, hörend zu analysieren, was ob der unbekannten Sprache und Schrift im Booklet eine nur ganz schwer zu bewältigende Hürde darstellt.
Dass das Pera Ensemble die Musik höchst gekonnt und staunenswert virtuos musiziert, ist bewundernswert. Dass es den Hörer damit allerdings auch (über-)fordert und folglich auch fördert, ist eine zwangsläufige Folge. Noch mehr theoretisch sachliche Hilfe hätte das Booklet hier gerne bringen dürfen.

Die Botschaft dieser Einspielung - wenngleich das Booklet etwas schwarz/weiß zeichnet, wenn es ausschließlich die Christen als mordlüstern darstellt - kommt jedenfalls klar herüber: Mystiker aller Länder und Religionen vereinigt euch! Ihr habt keine Schwierigkeiten damit, Gott einhellig und wie hier ein- oder mitstimmig zu loben, sich ihm anzuvertrauen und von ihm angenommen zu werden, in ihm aufzugehen. Trouvere-, Troubadour-, Minnelieder – so manche werden ihren Ursprung als Kreuzzuglieder zum Abschied von einer Frau verdanken – mögen als solche musikalisch interessant sein, sogar ihren z.T. bloße Gewalt schildernden Inhalt vor schmissigen, mitreißenden Klängen und Rhythmen verbergen, aber sie und ihresgleichen künden doch oft nur von menschlichen Rang- und Machtgelüsten. Für wen waren oder sind die gut, wenn doch ein christlicher Mystiker oder ein muslimische Sufi die Ewigkeit herbeisehnt? Wenn der letzte Track die Sure Al-Ahzab 33/56 (Gott und seine Engel sprechen den Segen über den Propheten. O ihr, die ihr glaubt, sprecht den Segen über ihn und grüßt ihn mit gehörigem Gruß) bringt, den Benjamin Idriz mit Inbrunst singt, wird ein Doppelpunkt und ein Ausrufezeichen gesetzt: der christliche Gott sei mit eingeschlossen, besser noch seien beide vereint!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Voix du Ciel - Polyphonies Medievales et Chants Sacres (2 CDs)

Interpreten: Ensemble Gilles Binchois, Ltg. Dominique Vellard
Label: evidence


Mit dieser CD gratuliert sich das französische Ensemble Gilles Binchois zu seinem 40. Geburtstag. 1980 begann Dominique Vellard sein Ensemble für Musik des 9. bis 16. Jahrhunderts aufzubauen und mit inzwischen 40 Einspielungen von einem Erfolg zum nächsten zu führen. So bietet diese Doppel-CD Ausschnitte aus Produktionen mit den Titeln Canticas de Santa Maria, Polyphonies oubliées, Codex Las Huelgas u.a. Vertreten ist ein-, bzw. mitstimmige Musik von wenigen Zupf- und Streichinstrumenten begleitet, frühe Organa aus der Pariser Notre-Dame-Schule des Perotin, liturgische polyphone Musik wie Simeons Nunc dimittis und der Hymnus Ut queant laxis, Evangelienvertonungen wie die Seligpreisungen, bis hin zu mehrstimmigen Messesätze von Isaac und Okeghem (Offertoire eines Requiems).  

Das vielfach ausgezeichnete und weitgereiste Ensemble bietet mit diesem Rückblick eine wahre Ohrenfreude, für den Rezensenten sind das zweistimmige Organum Responsorium: Et valde und das Nunc dimittis Höhepunkte dieser Produktion, auch wenn man die französische Aussprache des lateinischen Textes erst verstehen lernen muss. Dass diese alte Musik reibungslos zu moderner Musik mit ihren Clustern führt, beweist Dominique Vellard mit zwei eigenen Sätzen: Requiem: Introitus und Graduale.

Im reich bebilderten Booklet liefert er einen warmherzigen Rückblick. Wie schön, dass mit dieser Doppel-CD eine nachhaltige Teilnahme am Geburtstag möglich ist.


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Eine spätmittelalterliche Messe

Interpreten: Göttinger Choralschola „cantando praedicare“, Ensemble Aeolos
Label: Cantate


Das Göttinger Stadtarchiv birgt eine spätmittelalterliche Handschrift, das St.-Johannis-Missale. Sie enthält sechs Messen, die für den Johannestag bestimmte hat hier die Göttinger Choralschola „cantando praedicare“ eingesungen. Anstelle der Lesungen und der für den Priester bestimmten Teile erklingt Instrumentalmusik, entweder Motetten von Philipp de Vitry oder Improvisationen über direkt vorhergehende Takte.

So gewichtig das Vorhandensein des Göttinger Missales schon an sich ist, so gewichtig ist auch das Wissen um die damalige Aufführungspraxis. Die Göttinger Choralschola singt die Weisen getragen und feierlich, umflort vom schönen Nachhall der Lippoldsberger Klosterkirche. Überraschend begegnet man dabei dem uns auch heute noch bekannten Kyrie fons bonitatis, (EG 178,4), zu widersprechen ist der Bookletbehauptung im sonst kundigen Einführungstext von Johanna Crüger, dass die Ordinariumsteile vom Volke mitgesungen wurden, also auch von Frauen. Das ist in traditionellen Klöstern selbst heute noch nicht der Fall.

Sehr verdienstvoll ist es, diese spätmittelalterliche Messepraxis aus norddeutscher Quelle wieder präsent zu machen! Es ist ein hervorragendes Bild der Frömmigkeit und musikalischen Könnens kurz vor der Reformation.


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Dieterich Buxtehude - Cantatas pour Voix Seule

Interpreten: Mailys de Villoutreys, Sopran / La Rèveuse
Label: Mirare


Sopran-Solokantaten aus der Düben-Sammlung in den Uppsala Manuscripten von Tunder, Buxtehude, Förtsch und Christian Geist, begleitet mit zwei Violinen, vier Gamben und Continuo, bestehend aus Orgel, Clavecin und Theorbe, dazu Sonaten für drei Gamben eines anonymen Meisters, der Triosonate op. 1,6, BuxWV 257, und einer Sonate für zwei Gamben von Gabriel Schütz, das ist das Programm, welches Florence Bolton (Gambe) und Benjamin Perrot (Theorbe), die beiden Vorreiter von La Réveuse, für diese Einspielung ausgesucht haben.

“Ach Herr, lass dein lieb Engelein”, Tunders Vertonung von Martin Schallings Choraltext (EG 397,3) von 1571 als Track 1 gibt das Thema der CD vor, der sich Buxtehudes Vesperpsalm 110 “Dixit Dominus” und der Bußpsalm 130 “Aus der Tiefen” von Johann Philipp Förtsch anschließen. Über die Hinweise auf das österliche Geschehen (Joh 3,14f “Sicut Moses exaltavit serpentem”, BuxWV 97, und der Osterintroitus “Resurrexi, et adhuc tecum sum”, Ps 18,5f aufnehmend von Christian Geist) führt Buxtehudes Kantate (Psalm 73,25f “Herr, wenn ich nur dich habe”, BuxWV 38, zum nachdenklichen wie tröstlichen Ende.

Diese Musik einschließlich der rein instrumentalen Sonaten ist sicherlich zweckbestimmt für das häusliche Musizieren, ob sie auch in Gottesdiensten z.B. sub communione oder bei einer seiner Abendmusiken in St. Marien erklang, ist nicht bekannt, aber durchaus möglich. Dass der Stylus phantasticus mit frei zu interpretierenden Stellen sowie schnell wechselnden Tempoabschitten Sonaten wie Kantaten prägt, versteht sich von selbst. Dieser speziellen Satztechnik war Buxtehude ein engagierter und ganz wichtiger Vertreter seiner Zeit.

An Engagement lassen es sich bei dieser Einspielung Mailys de Villoutreys und die Mitglieder des Ensembles La Reveuse mit Florence Bolton, Gambe, und Benjamin Perrot, Theorbe, nicht fehlen. Mailys de Villoutreys weiß die Musik so treffend zu modulieren, wie es nur wenige andere auch können. Dass es alle an zugehöriger Virtuosität und gestalterischer Sorgfalt nicht fehlen lassen, ist selbstverständlich. Dem Hörgenuss fügt Florence Bolton einen kundigen Einführungstext im Booklet hinzu, in dem er sich vor allem Lübeck und seiner Musikerzcene im 17. Jahrhundert  widmet. Sehr zu empfehlen!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Magnificat - Christmas in Leipzig

Interpreten: Solomon’s Knot, Künstlerische Leitung: Jonathan Sells
Label: Sony


Ein schönes Cover (Gewölbe der Thomaskirche) und eine tolle Programmidee, drei Thomaskantoren mit Spitzenstücken zu einer Advents-, bzw. Weihnachts-CD zusammen zu spannen. James Halliday schreibt dazu einen nicht allzu tief schürfenden Beitrag im Booklet. Johann Schelles großartige Psalmvertonung „Machet die Tore weit“, Johann Kuhnaus Magnificat C-Dur mit den Zwischenmusiken, die auch Bachs Magnificat Es-Dur , BWV 243a, auszeichnen,  versprechen eine fesselnde Stunde Musik, die Kompositionen erfüllen dieses Versprechen natürlich auch selbstverständlich.

Solomon’s Knot ist ein englisches Instrumental-/Vokal-Ensemble, das ohne Dirigenten musiziert, sich auch was darauf zugutehält, dass die Vokalisten auswendig singen. Der künstlerische Leiter Jonathan Sells singt Bass. Die Vokal-Partien sind alle einzeln besetzt, die Vokalisten wechseln sich auch innerhalb einer Komposition ab. So weit, so gut!

Bereits der erste Sopranton allerdings überrascht, ist doch das Vibrato der Sopranistin so intensiv und weit gespannt, dass man erschrickt, hat man doch eine kundige Aufführungspraxis erwartet, in der als seltene Verzierung auch einmal ein Mezza di Voce erscheint, ansonsten aber ohne Vibrato gesungen wird. Im unauffällig aufgenommenen Instrumentalpart ist solch kundige Aufführungspraxis zwar meist gegeben, im Vokalpart leider überhaupt nicht. Nahezu jeder gesungene Ton (mit wenigen Ausnahmen) erfährt ein solches Vibrato, die Schlussakkorde, die man von anderen Gruppen sauber stehend gewohnt ist, erinnern eher an die schlimmsten Zeiten deutscher Rundfunkchöre. Dass die Instrumente nicht gleichberechtigt präsent, die Trompeten sogar noch extra leise gedimmt sind, ist ein Unding für diese Musik. So wendet sich der Rezensent mit seltenem Grausen, hoffentlich platzt der Knoten bei dieser Gruppe noch einmal.


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

All Lust und Freud - Süddeutsche Claviermusik um 1600
Das Clavicytherium des GNM Nürnberg


Interpret: Bernhard Klapprott
Label: Aeolus


Das im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg erhaltene unsignierte Clavicytherium ist um 1620 von einem unbekannten Meister gebaut worden. Bei dem Instrument steht der Resonanzkasten senkrecht (Giraffenflügel), hat also eine Mechanik mit Umlenkungen, die die Spieltechnik beeinflusst. Der Klang ist himmlisch schön, reizvoll obertöniger als gewohnt.

Der Weimarer Professor Bernhard Klapprott hat darauf Werke vornehmlich aus der voluminösen 16-bändigen Turiner Tabulatur von 1637 – 1640 eingespielt, Werke von Christian Erbach, Johann Staden, Jakob Hassler, Valentin Dretzel, Carl van der Hoeven und Hans Leo Haßler, außerdem noch von Jacob Paix (Tabulaturbuch 1583) und Heinrich Pfendner, also einen Querschnitt durch die Nürnberger Praxis um 1600. Dabei handelt es sich um Canzonen, Motetten-Intavolierungen, Ricercari, Toccaten, Tänze jeder Art, Variationen und Liedsätzen.

Von Thomas Röder stammt die sehr gute Programmeinführung im Booklet, Bernhard Klapprott erläutert die Spielpraxis der Zeit mit Diminutionen, die früher häufig als Koloristenzeit abgetan wurde. Seine Einteilung der ausgewählten Literatur nach Werken, die kaum, wenig, modellgebend und reich verziert werden müssen, ist logisch nachvollziehbar.

Klapprotts Spiel ist natürlich makellos, inspiriert und von großer Sorgfalt und Detailgenauigkeit  geprägt. Nur kann man, wenn der Notentext nicht vor dem Hörer liegt, seine Verzierungstechnik nicht nachvollziehen, was den Klangeindruck zwar nicht stört – das wunderschön klingende Instrument tut das seine dazu – aber doch den Zweck der Vorlesung, bzw. des Vorspiels torpediert. Gut wäre es, wenn Klapprott einige Sätze modellhaft ins Internet stellen würde. Doch was noch nicht da ist, kann ja noch kommen. Darum gerne eine Empfehlung, schon wegen des Instrumentes!


Rainer Goede
April 2020 / November 2020

Codex Speciálník

Interpret: Cappella Mariana, Vojtech Semerád
Label: Et'Cetera


Der Codex Speciálník, ein Missale der Utraquisten in Prag aus den beiden späten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, beinhaltet über 200 mehrstimmige Gesänge des Ordinariums, Motetten und geistliche Lieder. Einige Komponisten wie Josquin, Finck und Obrecht sind bekannt, die meisten Stücke sind anonym verfasst, tschechisch getextet oder unterlegt und sind für eine gemischt vokal-instrumentale Besetzung  gedacht.

Die Aufnahme spielte die Cappella Mariana, die über 5 Vokalstimmen, Zink, Posaunen und Organetto, die für interessante Klänge sorgt, verfügt, unter der Leitung von Vojtech Semerád ein. Für den letzten Track , die Sequenz von Notker Balbulus  Benedicta semper sancta sit trinitas, stand zum Alternatim-Spiel auch die Klausing-Orgel der Klosterkirche Oehlinghausen (1714/2002, II/19), die für die ganze Aufnahme genutzt wurde, zur Verfügung, sie darf dabei aber kaum ihre klanglichen Qualitäten entfalten. Dass die Cappella engagiert und kompetent auf hohem Niveau musiziert, ist selbstverständlich und sehr anerkennenswert.

Die Aufnahme bringt u.a. die Wenzelshymne im damals üblichen Stil mit schnellen Oberstimmen bei in großen Notenwerten vorgetragenem Cantus firmus, das uns auch heute gut vertraute Kyrie fons bonitatis (EG 178,4) und das ergreifende anonyme Miserere nostri Domine. Die meisten Stücke sind hier zum ersten Mal eingespielt, insofern genießt die CD einen Premierencharakter. Die Variabilität der franko-flämischen Musik, wie sie hier mit Beispielen aus West-, Süd- und Osteuropa zusammengetragen ist, nimmt für die Kultur im hussitischen Prag ein und gibt von der schon um 1500 transkonfessionellen Tradition der Musik ein beispielhaft frühes Exempel.


Rainer Goede
April 2020 / November 2020

Ferdinando Gasparo Turrini - 12 Sonatas für Harpsichord (2 CDs)

Interpret: Michele Barchi
Label: Brilliant


Ferdinando Gasparo Turrini (1745 – 1820?) war Schüler seines Onkels Ferdinando Bertoni in Venedig (1. Organist an S. Marco), wurde 1766 Organist in Padua (S. Giustina), 1773 erblindete er, um 1800 zog er nach Brescia als ein geachteter und gesuchter Lehrer. Von seinen Kompositionen ist nur wenig überliefert, neben den hier eingespielten sechs dreisätzigen Sonaten der „Raccolta Fini“ und den sechs zweisätzigen Sonaten der „Raccolta Spinola“ gibt es noch sechs Cembalosonaten „Opus Mangili“ (1795), sechs Cembalosonaten mit Begleitung einer Violine und eine Fuge (1784). Überliefert sind auch noch sechs Konzerte für Cembalo und Streicher, eine Anzahl von Arien, Variationen, Hymnen, Oratorien und Psalmvertonungen. Die Sonaten sind für das Cembalo oder Pianoforte bestimmt, die Dodici sonate per il Cembalo-Pianoforte (Mailand 1807) sind Muzio Clementi gewidmet.

Michele Barchi bringt die im empfindsamen Stil verwurzelten Stücke bravourös auf die Platte, gerne hört man ihm zu, wie die schwungvollen Melodien zu opernähnlichen Schlüssen führen, Clementi und Dussek liegen da wahrlich nahe, manchmal ist das natürlich auch ‚viel Lärm um Nichts‘. Er spielt wechselweise auf einem ein- oder zweimanualigen Cembalo, das schöne dynamische Schattierungen erlaubt. Das Booklet (nur engl./ital.) bringt eine gute Einführung von Mariella Sala. Eine unterhaltsame wie überraschende Ausgrabung!


Rainer Goede
April 2020 / November 2020

Sinnbilder im Sakralraum - Die Kirche in Lucklum

Herausgeber: Johann Anselm Steiger, Michael Schilling und Stefanie Arend
Verlag: Schnell + Steiner


Ein Kompendium der geistlichen Emblematik der Frühen Neuzeit

Die evangelische Deutschordenskommende Rittergut Lucklum liegt zwischen Wolfenbüttel und dem Elm. In der Kommendekirche mit ihrer Engelhardt-Orgel (1862 II/12) steht an der Südseite das große Grabdenkmal für den Landkomtur Jan Daniel von Priort (1618–1683), umrahmt von den Wappen seiner Familie. Daneben beherbergt die Kirche eine singuläre fast lückenlos überlieferte, äußerst umfängliche Bild- und Inschriftenausstattung in Grisaille-Malerei, die um 1700 ausgeführt wurde. Sie umfasst 156 Sinnbilder und 210 Inschriften an Kanzel, Gestühl, Brüstungen, Wandverkleidungen, an und in der Komturloge und an den Decken. Diese sind das Thema des eben erschienenen Buches, das ob seiner inhaltlichen, photographischen wie bibliographischen Qualität wärmstens zu empfehlen ist.

Jedes Emblem wird in einer hervorragenden Photographie und mit einem erläuternden Text vorgestellt. Ein Buch zum Schauen und Lernen. Die Emblematik seit dem 15. Jahrhundert findet hier eine nahezu erschöpfende Darstellung. Was das mit dem Thema Orgel zu tun hat? Z.B. ist an der Prieche unter der Nordempore Bild und Inscripten zu einer Orgel mit aufgeschlagenem Notenbuch zu sehen: AD AETERA VOCES (Stimmen zum Himmel) und DABIT AURA LOQUELAM (Der Hauch wird die Stimme verleihen), dazu eine Seite Text über das Woher und die christliche Bedeutung (Pfingstwunder und viele Gaben).

Zu empfehlen ist, jeden Tag ähnlich der täglichen Losung nur ein Emblem zu betrachten, sonst kann einem schnell der Kopf schwirren. Das Buch empfiehlt sich ebenso als Geschenk, für den Preis ist es sowieso schon halb geschenkt. Nur selten gibt es solch gute Literatur zur christlichen Bildung wie dieses Buch! Ein Buch, das man mit großem Gewinn liest und immer wieder betrachtet.


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Johann Friedrich Doles Jr. - Keyboard Sonatas

Interpret: Jenny Soonjin Kim
Label: Brilliant


Wer hat gewusst, dass der Thomaskantor Johann Friedrich Doles (1715 – 1797) einen Sohn gleichen Namens (1746 – 1796) hatte? Und dass dieser Sohn solch schöne Sonaten, eben die Sei sonate per il clavicembalo solo (Riga 1773) schrieb? Johann Friedrich Doles Jr. war Notar und Advokat in Leipzig, aber bei dem Vater konnte er von der Musik natürlich nicht lassen.

Die Amerikanerin Jenny Soonjin Kim hat die dreisätzigen Sonaten stilgemäß auf einem Walker-Fortepiano von 1987 eingespielt. Die galanten Sonaten sind ein Vergnügen für die Ohren, beste Unterhaltung ist garantiert bei einer Pastorale, Menuetten, Scherzi und der Polacca I & II. Kims rasantes Spiel setzt die Piecen in ein schönes Licht der Unbeschwertheit und Muße. Das Booklet bringt eine kundige Einführung von Robert Zappulla (nur engl.) und verschweigt die Tonarten der Sonaten. Eine einfach schöne CD!


Rainer Goede
Mai 2020 / November 2020

Xiaogang Ye: Gardenia - für Pipa und Streichquartett op. 78

Komponistin: Xiaogang Ye
(UA 22.Juni 2017 New Haven/USA)
Verlag: Schott Music


Duft, Blütenpracht und Zauber subtropischer Pflanzen hat der in China und den USA lebende Komponist Xiaogang Ye in Klänge gefasst mit seiner „Tropic Plant Serie“, die aus mehreren einsätzigen Werken für kleinere Kammerensembles besteht. Nach Datura (Fl/Vl/Vc/Kl), December Chrysanthemum (Fl/Kl), Hibiscus (6 Spieler), Enchanted Bamboo (Kl/Strqu) und Scent of the Green Mango (Kl/Orch) ist vor kurzem das Werk mit der instrumental bislang ungewöhnlichsten Besetzung bei Schott erschienen: Gardenia für Pipa (das ist die traditionelle chinesische Laute) und Streichquartett.

In China steht die Gardenie für ewige Freude. Sie ist im Südosten beheimatet, zählt zu den Kameliengewächsen, blüht üppig weiß und duftet berauschend. Da ihre Blüten häufig zum Anstecken verwendet werden, trägt sie auch den Namen „Knopflochblume“. Die südchinesischen Stadt Yueyang ernannte sie zu ihrer Wappenblume.
Ihren Duft meint man atmen, ihr Aufblühen beobachten und dieser (eher stillen) Freude nachspüren zu können im Verlauf des Werkes, das sofort gefangen nimmt durch die dichte Atmosphäre der vorwiegend zarten, immer wieder neu interessanten Klänge.

Leise Pipa-Töne im Flageolett, gefolgt von pizzicati in den Streichern, führen eröffnend in das Stück hinein, dann entwickelt sich im Hin und Her zwischen rhythmisch und lyrisch betonten Abschnitten ein auch für Ersthörer gut nachvollziehbarer Spannungsbogen, der seinen Kumulationspunkt erst kurz vor Schluss erreicht. Bis dahin mischen sich expressionistisch anmutende Klänge mit – wie dem Vorwort zu entnehmen ist – „Elementen von Volksopern und Volksliedern aus der Gegend von Yueyang“ – was die Verbundenheit des Komponisten mit der Musik und der Landschaft seiner Heimat bekräftigt. - Nach Erreichen des Höhepunktes wandern gleichmäßig ruhige Wellenbewegungen von Triolen, Quintolen, Septolen und Synkopen abwechselnd durch alle Stimmen und führen den Satz schwebend zurück bis in die Unhörbarkeit – ein beeindruckender Schluss nach einem beeindruckenden Ganzen.

Xiaogang Ye verwendet konventionelle Notation ohne ausgefallene Spieltechniken wie sie in zahlreichen anderen Kompositionen der Moderne üblich sind. Ye begnügt sich auch mit dem westlichen dualen Tonsystem selbst für die Zitate aus der chinesischen Volksmusik, d.h. er verzichtet auf Mikrointervalle o.ä. Kleine Notenwerte unterstreichen die zarten Klangfarben, jedoch wählt Ye ein sehr langsames, wenn auch mehrfach wechselndes Zeitmaß in häufig abwechselnden Taktarten. Auch rhythmisch bleibt Ye konventionell und in der Stimmenverflechtung unkompliziert.

Die klangliche Anpassung an die Spieltechnik der Pipa erreicht Xiaogang Ye in Abschnitten mit schnellen Tonrepetitionen im Streichquartett durch tremoli, melodiöse oder akkordische Abschnitte der Pipa werden hingegen im pizzicato oder legato beantwortet. Zum Höhepunkt des Satzes führen große Doppelgriff-Glissandi und gemeinsames akkordisches Spiel. So kommt es im ganzen Werk sowohl zu lebhafter Zwiesprache als auch zu Klangverschmelzung, aber ebenso zu klanglich kontrapunktischer Gestaltung in kantablen Abschnitten.


Xiaogang Ye (*1955) zählt zu den führenden zeitgenössischen Komponisten Chinas: Große sinfonische Werke, Kammermusik in diversen Besetzungen, Solokonzerte (u.a. ein Klavierkonzert zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Bejing 2008, damals gespielt von Lang Lang) bis hin zu Filmmusik wurden nicht nur in Asien, sondern in den großen internationalen Konzertsälen, auch Berlin und München, aufgeführt. Der Komponist arbeitet abwechselnd in Peking und den USA, er leitet das wichtigste Musikfestival in Bejing, ist Vize-Vorsitzender des chinesischen Musikrats und berät das chinesische Parlament in Kulturfragen. 2020 wurde er zum Mitglied der American Academy of Arts & Science berufen.
Immer wieder spiegelt sich in Yes Musik seine enge Verbundenheit mit der Natur seiner Heimat Südchina und der Religion des Buddhismus wieder. In seinem „Lied von der Erde“ verwendet er dieselben (ursprünglich chinesischen) Texte wie bereits Gustav Mahler.

Gardenia ist ein weiteres Beispiel für diese gelungene Verbindung der Kulturen in Xiaogang Yes Kompositionen – und dafür, dass zeitgenössische Musik die Sinne ansprechen und für Freude sorgen kann wie eben die Gardenie.


Dorothee Knauer - für www.notenkeller.de
Juni 2020 / November 2020
giuseppe sammartini - sonatas for recorder and basso continuo 1

Interpreten: Andreas Böhlen (Recorder), Michael Hell (Harpsichord), Daniel Rosin (Baroque Cello), Pietro Prosser (Lute)
Label: Aeolus


Es ist immer wieder eine Freude, wenn man eine CD auf dem Rezensions-Stapel hat, die einen nicht loslässt. Die man immer wieder von vorne hört und auf der man bei jedem Hören etwas neues Faszinierendes entdeckt. Und wer hätte gedacht, dass das mit Werken des altehrwürdigen Meisters Giuseppe Sammartini geschehen kann. Oft gehört, schon bekannt. Von wegen.

Die Art und Weise, wie der Blockflötist Andreas Böhlen und seine Kollegen Michael Hell (Cembalo), Daniel Rosin (Barockcello) und Pietro Prosser (Laute) mit dieser Musik umgehen, ist einfach umwerfend. Mitreissend. Begeisternd.
Nehmen wir als Beispiel die Sonate für Flöte und basso in c-moll. Sie beginnt gleich mit rasanten Läufen in Flöte und Cembalo, dabei von beiden Musikern so wunderbar akzentuiert, dass sie wie ein guter Krimi wirkt. Absolut spannend. Nicht einen Moment langatmig oder langweilig.
Andreas Böhlen zeigt sich auf dieser CD als brillanter Flötist mit einer immensen Spielfreude und flinken Fingern. Und die anderen Musiker, allen voran Michael Hell am Cembalo, ziehen mit Begeisterung mit. Technisch hervorragend, gepaart mit einer Musizierfreude, die ihresgleichen sucht.

Das hervorragende dreisprachige Booklet bietet einen umfangreichen Text zu Sammartinis Blockflötensonaten und den auf der CD eingespielten Stücken. Ergänzt wird es durch Informationen zu den Künstlern, die diese hervorragende CD eingespielt haben.

Fazit: Rundherum empfehlenswert – nein, eher ein “muss-ich-haben".


Daniel Kunert
April 2020 / September 2020
Telemann - Six Ouvertures TWV 32:5-10

Interpret: Gaku Nakagawa
Label: Naxos


Six Ouvertures, mit zwei weiteren Sätzen betitelte Telemann seine 1745 bei Balthasar Schmid in Nürnberg gedruckten Cembalo-Piecen. Französische und italienische Einflüsse mischen sich hier, auch eine polnische Polonaise stand Pate. Die Eingangssätze sind alle als französische Ouvertüren gestaltet, die aber nach der folgenden Fuge nicht unbedingt wiederkehrt, ihre Mittelsätze sind vielgestaltig bis hin zu einer 6/4-Gigue. Die zweiten Sätze tragen alle die Bezeichnung Scherzando, derjenige der letzten Suite ist eine Pastorale im geraden Takt. Die dritten schnellen Sätze sind z.T. als Concerto oder Gavotte gestaltet. Telemanns Erfindungsreichtum ist eben so weit gefächert wie sein Leben lang war.

Der 1993 geborene junge Gaku Nakagawa kommt aus der Schule Glen Wilsons in Würzburg, eine glänzende Voraussetzung für diese Einspielung, die Wilson auch initiierte. Seine spielerische Präsens wie Zuverlässigkeit und musikalische Gestaltung überzeugen, die ist aber fast zu abgeklärt und lässt persönlichen Ausdruck kaum zu, die Spieltechnik dominiert die Interpretation. Leider verschweigt das Booklet, welches Instrument bei der Aufnahme zur Verfügung stand. Mit seiner Einspielung aber bereichert Gaku Nakagawa den noch ziemlich leeren CD-Markt von Telemanns insgesamt 175 Cembalokompositionen auf eine glückliche Weise.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Schubert | Liszt

Interpretin: Jimin Oh-Havenith
Label: Audite


Es gibt Klavierwerke, die muss man sich förmlich auf der Zunge - oder in den Ohren - zergehen lassen. Werke, die zutiefst berühren und in Welten führen, in die der Alltag nicht hineinreicht. Dazu gehören die Klavierwerke, die auf dieser CD eingespielt wurden: Franz Schuberts Klaviersonate Nr. 18 “Fantasia” und die Klaviersonate h-moll von Franz Liszt. Wunderbare Klaviermusik, die trotz ihrer Brillanz eine so wunderschöne Klarheit und Einfachheit aufweist, dass Herz und Sinne es rundum genießen können.

Warum Schubert und Liszt auf einer CD vereint wurden, darüber berichtet Wolfgang Rathert in einem ausführlichen Beitrag im Booklet. Ein kleiner Text über die Pianistin Jimin Oh-Havenith ist noch ergänzt. Schmal, aber ausreichend, dies Beiheft.

Zurück zur Musik: Jimin Oh-Havenith bietet dem Hörer einen großartigen Musikgenuss. Teilweise kräftig zupackend - besonders am Beginn der h-moll-Sonate -, teils zärtlich und liebevoll, dabei immer sehr ausdrucksvoll und genießerisch. Die einzelnen Sätze der Fantasia sind klanglich so deutlich, markant und nachvollziehbar, dabei technisch tadellos, dass man sich wirklich in der Musik verlieren kann. Und die h-moll-Sonate ist einfach grandios. Als Werk, wie auch als Interpretation. Dabei darf natürlich der hervorragend klingende Bösendorfer-Flügel des Leibniz-Saal in Hannover nicht unerwähnt bleiben.
Eine CD, die Klavierliebhaber sich sicher immer wieder gerne anhören.


Daniel Kunert
April 2020 / September 2020

Fantasies & Illusions – Bach’s Sons and the Fortepiano

Interpret: Slobodan Jovanovic
Label: K&K


Der serbische Cembalist und Komponist Slobodan Jovanović aus Karlsruhe hat diese CD auf einem Fortepiano/Hammerflügel aus der Werkstatt von Susanne Merzdorf (Remchingen 2017) nach Anton Walter (Wien 1782) eingespielt. Das Instrument klingt sehr angenehm, klar und hell, ein richtiges piano ist auf dieser CD allerdings nicht zu hören.

Jovanović hat sich Werke der beiden älteren Söhne Bachs, Carl Philipp Emanuel (1714 – 1788) und Wilhelm Friedemann (1710 – 1784), aufs Notenpult gestellt. Vor allem lag ihm an den beiden Fantasien, der berühmten Fantasie fis-Moll, Wq 67 (Hamburg 1787) von Carl Philipp Emanuel und der Fantasie C-Dur/a-Moll, BR-WFB A 26 (c 1770), von Wilhelm Friedemann, deren exzeptionelle Ausdruckskraft eigentlich ein Nachläufer des barocken freien Rezitativ-Stils ist, das, was Buxtehude u.a. mit dem Begriff „Con discrezione“ oder mit dem Stylus phantasticus gemeint haben. Diese Freiheit nimmt Jovanović sehr individuell und beispielhaft.
Ferner hat er Carl Philipp Emanuels Sonata No. 4 A-Dur, Wq 55,4, aus den Sechs Clavier-Sonaten für Kenner und Liebhaber, Erste Sammlung (Leipzig 1779) und die phantastischen 12 Polonaisen, BR-WFB A 27-38 (c 1770/1775), von Wilhelm Friedemann eingespielt, ebenfalls in schöner Freiheit gestaltet. Der Klang des Fortepianos tut das Seine dazu, dass diese Musik wirklich gefangen nimmt. Wenn auch die Werke der Bachsöhne natürlich für das Clavichord geschrieben sind, das Fortepiano stellt ihre damalige Modernität noch klarer heraus.
Slobodan Jovanović (*1977) nutzt seine Einspielungen auch immer dazu, seine eigenen Kompositionen zu promoten. Hier ist es Iluzija (1996), dessen Vorbild in der späten Barockmusik zu vermuten ist. Das gut informierende Booklet hätte sicherlich lesbarer gestaltet werden können, das Cover zeigt den Interpreten mit abgeschnittenem Kopf. Dass hier die älteren Werkverzeichnisse benutzt werden anstelle der aktuellen, muss noch angemerkt werden.
Insgesamt eine schöne, gekonnte Einspielung!


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Pachelbel - Hexachordum Apollinis

Interpret: Wim Winters
Label: Authentic Sound AS


Pachelbels Variationen der Hexachordum Apollinis (1699) sind das Programm der ersten CD, die der Belgier Wim Winters auf seinem ungebundenen Clavichord mit zwei 8‘-Stimmen eingespielt hat. Gebaut hat es der Orgel- und Klavierbauer Joris Potvlieghe aus Galmaarden/Tollembeek (B) nach einem sächsischen Vorbild (1770) mit einen Tastenumfang von 5 Oktaven (FF-f3), die Stimmtonhöhe liegt bei a‘ = 406 Hz, die Temperatur legte Winters nach Werkmeisters Musicalische Paradoxal-Discourse (Calvisius, Quedlinburg 1707).
So weit, so gebräuchlich ist die Herangehensweise von Wim Winters bis dahin. Der Fachmann für Alte Musik ist seiner Marke Authentic Sound verschworen, hat sich mit der Geschichte der originalen Tempi befasst und umfangreiche Videofolgen im Internet vorgelegt. In diesem Jahr stehen natürlich vor allem Beethovens Werke auf dem Programm, eingespielt auf einer Kopie eines Pianofortes von Johann Fritz (Wien, 1816), nachgebaut ebenfalls von Joris Potvlieghe (2019). Bemerkenswert langsamer als heute gewohnt sind diese Tempi.
Das fällt auch bei der Pachelbel-CD auf, die mäßigen Tempi sind strikt durchgehalten, sind aber keineswegs langweilend, sondern fesseln auf ihre Weise, bieten die nötige Zeit, die Musik gut durchzuhören. Das Clavichord bietet zudem ein sehr klares Klangbild, herrlich, wie dynamische Unterschiede der beiden Hände so klingen, als würde Winters auf zwei Klaviaturen verschiedene Register spielen. Und klar, nicht nur musikgeschichtlich war es ein Clavichord, für das Pachelbels Variationen entstanden sind. Die sind zwar auf eine etwas schematische Weise komponiert, wie er sie schon 1683 in seinen Musicalischen SterbensGedancken niedergeschrieben hat, nichtsdestotrotz aber von höchster Qualität, offensichtliche Vorbilder für alle seine Schüler und auch noch für den jungen Bach.

Auch die Aufnahmetechnik ist besonders, verwendet wurde eine analoge Anlage höchster Qualität, sorgfältiger Tonmeister war der junge Robert Margouleff. Das Ergebnis ist überraschend: der Rezensent hat eine so gute Aufnahme eines Clavichords noch nicht gehört, zu der natürlich auch der natürlich resonierende mit viel Holz ausgestattete Aufnahmeraum gehörte. Dass Wim Winters mit musikalisch überzeugender Sorgfalt und Können spielt, braucht da gar nicht mehr betont werden.

War bisher eine musikalisch, musikgeschichtlich begründete und technisch gute Aufnahme das Maß der Dinge, hier werden die Maßstäbe weit nach oben verschoben. Unbedingte Empfehlung!


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Das Liederbuch des Erhard Öglin

Interpret: Penalosa Ensemble
Label: Organum


Manche CDs sieht man an und freut sich riesig auf den Inhalt und die Musik. Bei der vorliegenden CD “das Liederbuch des Erhart Oeglin, 1512” ging es mir so. Die Aufmachung ist sehr gelungen, das Booklet schön dick, alles scheint zu passen.
Das Booklet hat schon fast “Büchlein”-Charakter, ist gut gefüllt mit Informationen zum Namensgeber der CD und seinem Werk, der sprachlichen Herkunft der Texte und – ganz wunderbar – mit allen Liedtexten. Ein kurzer Abschnitt über das Ensemble ergänzt dies hervorragende Booklet. Vorbildlich!

Die Instrumentalisten, die auf der CD zu hören sind, überzeugen klanglich durchaus. Sie stützen die Singenden und brillieren an manchen Stellen mit ihrem Können. Dies tun sie mit hörbarer Spielfreude. Die Sängerinnen und Sänger hingegen widmen sich ihrer Aufgabe eher akademisch. Technisch einwandfrei, klanglich sauber gesungen. Aber doch wirkt der Gesang auf mich erschütternd gelangweilt und lustlos. Da hätte ich mir viel mehr Gefühl, Hingabe und Emotion gewünscht.

Somit bleibt nach dem Hören der CD ein zwiespältiger Eindruck. Das Booklet verdient gelesen zu werden, aber Hörvergnügen bietet die CD nicht.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Girolamo Frescobaldi - Toccate e partite - Libro primo 1615/1637

Interpret: Christophe Rousset
Label: AP


Christophe Rousset, ausgebildet u.a. bei Huguette Dreyfus an der Schola Cantorum Paris, bei Kenneth Gilbert und Bob van Asperen, Lehrer an der Accademia Musicale Chigiana in Siena, widmet sich auf dieser CD einer Auswahl aus dem Toccate e partite, Libro primo von 1615/21616 und den Aggiunta von 1637. Sieben Toccaten wechseln mit Partiten und Satzfolgen ab, wie sie Frescobaldi zusammenstellte, z.B. Balletto, Corrente del Balletto e Passacagli oder Balletto e Ciaccona (der auf der CD leider das vorhergehende Capriccio sopra del Battaglia fehlt. Nach etlichen Jahren intensiver Diskussion der Spielanweisungen Frescobaldis aus dessen beiden Bänden der Toccate e partite, Libro primo hat sich der Interpretationsstil geändert. In den Toccaten herrscht nun ein sehr freier Umgang mit Tempi, Agogik, dem Anfang und den Übergängen, was Rousset gleich mit der ersten Toccata, der Toccata Nona vorbildlich vorführt, im Gegensatz dazu ist der Notentext bei den Partiten und Tanzsätzen natürlich weniger frei auszuführen.

Eingespielt hat Rousset seine Stückauswahl auf einem Instrument des späten 16. Jahrhunderts, 1736 bereits einmal gründlich überholt und rekonstruiert von David Ley vor etlichen Jahren. Da die italienischen Cembali um 1600 nur ein Register hatten bei einem Manualumfang von 45 Tasten, führt das einheitliche, aber sehr schöne Klangbild dieses Instrumentes zu konzentrierterem Zuhören. Christophe Rousset spielt mit packendem Zugriff, kundiger Spielweise und ausgewähltem Geschmack. In Roussets umfänglicher Diskographie kann diese Aufnahme einen besonderen Platz beanspruchen!


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Höchsterwünschtes Freudenfest

Label: Querstand

Titel und Untertitel Johann Sebastian Bachs Störmthaler Kirchweihkantate und die Zacharias-Hildebrandt-Orgel dieser CD sind irreführend. Nur der Eingangschor der Bach-Kantate ist in einem (technisch miesen) Konzertmitschnitt des Leipziger Bachfestes vom 16.06.18 zu hören (Pauliner Barockensemble, Ltg. David Timm). Thema der CD ist die Hildebrandt-Orgel, die die damalige Hausorganistin Annette Herr in ganz vorzüglicher Weise mit Werken von Bach u.a. vorstellt. Gerne hört man ihr und ihrer klaren Artikulation zu. Am Ende bringt die CD noch ein paar Erläuterungen (für Laien) zum Stimmungssystem der Orgel (Silbermann 1/6 Komma), die in der Darstellung von Praeludium e-Moll, BWV 533, einmal in e-Moll und einmal nach d-Moll transponiert, die Unterschiede zwischen gut klingenden und schlecht klingenden Tonarten frappierend deutlich macht. Folgerung: Bach hat hier die falsche Tonart gewählt? Oder die richtige, denn die Reibungen in e-Moll sind auch lustvoll zu hören.

Das (hübsch aufgemachte) Booklet bringt zunächst einen Aufsatz des Berliner Musikwissenschaftlers Bernhard Schrammek zur Geschichte der Hildebrandt-Orgel in Störmthal, Annette Herr beschreibt ihr Programm, von Helmut Werner stammen die (gesprochenen) Texte zur Orgelstimmung. Alle Angaben zur Disposition und Registrierung finden sich bis auf die des Winddruckes. Die Bebilderung ist gut, nur ein Foto von der Aufführung der Kantate in der Kirche fehlt. Gerne hätte der Rezensent mehr von der Orgel gehört und auf die Wiedergabe des Kantatenfreskos und der Tonartendemonstration, so gut sie gemeint ist, verzichtet.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Pierre Attaingnant - Harpsichord Works

Interpret: Glen Wilson
Label: Naxos


Dies ist keine CD zum einfach Anhören, dies ist keine CD mit Werken von Attaingnant, es ist eine CD, die den früheren Würzburger Cembaloprofessor Glen Wilson in seinem Element zeigt als Forscher, als Herausgeber und als kompetenter Claviervirtuose sog. Alter Musik.

Die Stücke, die hier zu hören sind, sind nirgendwo zugänglich, Wilson hat sie kopiert aus der einzigen Quelle, die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrt wird. Sechs von sieben Bänden der Druckausgabe des Straßburger Pierre Attaingnant (c 1494 – 1551) von 1531 werden dort verwahrt, sie informieren über die Clavierpraxis im Frankreich von König Franz I. dem Ritterkönig (1494 – 1547). Es handelt sich um Motetten- und Chanson-Intavolierungen und Tänze (Gaillards, Pavanen, Branles, Saltarellen), außerdem ein Prélude zu einem Magnificat im 8. Ton. Wenn überhaupt Namen genannt werden, so sind es die von Clément Janequin, Claudin de Sermisy, Adrian Willaert, Cipriaan de Rore und wenigen anderen, von denen kaum etwas oder gar nichts bekannt ist. Die Stücke dauern zwischen 1 und 2 Minuten, selten länger.

Wilson hat 38 Stücke ausgewählt, übertragen, korrigiert - denn der Druck ist alles andere als fehlerfrei, stand die Notendruckpraxis damals doch noch ganz am Anfang - und hat sie auf einem anonymen italienischen Cembalo aus einer privaten Sammlung (A = 390 Hz, mitteltönig, 1/6 Komma) eingespielt. Man sollte die Stücke nur einzeln und mehrmals hören, um sie zu verstehen, mangelt es doch an einer Notenvorlage und der Möglichkeit, die Kolorierungen als solche zu erkennen. So ist die Aufnahme so verdienstvoll als musikwissenschaftlich interessant, aber bitte nichts für den Hausgebrauch. Näheres gibt es noch im Internet: www.naxos.com/notes/572999.htm.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Knecht und Beethoven
Symphonie ‚Le Portrait musical de la nature‘ G-Dur & Symphonie Nr. 6 F-Dur ‚Pastorale‘
Interpreten: Akademie für Alte Musik Berlin, Leitung: Bernhard Forck
Label: HMM


Les Siècles, Beethoven und Schönberg
Symphonie Nr. 6 F-Dur ‚Pastorale‘ & Verklärte Nacht
Interpreten: Les Pléiades
Label: NoMadMusic



Beide CDs bringen ungeahnte Überraschungen: wer hat schon die Symphonie ‚Le Portrait musical de la nature‘ (1785) des Biberacher Musikdirektors Justin Heinrich Knecht (1752 – 1817), der seine Bekanntschaft heute noch neben seiner großen dreibändigen Vollständige Orgelschule (1795-98) seinen Tongemälden Die durch ein Donnerwetter unterbrochne Hirtenwonne (Darmstadt, 1794) und Die Auferstehung Jesu (Leipzig 1798) für Orgel verdankt, je gehört? Und wer wusste, dass sich Michael Gotthard Fischer (1773 – 1829), Organist der Predigerkirche und Lehrer am Lehrerseminar, eine Transkription der 6. Symphonie Beethovens (1808) für Streichsextett für den häuslichen Salon unmittelbar nach der Wiener Uraufführung anfertigte?

Beide CDs verbindet diese Symphonie Beethovens, einmal dargestellt von der ohne Dirigenten spielenden Akademie für Alte Musik Berlin, geführt vom Konzertmeister Bernhard Forck, bzw. vom Streichsextett Les Pléiades, Streichern des Orchesters Les Siècles. Beide Aufnahmen sind kristallklar durchhörbar, toll, wie Bläser und Streicher der Berliner Akademie miteinander musizieren, aufeinander hören und so die Partitur in einer Weise gestalten, wie es einem traditionellen Symphonieorchester wohl kaum möglich ist, dabei mit Verve, hohem Engagement und gegenseitiger Einfühlung die Symphonie zu einem Erlebnis werden lassen von gemeinschaftlicher Gestaltung ersten künstlerischen Ranges! Nicht minder gilt das für das Streichsextett Les Pléiades, hier kann man noch schärfer hinhören auf die Komposition, da die Instrumentierungseffekte durch Bläser und Pauke entfallen. Ganz erstaunlich, wie man am Anfang des 19. Jahrhunderts Hausmusik ausführen konnte! Perfekt auch das Sextett von Arnold Schönberg /1874 – 1951) Verklärte Nacht, op. 4 (1899), nach einem Gedicht von Richard Dehmel (1863 – 1920) Zwei Menschen. Roman in Romanzen, das eine atmosphärisch ganz dichte Aufführung erfährt, besser geht wohl nicht mehr!
Die Natursinfonie von Knecht ist entstanden auf dem Hintergrund der damals modischen Naturschilderungen, wer denkt da nicht gleich an Abbé Vogler? Knecht kann es aber noch besser, Form und Imitation von Vögeln, rauschendem Wasser und zarten Winden etc., auf- und abziehendes Gewitter sowie der große Dankgesang an den Schöpfer im letzten Satz der Symphonie fließen 25 Minuten qualitätvoll ineinander, dass es eine helle Freude ist. Daran schließt Beethoven etwas dezidierter an, weniger Naturschilderung als Empfindung, nicht Plattheit sondern Idealisierung. Dennoch, die rauschenden Bäche konnte ein Schubert tonmalerisch auch nicht mehr überzeugender darstellen, romantischer wurde Beethoven nie.Zwei weit hervorragende CDs!


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Beethoven - Klavierkonzerte 0–5
Interpreten: Mari Kodama, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: Kent Nagano
Label: Deutschlandfunk Kultur/Berlin Classics


Beethoven - Klavierkonzerte 2 und 5
Interpreten: Freiburger Barockorchester, Leitung: Pablo Heras-Casado
Label: HMM



Zum Beethovenjahr haben Kent Nagano und seine Frau, die Pianistin Mari Kodama ihre nun schon länger zurückliegenden Einspielungen der Klavierkonzerte und des Tripelkonzerts C-Dur Op. 56 in einer Kassette zusammengefasst. Hinzu gekommen ist noch das 0. Klavierkonzert Es-Dur, WoO 4 (1784), von dem nur ein Particell vorlag, welches das Ehepaar Nagano neu aufbereitete, das Rondo B-Dur, WoO 6 (1793), das einmal als Schlusssatz des Klavierkonzertes B-Dur (Nr. 2) gedacht war und die Eroica-Variationen Op. 35.
Mari Kodama spielt überlegen mit flüssig gestalteten Übergängen, trotzdem wirkt alles etwas akademisch distanziert, was vielleicht an der Aufnahmetechnik oder an dem Instrument, das nicht näher genannt wird, liegt. Es sind nicht die Tempi und keine spieltechnische Schwierigkeiten, trotzdem stellt sich ein Aha-Effekt nicht ein. Dankbar ist man als Zuhörer natürlich für die Entdeckung des Jugendwerkes WoO 4, und natürlich auch für die Einspielung des Rondos B-Dur, WoO 6. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin spielt akkurat und zuverlässig (im ersten Klavierkonzert schleppen die Bässe allerdings hörbar), die Aufnahmetechnik mischt es etwas sehr zusammen und in den Hintergrund. Kent Nagano ist natürlich ein solider Begleiter, aber richtigen Biss haben die Einspielungen nicht. In den letzten beiden Konzerten (P 2013) bekommen die beethovenscher Melodien mehr inneren Schwung, hier bietet die Aufnahme ein geschliffenes Bild traditioneller deutscher symphonischer Tradition.

Die Einspielung von Kristian Bezuidenhout und des Freiburger Barockorchesters unter der Leitung von Pablo Heras-Casado steht dagegen vollkommen konträr. Bezuidenhout spielt ein Fortepiano nach Graf (1824), das perlt - direkt aufgenommen - lustvoll in höchster Spielfreude daher, genial die agogisch hervorragend gestalteten Übergänge. Das Orchester begleitet kraftvoll und nutzt effektvoll alle musikalischen Möglichkeiten, die alte Instrumente bieten. Zudem sind die einzelnen Instrumente kristallklar heraushörbar, dem Pauker Charlie Fischer hört man seine Spielfreude und –freiheit an, fast wird das 5. Klavierkonzert zu einem Paukenkonzert. Durch die tiefere Stimmung und die obertonärmeren Instrumente als beim DSB klingt das ganze viel entspannter trotz der hohen Tempi. So ist diese Aufnahme zu einer tiefen Verbeugung vor dem Wiener Genie geraten. Was Beethoven als Pianist von sich forderte und als Komponist niederschrieb, ist hier mit aufregendem Impetus auf die Scheibe gebannt! Engagement und Können potenzieren sich hier zum Ereignis!
Nach dieser Referenzaufnahme plant harmonia mundi die Aufnahme aller bedeutenden Beethoven-Werke bis ins Jahr 2027, seinem 200. Todesjahr. Die anderen Klavierkonzerte sollen noch in diesem Jahr folgen, da kann man sich schon vorfreuen, selbst wenn Corona die Produktionen wohl hinausschieben wird.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Couperin & Moi

Interpreten: Les Talens Lyriques, Christophe Rousset
Label: AP


Die CD ist eine Art Liebeserklärung oder Danksagung an Couperin, dem sich Christophe Rousset seit eingestandenen 45 Jahren zu nähern sucht. Das Programm setzt sich zusammen aus einzelnen Cembalosätzen aus Couperins vier Livre de Pieces de Clavecin sowie kammermusikalisch besetzten instrumentalen und vokalen Piecen. Die Aufnahmen stammen z.T. aus den Jahren 1993, 1994, 2002 und 2016, etliche der größer besetzten Stücke sind für diese Edition neu aufgenommen.

Die Cembalopiecen charakterisieren auf die Couperinsche Art ihre Titel, seien es Mühlen, ein Harlekin oder ähnliches, die Instrumentalstücke sind den Concerts royaux u.a. Sammlungen entnommen, die Vokalstücke sind Psalmvertonungen, Gesänge zu den Horen des Karmittwochs oder eigene Dichtungen an Bacchus etc.. Kaum eine Piece dauert - für Couperin typisch - länger als 3 oder 4 Minuten, also beinhaltet jede CD 24, bzw. 25 Tracks. Dass alle Beteiligten sorgfältig, hoch kompetent und engagiert respektvoll musizieren, je nach Titel auch leger und witzig oder ausdrucksvoll traurig, versteht sich von selbst und macht die CD zu einer musikalischen Superaudio. Die Programmzusammenstellung allerdings bleibt unklar und ohne einen erkennbaren roten Faden, aber so etwas haben ja Liebeserklärungen oder Danksagungen auch nur ganz selten.


Rainer Goede
April 2020 / September 2020

Der Generalbass in der Komposition

Autor: Johann David Heinichen
Verlag: Olms


In zwei Veröffentlichungen hatte sich der Dresdener Hofkapellmeister Johann David Heinichen (1683–1729) an die lernbegierigen jungen Musiker seiner Zeit gewandt: mit dem Musicalisches Tractat vom Generalbaß (Hamburg 1711) und noch einmal mit der jetzt wieder aufgelegten Schrift Der General-Bass in der Composition, Oder: Neue und gründliche Anweisung Wie ein Music-Liebender mit besonderm Vortheil, durch die Principia der Composition, nicht allein den General-Bass im Kirchen- Cammer- und Theatralischen Stylô vollkommen, & in altiori Gradu erlernen; sondern auch zu gleicher Zeit in der Composition selbst, wichtige Profectus machen könne. Nebst einer Einleitung Oder Musicalischen Raisonnement von der Music überhaupt, und vielen besondern Materien der heutigen Praxeos. Selbstverlag (Dresden 1728).

Hatte Heinichen, der Thomasschüler in Leipzig unter Johann Schelle und Johann Kuhnau zusammen mit Chistoph Graupner, danach Hofkomponist in Zeitz gewesen war, im Band von 1711 das Thema noch nach deutscher Tradition abgehandelt, fasste er in diesem Band alles Wissenswerte für Komponisten und Generalbassspieler zusammen, nun beleuchtet durch seinen langjährigen Studienaufenthalt in Italien (1710 – 1717). Gleichzeitig stellt der Band auch eine Zusammenfassung des verfügbaren musikalischen Wissens dar. Vor Heinichen hatten das Thema bereits Werkmeister, Niedt, Marpurg, Mattheson u.a. behandelt, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb es maßgebliches Thema der Aufführungspraxis.

Als bereits in Dresden und Zeitz erfolgreicher Opernkomponist und Dresdener Kapellmeister, zuständig für Kantaten, Konzerte, Sinfonien und Kammermusiken, außerdem für die geistliche Musik an der katholischen Hofkirche für Oratorien, Motetten und Messen, ist sein Oeuvre erst nach der Wende wieder stärker ins Bewusstsein von Musikern und Musikwissenschaftlern gerückt, vor allem seine Messen, Magnificat- und Psalmvertonungen sowie die Dresdener Konzerte. So bietet seine Schrift Der General-Bass in der Composition auch heute noch eine gute Grundlage für das Studium der Musik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.


Rainer Goede
April 2020 / August 2020

Psalmus

Komponist: Orlando di Lasso
Interpreten: die Singphoniker
Label: BR Klassik / cpo


Für diese CD gilt nur Optimales: Text, Musik, Interpretation, Aufnahmetechnik, Booklet. Wer kann es besser als der Psalmist König David (um 1000 vor Chr.) mit seinen sieben Bußpsalmen, als der kunstsinnige wie repräsentationsbewusste Herzog Albrecht V. von Bayern, der Großmütige (1528 – 1579), als sein Münchener Hofkapellmeister Orlando di Lassus (1532 – 1594) mit seiner Vertonung der Psalmi Poenitentiales (1559), als die Singphoniker (gegründet 1982), hier verstärkt von Andreas Pehl und Helene Grabitzky, und als der Autor Dr. Bernhold Schmid, dem erfahrenen Herausgeber der Lasso-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften?

Das Lesen, bzw. Hören dieser Psalmen macht es offenbar: die Welt hat sich in den vergangenen 3000 Jahren nicht geändert, die Texte könnten von heute sein. Die Bußpsalmen haben ihren besonderen Platz im Stundengebet der Fastenzeit und der Karwoche. Für Herzog Albrecht V. müssen sie eine besondere Bedeutung gehabt haben: 1559 orderte er die Psalmi Davidis poenitentiales (i.e. die Psalmen 6, 32, 38, 51, 102, 130, 143 plus den Laudes Domini, Ps 148 und 150) als seine Musica reservata und ließ sie in einer Handschrift von 400 Seiten (60 x 44 cm) mit Illustrierungen seines Hofmalers Hans Mielich als ein Gesamtkunstwerk gestalten und – wegschließen. Erst 1584 wurden sie gedruckt, dann ohne die Malereien, sie werden heute in München nur in seltenen Ausstellungen gezeigt.

Den 25-jährigen bereits berühmten Lassus hatte Albrecht 1557 als Tenorist an seine Hofkapelle in München gebunden. Lassus bildete dort zeit seines Lebens einen musikalischen Mittelpunkt Deutschlands, nicht nur als Lehrer so ziemlich aller bedeutender katholischer wie evangelischer Nachwuchskräfte, auch die von ihm wohl ausgebildeten Knabenstimmen wurden an andere Höfe vermittelt. Vor allem seine Kompositionen aber krönten die Bedeutung des Münchener Hofes. Lassos Zyklus der sieben Psalmen, bereits vom Kirchenvater Augustinus unter dem Namen Bußpsalmen zusammengefasst, wird zu Recht zu den Höhepunkten der Musik des 16. Jahrhunderts gezählt. Ob der Menge des Textes finden sich häufig auch homophone Passagen, wie die polyphonen sind sie von großem Ausdruck, sie sind  bekenntnishafte Glaubensmysterien. Der liturgische Ort in den Horen der Karwoche macht den religiösen Impetus dieser Musik als transzendentales Medium der Bußfertigkeit und Vergebung der Sünden deutlich. Natürlich sind sie nicht nahtlos ohne Unterbrechung durch Gebete, Schriftlesungen, Beichte etc. "konzertant" anzuhören. Vorstellbar auch, dass sie mit Instrumenten gespielt wurden.
So wie König David seine Psalmen wohl innig durchmeditiert hat, so sind sie für den heutigen Hörer in der Vertonung Lassos nachvollziehbar, als eigenes Bekenntnis zu beten und so zu einem großen eigenen Gewinn zu machen!


Rainer Goede
April 2020 / August 2020

Das Leiden Jesu - Passion

Komponist: Christoph Graupner - Interpreten: Solistenensemble Ex Tempore, Mannheimer Hofkapelle, Ltg Florian Heyerick
Label: cpo


Mit dieser CD komplettiert Florian Heyerick die Einspielung des zehn Kantaten umfassenden „Oratoriums Das Leiden Jesu“ von 1741. Die CD bringt die Kantaten zu Estomihi (Kommt, Seelen, seid in Andacht stille, GWV 1119), zu Judica (Sie rüsten sich wider die Seele, GWV 1124) und zum Gründonnerstag (Jesus, auf dass er heiligte das Volk, GWV 1126). Den Rezensionen der beiden vorhergehenden CDs (cpo 555 071-2, P 2017 und cpo 555 170-2, P 2018) ist kaum etwas hinzuzufügen. Faszinierend immer wieder die tonmalerischen Accompagnati und vor allem die Sopran-Aria „Ach, saurer Gang!“ der Gründonnerstagskantate, aber die anderen Arien stehen ihr kaum nach in ihrer überraschend gegensätzlichen Gestaltung der A- und. B-Teile. Immer wieder auch große Hörmomente schafft Graupner in der ihm eigenen Gestaltung der Choräle mit packenden Instrumental-Ritornellen und dem homophonen Verszeilenvortrag.

Die CD-Reihe wird dank der Einspielung durch, und natürlich auch Dank an  Heyerick und seine Ensembles und die Bookletautoren Beate Sorg, Marc-Roderich Pfau und Ursula Kramer hoffentlich die Akzeptanz des großen Darmstädter Barockmeisters Christoph Graupner  (1683 – 1760) neben Bach und Telemann erhöhen. Klar ist, dass es noch lange dauern wird, bis die Hinterlassenschaft Graupners (ca. 2000 Werke, darunter 1418 kirchliche Kantaten in 46 Jahrgängen,  24 weltliche Kantaten, 113 Sinfonien, 44 Solokonzerte für ein bis vier Instrumente, 80 Orchestersuiten, 36 Kammersonaten, etwa 30 Claviersuiten, sowie mindestens acht Opern) eingespielt sind. Zu wünschen wäre es jedenfalls!


Rainer Goede
April 2020 / August 2020
JOY of MUSIC - Discoveries from the Schott Archives
Virtuose und unterhaltsame Stücke für Klavier

Herausgeber: Wilhelm Ohmen / Robert Schäfer
Verlag: Schott Music


JOY of MUSIC!
Nein es geht hier ausnahmsweise nicht um den gleichnamigen youtube Channel der Konzertorganistin Diane Bish. Allerdings wurde dem Rezensenten die Aufgabe anvertraut, zum 250-jährigen Bestehen des Musikverlages Schott (gegr. 1770 von Bernhard Schott) den vortrefflichen Band hier vorstellen und besprechen zu dürfen. Herzlichen Dank für dieses
Vertrauen und die damit verbundene Wertschätzung.

Um es gleich vorwegzunehmen:
Anlässlich dieses besonderen Jubiläums ist mit diesem Klavierband „Joy of Music“ eine hervorragende Dokumentation in Form einer wahren Schatztruhe entstanden und dieselbe ist
meisterhaft gelungen. Ein Archiv lebt ja wenig von der bloßen historischen Existenz allein, sondern vielmehr von seiner lebendigen Erschließung und kommunikativer Weitergabe an Gegenwart und Zukunft.

Einen roten Faden konnte ich im Bezug auf die Auswahl feststellen:
Es handelt sich überwiegend um Salonmusik, Kabinett-, Charakterstücke bis hin zu (hoch-)virtuosesten Bravour-Piecen. Dass Virtuosenkult um Paganini, Chopin, Liszt + Co. (und wie sie noch alle heißen mögen) schon damals durchaus kontrovers gesehen wurde, liegt bereits in der Natur der Sache. Und dementsprechend hat es immer Befürwortung und Ablehnung gegeben. Die dazu entsprechenden teils rivalisierenden Wertschätzungen von Zeitgenossen sind vielfältig.
Ein abschreckendes Extrem? Jedenfalls: Auf den Seiten 77 bis 86 (die Spieldauer/Wiedergabe des Stückes beträgt nicht einmal fünf Minuten) gibt es Notengirlanden in 128 (!) – jawohl der geneigte Leser liest hier richtig – ich wiederhole: 128tel. Komponist ist Sigismund Thalberg (1812-1871), der in USA immense finanzielle Erfolge erzielte, und trotzdem als Gentleman und bescheidene Persönlichkeit galt. Dazu auch später mehr unter Inhalt: Nr. 7.

A. Outfit:
Ausgehend von dem mit bunten Sternen gestalteten stabilen Einband fällt mir eine bekannte lateinische Redewendung ein. Diese lautet „Per Aspera ad Astra“ :und ist interpretierbar mit der geläufigen Kurzformel „Ohne Fleiß kein Preis!“ (Wörtlich: nur durch Mühsal gelangt man zu den Sternen).
15 Werke erhält der anspruchsvolle Klavierband JOY of MUSIC, dessen Stücke chronologisch angeordnet sind. Wendestellen und optimaler augenfreundlicher Notensatz lassen keine Wünsche offen. Zusätzlich hilfreich sind zahlreiche Angaben zu Tempo und zur Dynamik.

B. Inhalt:
Der Vollständigkeit halber sei mir die Form der durchnummierenden Aufzählung gestattet, so wird nichts vergessen oder übergangen:
Und so ist folgerichtig als erster
(1.) der „Jubilar“ Ludwig von Beethoven (1770-1827) gebührend mit 24 Variations sur l`Ariette Venni Amore par Righini, einheitlich in D-Dur, vertreten.
(NB: Vincenzo Righini (1765-1812) war Hofkapellmeister in Mainz).
Die musikalische Entdeckungsreise geht weiter über den Beethovenschüler und Lisztlehrer
2. Carl Czerny (Nocturne Le Désir),
3. Henri Herz (Cavatine mit Variationen über Thema von Rossini aus der Oper Aschenputtel),
4. Ferdinand Beyer (Nocturne im Stil von Chopin),
5. Friedrich Burgmüller (Grande Valse),
6. Franz Liszt (La Danza),
7. Sigismund Thalberg (Air anglais Home! Sweet Home! Übersetzbar mit: Trautes Heim – Glück
allein),
8. Charles-Valentin Alkan (programmatische Etüde „Le Chemin de Fer“ / Synonyme: The Rail / Die
Eisenbahn / La Strada Ferrata),
9. Charles Gounod (mit Meditation sur le 1er Prélude de J.S. Bach, unsterblich geworden und bekannt
unter „Ave Maria“),
10. Julius Schulhoff (Albumblatt / Feuille d´Album),
11. Louis Moreau Gottschalk (Le Banjo bzw. auch unter „Fantaisie grotesque“ in youtube zu finden–
ein wunderbares Zugabestück von Klaviervirtuosen der ganzen Welt, Stichwort „Encore“),
12. Carl Tausig mit einer Klaviertranskription von Siegmunds Liebesgesang a.d. Walküre von Richard
Wagner),
13. Giovanni Sgambati (Melodie de Gluck),
14. Moritz Moszkowski (Tarantelle), bis zu:
15. Edward Elgar (Salut d´Amour / Morceau Mignon / Liebesgruss). Welch wunderbare poetische und
lyrische Musik!

C. Besonderheiten / Level:
Als Auswahlkriterium galt die romantische Epoche.
Als bereits große technische Herausforderungen werden sicher die Tonarten Fis-Dur (Nr. 11) , AS-Dur (Nr.2, Nr. 4), DES-Dur (Nr. 7, Nr. 10), E-Dur (Nr. 15) gelten. Aber es gibt durchaus für „Einsteiger“ auch die d-moll-Tonarten (Nr. 12, 13, 14).
Meiner Meinung nach gehören die gemachten (Kurz-)biografien unbedingt zum Hintergrundwissen um Komponist, Wirkung im Vergleich damals – heute dazu. Und so ist man sehr dankbar zu den erfolgten biografischen Angaben. Eine extrem kurze Lebensdauer gibt es zu dem Liszt(Lieblings-)schüler Carl Tausig, der im zarten Alter von 29 an Typhus verstarb. Ebenfalls bringen damalige Wertungen (von Chopin, Mendelssohn, Clara Schumann, Robert Schumann über ihre Zeitgenossen) immer noch interessante Aspekte.

D. Fazit:
Es ist ein wohl absoluter Glücksfall, dass die Schott-Archive das Inferno der Bombardierung von Mainz am 27.2.1945 überdauerten.
Und: alle niveau- und anspruchsvollen Stücke haben auch heute immer noch Ihre Liebhaber. So fand der Rezensent zu sämtlichen Stücken Mehrfach-Treffer auf facebook. Somit kann man schon allein dadurch den Akzeptanz-, Bekanntheits-, ja Beliebheitsgrad dieser gültigen Musik bestätigen.
Zum Herausgeber Wilhelm Ohmen (über 40 Jahre Klavierpädagoge) gibt es die folgende Intenetseite: www.wilhelm-ohmen.de
Zudem ist Robert Schäfer geleichermaßen für die gültige Auswahl als Herausgeber zu erwähnen.

Wie bereits im Vorwort abgedruckt, wendet sich dieser Sammelband an professionelle Musiker (Konzertpianisten) und fortgeschrittene Liebhaber, die auf interessante (Zusatz-)Entdeckungen des Standardrepertoires neugierig sind. Dieser Zielsetzung wurde man perfekt gerecht. Zudem dürfte der moderate Preis für einen hoffentlich weiteren guten Verbreitungsgrad sorgen. Außerdem gibt es noch die Option(en) download für einzelne Notentitel.
Dem Traditionsverlag Schott gebührt großer Dank und Wertschätzung für diese höchst empfehlenswerte Publikation, die besonders im Umfeld der momentan nicht unbedingt einfachen Zeiten überzeugt.
Ich möchte schließen mit: Ad multos annos!


Christoph Brückner - für www.notenkeller.de
August 2020

Reinhard Keiser - Der blutige und sterbende Jesus

Interpreten: Capella und Cantus Thuringia, Ltg. Bernhard Klappro
Label: Deutschlandfunk Kultur / cpo


Erst 2006 hatte Christine Blanken die Noten dieses allerersten Passionsoratoriums, das Reinhard Keiser (1674 – 1739) im Jahr 1705 auf das Libretto von Christian Friedrich Hunold alias Menantes (1680 – 1721) komponiert und 1729 revidiert hatte, in  Berlin wieder aufgefunden, jetzt liegt es als Einspielung durch den rührigen Weimarer Cembaloprofessor Bernhard Klapprott auf CD vor. Dass Hunold und Keiser, die Hamburger Opernfachleute ihrer Zeit, hier die Passion Christi in die Form einer Oper gossen, war wie die ihnen gewohnte Arbeit und füllte die Opernpause der Fastenzeit. Dass die Passion damit ein (nichtszenisches) Passionsoratorium wurde, war die Geburt einer neuen Form, die ihren Platz in der Kirche auch erst erobern musste - die Hamburger Uraufführung fand in der Zuchthauskirche statt, einem der traditionellen Konzertsäle der Stadt. Dass dieses Oratorium nicht allein Oper blieb, sondern echtes Bekenntnis wurde, ist das Verdienst des geschickten Texters Hunold. Dass diese Passion dabei höchsten musikalischen Anforderungen genügt, ist das Verdienst von Keiser, dessen späterer Wechsel vom Opernchef zum Kantor am Hamburger Dom dann auch vollkommen problemlos war.

Zur Operngestalt gehörten die Bravourarien, zur Passion Choräle, die Soliloquenten und die Turbae – und natürlich ein Evangelist. Doch genau diesen hat Hunold aus seinem Text extrahiert, den Text auf die agierenden Personen verteilt oder in Regieanweisungen verschoben. In der Tat, man vermisst ihn nicht, gewonnen sind dafür ausgesprochene Handlungscharaktere, operngemäß! Christus (Dominik Wörner), Tochter Zion (Monika Mauch), Judas (Hans Jörg Mammel), Petrus (Mirko Ludwig), Maria (Anna Kellnhofer), Caiphas (Matthias Lutze) und Pilatus (Oliver Luhn) singen die Hauptrollen, alle zusammen bilden den Chor (der Jünger, der Kriegsknechte, der Schriftgelehrten der Jüden), der manchmal leider etwas distanziert wirkt und seltsam dunkel färbt (Aufnahmetechnik?). Ihr szenisches Gewicht gewinnen die Akteure in kurzen höchst abwechslungsreichen Rezitativen, Accompagnati, Cavati, Ariosi und eben Arien, auch diese sind kurz gehalten, dafür von einer klanglichen Charakteristik, wie es eben nur ein erprobter Opernkomponist konnte. Häufig setzt Keiser nur eine Generalbassstimme gegen die Vokalstimme, stimmungsmäßig ein Kunstgriff, der seinen Höhepunkt in der Arie des Petrus „… Ich schwimm in einer Schmerzens See!… findet, ein anderer Höhepunkt ist gleich das Waffengeklirr der Gefangennahme, in der Arie des Petrus „Waffnet euch, ihr Himmel…“. Bernhard Klapprott gestaltet das alles mit großer Hingabe, spielt auch selbst die Rezitative, manchmal mit etwas viel Routine. Dominik Wörner wie alle anderen auch singt mit innerer Betroffenheit und großer Gestaltungskraft, so dass diese Passion zu einem Bekenntnis wird. Gott sei Dank!


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020

Die Zeit legt ab ihr altes Kleid

Herausgeber: Chrisian Glowatzki
Verlag: Arnshaugk Verlag


Volkslieder spielen heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Manchmal tauchen sie bei dem ein oder anderen Seniorennachmittag oder „Herdensingen“ auf, aber im Leben der Menschen sind sie fast gänzlich verschwunden. Schade eigentlich. Jahrhundertelang begleiteten Volkslieder die Menschen in ihrem Leben, in Jubel und Leiden. Sie verschönerten Feiern und Feste, beschrieben das Leben in Stadt und Land und begleiteten die Menschen auf dem letzten Weg ans Grab und darüber hinaus. Umso bedauerlicher, dass in unserer Gesellschaft so wenig gesungen und musikalisch beschrieben wird. Wie verarbeiten wir eigentlich unser Leben?

Christian Glowatzki hat sich auf die Reise zu einer einsamen Insel gemacht, um das Volkslied wieder zu entdecken. Texte zeitgenössischer Dichter hat er seinem Liederbuch „Die Zeit legt ab ihr altes Kleid“ zugrunde gelegt und sie mit all ihren vielfältigen Inhalten erkundet und in Musik gefasst. Entstanden ist eine Sammlung voller Melancholie, Liebe, Sehnsucht, Heiterkeit, Freude, Trauer und Lebensalltag. Jedes Lied ist mit Melodie und allen Strophen abgedruckt, gut lesbar und vielfältig einsetzbar. Und so harren die Lieder eigentlich nur dem Einsatz in Heim, Schule und Chor. Damit unser Leben wieder sangesfroh und musikreich wird. Auf, auf und lasst uns singen!

Zusätzlich zum Liederbuch ist auch eine CD erscheinen, auf der die Musizierenden aber nicht überzeugen. Diese CD kann man – im Gegensatz zum Liederbuch - getrost ungekauft lassen.


Daniel Kunert
April 2020 / Juli 2020

Telemann - Seliges Erwägen Passions-Oratorium TWV 5.2

Interpreten: Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz
Label: NDR / apartemusic


Als Mitschnitt eines Konzertes vom 1.12.17 entstand diese CD, die Spannung der Live-Situation nicht verbergend inclusive kleiner Pannen. Die Genese des Oratoriums ist unklar, möglicherweise schrieb es Georg Philipp Telemann (1681 – 1767) bereits 1719 in Frankfurt. Aus einer Pastorenfamilie stammend war es ihm möglich, auch den Text in der seit 1705 neuen Mode eines Passions-Oratoriums zu schreiben, gegliedert hat er es in neun Betrachtungen: Vom Abendmahle, Petri Vermessenheit, Der betende JEsus, Der verklagte JEsus, Petri Buße, Der blutige JEsus, Der gecreuzigte JEsus, Der sterbende JEsus und Der ins Grab gelegte JEsus. Die Betrachtungen sind mit Accompagnati, Rezitativen, Ariosi, Arien und je einem abschließendem Choral gestaltet. Voran gesetzt sind eine einleitende Sinfonia und der Choral Schmücke dich, o liebe Seele. Da die Passions-Oratorien in Hamburg noch keine liturgische Verwendung finden durften, wurden sie in der stillen Fastenzeit das Vergnügen an den Opernaufführungen ersetzend in Konzertsälen aufgeführt.

Telemann, dem das Komponieren flott von der Hand ging, hat mit diesem nahezu zweistündigen Oratorium ein Meisterwerk geschaffen, die Situationen werden plastisch ausgemalt, in den betrachtenden Ariosi und Arien sind sie gleich einer Predigt theologisch reflektiert, aber nicht pietistisch überhoben wie bei manchen von Telemanns Zeitgenossen. Das bringt manche überraschende Musik, die sich in den Arien erst mit der folgenden Textaussage erklärt wie z.B. gleich in der ersten Arie, die auf Christi Leidensankündigung mit einer fröhlichen Musik daherkommt, in der die allegorische Figur der Andacht Christus herz-innig preist. Besondere Stimmungen weiß Telemann hervorzurufen durch die Instrumentierung außer mit Oboen auch mit Flöten, Schalmeien und Hörnern. Das tut alles seine emphatische Wirkung, manchmal durchaus operngemäß mit vielen Verzierungen in den Dacapoteilen der Arien, manchmal mit a-cappella gesungenen schlichten Chorälen wie O Haupt voll Blut und Wunden und Nun gibt mein JEsus gute Nacht.

Das Freiburger Barockorchester ist bekannt zupackend bei der Sache, musiziert unter Gottfried von der Goltz, dass es eine Freude ist. Trotzdem bleibt der Eindruck einer norddeutschen Kühle oder Zurückhaltung. Peter Harvey singt einen irdischen Jesus, Michael Feyfar glänzt in der Rolle des Petrus, nicht minder vertritt Colin Balzer die Figur der Andacht, über allen erhebt sich Anna Lucia Richter, sie ist die genau Richtige für die Figuren Die Andacht, Der Glaube und Zion. Ein einziges Fragezeichen bleibt bei den einfach zu schnell vorgetragenen Chorälen.

Für das Booklet schrieb Gilles Cantagrei eine sehr gute, wenn auch knappe Einführung, so dass diese CD-Edition vorbildlich geworden ist.


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020
Gottfried August Homilius - Der Messias, HoWV I,6

Interpreten: Sächsisches Vokalensemble, Batzdorfer Hofkapelle, Ltg. Matthias Jung
Label: mdr/cpo


Homilius (1714 – 1785), seit 1755 Nachfolger von Theodor Christian Reinhold als Kreuzkantor und Musikdirektor der drei Dresdener Hauptkirchen, komponierte das Passionsoratorium wohl 1775, gewidmet hat er es Herzog Friedrich zu Mecklenburg, der in Ludwigslust residierte. Wahrscheinlich war es also eine Auftragsarbeit, was den überregionalen Ruf Homilius‘ bestätigen würde. 1776 ist eine Aufführung in der Dresdener Frauenkirche belegt, seiner lebenslangen Wirkungsstätte, nachdem im Siebenjährigen Krieg die Kreuzkirche 1760 zerstört worden war.

Vom Rationalismus der Zeit geprägt, sah die Theologie im Evangelium vor allem die Grundlage eines Philantropismus, so findet sich in der Textvorlage eines unbekannten Librettisten eine tugendhafte Christusdarstellung, die Empathie, Trauer und vor allem eigene Betroffenheit auslösen sollte. Der Librettist könnte Ernst August Buschmann (1725 – 1775) gewesen sein, seit 1759 Pfarrer in Löbnitz nahe Delitzsch. Buschmann hat für Homilius auch die Texte für dessen Passionskantate „Ein Lämmlein geht“ (HoWV I,2) im Jahr zuvor und für das Weihnachtsoratorium (HoWV I,1) im Jahr darauf geschrieben.

Homilius reiht in dieser freien zweiteiligen Dichtung, die auch keinen Evangelisten mehr benötigt, Accompagnati, Arien, Duette und Rezitative aneinander, schlichte Choräle stehen am Anfang und Ende der beiden Teile, zwei Chöre stehen als Dictum nach den Eingangschorälen, ein weiterer großen Eindruck hervorrufender findet sich nach der Szene „Sein Blut komme über uns und unsre Kinder“ als heftig mahnender bedrohlicher Ausblick auf das Jüngste Gericht. Der Schlusschoral/-chor bringt zwischen den 5 Strophen einen Dreizeiler als Ritornell. Die Arien sind traditionell in Dacapoform geschrieben, die Duette sind Zwiegespräche zwischen der „Gläubigen Seele“ und Christus, bzw. zwei „Gläubigen Seelen“. Ebenso wie der Text stark auf Ostern ausgerichtet ist, ist auch die Musik Homilius‘ bereits in der ersten Arie, die das Abendmahl kommentiert, fröhlich bis heiter. Und Gott kommt ganz nah, wenn die Bassarie „Du bist mein lieber Sohn“ mit einem langem Paukencrescendo beginnt. Homilius kann aber auch noch ganz anders, von wunderbarer Inspiration ist der Solochoral „Er entäußert sich der Freuden“, in dem Pizzicatotstreicher die Orgelharmonien ganz himmlisch akzentuieren und der Schlusschoral mit seinen Ritornellen, in denen die Erlösung irdisch wird.

Matthias Jung ist mit seinen Ensembles, dem Sächsisches Vokalensemble und der  Batzdorfer Hofkapelle, der Musik von Homilius ein engagierter Streiter, nimmt auch die Choräle im zeittypischen langsamen Tempo. Auch den Solisten, allen voran Meike Leluschko mit ihren virtuosen Bravourarien, Patrick Grahl als überlegener Gestalter und Tobias Berndt als hingebungsvoller Jesus hört man die eigene Motivation zu dieser schönen Musik an. Von Gerhard Poppe stammt der einführende Booklettext, die Punktgröße ist leider am Rand der Lesbarkeit, dem Textteil fehlt offenbar der letzte Korrekturdurchgang.

Diese Passion ist die österlichste, die der Rezensent je gehört hat. Und so schließt der letzte Choral denn auch: „Singt, Engel, unsern Lobgesang: Kraft, Herrlichkeit, Ruhm, Preis und Dank!“ Wer so singt, der lebt wohl! Viel mehr als nur empfehlenswert! 


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020

Johann Adam Hiller - Psalm 5 und Psalm 100, Stabat mater (Pergolesi)

Interpreten: Stuttgarter Hymnus-Chorknaben, Rainer Johannes Homburg
Label: MDG


Das Programm der CD bringt eine große musikalische Überraschung, ist doch die Neutextierung (Parodie) der Stabat mater-Musik (1736) von Giovanni Battista Pergolesi (1710 – 1736) durch Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803), die dieser 1770 als Jesus Christus schwebt‘ am Kreuze veröffentlichte, vollkommen in Vergessenheit geraten. Pergolesis Musik wurde allerorten geschätzt, der lateinische Text der mittelalterlichen Sequenz allerdings war besonders in pietistischen Kreisen ein Ärgernis. So wurde in Parodien ein Ausweg für diese Musik gefunden, am bekanntesten dafür ist sicherlich Bachs Bearbeitung als Bußpsalm 51, Tilge, Höchster, meine Sünden, BWV 1083 (1747) geworden. 
Hiller (1728 – 1804), damals Leiter des Leipziger Großen Konzerts, hat die Musik Pergolesis noch angereichert durch Flöten und Oboen, z.T. wurden Arien für Tenor und Bass umbestimmt, vor allem aber ergänzte er die Harmonien durch zusätzliche Mittelstimmen. Dadurch entstand eine respektable Passionsmusik mit zwei großen Chören, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts viele Aufführungen erfuhr. Vom späteren Thomaskantor Hiller, der auch ein hoch zu achtender Komponist war, bringt die CD noch zwei Psalmvertonungen, die große Kantate mit gleich drei Chorsätzen beachtlicher Satzkunst zum Text des 100. Psalms und die Psalmmotette zu Psalm 5, ein typisches Kind ihrer Zeit, gut gemacht und gut anzuhören.

Homburg lässt seine Ensembles, die Hymnus-Chorknaben und seine Handel’s Companey (auf alten Instrumenten) nach Herzenslust die schöne Musik musizieren. Auch das Eingangsduett der Pergolesi-Musik gehört seinen absolut sauber, wenn auch etwas sehr kopfig singenden Knabenstimmen. Christoph Koop schrieb eine gute Einführung für das Booklet. Ein großer Schwachpunkt der CD ist aber die Aufnahmetechnik, die die große Tiefenstaffelung des Aufführungskörpers nicht auszugleichen verstand. So sind die Männerstimmen unterrepräsentiert, ebenso der Altus Thomas Riede und der Bass Thomas Laske. Gerne hätte man Rainer Johannes Homburg und seinen Ensembles eine ausgewogene Klangbalance gewünscht.


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020

Mendelssohn - Lieder ohne Worte

Interpretin: Annette Seiler
Label: MusikMuseum22


Die Veröffentlichungsreihe der Tiroler Landesmuseen widmet sich hier dem Hammerflügel des Wiener Fortepianomachers Conrad Graf (1782 – 1851), den dieser ca. 1835 nach Stuttgart lieferte und der heute in Innsbruck steht. Der Booklettext von Franz Gratl beschreibt Leben und Kunst von Conrad Graf ausführlich, nennt vor allem Mendelssohns Kontakte mit dessen Instrumenten. Kurze Beschreibungen der eingespielten 8 Hefte der Lieder ohne Worte, des Rondo Capriccioso op. 14 und der Variations Sérieuses op. 41 runden das Heft ab. Ein weiterer Beitrag zu Mendelssohn und Tirol beleuchtet ein bisher unbekanntes Kapitel.

Annette Seiler, Professorin für Liedbegleitung in Salzburg, bzw. Innsbruck trägt die Preziosen mit großer virtuoser Überlegenheit vor, ihre zurückhaltende, gleichwohl zupackende Art interpretiert nicht über und nicht unter. Rauschende Kaskaden erklingen genauso selbstverständlich wie geheimnisvoll erzählende Momente. Ein hoher Genuss ist der Klang des Instrumentes, das mit seiner Wiener Mechanik und hellem Klang die Piècen durchhörbar macht wie kaum ein anderes. Eine bessere Kombination von Musik und Instrument hätte wohl keiner treffen können!


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020

Johann Theile - Matthäus-Passion

Interpreten: Weser-Renaissance, Manfred Cordes
Label: DeutschlandfunkKultur/cpo


Was mag den 27-jährigen Johann Theile (1646 – 1724) angetrieben haben, als er seine PASSIO, Domini nostri Jesu Christi secundum Evang: Matthæum con & sine Stroment: Das Leiden und Sterben unsers Herrn JESU CHRISTI/ Nach dem H. Evangelisten Matthäo; 1673 in Lübeck niederschrieb? War es vielleicht ein Wettstreit mit seinen Freunden Dieterich Buxtehude und dem Hamburger Johanneum-Kantoren Thomas Selle (s. Johann Voorhout: Häusliche Musikszene, 1674. Abgebildet sind vermutlich Johann Adam Reincken (am Cembalo) und Buxtehude, eventuell auch Theile.)? In Lübeck war er neben Buxtehude, der seit 1668 an Marien wirkte, Organist, daher ist seine Matthäus-Passion wohl als Organistenmusik zu verstehen. Immerhin, neben 7 Instrumenten [2 Viola da braccio; 2 Violas da gamba; Continuo] sind noch 6 Vokalstimmen [3 Sopranos (Ancilla I, II, Uxor Pilati), Alto (Judas), 2 Tenors (Evangelist, Petrus), 2 Basses (Caiphas, Pilatus), SSATB chorus] besetzt, für eine Organistenmusik eine große Besetzung.

Sicherlich wird Theile die responsorialen Passionen seines Lehrers Heinrich Schütz in Weißenfels [Matthäus-Passion (1666), Lukas-Passion (um 1653), Johannes-Passion (1665/66)], die nur wenige Jahre zurücklagen, gekannt haben. Sicherlich bekannt war ihm auch die Johannis-Passion (1643) von Thomas Selle, der Intermedien eingefügt hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Matthäus-Passion (1667) des Lüneburger Lamberti-Organisten Christian Flor, der Orchester-Stücke und Arien, und vielleicht auch schon die Passion des königlichen Kapellmeisters Johann Sebastiani in Königsberg (Das Leyden und Sterben unseres HERRN und Heylandes Jesu Christi nach dem heiligen Matthæo. Königsberg (1672), der Verse aus den üblichen Kirchenliedern hinzugefügt hatte.

So ist Theile einen neuen Weg gegangen – vielleicht ebnete dieser ihm den Weg zur Berufung als Hofkapellmeister nach Gottorf. In seiner Passion werden die Evangelien- und Christusworte durch Gamben umspielt, was eine Übernahme vermeintlich altgriechischer Praxis sein könnte, jedenfalls ein denkbarer Gedanke der Renaissance. Reizvolle Worte wie das Weinen Petri oder das Krähen des Hahnes werden dabei mit entsprechenden knappen Tonfiguren gemalt. Zudem sind vier Arien mit jeweils zwei Strophen eingeschoben, deren betrachtender Inhalt die evangelische Mystik der Zeit widerspiegelt. Die Arien mit ihren instrumentalen Ritornellen zwischen den beiden Strophen und danach bilden strukturelle Ruhepunkte, während sonst der Passionsbericht entsprechend der Textvorlage ziemlich ruhelos abläuft.

Das wäre auch die einzige Frage an Manfred Cordes, ob der Notentext da nicht auch die Möglichkeit gelassen hätte, ab und zu ein wenig innezuhalten. Seine Ensembles musizieren makellos und engagiert, Dominik Wörner ist ein überlegener Christusdarsteller, Hans Jörg Mammel ein ebenso überlegener Evangelist, der in aller Nüchternheit Bericht erstattet. Interessante Klänge bringt die Continuo-Kombination von Chitarrone und Orgel. Christoph Helm und Carsten Niemann sind die Autoren inhaltsreicher Bookletbeiträge, das nur darunter leidet, dass die Punktgröße der Schrift an die Grenze des Lesbaren geraten ist. Vermisst wird lediglich das Portrait von Theile, das 2008 in der Lübecker Stadtbibliothek entdeckt wurde.
So ist Theiles Passion ein Markstein in der Entwicklung der oratorischen Passion, die Wiedergabe dieser CD dank Manfred Cordes eine große Hilfe zum Erleben der Karwoche, beginnend mit dem Sonntag Palmarum, dem die Matthäus-Passion liturgisch zugeordnet ist.


Rainer Goede
April 2020 / Juli 2020

Johann Theile - Seelen-Music

Interpreten: Sacred Concertos, Dorothee Mields, Hamburger Ratsmusik, Simone Eckert
Label: cpo


Die CD bündelt Kantaten für Solo-Sopran des Gottorfer und Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Johann Theile (1646 – 1724) und des Lüneburger Lamberti-Organisten Christian Flor (1626 – 1697) aus der Düben-Sammlung. Sonaten von Theile und des Lübecker Stadtmusicus Gregor Zuber (c 1610 – c 1673) geben dem Gambenensemble von Simone Eckert Gelegenheit, ihr ganzes Können und Engagement für diese Musik zu zeigen. Dorotee Mields singt wie immer abgehoben im Klanghimmel, lässt aber eine deutliche Aussprache der Konsonanten vermissen. So ist es schwierig, die Texte, bzw Textwiederholungen zu verfolgen. Die geistlichen Konzerte aus der Mitte der 1680er Jahre, also aus den Gottorfer Jahren von Theile, dienten entweder im Gottesdienst oder als private Erbauungsmusik, herausragend dabei das Konzert „Gott, hilf mir, denn das Wasser gehet mir bis an die Seele“. Regelrecht theatralische Wirkungen erzeugen die beiden Konzerte von Flor, deren kurze Textvorlagen zu großen Steigerungen und deklamatorischen Höhepunkten hochbarocken Umfangs führen. Die Sonaten à 4 von Theile und Zuber zeigen die hohe Kunst der Stadtpfeifer nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, zupackend und intelligent wiedergegeben von der Hamburger Ratsmusik.

Die CD präsentiert die Hochform der instrumentalen und Sololiteratur des 17. Jahrhunderts, allein schon die Konzerte von Flor bieten hohen Anreiz, die CD öfter zu hören.


Rainer Goede
April / Juli 2020

Buxtehude-Studien Band 3

Herausgeber: Matthias Schneider und Jürgen Heering
Verlag: Butz


Da ist er nun, der schwergewichtige (fast 200 Seiten!) Band 3 der „IDBG“:
der 2004 in Lübeck gegr. I(nternationalen) D(ieterich) B(uxtehude) Gesellschaft. Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. Ton Koopman, Amsterdam/NL.
Vorausgegangen waren Band 1 (2015) sowie Band 2 (2017), deren Inhalte teils im Internet veröffentlicht sind.



Zu Band 3:
Die Titelseite ziert der damals modische latinisierte Unterschriftszug: Dieterico Buxtehude.
Vielleicht eine Kleinigkeit:
mir gefällt einfach die (e) lose Schreibweise: Diet(e)rich Buxtehude.
Und: der Buxtehude-Schüler Dietrich (!) Leyding ist eben unter solcher Schreibweise bekannt.  
Auch die damalige Briefmarke (1987 zum 350. Geburtstag) hielt sich an diese Version.
Und noch etwas zum Schmunzeln es gibt tätsächlich „Datterich“ aus der Darmstädter Lokalposse.

Doch nach diesen Ausschweifungen nun endlich zur Publikation selbst:
Aus völlig unterschiedlichsten Sichtweise (in Perspektiven  von
ausübenden Musikern / Philologen / Musikwissenschaftlern / Theologen / Philosophen / Orgelsachverständigen…)
sind also die einzelnen Fachbeiträge zu sehen.
Der opulente Band enthält außer Vortragstexten der Jahrestagungen (leider nur in Englisch (!): Lübeck´s Sacred Treasures)
2017 bzw. 2018 noch eine Anzahl weiterer  sog. „freier“ Beiträgen.
Dennoch: unschön und nicht frei von Animositäten die Korrespondenz(en) zwischen Ton Koopman und Klaus Beckmann (S. 189).

Das breitgefaßte Themenspektrum behandelt u.a. die Chorbibliothek von St. Marien Lübeck, das Buxtehude zur Verfügung stehende Instrumentarium, die „mystische“ (pietistische!) Dimension in Buxtehudes Vokalwerken, latente Poetik in den Triosonaten, lateinische Kirchenmusik im Kontext mit barocker Abendmahlsfrömmigkeit.

Ein Satz wurde mir durchaus zur Offenbarung (S. 151) : Eine hochtheologische (!) Angelegenheit, die Musik...
Differenziert und freilich auch brisant sind die stark divergierenden Auslegungen des terminus „con discrezione“ (S. 153).
Vielleicht auch hier wieder ein Stück Glaubenssache neben theoretischen wissenschaftlichen Ergüssen.
Auf jeden Fall: Auflockernd sind alle Tabellen, Übersichten, die liebevollen und zahlreichen Musikbeispiele sowie die grafischen Illustrationen, denn ansonsten könnte es beim Lesen doch gelegentlich zu etwas leichten Ermüdungserscheinungen der doch teilweise (sehr) „trockenen“ akademischen Sujects kommen


Christoph Brückner
April 2020 / Juli 2020

Felix Mendelssohn Bartholdy - Analytische und rezeptionsgeschichtliche Perspektiven

Autoren: Birger Petersen / Ian Philipp Sprick
Verlag: Olms


Der Band geht auf das Symposion „Mendelssohn-Rezeption im 20. Jahrhundert“, das 2009 in Rostock stattfand, und eine Ringvorlesung  „Die Musik Mendelssohns“ der Hochschule für Musik und Theater in Rostock zurück. Er ist in der Veröffentlichungsreihe „ContraPunkte, Musiktheorie und Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Rostock“ als Band 2 erschienen.

Der Band bringt nach einer Einleitung der beiden Herausgeber zur Geschichte der bisher erschienenen Mendelssohn-Literatur neun Abhandlungen von Ian Philipp Sprick (Überlegungen zur Melodik), Immanuel Ott (Bach-Bezüge in der Choralkantate Wer nur den lieben Gott läßt walten), Ulrich Scheideler (Zum Kompositionsprozeß der Fuge op. 35,5), Benjamin Lang (Überlegungen zum Chorlied), Birger Petersen (Choral und Sonate bei Mendelssohn und Rheinberger), Klaus-Dieter Kaiser (Judentum und Christentum),Walter Werbeck (Mendelssohn und Richard Strauß), Philippe Olivier (Mendelssohn-Rezeption in Frankreich von 1890 bis 1933) und Gerd Rienäcker (Mendelssohn-Sicht zweier DDR-Musikwissenschaftler).

Wenn auch manches weit hergeholt scheint,  z.B. melodische Wendungen mit statistischen Mitteln zu charakterisieren, oder wenn sich ein Beitrag mehr mit Rheinberger, ein anderer mehr mit Strauß als mit Mendelssohn beschäftigt, geben die Aufsätze doch gute Einblicke in Mendelssohns Kompositionskunst, insbesondere bei der Vorstellung der verschiedenen Kompositionsphasen beim Werden der Fuge op. 35,5 oder der Auflistung von Satzkriterien im Beitrag zu Mendelssohns Chorliedern. Immer wieder auch interessant und erhellend sind Zeugnisse zur Frömmigkeit Mendelssohns in der Umbruchzeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Thema, welches bis heute virulent geblieben ist. Besser allerdings wäre es gewesen, den Band mit auf Mendelssohn zentrierten Arbeiten zu füllen.


Rainer Goede
März 2020 / Juli 2020
Friedrich Schneider - Das Weltgericht

Interpreten: GewandhausChor Leipzig, Camerata Lipsiensis, Leitung: Gregor Meyer
Label: Deutschlandfunk Kultur / cpo


Um es vorwegzunehmen: es ist nicht nachzuvollziehen, warum dieses Oratorium - wie auch die von Louis Spohr - heute selten bis nie zu hören ist. Seit knapp zehn Jahren sind die Noten dieses Oratoriums um das Ende der Welt wieder greifbar. Mit dieser CD kann sich jeder eine Musik ins Haus holen, die zwischen ihrer Uraufführung 1820 und und Mendelssohns Paulus (op. 36, 1836) unbestrittener Marktführer war. Natürlich, da steckt hörbar Händel und Haydn drin, auch schon ein bisschen Mendelssohn, aber hauptsächlich Schneider mit großer Phantasie und satztechnischem Können. Es ist ein fast reines Chor-Oratorium, das den Chor ordentlich fordert, dazu ein Solistenquartett und zwei Soli für die Rollen von Eva/Maria (hier Viola Blache) und dem leibhaftigen Satan (Joachim Holzhey), der mit einer ausholenden Arie und mehreren anderen Einsätzen eine bestimmende Rolle spielt. Dass alles gut ausgeht mit splendiden Chören, mit fantastisch gut gearbeiteten Fugen, Chorälen und Hymnen, versteht sich von selbst und gibt auch den heutigen Hörer Hoffnung mit auf den Lebensweg. Dramatisch der Kampf zwischen den über- und unterirdischen Mächten, ein Engelschor (das Solistenquartett) ist hilfreich präsent, in seiner Arie herausragend Raphael, auf der CD ergreifend schön gesungen von Patrick Grahl, die anderen Engel Martina Rüping (bis c3), Marie Henriette Reinhold und Daniel Blumenschein stehen ihm wenig nach.

Dass Chor und Orchester erstklassig musizieren, dafür trug Gregor Meyer Sorge. Die Aufnahme, sein Verdienst, ist musikalisch erste Qualität, vollkommen ausbalanciert, von mitreißendem Schwung, Tempo und Ausdruck getragen. Der einige Male zu hörende Mixklang von Fagotten und Hörnern verzaubert, lediglich der Choralt geht etwas unter, die Aufnahmetechnik hätte da ein wenig stützen dürfen.

Wenn auch das Libretto, das von dem Leipziger Juristen und Schriftsteller Johann August Apel (1771–1816), der auch die Textvorlage zu Webers Oper Der Freischütz lieferte, stammt, etwas verschwurbelt ist, die Musik des hochgeachteten herzoglich anhaltischen Hofkapellmeisters in Dessau Friedrich Schneider (1786 – 1853), der ein hochvirtuoser Pianist (Uraufführung von Beethovens 5. Klavierkonzert am 28.11.1811), Komponist eines umfangreichen Œuvres und bedeutender Lehrer war, macht das total vergessen. Das Weltgericht war sein unbestrittenes Hauptwerk, die stark theatralische Ausrichtung des Oratoriums, die auch heutige Zuhörer direkt in ihren Bann zieht, dürfte eine Hauptursache für seine außerordentliche Popularität damals gewesen sein. Es sollte wieder so sein!


Rainer Goede
März 2020 / Juli 2020
Beethoven unknown - Solo Piano Works

Interpret: Matthias Kirschnereit
Label: Deutschlandfunk/Berlin Classics


Beethoven schrieb Sonaten, Quartette, Sinfonien und die Leonorenouvertüre, ja und natürlich „Für Elise“ und „Freude, schöner Götterfunken“, macht sich gut als Welthymne und gegen den Coronavirus. Nur ist das nicht die ganze Wahrheit, die besteht bei Beethoven aus vielen Anläufen, Versuchen, Skizzen, Erfahrungen Experimenten, Überwindungen und Wagnissen und natürlich Klavierspielen. Die eigene Kindheit bei einem versoffenen Vater, Abbruch des Schulbesuchs, die zugemutete Pflege der kleinen Geschwister bereits im Alter von 16 Jahren,  Besetzung der Heimat durch die Franzosen, was macht so was mit einem hoch begabten jungen Menschen? Dazu schließlich Gehörverlust des 38-jährigen und Verwahrlosung - aber alle Hochachtung dem romantischen Genie! Haben seine Zeitgenossen ihn und seine Kompositionen verstanden? - Wahrscheinlich sogar besser als unsere Zeitgenossen, die nur dasjenige hören, was ihre eigene Cloud ihnen noch erlaubt.

Kirschnereit, Professor in Rostock, spielt das andere, das kleine, manchmal missachtete, rare und so kostbare Beiwerk der großen Opera, ohne die sie nicht die großen Opera wären. Da ist das Wunderwerk an Polyphonie des auch auf einer Orgel gut spielbaren Praeludiums in f-Moll (WoO 55, 1803), an polyphoner Kunst und Dichte nie wieder erreicht. Da sind die 6 Variationen in F-Dur, op. 34, ein breites Fundament der großen Variationskunst der Romantik. Da ist der Walzer in Es-Dur, WoO 84, Tanzkunst, bei der die Tanzkunst des Wiener Kongresses wohl aufhörte. Da ist …, da ist … Kirschnereit öffnet ein Schatzkästlein nach dem anderen, mit seiner hohen Spielkunst für ihn ganz unauffällig und selbstverständlich machbar. Am meisten zu bewundern ist sein Fortespiel, ein unerhörtes Understanding, das den Werken eine Natürlichkeit verleiht, als könnte man sie so im Vorbeigehen passieren lassen. Nur schade, dass er nicht zu einem zeitgenössischen Fortepiano gegriffen hat. Das Booklet verschweigt, welches Instrument hier erklingt, bringt ansonsten einfühlende Informationen zu den eingespielten Werken und ein Interview von Michael Kube mit Kirschnereit. Dass man die CD tunlichst mit den Noten in der Hand hören sollte, versteht sich, solche ‚Handschuhe‘ sorgen für ein sorgfältiges Auspacken dieser Schätze – und sie erhöhen die Wertschätzung!


Rainer Goede
März 2020 / Juli 2020

Ludwig van Beethoven - Christus am Ölberge, op. 85

Herausgeber: Clemens Harasim
Verlag: Carus


Die Neuausgabe bringt gegenüber der alten Breitkopf-Edition einige Vorteile. Neben dem Erstdruck von 1811 liegen der Ausgabe nämlich zwei frühere Handschriften zugrunde, zwei Partiturabschriften, die eine mit Eintragungen und Ergänzungen Beethovens, die er als Grundlage einer Überarbeitung verwendete, die andere (unvollständig, da die Abschnitte 6e und 6f fehlen) beinhaltet Ergänzungen des Kopisten Gebauer und Eintragungen Beethovens, die als Grundlage für die Erstellung der Stichvorlage diente. Im Verlag allerdings wurde eine teilweise alternative Textunterlegung vorgenommen, wogegen Beethoven protestiert hat, so dass deren Urbild vor dem Erstdruck nicht mehr vollständig festzustellen ist. So konnten in der Neuausgabe bei der Textierung Beethovens autographe Korrekturen als Variante über den Noten eingetragen werden, was aus musikalischer Sicht durchweg zu bevorzugen ist. Außerdem ist die Ausgabe auch englisch textiert, denn seit etwa 1814 war das Oratorium auch in England heimisch. Die Ausgabe trägt praktischerweise jetzt auch Taktzahlen, ansonsten wurde das Druckbild modernen Gepflogenheiten angeglichen.

Christus am Ölberge war das erste Oratorium nach den beiden von Haydn, es ist das erste Vokalwerk Beethovens in Wien und ist auch das einzige Oratorium Beethovens geblieben. Das Oratorium wurde am Dienstag der Karwoche, am 5.4.1803, in Wien uraufgeführt. Seine Ernennung zum Hauskomponisten des Theaters an der Wien war erst im Januar 1803 erfolgt, so dass das Oratorium zusammen mit dem Dichter Franz Xaver Huber innerhalb von zwei Wochen entstand, wie Beethoven selbst mitteilte. Die Posaunenstimmen hatte Beethoven erst am Tag der Uraufführung geschrieben.
Der immer wieder kritisierte Schwachpunkt des Oratoriums ist der Text, der nur die beiden Szenen von Christi Gebet in Garten Gethsemane und die Gefangennahme bringt, Christus dabei sehr frei als leidenden Menschen in überzeichneter Weise der Aufklärung darstellt. Diese Kritikpunkte aber gehen unter unter der bravourösen Musik Beethovens, die auf hochdramatische Weise in bester Opernmanier gefangen nimmt.

Das Oratorium wurde erst 1811 veröffentlicht, daher trägt es im Werkverzeichnis Beethovens die relativ hohe Opuszahl 85. Entstanden ist es im Anschluss an die zweite Symphonie und das dritte Klavierkonzert, die Beethoven denn auch zusammen mit seiner ersten Symphonie gleichzeitig in dem Konzert am 5.4.1803 aufführte. Die Kritiker haben die Musik hochgechätzt, infolgedessen kam das Oratorium in den deutschen, dann auch englischen und italienischen wie französischen Konzertsälen zu großem Erfolg. Der Text wird dazu geführt haben, dass Christus am Ölberge trotz der grandiosen Musik Beethovens heute nur selten auf dem Programm steht. Die Neuausgabe, zu der auch das Stimmenmaterial vollständig erschienen ist, kann hoffentlich dazu beitragen, das wieder zu ändern.


Rainer Goede
März 2020 / Juni 2020

Martin Luther - Geistliche Lieder

Herausgeber: Johannes Schilling
Verlag: Ev. Verlagsanstalt Leipzig


Nach eigener Aussage soll das Buch ein müheloses Verständnis für diese teils sperrigen Texte (Tod-Teufel-Tintenfass…) und eine Einordnung in die kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontexte ermöglichen. Welch hehres Ziel!

Meine Gedanken hierzu:
1545 erschien das nach dem Leipziger Verleger so benannte BAPST´sche Gesangbuch „Geystliche Lieder“. Vom dekorativen Titelblatt findet sich ein Faksimile-Abdruck (Seite 10), das die damalige Qualität beweist. Der Herausgeben J. Schilling wählte ein Dreier-Konzept:

  1. Texte
  2. Erläuterungen
  3. Anhang

Die beiden Blöcke hätte ich mir allerdings persönlich zusammengefasst (Ursprungs-Text/Erläuterung direkt hintereinander) gewünscht.
So entsteht nicht unbedingt der Eindruck „oremus“ (lasst uns beten) sondern: lasst uns blättern…Wem dient dieses Buch? Und warum fehlen die 1545 mitgelieferten Melodien heute? Zweifelsohne bleibt Martin Luther auch immer noch – immer wieder – ein „Kind seiner Zeit“ mit allen Licht- und Schattenseiten.
Zum Verständnis der komplexen historischen Zusammenhänge ist deswegen die obligatorische Zeittafel (S. 236-238) eine obligatorische und  dankbare weil hilfreiche Ergänzung.

Ich bitte hier einen Exkurs zuzulassen:
Wie hart erscheinen die Worte von Martin Niemöller (1892-1984): Der eigentliche Schaden (!) bei Luther scheint mir der zu sein, dass er das Lehramt der Kirche praktisch abgeschafft hat. Damit musste ja die Einheit und auch die Leiblichkeit der Kirche hinfallen; und seitdem haben wir das Gespenst der unsichtbaren Kirche….
Soweit das Zitat.

Aufgrund einer leider unvollständigen (!) Konkordanz (Der Bezug zum kath. Gesangbuch GOTTESLOB ist leider völlig ausgeblendet !) und aufgrund sämtlicher fehlender
Melodiefassungen wird sich die Zielgruppe dieses Buches, das nicht mit wesentlichen neuen Erkenntnissen aufwartet, doch eher auf evangelische Theologen beschränken. Im vielbeschworenen Ökumene-Zeitalter eher schade. So bleibt dieses zweifelsohne wortgewaltige Kompendium doch eher eingefleischten Luther-Fans vorbehalten.
Um nicht missverstanden zu werden: mir geht es nicht um „nüchternes Protestantentum“. Schon allein durch die Tatsache, dass die im Gotteslob (mit ö) sehr wohl vertretenen  Luther-Melodien keines Wortes gewürdigt werden, kann man von einer einseitigen (im Sinne von nicht vollständig ausgewogen) Sicht ausgehen.


Christoph Brückner
März 2020 / Juni 2020

Bach-Kommentar - Band IV

Autor: Martin Petzoldt
Herausgeber: Norbert Bolin
Verlag: Bärenreiter


Messen Magnificat Motetten

Zwölf Jahre nach dem Band II und fünf Jahre nach dem Tod des Autoren ist nun auch der abschließende Band IV der Bach-Kommentare des unvergessenen Leipziger Theologieprofessors und langjährigen Vorsitzenden der Neuen Bachgesellschaft Martin Petzoldt erschienen. Der Herausgeber Norbert Bolin hat unter der Mitarbeit von Jochen Arnold und Michael Beyer die Vorarbeiten Petzoldts für diesen Band gesichtet und wo notwendig ergänzt. Der Band wird ergänzt durch  hilfreiche Gesamt-Auflistungen der kommentierten Werke nach der Reihenfolge der Sonn- und Festtage und der Entstehung, nach der Reihenfolge des BWV und nach der alphabetischen Reihenfolge der Textincipits. Der Liturgische Kalender ordnet die Werke den entsprechenden Feiertagen zu, eine große Arbeitserleichterung, da die Revision des Liturg. Kalenders 2018 große Neuerungen gebracht hat. Weitere Verzeichnisse gelten der benutzten Literatur, den Personen und den Auszügen aus den Bibl. Erklärungen des J. Olearius in der Reihenfolge der Biblischen Bücher und der von Bach benutzten Texte.

Der Band ist als Band 14-4 in der Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart erschienen. Mit Rührung und Wehmut liest man die unvollständig gebliebenen Einleitungen Petzoldts zu den angeführten Werken in diesem Band IV seiner Theologisch-musikwissenschaftlichen Kommentierung der geistlichen Vokalwerke. Es kann nur wiederholt werden: Der Ansatz Martin Petzoldts, Bachs Kantatentexte und ihre Vertonung aus der zeitgenössischen Theologie und Gottesdienstpraxis zu erklären, ist unmittelbar einleuchtend – und hat beachtliche Konsequenzen hinein in alle Parameter einer Interpretation. Petzoldt ist damit ein epochemachendes Nachschlagewerk gelungen, unverzichtbar für die Vorbereitung von Aufführungen Bachscher Vokalwerke.

Wie in den drei ersten Bänden gliedern sich die einzelnen Besprechungen in eine Seite Übersicht nach dem liturgischen Ort, ihren Besetzungen und Literaturangaben, der die Wiedergabe der Auslegung aus der Olearius-Bibel mit der Textwiedergabe mit Angaben der Bibeltextbezüge folgt, ein musikgeschichtlicher Aufriss der Erstaufführung und eine Kontextsammlung zeitgenössischer Bibelausdeutungen sowie eine Analyse von Textzeilen und ihrer Vertonung beschließen den jeweiligen Kommentar.

Petzoldts Bach-Kommentar als umfassende Wissenssammlung zu allen grundlegenden Parametern Bachscher Vokal-Produktion ist ein nicht genug zu würdigendes Kompendium des heutigen Forschungsstandes. Petzoldts Bach-Kommentar gehört in jede Bibliothek von Kirchenmusikern und Kantatenpredigern – und studiert!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2020 / Juni 2020

Leichte Spielstücke für Klavier - Ludwig van Beethoven

Herausgeber: Peter Heilbut
Verlag: Edition Hug


Bereits 1989 erschien die immer noch gültige Notenedition des Komponisten, Musikpädagogen, Pianisten Peter Heilbut (1920-2005), der das KZ Sachsenhausen überlebte und ab 1945 Musik in Hamburg Musik studierte. Mir kommt auch hier der Gedanke in den Sinn Musik als Überlebensstategie zu sehen. Und tatsächlich: Beethoven Literatur füllt ganze Regale. Trotzdem gibt es immer noch viele Rätsel um den weltberühmten Komponisten. Schon das Geburtsdatum von Beethoven ist das erste Mysterium, denn überliefert ist nur sein Taufdatum: 17.12.1770.

Mit 12 komponierte er exotische (!) Titel wie „Lied an einen Säugling“ – „Elegie auf den Tod eines Pudels“. 1792 zieht Beethoven um nach Wien und verbleibt dort bis zu seinem relativ frühen Lebensende: Todesdatum ist der 26.03.1827. Die Musik des angeblich griesgrämigen Menschen mit der Löwenmähne ist geblieben. Wie erschütternd und betroffen ist das im Vorwort abgedruckte „Heiligenstädter Testament“ vom 6.10.1802, das eine seelische Offenbarung des vereinsamten Sonderlings darstellt, und das bereits 1802 den
Gedanken der Selbsttötung enthält. Umso wohltuender ist die Musik, die Peter Heilbut von Beethovens Werken selektiert hat:

Aus dem Inhalt:
Klavierstück „Für Elise“ / Bagatellen / Variationswerke mit den jeweiligen Opus-Zahlen.
Das formal längste Werk sind die Variationen in A-Dur über ein Thema des italienischen Opernkomponisten Giovanni Paisiello (1740-1816). Allerdings sind von den urspr. IX Variationen „nur“ VIII in dieser Ausgabe enthalten.
Auf die (umfangreichere) Abschluss-Variationen wurde dabei offensichtlich verzichtet. Somit sind alle Variationen einheitlich: immer 24 Takte lang. In Variation 4 (Seite 19) sind Melodie-Oktavierungen in der R.H. zu bewältigen.

Auf das sehr lesenwerte Vorwort wurde bereits hingewiesen.
Zu Beethoven Notierung (Bagatelle op. 199/9) findet sich ein interessantes Notenbeispiel als Autograph/Fragment.

Alle veröffentlichten Musikstücke sind ein idealer und wunderbarer Einstieg, denn bereits in diesen Miniaturen (Peter Heilbut nennt es allerdings „Bagatellsujet“) zeigt sich das klanggewaltige Spektrum von Beethoven Variations- und Ideenreichtum.

Das Vorwort schließt mit den Worten:
Will man Einlass finden in die elementare Kraft Beethovenscher Gestaltungs- und Empfindungswelten, muss man die hohe Stufe seiner Sonaten erklimmen. Und das bedeutet Ausdauer, ja, Besessenheit, und nicht zuletzt – fachkundigen Unterricht.


Christoph Brückner
für www.notenkeller.de - März 2020 / Juni 2020

St. German's Service op. 100

Komponist: Coates, Robert
Verlag: Cantando


Der im Jahr 2014 für den Chor der Kathedrale der Isle of Man und seinen Leiter Peter Litman komponierte „St. German’s Service“, ist ein kurzer, bis auf vier Takte einstimmiger Evening Service aus Magnificat und Nunc Dimittis. Der Komponist Robert Coates, ein in Norwegen lebender und arbeitender britischer Organist, bedient sich in seiner Komposition der „Hilfe“ von Johann Sebastian Bach, Martin Luther und W.H. Gill, indem er Versatzstücke aus deren Werken verarbeitet.

Der Umfang der Singstimme ist von d1 bis e2 im mittleren Bereich angesiedelt und bietet auch einem versierten Kinder- oder Jugendchor die Möglichkeit das Stück z.B. im Rahmen eines Evensongs aufzuführen.
Der begleitende Organist muss sich durch 6 # (Magnificat) bzw. 6 b (Nunc dimittis) wühlen. Ein ordentliches Druckbild der Noten ist gegeben, der farbige, wohl mit einem Laserdrucker erstellte Umschlag färbt jedoch schon beim ersten Berühren ab, da gibt es Nachbesserungsbedarf.

Sicher keine große Musik, dennoch durchaus aufführungswürdig.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - März 2018 / Mai 2020
Symphonies de Salon

Interpreten: Le Concert de la Loge
Label: apartemusic


Die Einspielung ist zweien der großen Jubilaren des Jahres 2020 gewidmet: Antonin Rejcha (1770 – 1836) und Ludwig van Beethoven (1770 – 1827).
Anton Reicha, vor allem bekannt durch seine zahlreichen Bläsermusiken und die abenteuerlichen 36 Fugen, op. 36 (1805), für Klavier, bzw. Orgel, hinterließ auch drei „Grande Symphonie“, die für neun Instrumente, Streicher, Holzbläser und Horn, geschrieben sind. Hier wird seine erste Grande Symphonie D-Dur (undatiert) wohl als Ersteinspielung mit dem bekannteren Septett e-Moll, op. 20 (1800), von Beethoven kombiniert.
Auch Beethovens Herz schlug nach seinen Anfängerjahren als Orgelschüler bei Christian Gottlob Neefe in Bonn bekanntlich nicht für die Orgel, neben absoluten Schülerwerken stehen da nur das respektable Praeludium f-Moll, WoO 55 (1803), die „Drei Stücke für Flötenuhr“, WoO 33a (1799) und drei allerdings sehr schöne Trios, deren Zuschreibung an Beethoven aber zu bezweifeln ist. Dass beide Komponisten in Wien zu einer guten Freundschaft fanden, macht die Kombination noch eingängiger. Ist Reichas Satz von extravaganter Komponier- und Spiellust gekennzeichnet, so spricht aus Beethovens Septett schon der sich manchmal quälende Geist nach einer endgültigen kompositorischen Lösung, die so überraschend wie von erster Qualität ist, einem Testament ähnelnd.

Dass diese Qualitäten vom Ensemble „Le Concert de la Loge“ in ebengleicher Qualität ausgeführt werden, ist von vornherein klar. Wollüstige Klänge wie analytische Klarheit kennzeichnet das Spiel der neun Solisten, die aus einem Geist spielen, dass der Hörer die CD gleich noch einmal auflegt. Das Booklet (nur frz. und engl.) mit zwei Aufsätzen von Ètienne Jardin und Francois-Pierre Goy/Julien Chauvin (1. Violine) bringt alle notwendigen Informationen.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2020 / Mai 2020

Klingende Toleranz

Interpreten: Leipziger Synagogalchor, Kammerchor Josquin de Préz, Ltg Ludwig Böhme
Label: Querstand


Das Programm ist eine Rekonstruktion eines Synagogenkonzertes aus Leipzig von 1926, dessen gedrucktes Programm erhalten blieb. Wie damals allgemein üblich wechselt die Besetzung des Konzertes zwischen Solo-Orgelstücken, Motetten für gemischte Chöre und  Bearbeitungen für Sologesang, Violine und Orgel.

Das Programm beginnt mit Bachs Fantasie g-Moll, BWV 542/1, hier gespielt von Ulrich Böhme wohl in St. Thomas (das Booklet verschweigt das Instrument). Motetten von Salomone Rossi (um 1570 – um 1630), Louis Lewandowski (1821 – 1894), Salomon Jadassohn (1831 - 1902) und  Arnold Mendelssohn (1855 – 1933) wechseln sich ab mit Bearbeitungen der Follia-Variationen von Corelli für Violine und Orgel und von Liedern aus Oratorien von Händel und Mendelssohn Bartholdy in Bearbeitungen für Sopran, Violine und Orgel. Der damalige Kantor Samuel Lampel (1884 – 1942) schrieb eine Psalmmotette (Ps 92) für Kantor, Chor und Orgel, die die romantische Praxis der Zeit festhielt. Kantor Assaf Levitin, Hannover, singt mit durchschlagendem Tremolo diese Partie auf der CD; dass man sich wirklich zurückgesetzt fühlt in die Zeit von vor 100 Jahren. Anja Pöche, Sopran, und Susanne Langner, Alt, Henrik Hochschild, Violine, und Tilman Löser, Orgel, sind die anderen zuverlässig und schön gestaltenden Solisten dieser Aufnahme. Ludwig Böhme, Mitglied des Calmus Ensembles, Dirigent beider Chöre, ist der Spiitus rector der Wiederholung des Konzertes von 1926 in Leipzig wie dieser Aufnahme. Man kann ihn nicht genug loben dafür!

Thomas Schinköth schrieb eine engagierte weit ausholende Einführung im Booklet, das auch ansprechend bebildert ist. In einer Zeit, in der so manche das Geschehene während der Nazi-Diktatur nicht richtig werten mögen, ist diese Aufnahme ein Zeichen wahrer Erinnerung, Erinnerungskultur vom Besten!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2020 / April 2020

17the-Century Sacred Music in Wroclaw

Interpreten: Gli angeli Geneve, Concerto Palatino, Wroclaw Baroque Orchestra, Ltg. Stephan Macleod
Label: Claves


Mit dieser CD wird die lokale Breslauer Musikhistorie des 17. Jahrhunderts aufbereitet. Die in ihren Besetzungen sehr vielfältige Folge von Kompositionen von meist heute nicht mehr bekannten örtlichen Komponisten stellt aber auch Werke überregional bedeutender Meister vor wie Biagio Marini, Giovanni Legrenzi und Tarquinio Merula, womit offenbar ist, dass die Mode der Zeit von Italien bestimmt wurde. Aber auch Breslauer Organisten der Zeit bekamen überörtliche Bedeutung, wofür der Name von Tobias Zeutschner (1621 – 1675) stehen mag, dessen doppelchörige Hochzeits-Motette Der Herr gebe euch vom Tau des Himmels (Breslau 1656) auf demselben Niveau wie die Werke von Heinrich Schütz steht, sie stellt denn auch den absoluten musikalischen Höhepunkt dieser CD dar. Zeutschner (1621 – 1675) war seit 1649 Organist an St. Bernhardin in Breslau und wechselte 1655 an St. Maria Magdalena. U.a. gab er 1661 in Leipzig seine Musicalische Kirchen- und Hausfreude heraus, eine Sammlung von zehn klein besetzten geistlichen Konzerten bis hin zu umfangreichen Festmusiken im modernen italienischen konzertierenden Stil. 1667/70 waren es zwei Teile Musikalische Hausandacht, je zehn schlichte Lieder für Cantus und Bassus umfassende Sammlungen. Seine um 1660 geschriebene  Weihnachtsgeschichte setzte Maßstäbe, die selbst für Schütz galten. Andersrum folgt Schützens Vorbild die Auferstehungs-Historie von Zeutschner.
Wohl für den eigenen liturgischen Bedarf sammelte der an der Breslauer Elisabethkirche wirkende Organist Ambrosius Profe (1589–1661) zwischen 1641 und 1643 vier Anthologien unter dem Titel Geistliche Concerte und Harmonien, in denen er ausgewählte Werke verschiedener Komponisten herausgab.Zu ihnen zählt auch Mikolaj Zielenski, Polens bekanntester Barockkomponist, der mit einer Communio in Solo-Besetzung in der Art der Seconda Prattica vertreten ist. Aus Profes Sammlungen stammen neben den genannten Italienern noch einige der eingespielten Werke, abwechslungsreich für Cornetto und Orgel bis hin zur 20-stimmigen Pracht-Motette von Asprilio Pacelli Dum esset rex.

Das Booklet bringt einen kundigen, aber knappen Text von Marcin Szelest und die genauen Besetzungen des Wroclaw Baroque Orchestras, das sich für diese CD der Hilfe von Gli angeli Geneve und Concerto Palatino versicherte. Stephan Macleod leitet das Gesamtensemble mit all seiner Kenntnis barocker Musik vorbildlich. Leider verschweigt das Booklet die Texte der Motetten, einziges Manko dieser instruktiven CD.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2020 / April 2020

 

Mare Balticum Vol. 2 - Medieval Finland and Sweden

Interpreten: Ensemble Peregrina, Ltg: Agnieszka Budzinska-Bennett
Label: Tacet


Diese CD ist die zweite von vier geplanten Programmen, die sich mit dem musikalischen Erbe der Ostseeregion des Mittelalters beschäftigen. Den Schwerpunkt setzt Agnieszka Budzińska -Bennett mit ihrem Ensemble Peregrina dieses Mal auf schwedische und finnländische Musik des 14. bis 16. Jahrhunderts. Es versteht sich, dass die Messgesänge, Hymnen, Responsorien, Antiphone  etc. als einstimmige Gesänge in gregorianischer Manier überliefert sind. Zwei- und dreistimmige Beispiele sind nur in einem Ieremiae prophetie aus der 1582 in Greifswald erschienenen Sammlung Piae Cantiones und Jucundare iugiter zu hören, das die Moraltreue des finnischen Volkes besingt. Bekannt ist dem Hörer der Hymnus Jesus Christus Lunastajam, bzw. Jesus Christus nostra salus als zweistimmige Version aus einer dänischen Quelle des 15. Jahrhunderts durch Luthers Übertragung.
Zwar werden die Quellen angegeben, ein liturgischer Zweck aber wird leider nicht benannt. Doch übertönt dieses Manko das engagierte Musizieren des Vokal-Ensembles Peregrin, das durch Laute, Citter, Vielle, Renaissance Violine und Fidel ergänzt wird. Sie treten auch in einer rein instrumentalen Version des Hymnus Ave maris stella sehr für sich einnehmend auf. Das Ziel, die mittelalterliche Musik nördlich der Ostsee zu sammeln und ein wenig populärer zu machen, erreicht diese CD wieder mühelos.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2019 / April 2020
Sancta Maria

Komponistin: Trine Franksdatter
für Frauenchor SSAA + Solist Verlag: Cantando


Trine Franksdatter, geboren 1990 nahe Oslo, Studium daselbst, legt eine kurze Motette über den Text des Ave Maria vor. Das etwa 3 Minuten lange Stück ist für nicht näher bezeichnetet, mittlere (c1-f2) Solostimme und bis zu vierstimmigen Oberstimmenchor komponiert. Die Komponistin kombiniert dabei traditionelle Melodielinien der norwegischen Folklore mit harmonischen Clusterklängen. So ergeben sich schwebende Klänge, nicht ohne intonatorische Schwierigkeiten. Für sichere Frauen- und Jugendchöre ist das Stück eine Bereicherung des Repertoires. Die Ausgabe ist übersichtlich gestaltet, die Notenzeilen hätten aber durchaus etwas größer ausfallen können.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Dezember 2019 / April 2020
Missa de Lumine

Komponist: Tord Kalvenes
für gemischten Chor und Soli a cappella Verlag: Cantando


Gleich vorweg, ein spannendes Stück für anspruchsvoll singende Chöre.

Die Missa de Lumine, komponiert 2018 im Auftrag der Bergener Kathedralmusik, entstand in zwei Abschnitten. Tord Kalvenes, geb. 1989 in Bergen/Norwegen) komponierte die Sätze Kyrie, Sanctus und Agnus Dei bereits 2014 als Examensstück im Kompositionsstudium, Gloria und Credo folgten dann 2018.

Ein anspruchsvolles, langes Werk, das in seiner Tonsprache zwischen klassischer Vokalpolyphonie  und Tintinabulumtechnik changiert. Vieles erinnert an Palestrina (Christe) oder Pärt (Kyrie) aber auch Einflüsse nordischer Musik, vielleicht Nysted,  sind deutlich erkennbar. Bis zu 12stimmig, teilweise mit solistischen  Passagen, ist diese Messe nur etwas für sehr gut, intonatorisch sichere Chöre, sie werden sicher viel Freude beim musizieren haben. Spannende Klanglichkeit, ein wirklich lohnendes Stück, die, wenn man sich darauf einlässt, sicher auch beim Publikum ein Genuss an „schrägen“ Harmonien erzeugen wird. Ein gewisse „Kathedralakustik“ schadet sicher nicht.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Dezember 2019 / April 2020
Hieronymus Praetorius - Missa Tulerunt Dominum meum

Interpreten: Siglo de Oro, Patrick Allies
Label: Delphian


Zu den wenigen Einspielungen von Werken des ersten weltbekannten Hamburger Kantoren Hieronymus Praetorius (1560 – 1629) gesellt sich eine beachtenswerte Aufnahme seiner Missa Tulerunt Dominum meum. Die Messe wird ergänzt durch die Evangelienmotette Maria stabat ad monumentum von Andrea Gabrieli und abgerundet durch die Communio Surrexit pastor bonus von Praetorius. Zuvor erklingt die der Messe den Namen gebende Motette Tulerunt Dominum meum ebenfalls von Praetorius. Hinführend erklingen zuvor die Motette Tristis est anima mea (Responsorium der ersten Nokturn an Gründonnerstag) von Orlando di Lasso, der Jacob Handls Motette Filiae Jerusalem, nolite (Lukas-Passion) folgt sowie der Psalm 63, vertont von Hans Leo Hassler.

Diese hervorragende Textkompilation wird ebenso hervorragend wiedergegeben durch das britische Profi-Vokalensemble Siglo de Oro unter der Leitung seines Gründers Patrick Allies, der sich durch etliche Einspielungen bereits einen guten Namen gemacht hat. Die absolut klare Intonation und Textaussprache macht auch diese Aufnahme zu einer Referenz-Aufnahme! Zwar hätte es nahegelegen, die Ostermesse auch mit zeitgemäßen Instrumenten auszuführen, aber auch so ist die Aufnahme faszinierend, absolut fesselnd im virtuosen Kyrie und prachtvollen Sanctus. Das Booklet (nur engl.) bringt eine gute Einführung aus Allies Feder, so dass die CD höchst empfehlenswert ist.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2019 / April 2020
Leipziger Disputation

Interpreten: Calmus Ensemble/amarcord
Label: Carus


Der CD-Titel nimmt Bezug auf das Streitgespräch zwischen Martin Luther (1483 – 1546) und Johannes Eck (1486 – 1543), das ein oder eher noch der Eckpunkt der Reformationsgeschichte werden sollte. Herzog Georg von Sachsen, der Bärtige (1471 – 1539), hatte angeordnet, die ausgreifenden theologischen Streitereien mit einer akademischen Disputatio zu klären, wozu sich der Ingolstädter Theologieprofessor Eck als Opponent und der Wittenberger Dekan der theologischen Fakultät Andreas Bodenstein (genannt Karlstadt, 1486 – 1541) als Respondent verabredeten, dazu kam dann noch Luther, dessen Thesen Eck im Besonderen kritisiert hatte.
Diese Universitäts-Veranstaltung, die aus Raumgründen in der Leipziger Pleißenburg am 27. Juni 1519 begann, wurde eröffnet mit einem festlichen Gottesdienst in der Thomaskirche, indem u.a. eine 12-stimmige Messe unter der Leitung des Thomaskantoren Georg Rhau erklang. Vor der Disputation versicherten die Teilnehmer in der sogenannten protestatio mit einem Eid, alles, was quasi im Eifer des Gefechts von ihnen gesagt werde und was vielleicht gegen die Lehre der Kirche verstoße, werde nur disputative erörtert, aber nicht assertive behauptet, woraufhin alle Anwesenden niederknieten und die Thomaner begleitet von den Stadtpfeifern "Komm, heiliger Geist" sangen. Zum Abschluss der Disputation erklang am 15. Juli ein feierliches Te Deum.

An die musikalische Eröffnungsszenerie knüpft das Programm der vorliegenden CD an. Die 12-stimmige Messe wurde als die des Franko-Flamen Antoine Brumel (1460 – 1513, u.a. Kanoniker an der Kathedrale von Laon, seit 1498 Magister puerorum an Notre-Dame in Paris) erkannt. Sie verarbeitet den Antiphon der Osterlaudes Et ecce terrae motus (Mt 28,2 Und es geschah ein großes Erdbeben) teilweise kanonisch, auf kunstvolle polyphone Weise entsteht hier ein rhythmisch belebter bis virtuoser Satz auf einem dichten klangprächtigen Harmonieteppich von magischer Wirkung. Der Psalm 130 erklingt in Sätzen von Josquin (lateinisch) und Johann Walter (deutsch), von dem auch die 3-textige Huldigungsmotette Beati immaculati in via (Ps 119 und Texte zu Ehren Luthers und Friedrichs des Weisen) stammt. Introitus-Antiphon, Graduale und Offertorium erklingen gregorianisch aus dem Thomasgraduale (um 1300), der Communion-Psalm 13 lateinisch von Cipriano de Rore und deutsch von Thomas Stoltzer, das abschließende dritte Agnus ist ein ebenfalls 12-stimmiger Satz von Nicolas Gombert.

Ist allein schon diese Programmzusammenstellung in der Folge der Messordnung preiswürdig, so ist das Zusammengehen der beiden Leipziger Vokalensemble - beide sind aus dem Thomanerchor hervorgegangen - in höchstem Maße beglückend, die Musiker beschenken sich hier selbst auf schönste Weise! Selten ist ein Hörerlebnis so tiefgreifend! Die Booklettexte von Peter Wollny und Ivan Moody zeigen den historischen und formalen Hintergrund sachdienlich, wenn auch knapp, auf.

Eine CD, die jedem ans Herz gelegt sei, zumal das Gedenken an die Reformation sich ja nicht mit dem Thesenanschlag erschöpft, sondern mit der Leipziger Disputation seinen historischen Wendepunkt zum öffentlich nachvollzogenen Glaubensakt, und das als akademischen Akt, erfuhr.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2019 / März 2020
Alexander Utendal - Bußpsalmen und Magnificats

Interpreten: Profeti Della Quinta, Leitung: Elam Rotem
Label: tiroler landesmuseen - musik museum 37


Unter dem Titel „Meine Tage sind wie Schatten“ sind drei Psalmen (6, 31 und 101) vokal und drei Magnificat-Sätze (2., 4. und 7. Ton) instrumental eingespielt. Die Bußpsalmen von Alexander Utendal (* nach 1530 möglicherweise in Gent † 07. Mai 1581 in Innsbruck) erschienen in den „Septem Psalmi poenitentiales“ (Nürnberg 1570), die Magnificat-Vertonungen in den „Tres Missae“ (Nürnberg 1573). Utendal wirkte nachweislich seit 1564 als Alt-Sänger in der neu gegründeten Prager Kapelle von Erzherzog Ferdinand, mit der er 1567 nach Innsbruck umzog. Ende 1572 wurde er zum Kapellknaben-Praezeptor und damit zum Vizekapellmeister ernannt. Neben den genannten Drucken  sind noch einige Motetten, das „Sacrarum cantionum, Liber 1“ zu fünf Stimmen (Nürnberg 1571) und das „Liber tertius sacrarum cantionum“ zu fünf bis sechs Stimmen (Nürnberg 1577) überliefert, aber auch weltliche Lieder sowie  „Ein schön nutz unnd gebreüchlich Orgel Tabulaturbuch“ zu vier bis 12 Stimmen  (Laugingen 1583).



Utendal hält sich an den Stil der franko-flämischen Schule, seine Bußpsalmen korrespondieren mit den 10 Jahre zuvor entstandenen Bußpsalmen Lassos, basieren aber auf den zwölf Modi des „Dodekachordon“ von Heinrich Glarean. Zwischen dem Innsbrucker und dem Münchner Hof gab es intensive Beziehungen, denn der bayerische Herzog Albrecht, di Lassos Dienstherr, war mit Ferdinands Schwester Anna verheiratet.

Das schweizerisch-israelische Ensemble „Profeti Della Quinta“ und ein Gambenconsort musizieren mit großer Kompetenz und Hingabe, so dass die Aufnahme nur empfohlen werden kann. Schließlich schließt sie auch eine Lücke im Repertoire. Das Booklet bringt eine gute Einführung von Franz Gratl, vermeldet aber nichts zu den Ausführenden und ihren Instrumenten.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2019 / März 2020

Dieterich Buxtehude - Abendmusiken

Interpreten: Ensemble Masques und Vox luminis
Label: alpha classics


Die CD vereint die Dialog-Kantate „Gott hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Seele“, BuxWV 34, und die Choralkantaten „Befiehl dem Engel, dass er komm“, BuxWV 10, „Jesu, meine Freude“, „Herzlich lieb hab ich dich“ und „Jesu, meines Lebens Leben“, BuxWV 90, 41 und 62, mit den Streicher-Sonaten BuxWV 272, 255 und 267. Was der sachliche CD-Titel nicht vermittelt, ist Buxtehudes expressionelle Darstellung der Naturgewalten in der Eingangskantate (Ps 69), die anrührende Andachtshaltung in der Kantate zu Erasmus Albers Übertragung des Hymnus „Christe qui lux es et dies“ („Christ, der du bist der helle Tag“, EG 469,6+7, aus „Die Morgengeseng“, Nürnberg 1556) und die formstrengen wie formsprengenden Sonaten, deren dunkles Timbre mystische Glaubenszüge nahelegt.

Buxtehudes Kantaten und Sonaten sind wie seine Orgelwerke kleingliedrig, bringen Ostinati, Tanzformen, Fugen und vor allem auch Abschnitte im Stylus Phantasticus. Die beiden Ensembles unter der Leitung von Olivier Fortin und Lionel Meunier geben die Notentexte höchst engagiert wieder, geben jeder Wendung überzeugenden Ausdruck, warten jederzeit gespannt darauf, den Effektbogen bis zum Reißen anzuspannen. Der musikalischen Qualität wird das Booklet leider nicht gerecht. Der Einführungstext von Peter Wollny ist mehr als knapp, weiß außer Schlagworten zu den einzelnen Kantaten und Sonaten nichts zu sagen. Verschwiegen wird auch jeder Hinweise zu den Textquellen (s. Anmerkungen oben) und zu den Ausführenden und ihren Instrumenten. Wer aber einen Höhepunkt barocker Musikgeschichte hören möchte, der greife zu dieser CD!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2019 / März 2020

Gottfried August Homilius - Weihnachts- und Adventskantaten

Interpreten: Kölner Akademie, Leitung: Michael Alexander Willens
Label: cpo


Eingespielt sind die drei Adventskantaten HoWV II.3, 6 und 8, in denen es um die Wiederkehr Christi als Richter geht, und die Weihnachtskantate „Merk auf, mein Herz, und sieh dorthin“, HoWV II.12. Entstanden sind sie vermutlich um 1776, die Weihnachtskantate nachweislich 1762. In ihrer vielfältigen Anlage sind sie typisch für die Klangschönheit und die natürlich treffende, manchmal schon naiv zu nennende Ausdruckskraft des Dresdener Kreuzkantoren Gottfried August Homilius (1714 – 1785). Mit über 180 erhaltenen Kantaten setzte er ein nachdrückliches Denkmal für die gottesdienstliche Kunst der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Mit Lust nimmt sich das Ensemble der Kölner Akademie dieser Musik an, mit Verve gestaltet ihr Leiter Michael Alexander Willens die einzelnen Sätze und fügt sie zu einem größeren Ganzen zusammen. Nur die Choräle geraten ihm viel zu schnell, damals sang die Gemeinde in einem langsamen egalisierten Tempo, dazu kamen noch Zeilenzwischenspiele, die wenn vielleicht auch nicht ausgeführt, doch idealisierten Platz beanspruchten. Etwas seltsam, dass die Solisten, die auch im Chor mitsingen, mal vor dem Orchester, mal entfernt hinter ihm zu hören sind. Das entspricht sicherlich nicht historischen Gegebenheiten. Wenn man denn Kritik üben möchte, dann nur die, dass das Ensemble den historischen Vorgaben aus der Dresdener Frauenkirche  nicht entspricht. Da wären dann ein etwas größerer Knabenchor und ein etwas größeres Instrumentalensemble richtiger am Platz. Da die Kantaten von Homilius aber weit verbreitet waren, wurde woanders wohl eher in einer Besetzung ähnlich dieser CD musiziert.

Klaus Winkler fügt im Booklet eine kundige Einführung hinzu, gerne hätte man darin auch noch ein Foto des Ensembles bei der Arbeit gesehen. Eine CD zwar zum Wohlfühlen, aber die Botschaft des kommenden Herrn ist keineswegs nur in Wohlgefühl gebettet. Die rechte Weihnachtsfreude spiegelt der Schlusschor der Weihnachtskantate „Ehre sei Gott in der Höhe“, in dem Engel mit ihrem ausgelassenen Jubel namenlose Freude machen.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2019 / März 2020

Andreas Hakenberger - 55 Motets from the Pelplin Tabulature

Interpreten: Polski Chor Kameralny, Musica Fiorita, Leitung: Jan Lukaszewski
Label: Naxos

Wenn die Geschichtsschreibung jemanden nicht in den Blick nahm, dann bleibt es meistens so. Gegen diese Nichtbeachtung setzte nun Jan Lukaszewski seine Einspielung der großartigen Motetten des Danziger Marienkantors Andreas Hakenberger (1573/74 – 1627). Hakenberger, er nannte sich einen „Pomeranus“, studierte an der Viadrina in Frankfurt/Oder und wurde (vermutlich) 1602 Komponist, Lautenist und Sänger in der polnischen königlichen Kapelle in Krakau. Hier unter den zahlreichen italienischen Mitgliedern der Kapelle lernte er den neuesten venezianischen Stil, den der Cori spezzati-Technik (Mehrchörigkeit) kennen. 1608 avancierte der Katholik Hakenberger zum Kapellmeister der Marienkirche in Danzig, wo er schließlich über eine Kapelle von 14 Sängern und 11 Instrumentalisten verfügte. Er veröffentlichte seit 1612 mehrere Sammlungen groß besetzter lateinischer Sakralwerke. Die in dieser Einspielung wiedergegebenen 6- bis 12-stimmigen Motetten finden sich in der Pelpliner Orgeltabulatur, die zwischen 1630 und 1650 niedergeschrieben wurde. Neu geordnet entstammen sie den Drucken „Sacri modularum concentus“ (Stettin 1615) und „Harmonia sacra“ (Frankfurt 1617).

Nicht weit weg von den gleichzeitigen Kompositionen des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Michael Praetorius und den späteren des Dresdener Hofkapellmeisters Heinrich Schütz aber auf gleichem Niveau erglüht hier eine feurige Klangpracht, geschult an der neuesten venezianischen Kunst, mitreißend in einem meist mehrchörigen Satz unterschiedlicher Besetzungen geschrieben, der  lateinisch-sprachige Texte – vornehmlich Bibeltexte (Antiphonen, Responsorien und Psalmen) - zu der Liturgie der hohen Festtage, aber auch überkommene Gebets- und neue Meditationstexte umfasst. Abwechslungsreich gestaltet Hakenberger seine Motetten mit imitatorischen und homophonen  Abschnitten in wechselnden Taktarten, chromatische und dissonante Passagen sind von großer Aussagekraft. Seine rhetorische Kunst beeindruckt durch Klang- und Lautmalereien, verstärkende Wiederholungen als auch Echopartien wie überraschende Pausenaffekte.

Dem allen wird Jan Lukaszewski mit seinen beiden Ensembles Polski Chór Kameralny und Musica Fiorita mit Streichern, Bläsern und großer Continuobesetzung  gekonnt gerecht, wenn auch der Chor für diese eigentlich solistische Literatur überbesetzt ist. Das Booklet genügt allerdings den Ansprüchen der ausgewählten Literatur nicht, es enthält lediglich einen (ins Englische übersetzten) Einführungstext von Agnieszka Leszczynska sowie die Vorstellung der Ensembles. Eine Textwiedergabe sowie ihre liturgische Bestimmung darf man sich im Internet suchen, für viele sicherlich eine hohe Hürde, um diese Musik sachgerecht zu verstehen. Dennoch gebührt der Aufnahme ein Preis schon allein für die einzigartige Literaturwahl!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2019 / Februar 2020
Freimaurermusik

Interpreten: Vocal Concert Dresden, Leitung: Peter Kopp
Label: Edel Kultur

Zusammen mit Dr. Kornél Magvas, Fachschaftsleiter am Dresdener Kreuzgymnasium, der auch den sehr informativen Booklettext verfasste, hat Peter Kopp, inzwischen Rektor der Hochschule für Kirchenmusik in Halle (Saale), eine CD vorgelegt, die einen reichen Einblick in die Musikkultur der Freimaurer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schenkt. Gesänge zur Eröffnung der Loge, „Zur Ehre Gottes“, „Der Meister an die Brüder“, eine Trauerloge, Schillers „An die Freude“ in vier Fassungen, „An unsere Schwestern“, „Schluss der Loge“ u.a. zeichnen die „Liturgie“ einer „Tempelarbeit“ nach, deren Ziel die Stärkung der fünf sozialen Grundideale der Freimaurer war: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Die Texte lieferten u.a. Ludwig Friedrich Lenz (1717 – 1780, Hofrat und Amtmann in Altenburg), Gottfried Ferdinand von Lindemann (1744 – 1804, Jurist, Librettist und Übersetzer) und Matthias Claudius (1740 – 1815). Die Melodien und Sätze stammen von u.a. Johann Gottlieb Nauman (1741 – 1801, Hofkapellmeister in Dresden), Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788, Kantor des Johanneum in Hamburg), Gottfried August Homilius (1714 – 1785, Kreuzkantor in Dresden), Johann Abraham Peter Schulz (1747 – 1800, Hofkapellmeister in Kopenhagen) und natürlich Wolfgang Amadeus Mozart.

Besonders verzaubern das Lied „Zur Ehre Gottes“ von Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf (1765 – 1836) im Satz von Friedrich Heinrich Himmel (1765 – 1814) und das „Wiegenlied der Freimaurer“ von Lindemann im Satz von Naumann durch ihre selbstständige instrumentale Begleitung. Verlegt waren die Lieder u.a. in Dresden 1782 (Naumanns „Vierzig Freymäurerlieder“) und im „Vollständigen Liederbuch der Freymäurer mit Melodien“, Kopenhagen/Dresden 1776, 1785, 1788. Die Sätze überraschen durch ihre glücklichen Melodien, die das gemeinschaftliche Singen beförderten, trotzdem muss man Achtung haben vor den Sängerkünsten der damaligen Freimaurer. Nicht viel anders klangen dann die Studentenlieder im 19. Jahrhundert.

Dass die Freimaurer trotz ihrer sozialen Ideale in Verruf gerieten und noch sind, versteht heute eigentlich niemand mehr. Diese CD beweist diese Ideale ideal mit dem hohen Niveau ihrer Einspielung, meist sind die Liedsätze nur begleitet vom Hammerflügel, das Sebastian Knebel unauffällig stützend spielt. Da Dresden im 18. Jahrhundert einen Schwerpunkt der Logen bildete, überrascht es nicht, dass es Dresdener Musiker sind, die diese Einspielung als Achtung der lokalen Vergangenheit produzierten. Für diese aufklärerische Ausnahme-CD kann man nur dankbar sein!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2019 / Februar 2020
Global Player Maximilian

Interpreten: Ensemble Rosarum Flores
Musik Museum (Tiroler Landesmuseen CD)

Was da in wenig angemessenem Neuhochdeutsch „Global Player“ und „Musikalisches Networking um 1500“ daherkommt, ist ein ausgesuchtes wie vielseitig zusammengestelltes Programm, das die europäische Elite am Hof Maximilians in Innsbruck und  am burgundischen Hof Karls des Kühnen formte. Da finden sich u.a. die Namen von Alexander Agricola, Pierre de la Rue, Josquin Desprez, Heinrich Isaac, Ludwig Senfl und Jacob Obrecht neben weniger bekannten wie Hayne van Ghizeghem, Walter Frye und Johannes Ghiselin, also die Crème de la Crème des ausgehenden 15. Jahrhunderts, versammelt. Die war damals „international“ verflochten, wirkte auch an den italienischen musikalischen Hochburgen wie Florenz und Ferrara, am französischen und spanischem Königshof.

Den Rahmen stellen ein Kyrie aus einer anonymen „Missa O Österreich“ (um 1511) und ein Magnificat VI. toni von Loyset Compère. Dazwischen erklingen französisch- und deutschsprachige Chansons, zwei Lautenintavolierungen, Villancicos, eine lateinische Motette aus dem Hohelied Salomonis von Gaspar van Weerbeke, ein Quodlibet von Senfl, eine Liedmotette von Balthasar Resinarius und ein Liedsatz von Paul Hofhaimer im Satz von Arnolt Schlick. Zeitlich reicht also der Rahmen über Maximilians Lebenszeit (1459 – 1519) hinaus, was stilistisch aber kein Bruch ist.

Der bunten Abfolge gewinnen Andrea Oberparleiter, Sabine Lutzenberger, Bernd Oliver Fröhlich, Martin Senfter und Ilse Strauß (Blockflöte) und Wolfgang Praxmarer (Laute) mit ihrem mit Zink, Gambe, Posaunen und einem großen Continuoapparat besetzten „Ensemble Rosarum Flores“ aparte wie lustvolle Klänge ab, denen man gerne zuhört.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2019 / Februar 2020

Mozart - Requiem

Interpret: Pandolfis Consort
Label: Gramola

Die Einspielung bringt Mozarts Requiem, KV 626, in der Fassung für Streichquartett von Peter Lichtenthal (1778 – 1853), der, geboren in Pressburg, sich als Musiker wie als Mediziner sowie Autor mehrerer Bücher sogar über geographische wie astronomische Themen in italienischer und deutscher Sprache einen Namen machte. In Mailand veröffentlichte er 1816 eine Mozart-Biographie, die durch seine Freundschaft mit Constanze und ihren Söhnen Carl und Franz ein besonderes Gewicht bekommen hat. Lichtenthal übertrug Mozarts Notentext nach der Erstausgabe (Leipzig 1800) in der von Süßmayr ergänzten Fassung. Das so gewonnene Streichquartett in d-Moll – erhalten sind auch seine Transkriptionen der Sinfonien Nr. 40 und 41 für Streichquintett - diente der gehobenen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, diese Musik kennenzulernen und zu verbreiten wie es andernorts die Fassungen der Sinfonien für Klavier zu zwei und vier Händen eben auch taten. Auch wenn Lichtenthals Fassung nie gedruckt wurde, also nur durch Abschriften vervielfältigt wurde, Lichtenthal wurde durch diese Fassung ebenso bekannt wie als Buchautor u.a. eines Musiklexikons (Milano 1836). Selbst wenn man den Text nicht sofort zuordnen kann, verfehlt die Musik nicht ihre ursprüngliche Aussagekraft. Bewundernswert ist es, wie die Reduktion auf die vier Streichinstrumente aber auch neue Hörmomente kreiert.

Die vier Streicher des Pandolfis Consorts (Maximilian Bratt, Ingrid Rohrmoser, Elzbieta Sajka-Bachler und Günter Schagerl) werden ihrer selbstgestellten Aufgabe in hohem Maße gerecht, Mozarts/Lichtenthals d-Moll-Quartett wirkt wie ein brandneues Werk aus der Wiener Werkstatt, mitreißend in jedem Moment, manchmal etwas hohl und rau klingend, was ein besonderes Ohrenmerk hervorruft. Die Viola-Spielerin Elzbieta Sajka-Bachler schrieb für das Booklet eine empathische Einleitung, der Einführungstext von Dorota Krzywicka-Kaindel lässt keine Wünsche offen. Empfehlenswert!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2019 / Februar 2020
Bach-Cantatas

Interpreten: Thomanerchor Leipzig, Sächsisches Barockorchester, Gotthold Schwarz
Label: accentus Music

Das ist sie also, die erste CD der Thomaner unter ihrem 17. Kantor Gotthold Schwarz, der ihnen nun seit bald drei Jahren vorsteht. Eingespielt sind die Choralkantaten „Allein zu dir, Herr Jesu Christ“, BWV 33, und „Was Gott tut, das ist wohlgetan“, BWV 99, sowie die Kantate „Wer Dank opfert, der preiset mich“, BWV 17, die beginnend mit ihrem virtuosen Eingangschor den Dank des einen Samariters (Lk 17) kommentiert. Schwarz besetzt ihn entsprechend der Satzweise wechselnd mit Solisten und dem Tuttichor. Sein Chorsopran darf auch die Arie Nr. 3 dieser Kantate „Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist“ übernehmen. Dass die Leistung der Thomaner dabei nichts zu wünschen übrig lässt, im mit ein wenig Heftigkeit gesungenen Eingangschor der ersten Kantate sogar übers Ziel hinausschießt, war bereits vorher allen klar, die Gotthold Schwarz kennen.
Zu den Stärken des Chores gehört auch eine gepflegte Aussprache, die die jungen Sachsen zu Bachs Zeiten gewiss nicht besaßen. Mit guter Aussprache sticht auch der Bassist Tobias Berndt hervor, Julia Sophie Wagner, Stefan Kahle und Wolfram Lattke bringen ihre Parts höchst engagiert.

Für die Aufnahme holte Schwarz sein bewährtes „Sächsisches Barockorchester“, das sich mit seinem agilen Zugriff sofort alle Sympathien erwirbt. Leider werden die Namen der Mitglieder im Booklet nicht aufgeführt. Der Senior der Bachforscher Hans-Joachim Schulze hat die Einführungstexte übernommen, Martin Hoffmeister erhellt im Gespräch mit Gotthold Schwarz die Hintergründe zur Musikpraxis von Gotthold Schwarz. Bei so viel Kompetenz kann nur eine ausgezeichnete Aufnahme zustande kommen, sie besticht durch ihr lebensnahes, lebendiges und direktes Klangbild, höchst eindrucksvoll vom ersten bis zum letzten Ton. Und damit ist nicht nur der technische Musizierlevel gemeint, die Verkündigung der Botschaft Jesu Christi erreicht den Hörer direkt dank der beseelten, engagiert wie gelassenen Musizierlust, die dem Niveau der Bachschen Klangsprache ebenbürtig ist.  


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juni 2019 / November 2019
Diogenio Bigaglia - Miserere und Missa in F / Antonio Lotti, Credo in F

Interpreten: Knabenchor Hannover, La festa musica, Ltg. Jörg Breiding
Label: Rondeau

Wer die Musik des Benediktiners Diogenio Bigaglia (1676 – 1745), Prior seines Klosters „San Giorgio Maggioreldquo; in Venedig, nicht kennt, ist zwar durchaus  in guter Gesellschaft, wer diese CD mit zweien seiner groß besetzten oratorischen Werke, dem Bußpsalm „Miserere“ und seiner Missa brevis (nur Kyrie und Gloria), ergänzt durch das Credo in F des Kapellmeisters am Markusdom Antonio Lotti, gehört hat, ist in einer sogar höchst beglückten Gesellschaft. Lajos Rovatkay hat die Quellen aus Kremsmünster übertragen, für Jörg Breiding war es ein Fest, diese Werke mit seinen Ensembles, dem Knabenchor Hannover und La festa musicale sowie fünf  hervorragenden Solisten - Veronika Winter (Sopran), Magdalene Harer (Sopran), Alex Potter (Altus), Georg Drake (Tenor) und nicht zuletzt Markus Flaig (Bass) - einzustudieren.

Von Bigaglia ist auf dem CD-Markt sonst nur eine Einspielung seiner brillanten Flötensonaten op. 1 zu ordern, seine anderen geistlichen und weltlichen Vokalwerke sowie seine Instrumentalmusik, einige mehrstimmige Concerti und Solokonzerte und die Triosonaten für 2 Flöten und Basso continuo, harren noch ihrer Neuausgaben. So ist Breidings Einspielung eine Weltersteinspielung geworden, die prachtvolle Musik kann nicht hoch genug gelobt werden. Die aus Kyrie und Gloria bestehende Nummernmesse erklingt in typisch italienischem Barock, lässt ab und zu sogar eine Verwandtschaft zu Händel und Bach durchklingen. Antonio Lottis »Credo« bietet mit dem achtstimmigen, an Dissonanzen reichen »Cruzifixus« einen weiteren Höhepunkt der Einspielung.

Das Können des Knabenchores Hannover und von La Festa Musicale auf gewohnt höchstem Niveau kann nicht genug hervorgehoben werden, die Einspielung ist ein Fest!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juni 2019 / November 2019
Lidl fun goldenem Land

Interpreten: Leipziger Synagogalchor, Ludwig Böhme
Label: Querstand

Das jüdische Leben in Deutschland hat nach der Shoah wieder zugenommen, leider wächst der Antisemitismus wieder.
Schon zu DDR-Zeiten hat sich der Leipziger Synagogalchor mit der „wieder“-Aufführung jüdischer Musik in Deutschland beschäftigt. Auf früheren CDs des Ensembles sind liturgische Gesängen u.a. von Louis Lewandowski zu hören, die teilweise auch Eingang in nichtjüdische Liturgien gefunden haben.

Vorliegende CD aus dem Jahr 2016 enthält 14 jiddische Lieder von bedeutenden jüdischen Dichtern und Komponisten wie Mordechaj Gebirtig (1877-1942) oder Itzig Manger (1901-1969), sowie neu arrangierte jiddische Traditionals. Jiddisch ist eine Sprache der osteuropäischen Juden und enthält sehr viele deutsche, russische, polnische und hebräische Einflüsse, so dass die Texte, die komplett im Booklet abgedruckt sind, auch ohne die mitgelieferten Übertragungen verständlich sein können.

Das „goldene Land“ beschreibt die Kindheit, die im Ghetto schnell vorüber sein kann. „Vom Frühling bis zum Winter ist es nur ein Katzensprung“.
In einem anderen Lied ist der jüdische Humor deutlich sichtbar. Dort bedrängt eine Braut ihren Bräutigam zu bleiben und nicht mit anderen Mädchen auszugehen. Dieser trinkt einen Schnaps und lacht......

Der Leipziger Synagogalchor besticht durch eine sehr saubere Intonation, die Arrangements sind frisch und anspruchsvoll, durch den opernhaften Gesangsstil der Solisten und dem klassischen Gesang des Chores verlieren sie leider etwas von der Natürlichkeit der Volkslieder. Begleitet wird der Chor von vier Solisten, Violine Kontrabass und Klavier, einer typischen „Klezmer“-Begleitung.

Als Einstieg in die jiddische Musikkultur ist die CD bestens geeignet, vielleicht im Vergleich mit frühen Aufnahmen mit Klezmer-Ensembles. Das umfangreich Booklet enthält die originalen Texte, sowie Übertragungen ins Deutsche und eine englische Übersetzung sowie eine lesenswerte Einführung zu den gesungenen Titeln.
Notenausgaben zu der CD sind im Verlag Klaus-Jürgen Kamprad erschienen. Sie lohnen der Aufführung, auch, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Judenfeindlichkeit zu setzen.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Juni 2019 / November 2019

Beethoven-Chorbuch

Verlag: Carus

Zum bevorstehenden Beethoven Jubiläum (2020) werfen die Verlage schon jetzt Unmengen an neuen Publikationen auf den Markt, neben Neuausgaben bekannter Werke tut dies auch der Carus Verlag mit seinem „Beethoven Chorbuch“. Neben einigen originalen Werken, wie Ausschnitten aus der „Chorfantasie“, der „Neunten“ oder der „C-Dur-Messe“ enthält der Band viele Bearbeitungen von Klavierliedern oder auch von instrumentalen Stücken Beethovens, sowie teilweise fragwürdigen Adaptionen.

Der vorliegende Band enthält 41 Stücke. Der auf dem Einband abgedruckte Hinweis „SATB“ stimmt nur bedingt, da das Chorbuch auch Stücke für „SSA“ oder „TTB“ enthält. Die meisten vertretenen Stücke sind Bearbeitungen sowohl von „historische“ Persönlichkeiten, wie Peter Cornelius („O Welt ich sag dir gern Ade“ nach dem dritten Satz aus dem Streichquartett Nr. 15) aber auch von zeitgenössischen Bearbeitern wie Clytus Gottwald („Neue Liebe, neues Leben“, nach einem Klavierlied von Beethoven).
Ernstes („Drei Equale“, bearbeitet von Ignaz Ritter von Seyfried für Männerchor und zurücktransponiert vom Herausgeber für SATB) wechselt mit Kuriosem („Kyrie“ nach dem ersten Satz der „Mondscheinsonate“ bearbeitet  von Gottlob Benedict Bierey), Bekanntes „Hymne an die Nacht“ bearbeutet nach der „Apassionata“ von Ignaz Heim und Friedrich Silcher) mit Neuem („Freude-Quodlibet“ von Gunnar Erikson mit einem Zitat aus der „Neunten“ kombiniert mit „Bruder Jakob“, „Hans Spielmann“ und anderen Liedern). Letzteres sicher ganz „nett“ aber Beethoven?
Das größte Kuriosum ist aber sicher die Adaption von „Für Elise“ als „Alleluja“ für Chor und Klavier von Heribert Breuer. Sicher ganz nett gemacht, aber braucht man das wirklich? Vermutlich nicht, das Stück wird auch nicht auf der noch nicht erschienenen Begleit-CD vertreten sein, die eine Vielzahl der Werke aus dem Chorbuch enthalten wird.

Der Schwierigkeitsgrad reicht vom einfachen dreistimmigen Kanon („Das Reden“ WoO 168b) bis zum Pop-Chor-artigem Arrangement von Peter Schindler („Marmotte“ aus op. 52), vom schlichten vierstimmigen Satz („Nei campi“ WoO 99,7b) bis zum komplexen sechstimmigen Arrangement (SSATBB) von Jaakko Mänttyjärvi („Erlkönig“, nach einem Fragment Beethovens).

Da sowohl weltliches und geistliches Repertoire bedient wird, kann das Beethoven Chorbuch allen Chören eine Hilfe sein, die im nächsten Jahr dem Komponisten „huldigen“ wollen. Viele Stücke gibt es zusätzlich als Einzelausgeben. Vielleicht wäre es aber sinnvoll im Jahr 2020 nicht nur Beethoven zu ehren, sondern sich auch den anderen Jubilare wie Johann Christian Heinrich Rinck oder Louis Vierne zu widmen.


Sven Dierke
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Chorbibliothek für gemischten Chor - Geistliches Repertoire Band I

Verlag: Breitkopf & Härtel

Bei Breitkopf gedruckte Kompositionen aus 300 Jahren Verlagsgeschichte will der Verlag in insgesamt 10 Bänden bündeln, allein 5 Bände bringen die lieferbaren Titel des Geistlichen Repertoires. Der vorliegende erste Band, den Sebastian Posse-Schöning auf 366 Seiten zusammengestellt hat, bringt a-Cappella-Werke für die Zeit vom Advent bis Palmarum. Das originale Notenbild der Ausgaben ist beibehalten. Ziel ist es, den Chorleitern einen Überblick zu verschaffen zur Repertoireauswahl und –erweiterung.

Im Laufe der Zeit hat der Verlag Werke von der Renaissance bis zur Moderne verlegt, darunter Palestrina, Monteverdi, Telemann, Mendelssohn, Brahms, Reger, Johann Nepomuk David und Kurt Thomas. Das Inhaltsverzeichnis wird ergänzt durch ein Register der Komponisten, der Textanfänge und nach Besetzungen sowie dem Abkürzungsverzeichnis. So lassen sich leicht die schönsten Ausgaben, z.B. von Altnikol und Doles, finden und studieren. So macht der Band viel Vorfreude auf viele Stunden mit guter Musik!


Rainer Goede
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Bach-Kommentar - Band III (Fest- und Kasualkantaten, Passionen)

Autor: Martin Petzoldt
ISBN: 978-3-7618-1743-8
Verlag: Bärenreiter

Elf Jahre nach dem Band II und vier Jahre nach dem Tod des Autoren ist nun der Band III der Bach-Kommentare des unvergessenen Leipziger Theologen und langjährigen Vorsitzenden der Neuen Bachgesellschaft Martin Petzoldt erschienen. Der Herausgeber Norbert Bolin hat unter der Mitarbeit von Jochen Arnold und Michael Beyer die bereits weit gediehenen Vorarbeiten Petzoldts für diesen Band gesichtet und wo notwendig ergänzt, die Ergänzungen sind im Satz kenntlich gemacht. Die Arbeit Petzoldts wird auch noch einen vierten Band für die Messen, Messesätze, Motetten und Listen, Tabellen, Kalender und Register nötig machen. 

Der Band ist als Band 14.3 wie die beiden ersten Bände in der Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart erschienen. Petzoldt schickt seinem Band III seiner
Theologisch-musikwissenschaftlich Kommentierung der geistlichen Vokalwerke Johann Sebastian Bachs eine nur teilweise verfasste Einführung voraus, in der er auf die vermehrte Kommentierung musikalisch verschollener Werke hinweist, aber sich auch mit der Praxis heutiger Kantatengottesdienste auseinandersetzt.
              
Der Ansatz Martin Petzoldts, Bachs Kantatentexte und ihre Vertonung aus der zeitgenössischen Theologie und Gottesdienstpraxis zu erklären, ist unmittelbar einleuchtend – und hat beachtliche Konsequenzen hinein in alle Parameter einer Interpretation. Petzoldt ist damit ein epochemachendes Nachschlagewerk gelungen, unverzichtbar für die Vorbereitung von Kantatenaufführungen.

Wie in den beiden ersten Bänden gliedern sich die einzelnen Kantatenbesprechungen zu jedem Sonntag in eine Seite Übersicht nach Proprium, Aufzählung der vorhandenen Kantaten, ihren Besetzungen und Literaturangaben, in die Wiedergabe der Auslegung aus der Olearius-Bibel, in die Textwiedergabe mit Angaben der Bibeltextbezüge, in einen musikgeschichtlichen Aufriss der Erstaufführung und in eine Kontextsammlung zeitgenössischer Bibelausdeutungen. Dem folgt eine allgemeine Betrachtung, die Grundaussagen und Struktur des Textes in den kirchenjahreszeitlichen liturgischen Zusammenhang und seine örtliche Bezüge stellt, ehe eine Analyse von Textzeilen und ihrer Vertonung den jeweiligen Kommentar beschließt.

Petzoldts Bach-Kommentar als umfassende Wissenssammlung zu allen grundlegenden Parametern Bachscher Kantaten-Produktion ist ein nicht genug zu würdigendes Kompendium des heutigen Forschungsstandes. Petzoldts Bach-Kommentar gehört in jede Bibliothek von Kirchenmusikern und Kantatenpredigern – und studiert!


Rainer Goede
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Wolfgang Amadeus Mozart - Messe c-Moll KV 427

Herausgeber: Clemens Kemme
Verlag: Breitkopf & Härtel

Mozarts unvollendete c-Moll-Messe, die monumentalste unter seinen 17 Vertonungen des Ordinariums, 1783 uraufgeführt, ist sein kirchenmusikalisches Fünf-Sterne-Werk, aus unbekannten Gründen blieb sie mit Kyrie, Gloria und Teilen des Credo und Sanctus ein Fragment. Zwei Jahre später fügte Mozart die meisten Bruchstücke zu der Kantate „Davide penitente“ (Der büßende David), KV 469, zusammen. Es hat in der Folge nicht an Versuchen gefehlt, dieses Werk für die Praxis zurückzugewinnen.
1847 führte der Wiener Domkapellmeister Joseph Drechsler eine vervollständigte Fassung auf, zehn Jahre später legte der Seitenstettener Stiftsorganist Joseph Anton Pfeiffer seine Version vor, 1901 ergänzte Alois Schmitt die fragmentarischen Sätze, die fehlenden Teile des Credo aus anderen Mozart-Werken und das Agnus durch Wiederholung der Kyrie-Musik, eine nach wie vor gültige Version nur in einem romantischen Klanggewand. 1956 war es Howard Chandler Robins Landon, 1987 dann Helmut Eder, 1989 Franz Beyer, 1990 Charles Richard Francis Maunder, 2003 Philipp Wilby, 2005 Robert D. Levin und Ton Koopman, 2010 Benjamin Gunnar Cohrs, die entweder nur die fragmentarischen Teile ergänzten oder ein vollständiges Messordinarium vorlegten. Thomas Cornelius fügte der Messe 2015 ein eigenständiges Agnus hinzu. Die Urtext-Ausgabe von Monika Holl erschien 1983 in der Neuen Mozart Ausgabe. Zuletzt, 2016, folgte eine Ausgabe von Frieder Bernius und Uwe Wolf, in der sie nur die fragmentarischen Teile des Credo und des Sanctus im Stile Mozarts vorsichtig ergänzten.

Wie hoch die wachsende Aktualität von Mozarts c-Moll-Messe ist, unterstreicht die neuerliche Arbeit von Clemens Kemme. Kemme geht den Weg der Ergänzung fehlender Stimmen anhand vorhandener Sekundärquellen. Modelle standen ähnliche Werke Mozarts, bzw. seiner Zeitgenossen. Im 1. Credosatz sind Trompeten und Pauken nach Bachschen Vorbildern hinzugefügt, was die damalige Messkompositions-Praxis und das Fanfarenmotiv zu Beginn nahelegen. Die leer gelassenen Systeme der 2. Violinen, Bratschen und Holzbläser sind vervollständigt. Bei der traumhaften „Et incarnatus“ Sopran-Arie ergänzte Kemme die Hörner und die leer gebliebenen Streichersysteme. Im Sanctus, bzw. den Osanna-Fugen ist der bei Mozart nur vierstimmige Chorpart zum Doppelchor ergänzt nach Vorbildern von Caldara und Johann Christian Bach. Im Vorwort beschreibt Kemme seine Arbeit, klärt den Zusammenhang mit den Vorbildern Bach und Händel und berichtet von der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte.

Der überwältigende Reiz der Komposition Mozarts liegt in dem fesselnd düsteren Kyrie-Beginn, den für Constanze geschriebenen Bravour-Arien des Glorias, dem so herzlich anrührenden „Et incarnatus est“ des Credo und dem prächtigen doppelchörigen Sanctus. In seiner Bedeutung ist die Messe nur vergleichbar mit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis. Nur mit seiner Aufführungsdauer von einer knappen Stunde bleibt der Torso hinter diesen Stücken natürlicherweise zurück. Das dazugehörige Aufführungsmaterial ist beim Verlag ebenfalls greifbar, natürlich auch ein Klavierauszug und eine Studienpartitur.


Rainer Goede
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Hinter den Tönen - Festschrift für Friedemann Hellwig zu seinem 80. Geburtstag

Herausgeber: Eszter Fontana, Klaus Martius, Markus Zepf
ISBN: 978-3-946217-16-9
Verlag: Verlag des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg

Der Untertitel Musikinstrumente als Forschungsgebiet benennt den Zentralinhalt des volumigen Bandes: Annette Otterstedt richtet im letzten Abschnitt Die Scherben nicht noch zermahlen… einen flammenden Appell an Nutzer und Hörer alter Instrumente, schreibt vom falschen Verständnis, das viele den alten Instrumenten entgegen bringen. Die Aktualität ihrer Sorge, dass alte Instrumente durch fortdauernden Gebrauch und damit zusammenhängend fortdauernder Erneuerung eben ihren Demonstrationswert in Museen und als Maßstab für Kopien verlieren, ist in der Tat virulent. Spielbar erhalten bedeutet eben auch ständige Veränderung eines längst erreichten musealen Zustandes. Alte Instrumente können ihren klanglichen Zenit überschreiten, denn sie ändern sich ja schon fortwährend durch den natürlichen Alterungsprozess (z.B. ständiger Einfluss der Erdanziehungskraft, Dehydrierung). Als sie neu waren, klangen sie anders als im eingespielten Zustand oder heute nach vielen Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten.

Der Band bringt aus Anlass des 80. Geburtstages des verdienstvollen Restaurators Friedemann Hellwig, der von 1963 bis 1986 die Sammlung Rück betreute und im GNM die Restaurierungswerkstätte aufbaute und leitete, neben einer Portraitskizze 24 Aufsätze in den drei Kapiteln Untersuchung von Instrumenten, Technologische Untersuchungen und Studien zur Restaurierung von Instrumenten. Der Leser wird mit verschiedenen Restaurierungsstudien (z.B. Martin Kares, Die Prozessions-Truhenorgel von Gottlieb Näser, Fraustadt 1734) vertraut gemacht, gewinnt grundlegende Einsichten in heutige Untersuchungsmethoden (dendrochronologische Bestimmungen, technologische Untersuchungen, Farbmittelidentifikation durch UV-VIS-Spektroskopie etc.) und erfährt z.B. einiges über die Instrumentenpflege im 18. Jahrhundert (Eszter Fontana, Carl Daniel Hildebrand, Tischler und Instrumentenmacher des Barock in Nürnberg). Namens- und Ortsregister verbunden mit einem Register der behandelten Musikinstrumente beschließen den Band. Etliche Aufsätze erschienen in englischer Sprache, was den internationalen Schülerkreis Hellwigs beleuchtet und gleichzeitig natürlich auch durch die Spezialsprache von Restauratoren gehobene Ansprüche an den Leser stellt. Jeder Aufsatz allerdings ist in hohem Maße lesenswert, der Rezensent jedenfalls hat für seine Praxis wieder dazu gelernt – und sein Verständnis für die Nutzung alter Instrumente auf den Prüfstand gestellt.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2019 / Oktober 2019

Geschichte der Messe

Autorin: Elisabeth Schmierer
ISBN: 978-3-89007-851-9
Verlag: Laaber-Verlag

In der Reihe „Gattungen der Musik“ erschien nun als Band 10 Schmierers Einführung in die Geschichte der Messe. Eine ausführliche Zeittafel steht am Beginn der Abschnitte, die sich nach den Epochen „bis zum 14. Jahrhundert“, „Die zyklische Messe im 15. Jh.“, „Die zyklische Messe zwischen 1450 und 1520“, „Im Zeitalter der Glaubenskämpfe“, „Die konzertierende Messe der Barockzeit“, „Die klassische Messe in der 2. Hälfte des 18. Jh.“, „Kunstwerk im 19 Jh.“, „20. Jh., zwischen Gebrauchsmusik und Kunstwerk“. Im Anhang findet sich der lateinische Text mit Übersetzung, ein Glossar, eine Bibliographie und ein Personenregister.

Der Band bringt auf gut 250 Seiten nahezu alles Wissemswerte zur Geschichte der Messe. Notwendigerweise beschränkt sich die Herausgeberin im Wesentlichen auf die Aufzählung der Kompositionen, ergänzt sie fallweise durch kurze Beschreibungen und Analysen. Dunkel hinterlegt sind einzelne Abschnitte zu besonderen Schnittpunkten der Musikgeschichte. Der Band eignet sich zur schnellen Einordnung einzelner Messen in die Musikgeschichte und erweist sich darüber hinaus als ganz praktische Hilfe mit den Angaben des Anhangs.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2019 / Oktober 2019

Christoph Graupner - Das Leiden Jesu, Passion Cantatas II 1741

Interpreten: Solistenensemble Ex Tempore, Mannheimer Hofkapelle, Ltg Florian Heyerick
Label: cpo

Seiner CD I der 10 Kantaten umfassenden Passions-Kantatenreihe von 1741 hat Florian Heyerick nun eine weitere Einspielung hinzugefügt. Sie umfasst die Kantaten zu Oculi GWV 1122, zu Karfreitag, GWV 1127, und zu Mariae Verkündigung (= Samstag vor Palmarum), GWV 1170.
Der Rezension zur CD I vom 10.02.18 ist inhaltlich kaum etwas hinzufügen, von der Musik Graupners kann man eben nicht genug hören. Da diese Kantaten liturgisch anders eingebunden sind als etwa diejenigen Bachs und Telemanns, erschließt sich der Zugang zu den aufgeklärten Texten des Darmstädter Superintendenten Johann Conrad Lichtenberg (1689 – 1751) ausschließlich durch Graupners Musik, das aber sofort und intensiv. Graupners hohe Kunst der Variabilität in Besetzung wie Ausdruck lässt immer neugierig bleiben auf jeden einzelnen Satz, den man zum ersten Mal hört. Bei 1418 kirchlichen Kantaten (wer hat sie gezählet?), die in Darmstadt gesammelt sind, wird also jede neue Graupner-Einspielung alle Erwartungen immer wieder neu erfüllen oder gar übertreffen. Dabei ist die ungewöhnliche Gestaltung der Choräle in immer neuer Invention bemerkenswert, oftmals gleichen sie eher ausführlichen Motetten mit Orchesterzwischenspielen. In dieser Einspielung ist es der Choral der Karfreitagskantate, der vorhaltgeschwängert dem Geschehen Ohr und Herz öffnet, wie es Bach und Telemann nicht besser konnten. Warum die Kantaten nicht der zeitlichen Reihenfolge entsprechend wiedergegeben sind, bleibt offen. Das Booklet mit den Beiträgen von  Beate Sorg, Marc-Roderich Pfau und Ursula Kramer ist sehr lobenswert!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2019 / Oktober 2019

Johann Sebastiani - Matthäus-Passion

Interpreten: Boston Early Music Festival, Ltg: Paul O’Dette
Label: cpo

Johann Sebastiani (1622 – 1683), vermutlich ein Schüler von Heinrich Schütz, seit 1661 Kapellmeister in Königsberg, schuf neben u.a. dem Bühnenwerk Pastorello musicale (Verliebtes Schäferspiel, 1663), der ersten erhaltenen Oper nördlich der Alpen, und einem Kantatenjahrgang mit seiner Matthäus-Passion "Das Leiden und Sterben unsres Herrn und Heilands Jesu Christi" 1672 sein wichtigstes Opus. Die oratorische Passion nach Matthäus 26, 1-12 bringt nach einer einleitenden Symphonia und der Praefatio den Bibeltext kombiniert mit ausgesuchten Choralstrophen, nach der Conclusio folgt noch ein dreistrophiges „Danksagungsliedchen, welches ganz zum Beschluss kann gesungen werden“. Der Evangelistentext und die Worte Jesu werden von einem Gambenconsort getragen, die Choräle (bis auf die allerletzte Strophe) sind ebenso besetzt mit nur einem Sopran. Der Continuoapparat zählt in situationsbedingt wechselnden Besetzungen auf eine Orgel, Clave-Cimbel, Lauten, Theorben, Violen da Gamba und wäre sicherlich auch noch größer denkbar. Außerdem sind noch zwei Violinen besetzt, die die Worte Jesu begleiten und damit auf Bachs Werk vorausweisen.

Die Bedeutung der Passion macht nicht nur ihre lyrische Schönheit aus, zum ersten Mal sind höchst treffende Choralstrophen eingeflochten, zwei Symphonien stehen zu Beginn der beiden Teile. Der Bibeltext soll rezitativisch vorgetragen werden, die Turbae sind zumeist homophon gesetzt - wenn von Jesus die Rede ist, stehen sie im Dreiertakt. Diese ganz persönliche Gestaltung macht den Reiz dieser Passion aus.

Dass das Boston Early Music Festival Chamber Ensemble keine Mühe hat, dieser fein ziselierten großen Aufgabe gerecht zu werden, versteht sich bei ihren Leitern Paul O’Dette und Stephen Stubbs von allein. Die ausgesuchten Vokalsolisten, darunter Ina Siedlaczek und Christinan Immler (Jesus), bilden nicht nur ein geschlossenes Ensemble für die Eingangs- und Schlusssätze, sondern sind allesamt gute Gestalter ihrer Partien. Der erste Rang gebührt natürlich dem Evangelisten Colin Balzer, der es versteht, jede Situation emphatisch hingebungsvoll und variierend ausdrucksvoll zu gestalten.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2019 / Oktober 2019

Musik. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte

Herausgeber: Tobias Bleek/Ulrich Mosch
Verlag: Bärenreiter/Henschel

Musikgeschichte einmal anders, 18 Autoren haben sich zusammengetan, um kurz und gesellig Geschichte weiter zu tradieren. Jeweils auf zwei gegenüberliegenden Seiten wird ein Thema abgehandelt, bunt unterlegt nach Jahrhunderten, dazu gut und treffend bebildert. In eingerückten Kurzabsätzen werden noch einmal Schlagworte erklärt, Zitate zitiert, die wichtigsten musikalischen Begriffe mit Noten verdeutlicht. Fast 400 Seiten sind so mühelos gefüllt, aber auch gelesen, wie es dem hohen Tempo unserer Zeit entspricht. Natürlich ist nichts erschöpfend behandelt, fehlt auch hier und da etwas, z.B. die Bremer Radionacht mit Werken von Mauricio Kagel, Bengt Hambraeus und Ligetis Volumina von 1962 oder Pendereckis Lukas-Passion von 1966 als Aufbruch zu neuer geistlicher Musik.

Vollständigkeit ist nicht beabsichtigt, beabsichtigt aber war ein gut lesbares Buch als eine gut überschaubare Einführung in die abendländische Musikgeschichte. Und das ist den Autoren voll und ganz gelungen. Namens- und Sachregister sowie ein Abbildungsverzeichnis ergänzen den Band. Das Buch sollte oft verschenkt werden!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - April 2019 / Oktober 2019
Johann Sebastian Bach - Markus-Passion

rekonstruiert nach dem Parodieverfahren mit Kompositionen Johann Sebastian Bachs durch Andreas Fischer
Interpreten: Bell‘arte Salzburg Annegret Siedel, Cantorey St. Catharinen Hamburg, Ltg. Andreas Fischer
Label: MDG

Das ist sie also, die Ersteinspielung von Bachs Markus-Passion nach der Rekonstruktion von Andreas Fischer. Auf Grund des erhaltenen Textdruckes aus den Jahren 1732 und 1744, die Christian Friedrich Henrici unter dem Pseudonym Picander veröffentlicht hatte, hatte Fischer es unternommen, ausschließlich aus dem Werkbestand der Kantaten Bachs die Passion einschließlich der Recitative zu rekonstruieren. Frühere Befunde hat er übernommen (Trauerode BWV 198 u.a.), und überraschend, aber sehr überzeugend die streicherbegleitete Musik für die Vox Christi zusammen getragen mit dem Effekt, dass die in der Markus-Passion nicht vorgesehenen Ariosi damit ein Pendant fanden.

In seiner Einspielung beweist Fischer, dass sein Entwurf auditiv hält, was die Partitur optisch versprach. Die 46 Frakturstücke beweisen einen inneren Zusammenhalt, der nirgends Fragezeichen aufwirft. Allein die etwas großen Pausen zwischen den (ja getrennt aufgenommenen) Nummern ziehen die Dramatik des Geschehens in die Länge, was bei einer Livesituation aber nicht zu befürchten ist. Die Solisten Katherina Müller, Jan Börner, Matthias Bleidorn, Manfred Bittner und Richard Logiewa geben der Aufnahme Charakter, in den Turbae gibt sich der Auswahlchor der Hamburger Katharinen-Kantorei brillant, aber auch etwas verhalten.

Alles in allem ist mit dieser CD ein weiterer Versuch, Bachs Markus-Passion der Praxis wiederzuschenken, in hohem Maße gelungen!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - April 2019 / Oktober 2019
Johann Kuhnau - Drei Motetten

Herausgeber: David Erler
Verlag: Breitkopf & Härtel

Der Ruhm des Zittauer und Leipziger Organisten und späteren Thomaskantoren Johann Kuhnau (1660 – 1722) gründet sich heute vor allem auf seine Klavierwerke, den Biblischen Sonaten (1700) und der Clavierübung von 1689/1692. Leider nur selten werden seine Kantaten aufgeführt, von den Motetten weiß man seit alters „Tristis est anima“ in seinen verschiedenen Versionen zu schätzen. Dass es darüber hinaus noch durchaus eindrücklich gearbeitete Werke dieser Gattung von Kuhnau gibt, erfährt man in dieser Ausgabe, in der der Herausgeber noch drei Sterbemotetten für fünf Vokalstimmen vorlegt: „Ach Gott, wie lässt du mich verstarren“, „Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn“, die er beide Kuhnau zuweisen kann, und die anonyme aber sehr interessante Motette „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras“.

Die erste Motette ist eine homophon gesetzte Aria, die zweite ein umfangreiches Werk, das in seinen verschiedenen Abschnitten vornehmlich fugenartig gesetzt ist. Die letzte Motette ist eine Cantus-firmus-Motette (O Welt, ich muss dich lassen), wie sie in Thüringen um 1700 üblich war, nur ein sehr vager Hinweis deutet auf Kuhnau als Komponisten hin. Die eindrucksvolle Motette ist aber so plastisch gearbeitet - in ihr hört man das Gras wachsen, die Blumen blühen, den Wind wehen und schließlich die Leere des Todes – dass man nur empfehlen kann, sie zu musizieren und zu hören.
Das Notenbild ist bedingt durch das Format etwas klein geraten, aber noch gut lesbar. Neben einem ausführlichen Vorwort, das auf die einzelnen Motetten genauer eingeht, weist die Ausgabe noch den Kritischen Bericht auf.
Sehr empfehlenswert!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2019 / September 2019

Geistliche Musik und Chortradition im 18. und 19. Jahrhundert

Herausgeber: Anselm Hartinger, Christoph Wolff, Peter Wollny
Verlag: Breitkopf & Härtel

Die vielseitigen Referate des Symposions, das aus Anlass des 800-jährigen Jubiläums des Thomanerchores Leipzig im November 2012 durchgeführt wurde, sind in diesem umfangreichen Band von mehr als 260 Seiten versammelt. Der Untertitel „Institutionen, Klangideale und Repertoires im Umbruch“ gibt in aller Kürze wieder, was im Band in drei Abschnitten: 1. Der Thomanerchor zwischen Tradition und Umbruch, 2. Bachs Musik und das Repertoire der Thomaner nach 1750, und 3. Singstil, vokale Ensemblepraxis und Musikunterricht abgehandelt wird.

Zwar stehen die Thomaner, die als Knabenchor so gut erforscht sind wie sonst kein Ensemble und ja auch den Anlass des Symposions bildeten, selbstverständlich im Mittelpunkt der Beiträge, doch geht der Blick auch darüber hinaus. So beschäftigt sich Manuel Bärwald mit dem Musikaliennachlass des Wurzener Kantors Gotthelf Sigismund Richter, Klaus Rettinghaus mit der Geschichte des Berliner Domchores und Peter Ward Jones mit dem englischen Kathedralchor, Beiträge, die alle sehr informativ sind! Einer ganz anderen Frage widmet sich Ann-Christine Mecke mit ihrer Untersuchung zum Mutationsalter der Thomaner im 18. Jahrhundert. Andere Beiträge zentrieren sich auf die Kantaten-, bzw. Motettentradition der Thomaner (Stefan Altner, Andreas Glöckner, Peter Wollny, Uwe Wolf), Jeffrey Sposato thematisiert die Messenform zur Bachzeit in Leipzig, Eszter Fontana den Instrumentenbestand der beiden Hauptkirchen und Anselm Hartinger die Bachtradition der Thomaner.
Alles in allem ein thematisch vielseitiger Band, den man mit großem Gewinn liest!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2019 / September 2019

Ein musikalisches Gipfeltreffen 1503 "De la Rue – Isaac – Obrecht"

Interpreten: Capella de la Torre, Ltg. Katharina Bäuml
Label: Musikmuseum 31

Die CD stellt das Treffen von Kaiser Maximilian mit seinem Sohn, dem Burgunderherzog Philipp dem Schönen, im Herbst 1503 in Innsbruck nach. Natürlich hatte der Kaiser die größte Hofkapelle seiner Zeit, Paul Hofhaimer hatte er aus Nürnberg abgeworben, Heinrich Isaac war sein Hofkomponist, Georg Slatkonia sein Kapellmeister. Die Stars der burgundischen Kapelle waren de la Rue, Alexander Agricola u.a., 39 Mitglieder, dazu 11 Trompeter und Singknaben zählte das reisende Ensemble. Am 17. September musizierten beide Kapellen zusammen im Hochamt der Innsbrucker Pfarrkirche. Kein Wunder, dass sich Friedrich der Weise im fernen Torgau daran machte, mitzuhalten. immerhin wurde seine Kapelle die drittgrößte im Deutschen Reich.

Die CD gliedert ihr Programm in vier Teile: den Aufzug: Begegnung der Fürsten und ihrer Kapellen vor der Kirche mit Werken der Gebrüder Hess, von Nikolaus Apel u.a. Dem folgt das Hochamt in der Innsbrucker Pfarrkirche mit Heinrich Isaacs Missa Virgo Prudentissima, der der Introitus zum Fest Mariae Himmelfahrt zugefügt, das Kyrie aber unverständlicherweise gestrichen wurde. Tafelfreuden und festlicher Zug nach Hall/Tirol schließen sich an mit Werken von Jacob Obrecht u.a. Schließlich der vierte Teil, ein Requiem in der Haller Stadtpfarrkirche: Pierre de la Rues Missa pro fidelibus defunctis, hier dem Gedenken an Hermes Sforza, dem Bruder der Kaiserin zugewiesen. Zum Auszug erklingt die Motette „Adoramoste, Senor“ von Francisco de la Torre, der Namensgeber des Instrumentalensembles lebte und arbeitete in Neapel und Sevilla.

Das vierköpfige Solistenensemble, die Wiltener Sängerknaben und die Capella de la Torre können zahlenmäßig einen solchen Auftrieb, wie für die höfische Renaissancemusik aus der Zeit Kaiser Maximilians I. getrieben wurde, natürlich nicht mitmachen. Die Musik braucht das ja auch nicht. In den beiden Messen werden die Vokalstimmen von den Bläsern dupliziert, die Sängerknaben haben auch ihren unbegleiteten Auftritt, die Bläser brillieren bei ihren Sätzen zum Aufzug und zu den Tafelfreuden. Die Aufnahme ist tadellos gelungen, aber schon die Idee zu diesem Programm und zu dieser CD ist Gold wert, was sich hoffentlich für die Herausgeber, die Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft, auch auszahlt.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2019 / September 2019

Kleine Geistliche Chormusik

Komponist: Kurt Thomas
Verlag: Breitkopf & Härtel

Die „Kleine Geistliche Chormusik“ bestätigte bei ihrem Erscheinen 1935 den kirchenmusikalischen Aufbruch der evangelischen Kirche. Der allgemeine Aufbruch in den 20-er und 30-er Jahren bestätigte auch Kurt Thomas (1904 – 1973), der mit 21 Jahren bereits Theorielehrer am Konservatorium in Leipzig geworden war, mit 24 Jahren durch Vermittlung Karl Straubes zum Leiter des Kirchenmusikalischen Institutes in Leipzig und 1934 zum Professor an der Hochschule für Musik in Berlin reüssierte. 1939 wurde er zum Leiter des Musischen Gymnasiums in Frankfurt am Main, Eliteschule und Vorzeigeprojekt der Nazis, bestimmt. 1940 trat Kurt Thomas der NSDAP bei mit der Mitglieds-Nummer 7.463.935. Zu seinen Schülern in Frankfurt zählten u.a. die späteren Chorleiter Heinz Hennig und Hans-Joachim Rotzsch, die Komponisten Alfred Koerppen und Siegfried Strohbach, der Jazzmusiker Paul Kuhn, der Organist Michael Schneider, der Sänger Helmut Kretschmar, der Komponist Clytus Gottwald sowie der Schauspieler Hans Clarin.
Nach einer hochgelobten Kantorentätigkeit in Frankfurt und Dozententätigkeit in Detmold (Schüler dort: Manfred Kluge, Diether de la Motte, Gerd Zacher sowie der Kirchenmusiker und sein dortiger Nachfolger Alexander Wagner) wurde er 1957 als Nachfolger von Günther Ramin für vier Jahre Thomaskantor, 1966 wurde er noch einmal Professor für Chorleitung in Lübeck. Das war sicherlich, auch ungewollt, eine große Zeit für Kurt Thomas, sie ist, auch Gott sei Dank, nun lange vorbei und abgeschlossen.

Daran erinnert nun die revidierte Neuauflage seiner Motetten durch das Kirchenjahr, für Soli und Chor a cappella oder mit Instrumentalbegleitung gesetzt in einem unmittelbar treffenden, schon manchmal plakativen Motivstil der alten Meister und einem teils romantischen, teils neuen harmonischen Gewand. Dieser Personalstil, den er mit anderen seiner Zeitgenossen teilte, machte seine großen Werke (Messe a-Moll op. 1 1924, Markuspassion 1927, Psalm 137 (An den Wassern zu Babel saßen wir) für 2 vierstimmige Chöre a cappella 1928 (seinem Lehrer „Meister Arnold Mendelssohn in Dankbarkeit und Verehrung“ gewidmet), Weihnachtsoratorium op. 17 1931, Kantate zur Olympiade op. 28 1936, Madrigalzyklen op. 27 und op. 31, die fünf Frauenchöre op. 32, Oratorium Saat und Ernte op. 36, Eichendorff-Kantate, op. 37 1938, Drei gemischten Chöre op. 40 mit Klavierbegleitung) nicht für alle Chöre machbar, begründete aber sicherlich mit den internationalen Ruhm seiner Frankfurter Kantorei.

Mit den nicht allzu umfangreichen Motetten seiner „Kleinen Geistlichen Chormusik“ wird Thomas schöpferische Arbeit wieder lebendig, so richtig in seiner hohen Kunst des Satzes und der Verkündigung, so falsch in seiner gewollten Modernität einer vergangenen Zeit. Kurt Thomas ist auch der Verfasser eines dreibändigen 1935 erschienenen Lehrbuchs der Chorleitung, das in ergänzter und revidierter Form des Öfteren wieder aufgelegt wurde. Es ist so richtig in Schlagtechnik u.a. wie falsch in der Betonung des „Führerprinzips“.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2019 / September 2019

Ich will dich erheben

Komponist: Reinhard Kluth
Verlag: Daniel Kunert

Psalm 145 für SA(A)TB a cappella

Reinhard Kluths Motette „Ich will dich erheben“ lehnt sich in ihrer Stilistik an die a cappella Motetten des 19. Jahrhunderts an, wie sie etwa von Herzog komponiert wurden. Die Harmonik ist unspektakulär klassisch, nur der vorletzte Akkord fällt durch seine Dissonanz aus dem Rahmen und überrascht im Zusammenhang der Komposition.

Das Werk ist dreiteilig aufgebaut, wobei eine fast klassische ABA-Form mit kleiner Coda vorliegt. Die in C-Dur stehenden A-Teile umrahmen im Allegro einen in Terzverwandschaft stehenden teilweise 5-stimmigen B-Teil im Adagio. Intonatorisch sichere Chöre dürften mit der Interpretation wenig Mühe haben.

Die Uraufführung fand im Oktober 2018 im Kurhaus von Freudenstadt statt. Es sangen junge Chöre der Neuapostolischen Kirchenbezirke Freudenstadt, Nagold und Dornham. Das Stück ist gut im Gottesdienst zu verwenden und stellt eine gute tonale Gebrauchsmusik dar.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / September 2019

Missa in a für zwei vierstimmige Chöre a cappella

Komponist: Friedrich Schneider
Herausgeber: Nick Pfefferkorn
Verlag: Breitkopf und Härtel

Johann Christian Friedrich Schneider (1786-1853) gehört sicher zu den unbekannteren Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Als Organist an der Thomaskirche und Leiter der Singakademie in Leipzig, sowie als Musikdirektor des Stadttheaters wurde er zu einer der führenden Persönlichkeiten im Leipziger Musikleben der Zeit. 1821 wurde er Hofkapellmeister in Dessau und gründete auch dort eine Singakademie und ein Orchester. Sein musikalisches Werk umfasst 16 Oratorien, diverse Chorwerke, mindestens 23 Sinfonien, 7 Klavierkonzerte und diverse Kammermusik.

Seine hier vorliegende Missa in a-Moll für zwei vierstimmige Chöre von 1815 ist für die Leipziger Singakademie entstanden. Sie gehört zu einer Reihe von Kompositionen mit denen sich Schneider, nach einigen Orchestermessen, nun auf reine Vokalmessen eingelassen hat. Die umfangreiche Komposition zeigt eine brillante Chorbehandlung, die sich in der polyphonen  Verknüpfung der 8 Singstimmen zeigt.
Die Vertonung braucht einen sicheren Chor, der sowohl intonatorisch, wie auch technisch den Schwierigkeiten der Messe gewachsen ist. Das Druckbild erinnert teilweise an die Chorfugenkunst Bachs und mit seinen motettischen Sätzen ist Schneiders Werk durchaus vergleichbar. Wer sich die Zeit in den Chorproben nehmen kann, wird diese Messe heute vermutlich eher im Konzert als in der Liturgie aufführen.

Ein „normaler“ Kirchenchor wird damit sicher überfordert sein. Kammerchöre sollten sich der Komposition aber gerne annehmen.
Es lohnt sich.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / September 2019

Ave Maria

Komponist: Justin Vickery
Verlag: Cantando

Das vorliegende Ave Maria basiert auf dem Anfangsmotiv der gregorianischen Melodie mit der charakteristischen aufsteigenden Quinte. Rondoartig aufgebaut bilden die sich wiederholenden Teile einen nicht ganz strengen Kanon zwischen den Frauen- und Männerstimmen mit scharfen Punktierungen. Die Zwischenteile sind homophon gesetzt mit interessanten harmonischen Farbtupfern. Den Tenören wird einige Male das hohe a1 abverlangt, die tiefen Bässe dürfen bis zum D hinabsteigen. Das vielleicht zwei Minuten dauernde Stück ist von mittlerem Schwierigkeitsgrad und bietet einen sicher nicht langweiligen Kontrast zu klassischen Ave Maria Vertonungen.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / September 2019

Johann Sebastian Bach - Goldberg-Variationen

Interpretin: Jimin Oh-Havenith
Label: Musicaphon

Die Goldberg-Variationen als Medizin. Einst geschaffen als Heilmittel gegen Schlaflosigkeit, zur „Gemüths-Ergetzung“ können Sie uns auch heute noch Heilung für die Seele bringen. In einer Zeit, in der wir immer mehr dem Phänomen, bzw. der Krankheit des Ausgebranntseins, der Erschöpfung und des Burnouts begegnen, ist diese Musik wahrlich kurierend. Leise und zärtliche Töne, rasasante und mitreissende Klänge. Aufatmen, erholen, zu sich kommen.

Die Pianistin Jimin Oh-Havenith hat dies alles, laut dem kurzen Vorwort, selbst erlebt. Eigentlich war es nie ihr Wunsch, eine weitere Goldberg-Variationen-Interpretation zu schaffen. Und doch wurde es dann plötzlich Zeit dafür. Und dafür sind wir als Hörer Ihr zu Dank verpflichtet. Denn ihre Interpretation ist erfrischend und hörenswert. Wahrer Balsam.
Wenig erfreulich ist hingegen, was das Label an Zusatzinformationen bietet. Nur ein kurzes Vorwort auf englisch und deutsch. Nur wenige Informationen zur Künstlerin, keine Daten zum Instrument und nichts über die Variationen und Bach.

Was soll man sagen (oder was soll man schreiben – so dachte man wohl beim Label Musicaphon): Die Musik spricht für sich. Sie heilt.


Daniel Kunert
www.notenkeller.de - August 2019 / September 2019

Seek Him!

Komponist: Sixten, Fredrik
Verlag: Cantando

Die vorliegende Motette über einen Test aus dem Buch Amos (5: v.8) nach der King James Version ist ein beeindruckendes zeitgenössisches Werk für einen versierten Kammerchor, der es gewohnt ist, sauber, ohne viel Vibrato zu singen. Das anspruchsvolle Werk umfasst 93 Takte, die von intonatorischen Schwierigkeiten voll sind. Chromatik, ungewöhnliche Intervallsprünge und dynamische Vielfalt geben dem von der Camerata Vocale Hannover und den Charis Chamber Voices, New York in Auftrag gegebene Werk eine große Dichte, die in einem äußerst „spannenden“ Klangbild münden.

Für mindestens Semi-Professionelle Chöre sicher eine lohnende Repertoireerweiterung, die auch beim Publikum Begeisterung hervorrufen kann.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / September 2019

Every Grain of Sand

Komponist: Dylan, Bob
Arrangeur: Monsen, Ernst Th.
Verlag: Cantando

Das vorliegende Chorarrangement des Songs „Every Grain of Sand“ von Bob Dylan verwandelt das Original in einen wunderbaren Chorsatz, der sich sowohl für Pop-Chöre, als auch für Chöre mit hauptsächlich klassischem Repertoire eignet. Der Satz kann sowohl a cappella gesungen werden, aber auch mit den hinzugesetzten Akkordsymbolen unterstützt werden.
Die Melodie findet sich durchgehend in der Sopranstimme, während die Unterstimmen in Teilen homophon den Text unterstützen, teilweise fast instrumental auf Vokalisen gesungen, die einzelnen Strophen bzw. Teile verbinden. Harmonisch orientiert sich der Satz an Dylans Original, füllt aber mit Durchgängen oder Wechselnoten das Gefüge auf.

Eine lohnende Investition für Chöre, die sich an populäre Musikstile trauen und diese auch musikalisch umsetzen können.
Das Druckbild ist im Großen und Ganzen übersichtlich, die sehr breite Schrifttype des Liedtextes führt aber leider teilweise zu sehr engen Wortgrenzen.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / August 2019

Bach: Solo

Interpretin: Tobie Miller
Label: Raumklang

Heute ist die Drehleier ein ausgefallenes Instrument. Im Kloster Himmelkron, wo sich im Kreuzgang des 15. Jahrhunderts die schönste Darstellung eines solchen Instrumentes findet, war es sicherlich ein beliebtes Instrument zumindest der hiesigen Zisterzienserinnen. Seit dem 10.Jahrhundert nachgewiesen, beschreibt es Praetorius 1620 als Bawren Lyren, im Frankreich des 18. Jahrhunderts war es ein beliebtes Instrument am Hofe. Warum also nicht Bach auf der Hurdy Gurdy (engl.) oder Vielle à roue (frz.)?

Die Kanadierin Tobie Miller liebt ihr Instrument und sucht folgerichtig nach Musik dafür. Verblüffend überzeugend gelingt ihr Versuch, Bachs Partita Nr. 3 für Solovioline (E-Dur) und die beiden Violoncello-Suiten Nr. 1 (G-Dur) und Nr. 2 (d-Moll) auf die Drehleier zu transferieren. Was zunächst als Kuriosität daherkommt, klingt in Wahrheit so selbstverständlich, dass man sich fragt, wieso Bach nicht selbst auf den Gedanken gekommen ist, für ein solch klangschönes Instrument Originalliteratur zu schreiben. Tobie Miller beweist, dass man heute auch ohne den Namen Bach zu führen gültige Musik für die Drehleier schreiben kann. Ihr unprätentiöses Spiel nutzt natürlich alle Möglichkeiten ihres Instrumentes, Bordunsaiten und Schnarrwerk effektvoll aus. Zwischendurch ist die enge Verwandtschaft mit den Streichinstrumenten auch gar nicht zu überhören, nur an wenigen Stellen musste zur Adaptierung der Originaltext verändert werden.

Fazit: die Aufnahme bringt auf hohem Niveau Spannung und Freude gleichermaßen!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / August 2019

Johann Gottlieb Goldberg - Harpsichord Concertos

Interpretin: Alina Ratkowska
Label: MDG

Der Name Johann Gottlieb Goldberg (1727 – 1756), geadelt durch Bachs Nähe, verspricht nicht nur eine höhere Sphäre, er löst sie auch auf mitreißende Weise ein. Der Freislich-Schüler aus Danzig wurde von Reichsgraf Hermann Carl von Keyserlingk, dem russischen Botschafter in Sachsen, entdeckt und zu Bach gebracht. Ihn zeichneten schon in jungen Jahren eine aufsehenerregende spielerische Virtuosität und die Fähigkeiten, zu improvisieren und schwierigste Partituren, wie eben die nach ihm benannten Bach-Variationen, vom Blatt zu spielen, aus. 1751 wurde er „Hochgräflicher Kammermusikus“ in der Privatkapelle des Grafen Brühl, bereits 1756 verstarb er im Alter von 29 Jahren in Dresden an der Schwindsucht. Zu seinen wenigen Werken zählen 24 Polonaisen (je eine in jeder Dur- und Molltonart im herrlichen Rokokostil), fünf instrumentale Triosonaten, eine Quartettsonate, wenige Kantaten und zwei hoch virtuose Konzerte für Cembalo, die Alina Ratkowska mit dem Goldberg Baroque Ensemble hier einspielte.

Die Warschauer Cembaloprofessorin Ratkowska nimmt sich insbesondere des musikalischen Erbes der Stadt Danzig an. Ihren spielerischen Fähigkeiten kommt das Oeuvre Goldbergs gerade recht, mit Vehemenz und Spielwitz begegnet sie Goldbergs strukturellen und virtuosen Ansprüchen in den beiden zeitgreifenden Konzerten, und das im wahrsten Sinne des Wortes „spielend“. Toll ist das anzuhören, schade, dass der häusliche Applaus sie nicht erreichen kann. Der Bookletbeitrag von Gerhard Allroggen bringt alle notwendigen Informationen, die Aufnahme ist wie immer bei MDG tadellos.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / August 2019

Andreas Hammerschmidt - Gesamtausgabe Band 5

Herausgeber: Michael Heinemann unter Mitarbeit von Konstanze Kremtz und Sven Rössel
ISBN: 978-3-95755-630-1
Verlag: Kamprad

In großer Regelmäßigkeit legen die Herausgeber Band für Band der Hammerschmidt-Gesamtausgabe vor, nun erschien der Band 5 mit den Dialog-Kompositionen Hammerschmidts von 1645. Die Dialogi I umfassen 22 „Gespräche“ zwischen Gott und der gläubigen Seele, die auch in der Mehrzahl zweier Cantusstimmen auftritt, nach verschiedenen Bibelstellen. Hinzu kommen Psalmverse und Choralstrophen, die das Gespräch in einem größeren Rahmen verankern. Mit einem kleinen Kunstgriff führt Hammerschmidt die Choräle „Was mein Gott will“ und „Auf deinen lieben Gott“ zum Zwiegespräch zusammen. Einige Nummern sind ganz faszinierende Verbindungen der traditionellen Motettenform mit der Dialogform („Ach, wie gar nichts“ und „Benedicam Domino“, Ps 34). Manchmal schreibt er kleine Symphoniae, besetzt mit Streichinstrumenten und Trombone, die auch als Ritornelle die Dialoge ausweiten zu kleinen Konzerten. Dass Hammerschmidt versteht, sehr eindrucksvoll zu schreiben, demonstriert er in dem Dialog „Ich der Herr, das ist mein Name“, verknüpft mit dem Psalmvers „Lobe den Herren, meine Seele“, und dem Dialog „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib“. Auf einen biblischen Dialog greift einzig der Engelsgruß zur Marien-Verkündigung (Lk 1,28 ff) zurück.

Die Dialogi II umfassen 15 Sätze auf Texte aus dem Hohenlied Salomonis, das Gespräch zwischen Gott und der gläubigen Seele symbolisch auf ein Liebespaar konnotierend. Die Gefühle anregenden Texte sind eher in volkstümlicher Liedmanier vertont, die Instrumente ergänzen sie stadtpfeifferartig. Gedacht sind die natürlich mit Generalbass begleiteten Dialoge wohl als private Andachtsmusiken, die Dialogi I können heute aber auch in der lutherischen Messe durchaus einen sinnvollen Platz finden. Zwar schreibt Hammerschmidt leicht ausführbar, eine treffende Interpretation will aber immer erarbeitet werden, was nur zur Wiedergabe anreizen kann.  

Der umfangreiche Band wird komplettiert durch eine instruktive Einführung und den Kritischen Bericht, der auch einen Textteil bietet mit Übersetzungen und den Textprovenienzen. Hammerschmidt (1611 – 1675), seit 1639 Organist an St. Johannis in Zittau, war und ist auch in heutiger Praxis Favorit unter den Komponisten der Mitte des 17. Jahrhunderts. Beste Schul- und Kantoreipraxis ist das alles, dazu immer reizvoll die Texte nachzeichnend und stimmungsvoll treffend.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / August 2019

Friedrich Wilhelm Rust - 12 Sonaten

Interpreten: Ilton Wjuniski, Clavichord, Haendeliana hallensis
Label: Querstand

Diese CD bietet mehrere Besonderheiten: da ist der Komponist Friedrich Wilhelm Rust (1739 – 1796, Enkelschüler Bachs und seit 1775 als Nachfolger von Johann Friedrich Fasch Hofmusikdirektor und Leiter des Theaters in Dessau), da sind seine Sonaten (zwischen 1765 und 1794 geschrieben zeichnen sie eine Entwicklung von C.P.E. Bach bis nahe Beethoven), da ist ein wunderschönes Clavichord aus dem Bestand des Händelhauses in Halle zu hören und da ist ein Interpret, der sich tief in diese verwunderlichen Sonaten und ihre Ansprüche vertieft hat.

Rust spielte schon früh Bachs Wohltemperiertes Klavier I auswendig, sammelte über 90 Werke Bachs hauptsächlich für Tasteninstrumente, die sich aus eigenhändigen Abschriften, Abschriften anderer Zeitgenossen sowie aus Drucken zusammensetzten, komponierte Kantaten, Oden und Lieder und technisch anspruchsvolle Kammermusik (Sonaten, Konzerte, Fantasien für Violine und Klavier, Partiten für Violine solo und eine Sonate für Violoncello solo con Basso (1775) - und er schrieb die hier eingespielten 12 Sonaten.

Die sind nun in der Tat beachtliche Zeugnisse einer in seiner Zeit ziemlich einsamen Kreativität, schon frühe Kritiker urteilten im 19. Jahrhundert: "Gemahnt schon an Beethoven“. Sein Enkel Wilhelm Rust, Thomaskantor, Komponist, Bachwissenschaftler und einer der Herausgeber der alten Bachausgabe, gab etliche Klaviersonaten in einer „Verbesserung im Stile Beethovens“ heraus, einige Jahre später gab Vincent d´Indy in Frankreich die 12 Klaviersonaten auch noch mit einigen Veränderungen heraus, heute sind die Sonaten in einer Ausgabe bei Salabert (4733) greifbar. Die erste Sonate (in F-Dur) stammt aus dem Jahr 1765, und trägt den Titel "Sonata per il Clavicembalo, con variate repetizione“ (Sonate mit veränderten Reprisen), sie atmet noch ganz den Geist von Carl Philipp Emanuel Bach. In der Folge hört man Anklänge an Scarlatti, Bach (Sonate d-Moll, Czach-Verzeichnis 32, mit dem Anfangsmotiv aus dem Musikalischen Opfer), Haydn und Mozart, vorausweisend auch auf  Weber, Schubert und eben Beethoven.

1996 erschien eine erste Einspielung auf einem modernen Flügel (Vladimir Pleshakov), 2006 eine von François Doublier, eine weitere durch Jermaine Sprosse („Der Clavierpoet“) auf einem Clavichord nach Christian Gottlieb Hubert und einem originalen Johann Andreas Stein-Fortepiano erschien 2017. Der Pariser Dozent für historische Tasteninstrumente Ilton Wjuniski hat die vorliegende CD bereits 2009 eingespielt, erschienen ist sie erst Mitte 2017. Er spielt auf einem bundfreien Clavichord von Carl Gottlob Sauer, Dresden 1807, das allen Intentionen Wjuniskis einschließlich der Paukengeräusche, Flageoletttönen und Pizzicati der Finger auf den Seiten, wie sie Rust vorschrieb, gerne folgt. Wjuniski hat noch einmal die Autographe visitiert, die sich in der Familie erhalten hatten. Bezeichnungen für die Bebung lassen erkennen, dass die Sonaten für das Clavichord bestimmt sind, ebenso Tonarten wie Des-Dur und fis-Moll. Den hochvirtuosen wie emotionell-interpretatorischen Ansprüchen der Sonaten wird Wjuniski auf eine sehr empathische Weise gerecht. Musikalischer Sturm und Drang, Rokokoanmut und tief durchgearbeitete Form sind wohl singulär bei Rust und Wjuniski vereint, wofür auch Wjuniskis Booklettext Pate steht.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / August 2019

Melchior Vulpius - Cantiones sacrae

Interpreten: Capella Daleminzia, Ltg. René Michael Röder
Label: Querstand

Sachsens kirchenmusikalische Vergangenheit ist für seine breite und bürgerliche Qualität berühmt, so bildete sich bereits 1561 in Waldheim (zwischen Mittweida und Döbeln gelegen) eine städtische Cantorey-Fraternität, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts Werke des Stadt- und Hofkirchenkantoren im ernestinischen Weimar Melchior Vulpius (c 1570 – 1615) erwarb. In diesem Amt schrieb Vulpius, dessen Sonntägliche Evangelien Sprüche (1612/14)bis heute lebendige Tradition sind, seit 1602 umfangreiche Zyklen groß besetzter Kompositionen, darunter drei Teile lateinischer Cantiones sacrae (1602, 1603 und 1610); Sein kompositorisches Werk, darunter eine Matthäus-Passion (1613) und Kirchengesänge und geistliche Lieder Dr. Luthers (1604), stellt ihn qualitätsmäßig auf eine Ebene mit seinem Wolfenbütteler Zeitgenossen Michael Praetorius. Waldheims heutiger Kantor René Michael Röder befleißigt sich vorbildlich der Schätze, die in seiner Kantoreibibliothek bis heute getreulich verwahrt werden. Nach Aufnahmen mit Werken von Tobias Zeutschner und Johann Havemann (Berlin 1659) steht nun eine Gesamtaufnahme der Werke von Melchior Vulpius auf dem Plan, auch eine Notenedition, die erste der Cantiones sacrae überhaupt, ist geplant.

Die Cantiones Sacrae I bringen sechs- und siebenstimmige Vertonungen von Hymnen, Psalmen, Evangelien und freien Texten. Dabei nutzte Vulpius zwar den Vulgata-Text, formulierte ihn aber um wohl mit pädagogischen Hintergedanken für seinen Lateinunterricht. So sind auch manche deutsche Übertragungen nicht nach Luther übertragen. Von großer Inspiration sind etliche Stellen gezeichnet, zu Herzen geht der Aufschrei des reichen Mannes Pater Abraham oder der himmlisch schwebende Engelsakkord zu Beginn des Osterevangeliums. Die zweite CD-Edition (VKJK 1524) bringt die acht- bis dreizehnstimmigen Motetten aus der 1602 erschienenen ersten publizierten Sammlung, den Cantiones sacrae I, herausragend dabei die Motette Surrexit pastor bonus, in der er den Text des Chores 1 mit deutschen Osterliedern in drei anderen Chören zu einem raumgreifenden quadrophonen Erlebnis werden lässt.
Die dritte CD-Edition (VKJK 1701) enthält die 19 sechs- sowie die 5 siebenstimmigen Motetten der Cantiones sacrae II auf Psalmen- und Evangelientexte. Ganz große bildliche Suggestivkraft haben die Motette zu Heimsuchung Mariae (Lk 1, 39-45), wie das Kind im Mutterbauch hüpft (exiliit infans in utero eius), und die Jubel-Motetten zu den Psalmen 98 und 71.

Röders Capella Daleminzia singt die Motetten engagiert und astrein, wunderbar klangschön, begleitet nur von einem Positiv, nur bei den siebenstimmigen Motetten treten noch Bläser (Zink und Posaunen) und eine größere Continuogruppe hinzu, die aber immer dezent zurückhaltend bleiben. Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob die instrumentale Besetzung nicht hätte reicher sein können, zumal mit einer großen Orgel, wie sie zeitgenössische Radierungen übermitteln. Einziger Wermutstropfen dieser Aufnahme ist die schlechte Aussprache vor allem der Schlusskonsonanten, die es oft mühsam macht, dem Text zu folgen. Auch die kurze Akustik der kleinen romanischen Saalkirche Tanneberg macht sich einige Male unvorteilhaft bemerkbar.

Mehr als vorbildlich ist aber das Booklet zu nennen, in dem Röder fundierte Überblicke zur Vita von Vulpius, zur Herrschaftsgeschichte der ernestinischen Wettiner, denen die Kompositionszyklen von Melchior Vulpius geschuldet sind, zur Waldheimer Kantoreigeschichte und zur Gattungsgeschichte liefert. Die sorgfältige Gestaltung der CD-Hülle durch den Verlag schließlich ist das Nonplusultra für eine Aufnahme, die schlichtweg in die Kategorie von vorbildlichen Editionen gehört.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / August 2019

Jazz Variationen aus Robert Schumanns "Album für die Jugend"

Komponistin: Franziska Brütsch
für Querflöte und Klavier
Verlag: Heinrichshofen

Franziska Brütsch, Jahrgang 1964, ermöglicht mit Ihrer Ausgabe "Jazz Variationen" einen neuen frischen Zugang zu Schumanns romantischen Klavierwerken.
Es ist wunderbar, dass diese Publikation für zwei Interpreten entstand. Erfreulich sind auch die klanglichen Arrangements voller Ideen und Einfallsreichtum. Melodischer Jazz, Swing-Elemente, walking-bass belohnen Spieler und Zuhörer gleichermaßen. Das Stück Soldiers March (Soldatenmarsch) kommt sogar im 5/4 Takt daher, Wildrider (Wilder Reiter) hat einen schönen punktierten Bass im Boogie-Feeling.
Notenbild und Wendestellen sind optimal.

Der Rezensent ist sich sicher, dass alle Beteiligten mit dieser Musik viel Freude haben. Sogar Klangbeispiele gibt es auf der Homepage. Was will man mehr?

Christoph Brückner
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / August 2019

Sneen faller, Snow is falling

Komponist: Skjelbred, Bjørn Bolstad
für SAB und Klavier
Verlag: Cantando

Nordische Winter-Musik aus Norwegen legt der Cantando Verlag mit Skjelbreds „Sneen faller“ vor.
75 Takte mit schönen „schrägen“ Klängen in Chor und Piano. Dennoch nicht schwer zu singen.

Der Text, keine große Offenbarung, liegt norwegisch und englisch vor. Etwas merkwürdig die Worttrennungen (Sno-ow), die möglicherweise suggerieren, dass beide Noten neu angesungen werden sollen. Inhaltlich: Schnee fällt, Sterne und Mond scheinen, Kalt ist’s und die Nacht flüstert Stille.

Für ein Winterkonzert eine schöne Bereicherung, etwas „Raumakustik“ schadet dem Stück sicher nicht.
Leider gibt es keine Informationen zum Hintergrund der Komposition und zum Komponisten. Die Ausgabe ist übersichtlich gestaltet, wobei der Gesangstext etwas klein geraten ist.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Februar 2019 / Juli 2019

C.P.E. BACH – Empfindsamkeit!

Interpreten: Barokkanerne, Leitung: Alfredo Bernardini
Label: LAWO

Mozart nannte ihn Vorbild, Berlin und Hamburg feierten ihn: Der elegante C. Ph. Emanuel Bach, 1714 als zweitgeborener Sohn des jungen Weimarer Hoforganisten J. Seb. Bach und seiner Frau Maria Barbara späterhin im Wirkungsgrad um ein Vielfaches erfolgreicher als der Vater, wird nun mehr und mehr wiederentdeckt. Seine feine, künstlerisch hochsensible, ja unnachahmlich nervöse Art des Komponierens ist einzigartig und ruft allenthalben Solisten und Ensembles auf den Plan. Die schlanke Truppe „Barokkanerne“ (auf historischen Instrumenten musizierend) unter dem Oboisten Alfredo Bernardini hat sich vor einiger Zeit den beiden sogenannten Berliner (WQ 178) und Hamburger (WQ 182) Symphonien gewidmet. Dazu gesellen sich das Es-Dur Oboenkonzert und d-Moll Cembalokonzert, wobei die Solisten hier in die Mitte genommen werden. Mit Verve gehen alle Beteiligten an die Sache, als Hörer wird man rasch begeistert gefangen genommen. Die Kirche von Frederikstad läßt dank ihrer fabelhaften Akustik die Musik größer erscheinen, für die „Empfindsamkeit“ unentbehrliche Kontraste werden plastisch wahrgenommen, da excellent herausgearbeitet.

Keiner mag behaupten, dass ein Cembalokonzert mit derartig dramatischen Impetus akademische Monotonie hinterläßt, zumal Christian Kjos sich souverän mit seinen Mitmusikern ansteckend im lebendigen Dialog befindet. Eine rundum empfehlenswerte Aufnahme, die sich unverbrauchter als vergleichbare Produktionen namhafter Kollegen präsentiert.

Wieland Meinhold
für www.notenkeller.de - November 2018 / Juni 2019
Verleih uns Frieden - Musik zum Dreißigjährigen Krieg

Interpreten: Johann Rosenmüller Ensemble, Ltg. Arno Paduch
Label: Christophorus

Tief in die Geschichte des langen Krieges hat sich Arno Paduch eingearbeitet, Werke ausgegraben von Komponisten, die ganz unbekannt blieben wie der Mühlhauser Kantor Nikolaus Weisbeck, wie der Kaplan des Grafen von Tilly Johann Sixt von Lerchenfels, wie der Leipziger Student und Schein-Schüler Marcus Dietrich Brandisius und der Eilenburger Organist Johann Hildebrand.

Mit ihren Kompositionen zeichnet Paduch den Verlauf des Krieges nach: den Einzug des Dresdener Kurfürsten Johann  Georg I. in Mühlhausen im März 1620, wo eine Strategie gegen die aufständischen Böhmen vereinbart wurde. Der eine (Lerchenfels) feierte den Sieg in der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620 mit einem Te Deum, der andere, hier der Böhme Christoph Harant von Polschit und Weseritz, wurde hingerichtet. Zur Einnahme Schlesiens durch Sachsen im Oktober 1621 wurde gehuldigt, der Breslauer Paul Schäffer tat das mit einer Motette (Psalm 95), der Dresdener Hofkapellmeister Heinrich Schütz mit seinem Syncharma musicum SWV 49 und wohl auch seinem Teutonium dudem belli SWV 338. Seine große Motette Da Pacem Domine SWV 465 besingt die Kurfürsten bei ihrem Treffen in Mühlhausen im Herbst 1627. Den Sieg über Tilly im September 1631 setzte Brandisius in Töne, der schwedische Hoforganist Andreas Düben beklagt den Tod Gustav Adolfs in der Schlacht bei Lützen im November 1632. Wie schlimm die Lage war, ist zu hören im Klaglied Ach Gott! Wir haben’s nicht gewusst, was Krieg für eine Plage ist (Hildebrand). Zeitloses Hauptwerk der CD ist Weckmanns Opus Wie liegt die Stadt so wüste, 1648 kann dann Schütz endlich und friedlich Verleih uns Frieden genädiglich singen – mit dem zweiten Teil Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Friede und gut Regiment, SWV 372/373.

Paduchs Vokal- und Instrumentalensemble gibt die Musik wie gewohnt mit hohem Engagement wieder, verwunderlich nur, dass einige Stücke kaum gemischt besetzt sind, was der Praxis der Zeit entspräche. So wirkt z.B. das Te Deum von Lerchenfels doch ziemlich mager. Paduchs Bookleteinführung zeichnet den Weg des Krieges sehr gut verständlich nach, im Textteil aber hat jemand zur Unzeit auf die Tilgetaste gelangt: der Text zu Schützens Da Pacem Domine fehlt, schade um die beeindruckende Aufzählung der Fürsten hierin.

Die Pracht der Huldigungsmusiken und die Klaglieder nebeneinander: sollte noch irgendjemand einen Hang zu gewalttätigen Lösungen durch „Landesführer“ heute spüren, schenkt ihm diese CD!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / Juni 2019

War & Peace 1618 : 1918

Interpreten: Lautten Compagney, Wolfgang Katschner, Dorothee Mields
2 CDS
Label: dhm

Der 400. Jahrestag des Prager Fenstersturzes macht aufs Neue bewusst, wie stark damals der Friede gefährdet war und wie leichtfertig Gewalt über deutsche Länder gebracht wurde – wie 1918 auch. Diese CD wendet sich den Opfern von purer Machtpolitik nach 1618, den Opfern einer Bürgerkriegs-Gesellschaft nach 1918 und Opfern von Not und Tod überhaupt zu.

In vier Abschnitten Angst/Katastrophe/Vergänglichkeit/Sehnsucht wird der Kontrast von Lebensfreude wie Lebensangst höchst kunstvoll und in kabarettistischer Zeichnung von Elend, Hunger und Tod dargestellt, zutiefst mitnehmend! Dorothee Mields ist dabei ganz neu zu erleben in den Texten von Friedrich Holländer (Wenn ick mal tot bin) und Hanns Eisler, die Lautten Compagney dazu in überraschend überzeugenden Arrangements der Lieder aus den 20er Jahren. Nicht minder ist Mields in ihrer bewährten Rolle barocker Textinterpretation zu hören. Die Vorlagen von u.a. Heinrich Schütz (Erbarm dich mein, Ps 51, SWV 447), Johann Hildebrand (Krieges-Angst-Seufftzer), Simon Dach/Heinrich Albert (Letzte Rede einer vormals stolzen und gleich jetzt sterbenden Jungfrau) und Andreas Gryphius (Die Herrlichkeit auf Erden muss Rauch u d Asche werden) sind nicht nur einfühlsam gestaltet, Mields bringt sie in ihrer ursprünglichen lebensbedrohenden Situation herüber, genauso wie sie von barocker Lebensfreude zu singen weiß (Melchior Franck, Die Martinsgans, und  Paul Fleming, Die Kunst des Küssens).

Eingestreut sind einige instrumentale Kompositionen von Scheidt (Gaillarden) und Erik Satie, seine Klavierstücke arrangierte Wolfgang Katschner für seine Truppe in sehr ansprechender Weise. Dass die CD schließt mit Schützens Verleih uns Frieden, SWV 372, ist da fast unvermeidlich - meint man. Aber es folgt von Holländer noch Die Kurrende, in der ein verachtetes Waisenkind besungen wird, das einst als Gottes Lieblingskind sich um seinen Thron wird schaaren.

Welch ein Eindruck, welch eine Hoffnung, welch eine Zuversicht, welch ein Glaube! Und welch eine Enttäuschung, dass es 400 und 100 Jahre später als diese Dichtungen und Lieder es immer noch nicht so weit ist, dass Elend, Flucht, Not und Tod nicht täglich irgendwo auf dieser Welt weiter an unsere Türen klopfen.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / Juni 2019

Florilegium Portense

Interpreten: Vocal Concert Dresden, Cappella Sagittariana Dresden, Leitung: Peter Kopp
Label: Carus

Auch wenn Erhard Bodenschatz - * 1576 in Lichtenberg; † 1636 in Groß-Osterhausen/Querfurt, dort seit 1608 Pastor, Komponist eines Magnificats (1599), zweier Sammlungen von Psalmmotetten (1607 und 1608) und von Bicinien (1615) - nur knappe drei Jahre von 1600 bis 1603 Kantor in Schulpforta war, sein Name ist grundlegend verbunden mit dieser Fürstenschule Kursachsens durch seine Edition der Motettensammlung Florilegium Portense (Schulpfortaer Blütenlese). In zwei Teilen (Leipzig 1618 und 1621) enthält sie 271 Motetten von 58 Komponisten, darunter u.v.a. Christian Erbach, Melchior Vulpius, Adam Gumpelzhaimer, Christoph Demantius und Jacobus Gallus. Bereits 1603 hatte er eine Sammlung Florilegium selctissimarum Cantionum herausgegeben, sie gingen auf Vorarbeiten seines Vorgängers, des Leipziger Thomaskantoren Sethus Calvisius zurück und wurden vor und nach dem Essen gesungen, ein Brauch, auf den man heute nur neidisch sein kann. Dass das Florilegium Portense einen überragenden Jahrhunderte dauernden breiten Erfolg hatte, ist weidlich bekannt durch Bachs Nachorder für den Gebrauch in Leipzig 1729.

Zusammen mit Sätzen aus dem Florilegium selctissimorum hymnorum (Naumburg und Leipzig 1606) – diese Sammlung beinhaltet im Contrapunctus simplex gesetzte homophone vierstimmige Sätze – hat nun Peter Kopp knapp 400 Jahre nach der ersten Drucklegung eine Auswahl von 17 Motetten und Hymnen in Sätzen von u.a. Hieronymus Praetorius, Hans Leo Hassler, Orlando di Lasso, Sethus Calvisius, Melchior Franck, Michael Praetorius und GiovanniGabrieli eingespielt. Das erprobt lebendige Spiel seiner beiden Ensembles gibt einen hervorragenden Einblick in die sagenhaft große und zeitgeschichtlich eminent wichtige Edition von Erhard Bodenschatz, die seit über 250 Jahre leider immer noch auf eine Neuauflage wartet.

Das vorbildlich gestaltete Booklet gibt alle Informationen (Christoph Koop), auch die genauen Textquellen und Angaben zu den Erstdrucken. Dankbar liest man die in einer Leipziger Auflage von 1694 genannten jeweiligen liturgischen Zuweisungen im Kirchenjahr. Die Einspielung verdient das Premijm-Prädikat: Höchst löblich!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2019 / Juni 2019

Max Reger - Werkausgabe Band II/8

Komponist: Max Reger
Herausgeber: Becker, Grafschmidt, König, Steiner-Grage
Verlag: Carus


Werke für gemischten Chor a cappella

Der gewichtige Band aus der Abteilung II (Lieder und Chorwerke, bisher erschienen der Band I mit den Liedern von 1889–1899) der Reger-Werkausgabe, die im Auftrag des Max-Reger-Institutes/Elsa-Reger Stiftung derzeit bei Carus erscheint, umfasst Regers A-Cappella-Kompositionen zwischen 1890 und 1902. In dieser Zeit setzte er Werke für den katholischen und evangelischen liturgischen sowie Volkslieder für den weltlichen Gebrauch. Sie sind den  Werkverzeichnis- Nummern WoO VI, op. 39, op. 61 und op. 79 zugehörig.

In der Regel handelt es sich um wirkliche Gebrauchsliteratur. Nur bringt Reger im homophonen Satz häufig ungewohnte und schnelle harmonische Wendungen, wie sie für ihn eben typisch sind. Aber auch von leicht aufgelockerter Homophonie geprägte Sätze sind dabei wie gleich das erste Tantum ergo in g, das schon 1895 auf Wunsch Adalbert Lindners, seines ersten Lehrers und späteren Biographen, entstand. Ganz anderen Anspruch stellen da die drei Chöre op. 39 (1899) dar, man sieht neben dem Einfluss von Brahms Regers gesteigerte Anforderungen an die Intonation, was einen Kritiker zu dem schönen Bonmot verleitete: Hier tritt die Liebe zur Arbeit in den Vordergrund. Wer aber die Arbeit liebt, wird mit wunderbaren Klängen belohnt, was vor allem für die Nr. 2, ein Abendlied auf einen Text von August H. Pinke, gilt! Eindrucksvoller als hiermit kann wohl kaum ein A-Cappella-Programm beschlossen werden. In der Praxis lebendig geblieben sind einige Sätze seiner Zwölf deutsche geistliche Gesänge (1900) wie das Adventlied Macht hoch die Tür, Schönster Herr Jesu und Ich wollt, dass ich daheime wär, aus den Sieben geistlichen Volkslieder (1900) sind dies die Sätze zu Der Mond ist aufgegangen und O Jesulein süß. 36 derartige Choralsätze bringt die Sammlung Der evangelische Kirchenchor, acht die Grabgesänge (1901), 14 die Kompositionen op. 79f, im Anhang finden sich noch einmal 7 Sätze aus op. 79f. Große Chormusik schrieb Reger mit dem Palmsonntagmorgen von Geibel, Musik, die allein beim Lesen den Wunsch nach einer guten Wiedergabe hervorruft. Die Noten hierzu sind leicht im Internet zu besorgen.

Das umfangreiche Vorwort bringt in mehreren Abschnitten Die Reger-Werkausgabe, Zur Edition, Chronologie der Chorwerke und Einleitung alles Wichtige. Im letzten Abschnitt ist ausführlich zu den einzelnen Ausgaben nachzulesen der Kontext, Zur Entstehung, Herausgabe und Rezeption der Chöre. Der Kritische Bericht beschließt den Band, dessen Sammlung endlich einen (1. Teil-) Gesamtüberblick über Regers A-Cappella-Schaffen bringt. Der sorgfältigen Editionsarbeit des Verlages sei einmal mehr gedankt. Eine Reger-Renaissance wäre nicht nur an der Zeit, sondern mit den vorliegenden Ausgaben leicht asuführbar.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / Juni 2019

Brahms in der Meininger Tradition

Autor: Fritz Steinbach
ISBN: 978-3-487-31183-8
Verlag: Olms


Wenn eine 3. Auflage innerhalb von vier Jahren benötigt wird, um die Nachfrage nach der “authentischen” Aufführungspraxis der Brahms-Sinfonien in Meiningen zu decken, so ist das bezeichnend für den heutigen Bedarf, interpretatorisch getreu an das Werk Brahms’ herangehen zu können. Das rund 105 Seiten starke Bändchen mit dem Untertitel Seine Sinfonien in der Bezeichnung von Fritz Steinbach (1855 – 1916, 1886 – 1903 Hofkapellmeister in Meiningen) kann hier den Weg weisen, denn  Steinbachs mit Brahms eng abgestimmte Partitur-Einzeichnungen  wurden damals von Walter Blume (1883 – 1933) genauestens aufgezeichnet und übersichtlich zusammengetragen.

Die Gestaltung der Sinfonien ist höchst hilfreich für die Interpretation der symphonischen Orgelwerke Brahms‘. Die sind zwar mit den zwei Praeludien und Fugen in g-Moll und a-Moll und der Fuge as-Moll nur sporadisch in seinem Werk vertreten, aber auch die Choralvorspiele WoO 7 und op. 122 können nur gewinnen.

So nimmt Blume aus den Aufzeichnungen Steinbachs Stellung zu den Tempobezeichnungen, beschreibt die Praxis des Rubatos, der Phrasierung, einiges lässt sich aus den Stricharten der Streicher herauslesen. Wiederholt betont Blume, dass die Vorschriften des Komponisten genauestens zu beachten und zu studieren sind, was aber nichts mit Pedanterie zu tun hat. Präzision ist eines seiner Kernworte, wie mit leichten Tenutos und sinngemäßen Artikulationen, Taktverschiebungen und Taktänderungen (6/8 wird zu ¾) gearbeitet wird und öffnet damit Augen und Ohren für eine Brahms-gemäße Klanggestaltung. Der detaillierte Umgang mit den oft nur rhapsodischen Themenfetzen in den Sinfonien gibt jedenfalls deutliche Hinweise, dass das Dauerlegato, das man so oft bei seinen Orgelwerken zu hören bekommt, schlichtweg eine falsche Lösung der Gestaltungsfragen darstellt. Eine nach Blumes Aufzeichnungen  gestaltete lebendige Interpretation könnte dem Brahmsschen Orgelwerk heute jedenfalls wieder mehr „authentische“ Rezeption verschaffen.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / Juni 2019

Vater Unser

Interpreten: Clematis-Ensemble, Paulin Bündgen
Label: Ricercar


Das Programm, gesucht und gefunden für die vorzüglichen Streicher des Clematis-Ensembles, besteht aus Werken von Kapellmeistern und Organisten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die aufblühende Musikszene nach dem Dreißigjährigen Krieg haben die Kapellmeister der Familie Düben in Stockholm in einer der größten Sammlungen der Zeit zusammengeführt, so stammen die meisten Stücke dieser CD aus dieser Dübensammlung, die die Universität Uppsala verwahrt. Es sind Werke u.a. des Schütz-Schülers David Pohle, von Schein, Eccard, Tunder, Johann Michael Bach, Theile, Ahle u.a.

Thematisch ist das Programm mit dem Lutherchoral Vater unser im Himmelreich überschrieben, inhaltlich geprägt aber ist es von  Lamentokompositionen. So stellt Johann Christoph Bachs einzigartiges Lamento Ach daß ich Wassers g’nug hätte den eindrucksvollsten Programmpunkt, des Ansbacher Hofkapellmeisters Johann Wolfgang Francks Kantate Weil Jesu in meinem Sinn den umfänglichsten, während der Nürnberger Organist Heinrich Schwemmer mit seinem Grabgesang den vermahnenden Schlusspunkt liefert. Der Choral Vater unser im Himmelreich ist textlich gar nicht vertreten, erscheint aber in einem Satz von Johann Eccard (das Booklet nennt ihn mit dem Vornamen Samuel) und in einer Streichereinrichtung von Georg Böhms Orgelchoral, die allerdings dem Effekt der Originalbesetzung nicht nahe kommt. Wenn auch diese Themenbündelung nicht überzeugen kann, die musikalische Wiedergabe ist es allemal, auch wenn der Countertenor Paulin Bündgen zwar mit schönen Vokalen für sich einnimmt, aber leider nicht über eine klare Aussprache der Konsonanten verfügt. Leider auch wurde diese Aufnahme mit einem Positiv besetzt statt einer richtigen Orgel, die einen klangvollen 16‘ im Bass hätte stellen können, wie es in der damaligen Praxis  üblich war.

Zudem leidet auch dieser sonst ganz gut informierende Booklettext von Jérome Lejeune unter einer fatalen Desinformation, in seinem Text bezeichnet er St. Sebald in Nürnberg als evangelische Enklave in einer mehrheitlich katholischen Stadt, und  das der allerersten Stadt, die die Reformation einführte. Leider fehlen im Textteil auch die Angaben zur Textherkunft, so dass die CD zwar schön anzuhören ist, dennoch einen sehr gemischten Eindruck hinterlässt.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / Juni 2019

Verbum caro factum est

Interpreten: Bach Collegium Japan, Masaaki & Masato Suzuki
Label: BIS


Weihnachten in Japan, ja natürlich, das feiert das Bach Collegium Japan unter Masaaki Suzuki seit 2013 auch mit eigenen Konzerten! Die 1a-Adresse liefert selbstverständlich gediegene Musik, gediegen musiziert – mit gediegen komponierten Sätzen von Masato Suzuki, dem Sohn  des weltbekannten Dirigenten. Er hat diese Sätze auch im Druck veröffentlicht. Masato Suzuki steht im Vordergrund dieser CD, sieben Noels von Louis-Claude Daquin spielt er auf der Marc Garnier-Orgel der Shoin-Kapelle in Kobe, die 1983 als Typ einer französischen klassischen Orgel mit IV/28 erbaut worden ist. Die  Noels unterteilen das Vokalprogramm mit deutschen und englischen Liedern wie Ich steh an deiner Krippen hier, O Jesulein süß, The First Noel, Hark! The Herald Angels sing, In dulci jubilo, Adeste fidelis etc.
Die CD beginnt aber mit dem Titel gebenden Verbum caro factum est, solistisch gesungen als Lied aus der Sammlung Piae cantiones (1582) und beschließt auch das Programm in einem dreistimmigen Satz aus den Trienter Codices (Mitte 15. Jh.).

Das (engl., japanisch, deutsch, frz.) Booklet bringt einen gut beschreibenden Text von Takumi Kato, Herkunft der Texte und Melodien sind benannt, zu den Intentionen der Sätze erfährt man leider nichts. Hörbar sind schlackenlose Sätze verschiedener Stilrichtungen, gut gemacht und wenig überraschend. Im Textteil fehlt die deutsche Übersetzung, die man sich bei den bekannten Strophen des wie nahezu immer gekürzten Silent night denken kann, sonst aber suchen muss. Zwar ist die Disposition aufgeführt, die Registrierungen aber fehlen. Auch sie sind denkbar, da die Titel sie ja inkludieren, nur sind die Titel leider nicht abgedruckt. Masato Suzuki hat einen wendigen leichten Zugriff, der den Noels leider nicht immer gerecht wird. Wenn etwa das Noel Suisse virtuos hüpft, meint man, ein unbekanntes Stück zu hören.

Mag es daran liegen, dass inzwischen auch diese Weihnachtslieder „ausgelutscht“ sind, so wie die ganze Adventszeit mit ihnen audiophon überbelegt ist: das doch wirklich schöne Musizieren des Chores und die schönen Klänge der Orgel wollen nicht so recht begeistern. Der Rezensent wünscht allen Lesern darum eine ruhige Adventszeit, die hungrig macht auf Weihnachtslieder an Weihnachten.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / Juni 2019

Von Liebe und Sehnsucht

Komponist/Bearbeiter: Felix Mendelssohn Bartholy / Pascal Martiné
Verlag: Schott


Romantische Lieder für Frauenchor (SSA) und Klavier nach den Duetten von Felix Mendelssohn Bartholdy

Mendelssohn Bartholdys Chormusik für Frauenstimmen hält sich in überschaubaren Grenzen. Neben einigen geistlichen Werken (Engelsterzett,...), die gerne und immer wieder von Frauenensembles gesungen werden.

Auf weltlichem Gebiet gibt es leider nichts Originales. Diese Lücke schließt nun vorliegende Publikation von Pascal Martiné, der acht Duette aus den „Gesänge für zwei Frauenstimmen und Klavier“ zur Dreistimmigkeit erweitert und für Frauenchor eingerichtet hat, dabei ist es dem Bearbeiter gelungen, die Stilistik der Duette beizubehalten.
Die Lieder sind gut singbar und sollten von guten Frauen- oder Kinder- oder Jugendensembles problemlos gesungen werden können.
Die Ausgabe ist übersichtlich gestaltet und gut lesbar. Eine dankbare Erweiterung der Literatur für klassischen Frauenchor, die gerne Verbreitung finden darf.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Dezember 2018 / Juni 2019

Messiah

Komponist: Georg Friedrich Händel
Interpreten: Musica Fiorita, Daniela Dolci
Verlag: Pan


Gerade einmal zwei Wochen benötigte Georg Friedrich Händel für den gewaltigen „Messias“, danach stand allerdings vierzehn Tage lang -angeblich ununterbrochen- Nahrungsaufnahme auf dem Speiseplan des schwergewichtigen Erfolgsautors, der die Würde und Präsentationslust der Engländer wie kein Zweiter meisterhaft zu bedienen wußte. Wie oft das bahnbrechende Oratorium mittlerweile auf Schallplatte, CD und DVD vorliegt, ist müßig herauszufinden und bedarf wohl keiner quantitativen Statistik. Nun hat sich eine Frau als Dirigentin und „Regisseurin“ dem hier nur 2 Stunden und 21 Minuten dauernden Giganten genähert. Welch Glück: Denn die Schweizerin Daniela Dolci nimmt den Hörer auf eine Reise voller Durch- und Umsichtigtkeit, die ohne Unterlaß weiblich-erfrischend ist. Auch deshalb so umfassend überzeugend, da man Vocalisten und Instrumentalisten von Musica Fiorita lediglich aus einer gewissen Entfernung und dennoch klar vernimmt (Entscheidung des Toningenieurs?), wenngleich sich akustische Bedingungen bei der Uraufführung 1742 in Dublin möglicherweise nicht weniger unkompliziert bewerkstelligen ließen. Die Solisten präparierten sich ausnahmlos mit viel Sinn und Erfahrung für dieses gewaltige Pensum: Der lettische Bariton Raitis Grigalis durche seine samtweiche liebevolle Gestaltung. Die knabenhaft agierende österreichische Sopranistin Miriam Feuersinger, der kundig wiewohl leidenschaftlich auftretend der italienische Altus Flavio Ferri-Benedetti bleiben wohltuend im hörenden Gedächtnis haften. Einzig die vornehme Zurückhaltung des Schweizer Tenors Dino Lüthi wirkt stellenweise etwas irritierend, denn seine Stimme versucht er diszipliniert zu führen.

Insgesamt hat die opulent aufgemachte CD (anregendes Cover samt erhellendem mehrsprachigem Klappentext (Oliver Binder)) ihren vorderen Platz im Reigen der ernstzunehmden Produktionen auf dem umkämpften Markt verdient.

Wieland Meinhold
für www.notenkeller.de - November 2018 / Mai 2019

Polyhymnia

Komponist: Carl Philipp Emanuel Bach
Herausgeber: Christoph Wolff
Verlag: Carus


Polyhymnia nannte Bach seine Lied-Sammlung, die er auf Initiative von Carl Friedrich Cramer, Professor für klassische Philologie in Kiel seit 1775, anlegte. Einen  Teil dieser Lieder (Wq 200) veröffentlichte Bach 1789 unter dem Titel Neue Lieder-Melodien. Diese Lieder gab nun Christoph Wolff zusammen mit den Oden mit Melodien, Wq 199 (1762, 21774), 35 weiteren Liedern, die zwischen 1782 und 1787 verstreut in Zeitschriften und Anthologien erschienen waren und 7 nur handschriftlich erhaltenen Liedern als Praxisausgabe heraus.

Die Erstausgabe in der Reihe der Gesamtausgabe (Packard Humanities Institute, Serie VI, Vol. 3) war bereits 2014 inclusive von Erstfassungen und noch weiteren Liedern erschienen. Bachs Lieder-Sammlung für Singstimme und Clavier umfasst insgesamt 84 Lieder, davon 9 mit geistlichen Texten. Die manchmal sehr kurzen neckischen Texte, manchmal aber auch viele Strophen umfassend, stammen von u.a. Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich von Hagedorn, Balthasar Münter und Albrecht von Haller. Sie gehören der Anakreontik an, kreisen um die Freude an der Welt und am Leben, an der Liebe, der Freundschaft und Geselligkeit, des Weingenusses und der Freude an der Natur. Wie diese Dichtung sinnlich aufgenommen werden sollte, so setzte sie Bach in Musik, kantable Melodik und ausdrucksvolle Klavierbegleitung bescheren sorglose Momente des Glücks. Ein kurzes, aber instruktives Vorwort begleitet die Ausgabe.
Der Rezensent wüsste sofort etliche Gelegenheiten zu nennen, diese Kleinodien in der Praxis gewinnbringend zu nutzen

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2018 / Mai 2019

Mare Balticum I Music in medieval Denmark

Interpreten: Ensemble Peregrina, Agnieszka Budzińska -Bennett & Benjamin Bagby
Label: Tacet


Diese CD ist die erste von vier geplanten Programmen, die sich mit dem musikalischen Erbe der Ostseeregion des 12. bis 15. Jahrhundert beschäftigen. Die vorliegende Einspielung ist passend zur 850-Jahrfeier von Kopenhagen im Jahr 2017 mittelalterlicher Musik aus Dänemark gewidmet.

Zwei Schwerpunkte setzt diese CD: zum einen ist der Musikwissenschaftler und Sänger Benjamin Bagby zu hören mit fast atemlos vorgetragenen „Bänkelliedern“ zu den Morden an Fürst Knud Lavard († 1131) und an König Erik V. († 1286). Beiden wird im Booklet breiter Raum - nur mit Mühe passt das engl./deutsche Booklet in die Hülle - eingeräumt, eine gründlich die Vorgänge erhellende Vorlesung zu hier kaum bekannten mittelalterlichen Geschehnissen. Den Typus der Hofweise vertritt ein Gedicht von Michel Beheim, der von seiner Reise zur Krönung Christian I. 1450 in Trondheim berichtet, dessen Tugend er reichlich rühmt wie die eigene Seekrankheit ebenso anschaulich schildert.

Den anderen Schwerpunkt setzt Agnieszka Budzińska -Bennett mit ihrem Ensemble Peregrina mit polyphonem zwei- bis dreistimmigen Repertoire: mit den Hymnen Gaudet mater ecclesia, Maria candens lilium und Letificat laudatio, der Sequenz Psallat fidelis concio und der Antiphon Gaude mater letare. Zwar werden die Quellen in lobenswerter Weise genannt, ihre liturgische Stellung aber bleibt vollkommen offen. Den überraschenden Beginn der CD stellen zwei Dänische Lieder, das Gebet O rosa in Iherico und Mith hierthae brendher, dieses auch mit Beteiligung von Bagby.

So fremd wie die Musik im ersten Moment wirken mag, so bekannt sind aber doch auch die Formeln und Mittel, mit denen Agnieszka Budzińska –Bennett arbeitet, war doch die Kunst in Dänemark noch keine nationale, sondern gleichartig geprägt von kirchlich getragener Kultur wie in ganz Europa, die dänischen Lieder sind da keine Ausnahme. So wie zu begrüßen ist, dass diese frühen dänischen Überlieferungen nun einem breiten europäischen Hörerkreis bekannt gemacht werden, so erfreulich ist die lebendige Darstellung dieser Musik, die über Kenntnis hinaus auch Hörvergnügen bereitet. Darum: gerne mehrmals hören!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2018 / April 2019

Pièces de clavecin

Komponist: Heinrich Isaac
Interpreten: Ensemble Gilles Binchois, Leitung: Dominique Vellard Label: Evidence


War es 1503 beim Besuch des Burgunder Herzogs Philipp des Schönen bei seinem Vater Kaiser Maximilian I. in Innsbruck, dass dessen berühmter Hofkomponist  Heinrich Isaac (*um 1450 - 1517, 1484 bis 1494 Sänger am Hofe der Medici in Florenz, seit 1497 Hofkomponist der Habsburger) seine Messe Virgo prudentissima für diesen repräsentativen Anlass schrieb? Oder ist die Messe zusammen mit der gleichnamigen Motette, die auf einen Text von Georg von Slatkonia, Wiener Hofkapellmeister und nachmaliger Bischof, geschrieben wurde, für den Reichstag in Konstanz 1507 entstanden?

Gleichviel, es ist nicht irgendeine seiner 35 Messen, sondern eine von nur drei sechsstimmigen, u. z. diejenige, die ob ihrer hohen Kunst der Polyphonie und ihrer wechselnden scheinbaren Mehrchörigkeit (Ars perfecta nannte man seine Kunst) mehr mitnimmt in das Reich katholischer Gottesdienste kurz vor der Reformation wie kaum eine andere. Wie kaum ein anderer hat Isaac auch im Auftrag des Domkapitels der Konstanzer Kathedrale die Propriumtexte vertont, sie finden sich in den drei großen Bänden der Choralis Constantinus (Nürnberg 1550 und 1555, herausgegeben von seinem Schüler Ludwig Senfl). So lag die hier getroffene Kombination dieser Messe zu Mariae Himmelfahrt (15. August) mit den entsprechenden Propriumtexten (Antiphon Gaudeamus/Virgo prudentissima und  Communio Beata Viscera) mit gregorianisch gesungenen Ergänzungen (Introitus Salve sancta parens, Graduale Benedicta, Alleluja Post partum und Virga Jesse, Offertorium Ave Maria) nahe.

Das Ensemble Gilles Binchois singt dies Programm unter der Leitung seines langjährigen Dirigenten Dominique Vellard nicht nur untadelig auf Wohlklang bedacht, sondern mit großer Motivation und Einsatz, da hört man einfach gerne zu, genießt die geniale Ebenmäßigkeit der Ewigkeit atmenden Komposition Isaacs und die mit den Anfängen des Christentums verbindende Gregorianik. Eine Textverständlichkeit ist allerdings kaum gegeben, auch im Booklet, das sonst eine gute Einführung bietet, sind einzelne Textabschnitte leider nicht richtig wiedergegeben, bleiben die Tropierungen mit Slatkonias Text Virgo Prudentissima deshalb unklar. Vellard hat sich bei den alternierenden Abschnitten für den Wechsel mit einstimmiger Gregorianik entschieden, möglich wäre auch der Wechsel mit Orgelversetten gewesen. Dennoch ist die  Aufnahme eine höchst gelungene Referenz an den vor 500 Jahren verstorbenen großen flämischen Meister, dessen Lied Innsbruck, ich muss dich lassen ihn unsterblich gemacht hat.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2018 / April 2019

Pièces de clavecin

Komponist: Francois Couperin
Herausgeber: Denis Herlin
Verlag: Bärenreiter


Premier livre (1713) (XXXVII + 128 Seiten) & Second livre (1717) (XXXVIII + 137 Seiten)

In internationaler Zusammenarbeit sind nun mit finanzieller Unterstützung der Musica Gallica (Ministère français de la Culture, Fondation Francis et Mica Salabert) diese beiden Bände mit der Neuausgabe der wohl berühmtesten Cembalowerke der französischen Klassik erschienen. Wegen des erheblichen Umfangs der Bände musste das Vorwort zweisprachig (frz./engl.) bleiben, der Kritische Bericht ist nur in Englisch abgedruckt. Aus Kostengründen konnten diese Texte leider nicht weiter übersetzt werden.

Francois Couperin (1668 – 1733) - Zeitgenosse von u.a. Georg Böhm, Nicolaus Bruhns und Arnold Brunckhorst, von Antonio Caldara, Johann Joseph Fux und Henry Purcell - hatte als Organist an Saint-Gervais in Paris bereits 1690 seine beiden bis heute viel gespielten Orgel-Messen veröffentlicht, als er seit 1693 auch als Hoforganist und –komponist Ludwigs XIV nach langem Unterrichten am Hof begann, neben Motetten, Psalmen, Triosonaten und Konzerten vier Livre seiner Pièces de clavecin (1713, 1717, 1722 und 1730) drucken zu lassen. Zwar in der Tradition seines Onkels Louis Couperin, von de Chambonnières, Lebègue, Marchand, Clérambault, Dandrieu und Rameau begründet, prägten seine typischen Charakterstücke eine neue Form und einen neuen Stil, insgesamt sollten es 240 Stücke in 27 Suiten werden.

So finden sich in der ersten Suite (Couperin betitelt diese als Ordre) des ersten Buches neben den insgesamt 9 Sätzen traditioneller Tänze wie Allemande, Courante (die allerdings beide auch einen neuen Typus verkörpern), Sarabande und Gigue, dann auch noch Gavotte und Menuet mit Double-Sätzen nicht weniger als 11 Sätze mit poetischen Titeln bisher ungekannter Originalität wie Les Silvains (antike Waldgötter), Les Nonètes (Nönnchen) oder L’Enchanteresse (verzaubernde Hexe oder bezauberndes Mädchen). Dieses fast ausgewogene Verhältnis verlässt er in den folgenden Suiten zugunsten der Charakterstücke, ändert so den strengen französischen Tanzstil zum spielerischen italienischen Stil hin ab. Neu war auch, dass sein Originaldruck im Hochformat erschien und in hoher notengrafischer Qualität genaueste Angaben zur Ausführung vorgab, für die er auch eigene Symbole schuf. 1716 beschrieb er diese in seinem Lehrwerk L’art de toucher le clavecin.

Der französische Musikwissenschaftler Denis Herlin - er lernte das Cembalospiel bei Kenneth Gilbert und Huguette Dreyfus - sucht in seiner Neuausgabe das Notenbild des originalen Druckbilds zu wahren, so z.B. bei den Arpeggiozeichen und den gerade gezogenen Legato- und runden Haltebögen, was das Notenbild der historischen Vorlage weit annähert. Darüber hinaus hat er die von ihm z.T. neu entdeckten Abzüge des Originaldrucks - der Kritische Bericht beinhaltet eine genaue Beschreibung der 16 Primärquellen - ausgewertet und ihre Varianten ausführlich dokumentiert. Ein detailliertes Vorwort zum langfristigen Geschehen (Couperins HofschülerInnen und seine Pariser Wohnungsstandorte) und direkt vor dem Druck von 1713 (Vorläufersätze seit 1707 (das 1713 nicht aufgenommene Stück La Diane ist im Anhang wiedergegeben), der langwierige Stich der 73 Seiten starken Ausgabe seit 1709 und die Widmungsträger), schließlich die Rezeptionsgeschichte, aufführungspraktische Hinweise, einige Faksimile-Abbildungen, die Erklärungen der Verzierungskürzeln aus seiner L’Art de toucher le clavecin von 1716 sowie Couperins Vorwort von 1713 komplettieren diese Ausgabe.

Der zweite von Herlin edierte Band enthält neben dem Second Livre von 1717 mit den 6. - bis 12. Suiten ebenfalls vielfältige Informationen im Vorwort (Vorgeschichte seit 1713, Couperins Vita seither und die Widmungsträger), die Druck- und Rezeptionsgeschichte, weitere aufführungspraktische Hinweise, noch einmal die Erklärungen der Verzierungskürzeln aus seiner L’Art de toucher le clavecin sowie Couperins Vorwort von 1717. Außerdem bringt der Band die acht Préludes und eine Allemande aus Couperins L’Art de toucher le clavecin, die für grundlegende Übungen von Schülern gedacht sind, sie dabei auch in die Variabilität des Tempos einführend. Dem folgt noch der Kritische Bericht mit genauer Beschreibung der hier 15 Primärquellen und ihren Abweichungen.

Nach ersten Neuausgaben von Louis Dièmer (Paris o.J.) und von Chrysander/Brahms (London 1888), zahlreichen Ausgaben im 20. Jahrhundert und der Faksimile-Ausgabe bei Fuzeau (Paris 1993) nimmt diese neue Ausgabe mit ihrem historisierendem Satzbild eine hervorragende Stellung unter den spielpraktischen Editionen ein, die dem Begriff Urtext zu Recht Recht gibt.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2018 / März 2019

L’Inconstante

Komponistin: Elisabeth Jacquet de la Guerre
Interpretin: Marie van Rhijn
Label: Evidence


Élisabeth-Claude Jacquet de La Guerre (geb. Élisabeth Jacquet; *1665; † 1729) war erst 22 Jahre alt, als sie 1687 ihr Premier Livre derPièces de Clavecin veröffentlichte, das Second Livre sollte 1707 folgen, dazwischen die Oper Céphale et Procris (1694), zwei Ballettmusiken, Triosonaten (1695), Sonaten für Violine und Cembalo (1707) und später geistliche (1708 und 1711) und weltliche (1715) Kantaten.
Die Pariser Komponistin war die Tochter des Organisten Claude Jacquet, sie trat schon im Kindesalter als Konzertcembalistin auf, im Alter von fünf Jahren spielte sie vor König Ludwig XIV., der sie fortan besonders förderte. In ihrer ersten Sammlung vereinte sie vier Suiten, die nach einem Prélude non mesurés die traditionellen Tanzsätze bringen, ergänzt durch je eine Seconde courante und Sätze wie Canaris, Chaconne, Gavotte, undbeschlossen jeweils mit einem Menuet. Damit setzte sie der Tradition, die bei den Préludes non mesurés und den Chaconnen bei Louis Couperin in der Mitte des 17. Jahrhunderts und mit den Les Pièces de Clavessin, Vol. I & II von Jacques Champion de Cambonnières 1670 begonnen worden war und die bis zu Jean-Jacques Beauvarlet-Charpentiers Premier Livre 1770 fortgesetzt wurde, einen Höhepunkt vor den Werken von d’Anglebert, Marchand, Clérambault, Dandrieu, Rameau und endlich Francois Couperin.

Den Titel L’Inconstante (meint eine flexible Interpretation) erhielt die CD von dem Beinamen der Chaconne aus der Suite en ré, gerahmt werden die hier eingespielten drei Suiten en Fa, en ré und en la von der Allemande La Flamande aus dem Deuxieme Livre (1707) und seinem Double mit ausgeschriebenen Verzierungen. Die französische Cembalistin Marie van Rhijn, ausgebildet in Paris und London, ist seit 2014 Professorin am Conservatoire an Rayonnement Régional de Cergy Pontoise. Auf dieser ihrer zweiten CD brilliert sie bewundernswert mit ihrem flüssigen unaufgeregten selbstverständlichen virtuosen wie kontrollierten Spiel, schöner und gelassener kann die Pracht am Hofe Ludwig XIV. kaum zelebriert werden.

Das Booklet ist leider nur zweisprachig, englisch/deutsch, was nicht für einen zusammengewachsenen CD-Markt in der EU spricht. Die Aufsätze von Catherine Cessac und Marie van Rhijn bringen alles Wissenswerte zu Leben und Werk der zu Lebzeiten hoch bewunderten Komponistin wie zur Interpretation, die gemäß der Zeit beschreibend charakteristisch wie etwas überzeichnend sein soll und darf. Man darf gespannt sein auf die nächste CD van Rhijns, auf der die ausstehenden Suiten aus den beiden Büchern derPièces de Clavecin folgen sollen.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2018 / Februar 2019

Missa brevis

Komponist: Vidar Hansen
Besetzung: SSAA a cappella
Verlag: Cantando Musikkforlag


Die Missa brevis des norwegischen Komponisten Vidar Hansen entstand im Jahr 2017 für vierstimmigen Frauenchor a cappella. Der klassische Aufbau des Messordinariums ist beibehalten, wenngleich das Gloria und das Credo auf die Kernaussagen reduziert wurden. So liegt also nicht der komplette Messtext vor, was möglicherweise traditionelle Gemeinden von der Aufführung abhalten könnte.

Der Komponist bietet ein Werk an, das von religiösen Volksmelodien aus der Provinz Østfold inspiriert ist, die im 19. Jahrhundert von L.M. Lindeman und um 1900 von Catharinus Elling gesammelt wurden. Die Tonsprache ist traditionell mit einigen wenigen Reibungen zum Genießen. Die Messe sollte von einem geschulten Chor recht schnell zu erarbeiten sein. Lohnend ist sie auf alle Fälle, gibt es doch relativ wenig gute Messvertonungen für Oberstimmen.

Die übersichtlich Ausgabe (21 Notenseiten + Vorwort in norwegischer Sprache) bietet neben den Chorstimmen eine Klavierreduktion, die für das Einstudieren sicher hilfreich ist. Auch zur Intonationsstütze ist dieser Klavierpart geeignet.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - August 2018 / Januar 2019

Charles Gounod, Saint Francois d‘ Assise

Label: Naive

Liszt, Légende de Sainte Cécile

Gounod erfährt im Jahr seines 200. Geburtstages endlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit. So hat das Orchestre de chambre de paris zusammen mit dem Chor Accentus unter der Leitung ihrer Gründerin Laurence Equilbey nun in Ersteinspielung Gounods späte Tondichtung Saint Francois d‘ Assise, das nach seiner Uraufführung 1891 erst 1996 wieder entdeckt und aufgeführt worden war, eingespielt. Gounod fordert in dem zweiteiligen Werk (La Cellule / La Mort) noch zwei Solisten, die hier mit Florian Sempey, Bariton, und Stanislas de Barbeyrac, Tenor, besetzt sind. Mit diesem knapp 23‘-Werk werden noch zwei Kompositionen sinnvollerweise gekoppelt: Gounods kurze Hymne à sainte cécile von 1878, deren Violinsolo Deborah Nemtanu übernommen hat, und Liszts späte Légende de sainte cécile von 1874, in der Karine Deshayes den Part der Mezzo-Sopranistin singt. Trotzdem bringt es die CD nur auf 40‘ Spieldauer. Schmelzende Melodielinien und satte Harmonik kennzeichnen die Werke Gounods, Liszt setzt dazu noch auf einige Orchestereffekte. Große Virtuosität ist nicht gefordert, eher soll der mächtige Orchesterklang an sich beeindrucken. Höhepunkte romantischer Literatur stellen die Werke nicht dar, so wartet der Hörer eher ungewollt auf das Ende der Kompositionen. Seltenheitswert allerdings kommt dieser Aufnahme in hohem Maße zu! Das Booklet (nur frz./engl.) bringt alle Informationen in dankenswerter Ausführlichkeit.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2018 / Januar 2019

Gradus ad Parnassvm

ISBN: 978-3-487-05209-0
Verlag: Olms

Gradus ad Parnassvm / oder / Anführung / zur Regelmäßigen / Musikalischen Composition / Auf / eine neue, gewisse, und bishero noch niemahls in so deutlicher / Ordnung an das Licht gebrachte Art / ausgearbeitet / von / Johann Joseph Fux, Weil. Sr. Kayserl. und Königl. Cathol. Majest. Carls des VI. Ober Capellmeister.  Aus / dem Lateinischen ins Teutsche übersetzt, mit nöthigen und nützlichen / Anmerkungen versehen und heraus gegeben / von / Lorenz Mizlern, / Der freyen Künste Lehrer auf der Academie zu Leipzig. Mit sieben und fünfzig Kupfertafeln in Quart. Leipzig, im Mizlerischen Bücherverlag, 1742.

Wie viele Neuauflagen das Epochenwerk von Johann Joseph Fux (in lateinischer Sprache) und seine vier Übersetzungen (1742 deutsch, c. 1750 englisch, 1761 italienisch, 1773 französisch) seit 1725 erfahren hat, ist kaum zu eruieren, so auch nicht die der Übersetzung Lorenz Christoph Mizlers. Dass im OLMS-Verlag nun wieder ein neuer Reprint erschien (gebundene Ausgabe, 68,- EUR), beweist die ungebrochene Nachfrage seit nunmehr 276 Jahren, selbst im Internet ist das Buch (Exemplare der BSB und der Universität Wien) schon seit Jahren aufzublättern und zu studieren. Seinen Parnass (Berg in Zentralgriechenland, der als Sitz der Musen gilt) der Kompositionskunst hat der Wiener Hofkapellmeister Fux (*1660, 1715 – 1741) in zwei Büchern - im ersten Buch werden allgemeine Fragen zur Musik abgehandelt, primär die mathematische Errechenbarkeit der Intervalle und deren Proportionen zueinander mit Hilfe des  Monochords, im zweiten Buch wird die eigentliche Kontrapunktlehre dargestellt, angehängt sind 57 Noten“tabellen“ - in zahlreichen Capiteln, bzw. Übungen und Lectionen angelegt, Mizler hat sie in seinem aufgeklärten rationalistischen Verständnis einer „Musica scientia“ mit zusätzlichen Anmerkungen versehen.

Wer diesen Parnass mit vielen Übungen bestiegen hat, ist Meister der Tonkunst der alten Niederländer, des Kontrapunktes in allen Schattierungen, die „prima pratica“ Monteverdis und der Fugenkomposition. So hat Fux das zweite Buch denn auch in der überkommenen sophistischen Dialogform zwischen Lehrer (Palestrina) und Schüler (Fux) geschrieben, Fragen des Geschmacks (Affektenlehre), des Kirchenstils (A capella und vermischter Stil), und der „Klangrede“ im Recitativ bleiben nicht außen vor.
Mit Selbstverständlichkeit ist die Kontrapunktlehre nach wie vor Unterrichtsstoff an den Musikausbildungsstätten wenn auch kaum mehr in der Form Fuxens. Da aber die aktuelle Musikpraxis immer mehr die Musik des 14. bis 16. Jahrhunderts pflegt, bleibt das Buch Fuxens aktuell auch für den Hörer.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - August 2018 / Januar 2019

LES FUNÉRAILLES ROYALES de LOUIS XIV

Interpreten: Choeur et Orchestre Pygmalion, Ltg. Raphaël Pichon
Label: Harmonia Mundi


Er hat Frankreich und seine Stellung in Europa mit unvergleichlicher Gloire geprägt, bis der Spanische Erbfolgekrieg die Steuerlasten so ansteigen ließ, dass sein Volk nach seinem Tod (nach 72 Jahren Regierungszeit) auf den Straßen tanzte, lachte und musizierte. Die prächtigste Musik alllerdings hatte bei den Feierlichkeiten zu seiner Bestattung zu erklingen. Diese dauerten vom 2. September 1715 mit der Ausstellung des Doppelsarges im Paradezimmer des Grand Appartement von Versailles bis zur eigentliche Begräbniszeremonie am 23. Oktober in St. Denis, gestaltet vom Chef der „Musique de la Chambre“ mit u.a. mehreren Eigenkompositionen. Michel-Richard de Lalande, Nachfolger Lullys, hatte damals dieses Amt inne, verbürgt ist, dass sein „De profundis“ während der Totenfeierlichkeiten erklang.

Raphaël Pichon und Thomas Leconte haben sich dieser Begräbnismusik angenommen und sie kombiniert mit gregorianischen Gesängen und Werken von André Danican Philidor (»Marche funèbre pour le Convoy du Roy«) und von Jean Colin, Louis Chein und Charles d’Helfer. Aufgeführt wurde das Programm im November 2015 beim Festival Château de Versailles Spectacles in der der Chapelle Royale in Versailles, die »für den Gebrauch« des Sonnenkönigs gebaut wurde, zu seinem 300. Todestag in einer Licht-und-Schatten-Inszenierung des Lichtdesigners Bertrand Couderc. Der Live-Mitschnitt in der filmischen Umsetzung durch Stéphane Vérité ist nun erschienen.

Das auf französischen Hochbarock spezialisierte exquisite Ensemble Pygmalion überzeugt in jeder Hinsicht bis auf die etwas zu langsam und emotional ausmusizierten Psalmen und Hymnen der Gregorianik. Stilistisch perfekt singen die Solisten Céline Scheen, Lucile Richardot, Samuel Boden, Marc Mauillon und Christian Immler. So einfühlsam und mitreißend die Musik ertönt, so fragwürdig bleibt die filmische Version der Nacht- und Schatten-Inszenierung. Die mag im Moment der Aufführung gefangen genommen haben, die filmische Umsetzung mit ständig wechselnden Standpunkten entspricht nun einmal nicht der doch statischen ruhigen Sicht des Zuhörers im Konzert. Vieles ist so dunkel und farblich mutiert, dass man lieber die Augen schließt - wie es gute Zuhörer sowieso tun, um den Gehörsinn mehr Raum zu geben.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - August 2018 / Januar 2019

Charles Gounod - Mélodies

Interpreten: Tassis Christoyannis, Bariton; Jeff Cohen, Klavier
Label: Aparté


Nicht nur eine Wissenslücke füllen mit dieser CD in mehr als 80 Minuten Spieldauer der Bariton Tassis Christoyannis und sein Klavierpartner Jeff Cohen. Rechtzeitig zum 200. Geburtstag des französischen Hochromantikers Charles Gounod (1818 – 1893) am 17. Juni haben sie diese 24 Mélodies, die zwischen 1839 und 1884 entstanden sind, eingespielt.

Gounod hat die Liedkunst auf seine Art bereichert, seine Kunstmittel wie rhythmische Variationen, Rubatoverwendung Wechsel von harmonischer Dichte, einnehmende vokale Melismen, ariose und rezitativische Gestaltung, Ritornelle wie improvisatorischer Stil werden gezielt nach Textinhalt eingesetzt und lassen jede Komposition zu einem besonderen Kleinod werden. Was Gounod in seinen bekannten Opern Faust und Romeo und Julia und seinen 13 späten Messen in der großen Form beweist, das führt hier Lied für Lied zu kleinen Meisterwerken.

Diesen hohen Ansprüchen werden die beiden Interpreten sympathisierend gerecht, beweisen Geschmack und Kompetenz auf unterschiedlichste Art, so dass diese Einspielung nicht nur wissenschaftlich, sondern auch musikalisch eine Freude ist. Der positive Eindruck wird lediglich beeinträchtigt durch das Booklet (nur frz./engl.), das die Kommentierung der Lieder chronologisch bringt, divergierend mit der Einspielung selbst, so dass jedes Mal ein großes Suchen beginnt. Zu den Interpreten schweigt sich das Booklet völlig aus.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2018 / Januar 2019

Wie Mozart in die Kugel kam

Autoren: Rainer Schmitz/Benno Ure
ISBN: 978-3-570-55371-8
Verlag: Pantheon


Nur 1168 Seiten umfasst dieses total überflüssige Buch, das man nicht gleich ganz studiert haben muss, dafür ist es einfach zu dick und informiert stichwortweise dazu über Inhalte, die man wirklich nicht wissen muss. Einen Schaden allerdings trägt kein Leser davon, der hier „Kurioses und Überraschendes aus der Welt der klassischen Musik“ – so der Untertitel, zu lesen bekommt.

So seriös die Autoren hier auch nicht Wissenswertes mit großem Fleiß zusammengetragen haben, so erheblich ist auch der Nutzen für eine fröhlich anregende avirtuelle Gesellschaft. Wer würde nicht gerne in die Runde werfen – hier nur ein kleiner Auszug aus dem Buchstaben A: wer wann einen Pianisten dafür tadelte, dass er „Klavier spiele wie ein Pianist“, wann welche Opernhäuser abgebrannt sind, wie experimentell erforscht wurde, dass „sich schnell bewegende Tonquellen uninteressant sind“, dass Mozart einen Vogel (einen Staar“) hatte, dass ein Amuse unter einem Vernetzungsproblem des Hirns (und welchem) leidet, welche Musiker am 1. April geboren wurden, was Musiker von ihren Kritikern halten, wieviel Geld wann wo welche kostbare Autographe brachten (mit Verlaub: längst überholt), usw.
Wer etliches über Allüren und Affären wissen möchte, hat 6 Seiten Lesestoff, der bis zur nächsten Auflage sicherlich noch weiter anwachsen wird wie auch so manche andere Artikel bereits jetzt nicht erschöpfend behandelt werden konnten trotz zahlreicher Querverweise. Das pure Leben wird diesem Band, der bereits 2016 unter dem Titel „Tasten, Töne und Tumulte“ im Siedler-Verlag München erschienen war, sicherlich noch viele total unwichtige und überflüssige Ergänzungen bescheren!

Dringend empfehlenswert? Nein, nicht wirklich, aber durchaus seriös informell, und das einfach grenzen - und zuweilen auch taktlos, wie unsere Zeit eben auch ist.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juni 2018 / Januar 2019

Fragmentum

Interpreten: Ensemble ordo Virtutum, Leitung: Stefan Johannes Morent
Label: Cornetto


Auf der Suche nach dem verlorenen Klang, so der Untertitel der vorliegenden CD, hat das sechsköpfige Ensemble Ordo Virtutum (etwa = Reihe der Tugenden) fünf ehemalige Klosterräume in Württemberg aufgesucht, Maulbronn, Alpirsbach, Hirsau (Marienkapelle), Bebenhausen und Salem, um dort aus diesen Klöstern zugehörigen Quellen, die erst kürzlich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, der Landesbibliothek Stuttgart und  der Heidelberger Universitätsbibliothek als Einbandmaterialien wieder aufgefunden, restauriert und zugewiesen wurden, zu singen. Diese Musikalisch-liturgischen Fragmente aus Gradualen und Antiphonalen (Messen, Vespern und Nokturnen) sind vielgestaltige Introiten, Lektionen, Allelujas, Offertorien, Communionen, Antiphonen und Responsorien, deren liturgische Zuordnung in der Inhaltsangabe wiedergegeben ist. Die Aufnahme verstand sich im Jahr des Reformationsjubiläums auch als Rückbesinnung auf das vorreformatorische Württemberg, wo Herzog Ulrich 1537 die Reformation durchsetzte, damit die Klöster auflöste und die Codices nutzlos machte.

Ist schon die Idee lobenswert, Musik der Klöster in den angestammten Räumen wieder erklingen zu lassen, so ist die Aufnahme noch mehr zu preisen als eine gelungene Wiederbelebung, der verständlicherweise zum Nachvollzug nur ein vollständiger Gottesdienstrahmen fehlt mit seinen wechselnden Ausführenden zwischen Liturgen, Kantoren und Konventen. Das antiphonale Psalmsingen wird hier leider auf einen Solisten und die anderen Ordo-Mitglieder zum responsorialen Gesang verkürzt, hier hätte man eher zwei gleiche Teilchöre erwartet. Schön aber, dass jedes Ordo-Mitglied auch einzeln zu hören ist, so wird die reiche Individualität auch einer großen Klostergemeinschaft auf natürliche Weise hörbar. Einziger Minuspunkt im sonst wohl gelungenen Booklet bleibt, dass die Texte nicht nach Zeilen wiedergegeben sind, ihre Übersetzungen sich auch nicht an entsprechender Stelle finden, so dass Hörer, die des Lateinischen nicht mächtig sind, hier Verständnisschwierigkeiten haben müssen.

Wohl kaum ein mittelalterlicher Konvent wird so schön gesungen haben wie die Herren von Ordo Virtutum, ihnen hört man gerne zu und wähnt sich dabei in einem klösterlichen Gottesdienst, hingegeben der Anbetung und dem Lobe Gottes.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2018 / Januar 2019

Spem in alium

Komponist: Thomas Tallis
Interpreten: The Cardinall's Musick, Leitung: Andrew Carwood
Label: Hyperion


Die CD bringt eine Übersicht über die Vokalkompositionen von Thomas Tallis, der in der Reformationszeit Englands sich auf die neuen liturgischen Bedürfnisse zur Zeit Eduards VI. und Elisabeth I. einzulassen hatte. Kurze englischsprachige Psalmvertonungen, Preces und Responses, je ein  Magnificat und Nunc dimittis  für die Morgen- und Abendandachten, aber auch einige wenige lateinische Motetten für besondere liturgische Momente finden sich da. Ihr Satzstil reicht von alter Polyphonie bis zur Homophonie, Anklänge an den Kantionalsatz des Festlandes sind da nicht zu überhören. Titelgebend und überwältigender Höhepunkt ist natürlich die 40-stimmige Motette Spem in alium (c 1572) auf einen Text aus dem Buch Judith, die zwar zu einer Matutin gehört, aber wohl kaum diesen liturgischen Zweck jemals erfüllt haben wird. Die aufführungspraktische Anforderung, 40 Sänger in 8 Chören im Kreis musizieren zu lassen, die sich ihre Melodieteile gegenseitig und den eingekreisten Zuhörern zusingen, ist schließlich nur unter höfischen Bedingungen denkbar.

Diese gedachte Ring-Wirkung kann natürlich auch eine SACD nicht völlig erfüllen, was aber die Kunst des vortragenden Ensembles The Cardinall’s Musick nicht mindert. Gerne hört man auch die Wiederholung dieser Musik, dann auf den Text Sing and glorify, der 1610 zur Krönung des Prinzen Heinrich als Prinz von Wales  überliefert ist. Der Leiter des Ensembles informiert zudem im Booklet prägnant zum Programm. 
Es erübrigt sich, zu dieser phantastischen Monumentalkomposition noch etwas hinzu zu kommentieren. Text und Musik sind einmalig:

Spem in alium nunquam habui praeter in te, Deus Israel, qui irasceris, et propitius eris, et omnia peccata hominum in tribulatione dimittis. Domine Deus, Creator coeli et terrae, respice humilitatem nostram.

(Ich habe niemals meine Hoffnung in irgendeinen anderen als dich gelegt, Gott Israels, der du zornig sein und doch wieder gnädig werden wirst, und der du all die Sünden des leidenden Menschen vergibst. Gott, unser Herr, Schöpfer des Himmels und der Erde, sieh an unsere Niedrigkeit.)


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2018 / Januar 2019

Chorbibliothek für Männerchor

Verlag: Breitkopf und Härtel

Der dritte Band der Chorbibliothek aus dem Verlag Breitkopf und Härte fasst auf 366 Seiten einen umfangreichen Teil der in 300 Jahren des Verlages erschienenen Einzelausgaben zusammen. Bis 2019 sollen nahezu alle Einzelchorausgaben des Verlages in 10 Bänden vorliegen.

Zum Aufbau:
Die ersten 93 Seiten widmen sich der geistlichen Musik, darunter zwei Messordinarien, dabei stehen klassische Männerchöre von Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert Kompositionen von Johann Nepomuk David und Siegfried Thiele gegenüber.
Der zweite Teil umfasst weltliche Werke von klassischen Komponisten, von denen Jean Sibelius und Othmas Schoeck noch die „modernsten“ sind.
Da sind dann Hits, wie das „Zigeunerleben“ von Robert Schumann oder das Ständchen „Zögernd leise“ von Schubert neben unbekannteren Tanz-, Natur- und Trinkliedern aus dem klassischen Repertoire. Warum allerdings beim „Zigeunerleben“ als einzigem Stück die Klavierbegleitung nicht mit abgedruckt wurde, erschließt sich mir leider nicht.

Aufgrund der Wiederveröffentlichung älterer Ausgaben, ist das Druckbild sehr unterschiedlich, das meiste ist gut lesbar, manches leider sehr klein gedruckt. Als Sammlung für Chorleiter ist das Buch aber sicher eher geeignet als zum Musizieren, da das „Werk“ schon einiges wiegt. Alles in allem sicher eine gute, schöne Sammlung an klassischer Männerchorliteratur, die von leistungsfähigen Chören sicher gerne aufgenommen werden sollte.
Aber, welcher „normale“ Männerchor singt diese Literatur heute? Die meisten Männerchöre, die ich kenne, sind überaltert und halten sich mit schlechten Arrangements von 60-er Jahre Schlagern mehr schlecht als recht am Leben. Diese werden das meiste dieser Sammlung nicht singen können oder wollen. Vokalensembles, die sich auf höherem Niveau bewegen, dürften viele der Stücke bereits im Repertoire haben. Trotzdem ist anzuerkennen, dass der Verlag Breitkopf & Härtel sein Archiv weiter öffnet und so das Repertoire nicht der Vergessenheit übergibt.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Mai 2018 / Januar 2019

Dokumente zur Geschichte des Leipziger Thomaskantorats 2

Autor: Andreas Glöckner
ISBN: 978-3-89948-259-1
Verlag: Edition Bach-Archiv Leipzig, Evang. Verlagsanstalt Leipzig

Der Band umfasst die Dokumente vom Amtsantritt Bachs bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, also die Zeiten der Thomaskantoren Johann Sebastian Bach, Gottlob Harrer, Johann Friedrich Doles, Johann Adam Hiller und August Eberhard Müller.

Die Abschnitte zu den einzelnen Kantoren gliedern sich in: A Besetzung des Kantorats, B  Memoriale, Beschwerdebriefe, Gesuche und Verfügungen, C Besetzungs- und Musizierpraxis, D Schulordnung, Schulgesetze, kommentierende Schriften, E Nachrufe, Erinnerungsberichte und F Schulsachen und sonstige Dokumente.
Querverweise erleichtern das Auffinden von inhaltlich zusammen hängenden Dokumenten. Jedes Dokument wird ergänzt mit dem genauen Quellenort, hilfreichen Anmerkungen und Literaturhinweisen.

Eine Historische Einleitung, ein chronologischer Überblick und schließlich ein Namenregister komplettieren den Band, der für wissenschaftliche Arbeit unerlässlich ist, aber natürlich auch jeden anderen interessierten Leser gefangen nehmen kann, kann er doch hier in chronologischer Folge das damalige Geschehen problemlos sich vergegenwärtigen, auswerten und interpretieren.

Die Ausgabe ergänzt und weitet die fünfbändige Ausgabe der Bach-Dokumente aus. Erscheinungstermin für den ersten Band mit Dokumenten von der Reformation bis zum Amtsantritt Johann Sebastian Bachs ist der Oktober 2018.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/November 2018

Seek Him!

Komponist: Fredrik Sixten
Verlag: Cantando


für SATB divisi a cappella

Die vorliegende Motette über einen Test aus dem Buch Amos (5: v.8) nach der King James Version ist ein beeindruckendes zeitgenössisches Werk für einen versierten Kammerchor, der es gewohnt ist, sauber, ohne viel Vibrato zu singen. Das anspruchsvolle Werk umfasst 93 Takte, die von intonatorischen Schwierigkeiten voll sind. Chromatik, ungewöhnliche Intervallsprünge und dynamische Vielfalt geben dem von der Camerata Vocale Hannover und den Charis Chamber Voices, New York in Auftrag gegebene Werk eine große Dichte, die in einem äußerst „spannenden“ Klangbild münden.

Für mindestens Semi-Professionelle Chöre sicher eine lohnende Repertoireerweiterung, die auch beim Publikum Begeisterung hervorrufen kann.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - März/November 2018

Christoph Graupner - Das Leiden Jesu - Passion Cantatas I 1741

Interpreten: Solistenensemble Ex Tempore und die Mannheimer Hofkapelle unter der Leitung von Florian Heyerick
Label: cpo


Mehr als verwunderlich ist es, dass selbst in diesen Jahren die Wiederentdeckung eines der größten Barockmeister nur recht zögerlich in die Gänge kommt. Mit einem Werkverzeichnis und wenigen CD-Einspielungen, gerade mal 19 sind derzeit zu haben. Christoph Graupner (1683 – 1760), seit 1711 Hofkapellmeister in Darmstadt, 1723 nach Telemann zweite Wahl in Leipzig vor Bach, hinterließ ca. 2000 Werke, darunter 1418 kirchliche Kantaten in 46 Jahrgängen, 24 weltliche Kantaten, 113 Sinfonien, 44 Solokonzerte für ein bis vier Instrumente, 80 Orchestersuiten, 36 Kammersonaten, etwa 30 Claviersuiten, sowie mindestens acht Opern. Gott sei Dank ist der größte Teil seines Werkes erhalten.

Eine Kostprobe aus Graupners reicher Klangwelt bieten die hier eingespielten Passionskantaten aus dem Jahr 1741auf - zugegeben - gewohnheitsbedürftige barock-aufgeklärte Texte des Darmstädter Superintendenten Johann Conrad Lichtenberg. Die mit manchmal 11 Abschnitten (Accompagnati, Ariosi, Chören, Arien, Choräle) recht umfangreichen Kantaten (GWV 1120, 1121 und 1125) geben den Ausführenden reiche Möglichkeiten, barocke Klangrede voll auszuleben. Hier sind es vor allem die Accompagnati, die faszinieren, während die Arien und Choräle mit ihren Orchesterritornellen den Instrumenten viel Platz geben, ihre Virtuosität vorzuführen. Die hier verlangten näselnden Chalumeaux geben dem Apparat dabei eine interessante Farbe.

Das Vokalensemble sticht in seiner Qualität hervor, vor allem Jan Kobow und Dominik Wörner verstehen hier zu fesseln. Die Stimmungen, die Graupner schrieb und instrumentierte, sind unvergleichlich, wenn z.B. in der Arie GWV 1121/16 das Lamm gemalt wird, das in seiner weichen Zartheit von den Höllenstricken befreit. So klingt Erlösung!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Johann Heinrich Rolle - Matthäus-Passion

Interpreten: Kölner Akademie unter der Leitung von Michael Alexander Willens
Label: cpo


Der Name des Magdeburger Johannis-Kantoren Johann Heinrich Rolle (1716 - 1785) ist inzwischen kein unbekannter mehr, stehen doch seine klangschönen lebendigen Motetten (über 70 sind erhalten) in den letzten Jahren zunehmend wieder auf den Programmen. Sein Amt trat Rolle 1752 an als Nachfolger seines ebenfalls nicht unbedeutenden Vaters Christian Friedrich (1681 – 1751, Director musices in Quedlinburg und Magdeburg, 1723 Bewerbung in Leipzig, mehrere Passionen). Doch bereits zuvor – seit 1746 war er bereits Johannis-Organist, hier stand Schnitgers größte Orgel (1695, III/62) - hatte er die Aufgabe, Kompositionen für seinen kränkelnden Vater anzufertigen. Dazu gehört auch die vorliegende Matthäus-Passion, die 1748 uraufgeführt wurde. Der Librettist der drei Eingangssätze, der anderen Arien und des Schlusschores im Stil der Empfindsamkeit blieb bis heute unbekannt, Rolle folgt ansonsten genau dem Text des Evangeliums. Diesen vertont er in zahllosen Recitativen, aufgelockert mit Accompagnati, Arien und schlicht gesetzten Chorälen. So bilden denn die knappen Chöre und Arien die Höhepunkte der Komposition, herausragend vor allem das Terzett 14 zwischen Moses (Tenor), Jesus (Bass) und dem Sünder (Sopran).

Charles Burney beschrieb Rolle als feurigen und gedankenreichen Komponisten, der sich durch seine Werke für die Kirche rühmlichst bekanntgemacht hat. Zwar steht seine Musik noch in der Tradition des Barock, der galante Stil des Rokoko prägt allerdings hier durchgehend den Passionsbericht. Der bleibt durchwegs spannend, da nahezu alle Sätze sehr kurz sind und die Handlung nicht retardieren, trotzdem dauert die Passion ihre 100 Minuten. Etwas atemlos wirkt leider die Einspielung, da die Sätze schlicht zu dicht auf einander folgen, auch die Choraltempi sind sehr schnell genommen. Solisten, Chor und Orchester der Kölner Akademie musizieren unter Michael Alexander Willens zupackend und engagiert, so dass der Hörer gebannt zuhört.

Einen dicken Wermutstropfen aber stellt der Einführungstext im Booklet dar, der wohl nur ein erster Entwurf des Autoren Klaus Winkler war. Stil-, Grammatik- und Satzfehler häufen sich derart, dass viele Sätze zweimal gelesen sein wollen, um zu verstehen, was sie sagen sollen.

Mit insgesamt 17 Musikalischen Dramen von alttestamentlichen Stoffen bestückte Rolle die öffentlichen Konzerte in den Wintermonaten und bestimmte damit das Musikleben in Magdeburg. Auch als Liederkomponist trat er hervor, seine Triosonaten und Cembalokonzerte zählen zu den Höhepunkten damaliger Kammermusik. Damit gehört Rolle zu den ganz großen Musikern der leider immer noch und wieder gescholtenen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, von Ihnen lässt man gerade nur Carl Philipp Emanuel Bach und Homilius gelten. Von Rolles Oeuvre ist bisher leider das Wenigste auf CD (Weihnachts-Oratorium und Motetten) zu haben. Das sollte sich ändern!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
In Convertendo - Vokalkonzerte und Sonaten aus der Sammlung Düben

Interpreten: Abendmusiken Basel unter der Leitung von Jörg-Andreas Bötticher
Label: Coviello Classics


Diese CD bündelt mit Werken von u.a. Vincenzo Albrici, Gustav Düben, Nicolaus Adam Strunck, Christoph Bernhard, Martin Radeck und Johann Vierdanck elf ganz verschiedene Kompositionen aus der in den Jahren 1640 bis 1720 von dem schwedischen Hofkapellmeister Gustav Düben und seinem Sohn angelegten Sammlung, die mit ihrem riesigen Bestand von ca. 2300 Stücken von über 300 benannten sowie einigen unbenannten Komponisten heute in Uppsala verwahrt wird. Die Sammlung beinhaltet vor allem Vokal- und Instrumentalwerke aus dem Ostseeraum, aber auch aus Italien, Frankreich und England und ist damit die maßgebliche Quelle für die Musik der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das beschreibt Peter Wollny sehr gelungen in seinem Bookletbeitrag, Komponisten und ihre Werke werden in kurzen Absätzen treffend vorgestellt. Albert Jan Becking beleuchtet dazu den politischen Hintergrund Schwedens zur Zeit der beiden Dübens, wozu auch noch eine gute Bebilderung kommt!

Jörg-Andreas Bötticher und sein Ensemble genießen die ausgewählten Werke förmlich, die virtuosen Zinken setzen den groß besetzten Psalmvertonungen von Albrici und Vierdanck glitzernde Kronen auf, die Lautmalereien der Concerti "Herr, wenn ich nur dich habe" (Ps 73) und "Ach Herr, straffe mich nicht" (Ps 6) von Radeck und Bernhard zeigen eindrucksvoll, wie damals Pathetik auf vornehm hohem Niveau komponiert und auch hier wiedergegeben wurde. Dass die Sammlung natürlich auch reine Gebrauchsmusik liefert, wird hörbar in Dübens Sinfonia und Struncks Sonata. Von dieser Art Quer- und Einblicke in das Repertoire einer stolzen Zeit Schwedens wünscht sich der Rezensent noch viele Einspielungen!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Franz Xaver Richter - La Deposizione dalla Croce di Gesù Christo

Interpreten: Czech Ensemble Baroque unter der Leitung von Roman Válek
Label: Supraphon


Das am Karfreitag, 12. April 1748, in Mannheim uraufgeführte Oratorium (Die Kreuzabnahme Jesu Christi) handelt von der Grablegung, die in dichten Accompagnati von Maria Magdalena (Katerina Kneziková, Sopran), Johannes (Philipp Mathmann, Sopran), Joseph von Arimathia (Jaroslav Brezina, Tenor), Nicodemus (Menka Cafourrková Duricová, Sopran) und Simon (Piotr Olech, Altus) im Wechsel mit Arien und rahmenden Chören bekennend-kommentierend besungen wird. Der nicht zu empfindsame Text, eine typische Karfreitagskontemplation der Zeit, geht auf Abbé Giovanni Claudio Pasquini zurück, der nach seiner Zeit als Wiener Hofdichter kurze Zeit bis 1742 in Mannheim verpflichtet war.
Als Franz Xaver Richter (1709-1789) im Herbst 1747 als Bassist an den Hof kam – Pfalzgraf Karl Theodor regierte dort seit 1743 - war die Kapelle im Umbruch. So erhielt er als Sänger den einmaligen Auftrag, das Oratorium des Jahres zu schreiben. Richter, in Mähren geboren, war von 1740 bis 1747 Vize-Kapellmeister in Kempten im Allgäu gewesen, wo er 1742 sein Kemptener Te Deum geschrieben hatte. Seine Mannheimer Zeit wurde bis auf sein Karfreitags-Oratorium offenbar eine unglückliche Zeit, 1769 wechselte er dann als Kapellmeister an das Straßburger Münster. Zu seinem Oeuvre gehören u.a. 70 Sinfonien, 30 Messen, das Magnificat C-Dur, 40 Motetten, Konzerte, Quartette und 7 Triosonaten für Cembalo, Querflöte und Cello.

Franz Xaver Richter ist noch weitgehend der barocken Klangsprache verpflichtet, hoch virtuose Arien und wechselvolle Accompagnati lassen das Vorbild Händel durchhören. Andererseits sind die dreisätzige Eingangssinfonie und die Instrumentierung mit Oboen, Hörnern und Streichern (auch Flöten) auch wegweisend für die seit etwa 1747 mit der Violinklasse von Johann Stamitz aufbrechende Mannheimer Schule zu werten. Die schließlich etwas langatmige Gleichförmigkeit der Arien und Accompagnati zeigen aber auch auf, wo die Grenzen Richters lagen. Worauf die etwas einförmige Besetzung mit insgesamt drei Sopranen, Altus und Tenor zurückzuführen ist, bleibt unklar. Auffallend, dass Richter seine eigene Bassstimme nicht einsetzte.

Die glanzvolle Erst-Aufnahme allerdings lässt diese kompositorischen Schwächen völlig vergessen. Für ein rechtes Loblied auf Chor und Orchester des Czech Ensemble Baroque und die Solisten fehlen schlichtweg die richtigen Worte. Dennoch seien die beiden Countertenöre Philipp Mathmann und Piotr Olech noch einmal herausgehoben wegen ihrer wahrhaft betörenden Stimmleistungen.
Die Einspielung ist aber in allen Dingen vorbildlich und im Sinne des Wortes mitreißend, bewundernswert vom ersten bis zum letzten Ton!!!



Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
tenebrae

Interpreten: Ensemble Amarcord
Label: Raumklang - apollon classics


Der Titel der CD nimmt Bezug auf ein Gedicht von Paul Celan, das dieser 1959 geschrieben hatte als Kommentierung eines französischen Dokumentarfilms über den Holocaust. Celans Text artikuliert seine Gottsuche unter dem tiefen Eindruck des Holocaust, bejaht Gott zwar existentiell, verneint  aber verzweifelnd die Möglichkeit, ihn zu verstehen.
Musik der Einkehr und Versenkung untertiteln die fünf Sänger darum ihre CD, suchen in Form einer Messe nach Tiefpunkten des Denkens und Höhepunkten der Musikgeschichte, auch ihrer eigenen. So bündeln sie Gesänge aus der Gregorianik mit Kompositionen von Ockeghem, Johann Walter, Thomas Tallis u.a. mit Werken, die für sie geschrieben wurden von Ivan Moody, Sidney Marquez Boquiren (dessen atmungsbetonte Vertonung der Gloria-Intonation allerdings eine liturgische Rolle nicht erfüllen kann) und Marcus Ludwig. Ludwig vertonte 1997 den Celan-Text und verbat sich dazu jede Interpretation der niedergeschrieben Klänge.

Über die Fragilität des Lebens
sinniert denn auch der Booklettext, plänkelt dabei leider etwas dahin zwischen Midlifecrisis und Werkbeschreibungen, verschweigt dabei auch die Quellen der gesungenen Kompositionen. Da haben die Herren musikalisch erheblich  mehr zu sagen, der unvergleichliche Amarcord-Sound braucht keine Virtuosität oder sonstige Aufhübschung, der Hörer wird gebannt im puren Direktklang von Gotteslob und Anbetung, Menschenklage und –bitte im Gebet, Glaubensgewissheit und Da Pacem-Erhörung. Anders als in einer Messe folgt dem Agnus der Psalm 130 (gregorianisch ein- und mehrstimmig in einer Vertonung von Josquin des Préz) als Überleitung zum Celan-Gedicht, so dass zum Schluss der CD inhaltlich alles offen bleibt.

Vielleicht können in einigen Jahren die fünf Herren auch vom Segen singen, von Erfüllung und Dankbarkeit. Musikalische Erfüllung, z.B. beim Kyrie von Machaut oder Josquins De Profundis, erfährt der Hörer schon heute.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Carl Heinrich Graun - Der Tod Jesu

Interpreten: Arcis-Vocalisten, Barockorchester L’Arpa festante unter der Leitung von Thomas Gropper
Label: Oehms Classics


Das in der Musikgeschichte am meisten aufgeführte Passionsoratorium, "Der Tod Jesu" von Carl Heinrich Graun - allein in Berlin seit seiner Uraufführung 1755 bis ins Ende des 19. Jahrhunderts jährlich nahezu ununterbrochen - hat heute leider immer noch einen schlechten Ruf, der sich gründet auf ein nur vordergründiges Verständnis der empfindsamen barock-frühromantischen Textvorlage von Karl Wilhelm Ramler (1754). Im 18. Jahrhundert allerdings war dieser Text ein Renner, auch Telemann und Johann Christoph Friedrich Bach vertonten den Text, Adolf Friedrich Hesse schrieb sogar ein Orgelpraeludium zum Oratorium.

Was am Text befremden mag, die Stilisierung von Jesus als Heldenfigur, das macht die Musik mehr als wett. Der gewiefte Opernkomponist Graun schrieb gediegene Chöre, sachliche Choräle, einfühlsame Accompagnati und phantastische Arien, die an Sprachgestaltung und Virtuosität nichts vermissen lassen. Höhepunkt ist das Duetto "Feinde, die ihr mich betrübt", das in barocker Form von Rede und Gegenrede und schließlich seliger Vereinigung hoch beglückt. Monika Mauch, Sopran; Georg Poplutz, Tenor und Andreas Burkhart, Bariton, sind Gropper dabei kunstsinnige und alle Erwartungen erfüllende Partner, was ebenso für seinen Chor, der nur an den Schlusskonsonanten spart, und das gekonnt aufspielende Orchester gilt. Die sehr gelungene Einspielung kann nur empfohlen werden!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Johann Wilhelm Hertel - Der sterbende Heiland

Interpreten: Kölner Akademie unter der Leitung von Michael Alexander Willens
Label: cpo


Nachdem im Vorjahr dieser Einspielung Willens sich bereits Hertels Oratorium Die Geburt Jesu Christi (1774) gewidmet hatte, bereichert nun diese Einspielung das Genre des Passionsoratoriums, das seine Hochzeit vor allem im Zeitalter der Empfindsamkeit hatte. Das Libretto lieferte der studierte Theologe Johann Friedrich Löwen, damals Privatsekretär des Schweriner Prinzen Ludwig, der 1763 Johann Wilhelm Hertel (1727 – 1789) mit der Vertonung des Textes beauftragte. Zehn große Geistliche Kantaten sollten es bis 1783 schließlich werden, dazu Messen und große Psalmvertonungen. Auch zahlreiche Lieder, Sinfonien, darunter eine in C mit acht obligaten Paucken, Solokonzerte und Cembalosonaten zählen zu seinem Oeuvre.

Er gehörte seit der Mitte dieses Jahrhunderts zu unsern geschmackvollesten Komponisten, sowohl was die Instrumental- als Vokalmusik anlangt. So urteilt der Lexikograph Ernst Ludwig Gerber 1792 über den Schweriner Hofkapellmeister. Der hatte sich in jungen Jahren in Berlin zu einem Violin- und Cembalovirtuosen bei Franz Benda und Carl Philipp Emanuel Bach ausbilden lassen, Carl Heinrich Graun war sein Kompositionslehrer. In Berlin wird er 1755 auch Grauns Der Tod Jesu kennengelernt haben.

Wie sich der Text Löwens nicht weit weg von Ramlers Textfassung bewegt, so schreibt auch Hertel ein Passionsoratorium, das sich nach einer kurzen Einleitung mit Chorälen, Chören, Recitativen, Arien und Accompagnati der Karfreitagsstimmung annimmt. Die wird hier gesehen als Verehrung des einsamen heldhaften Erlösers: Dank, Ruhm und Preis der schauervollen Stunde, die dich dem Tode übergab!... schließt der Schlusschor nach knapp 80 Minuten. Musikalisch intime Höhepunkte bilden das Duetto 13 (S,T) "Stärke mich, dich zu bekennen" und die Arie 16 (S) "Kostbare Tränen", die Anforderungen stellt, die denen an die Königin der Nacht nicht ferne sind.

Mit der Sopranistin Berit Solset steht Willens eine geniale Interpretin zur Verfügung, der man keine Mühe anmerkt, die schnellen und schweren Koloraturen zu bewältigen. Ausgezeichnet sind auch der Bassist Andreas Wolf und der Tenor Nicholas Mulroy, der allerdings manchmal ein etwas unruhiges Vibrato kultiviert. Der Chor - zu dem achtstimmigen Ensemble zählen auch die Solisten - und das Orchester der Kölner Akademie musizieren untadelig. Die schöne Musik gelingt Michael Alexander Willens nicht nur musikalisch, ein ausdrucksvolles Mitgefühl ist immer zu spüren.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Audite Nova 3

Interpret: Gerben Mourik
Instrumente: Bosch-Orgel der Martinskirche Kassel, Klais-Orgel des Würzburger Dom
Label: JQZ Muziekproductions Kampen


Das ist die letzte Aufnahme der Bornefeld/Bosch-Orgel (1964, III/57) im angestammten Raum der Martinskirche in Kassel. Eingespielt sind Werke von Günther Raphael, Henri Gagnebin, Helmut Bornefeld, Hugo Distler und Jan Oskar Bender, dazu der Niederländer Adriaan Engels und Jan Koetsier, Komponisten also der Generation um Bornefeld selbst, womit die Einspielung besondere Authentizität gewinnt. Bewähren muss sich dieses Instrument gegenüber der Klais-Orgel des Würzburger Doms (1969/2012, IV/87), hier spielte Mourik neben zwei eigenen durchaus beachtlichen Improvisationen Werke von Sigfrid Karg-Elert, Ernst Pepping und Joseph Ahrens, dazu der Niederländer Marius Monnikendam, Gerrit Wielenga, Bert Matter, André Verwoerd, Flor Peeters und des Franzosen André Fleury.

So verdienstvoll diese Einspielung auch ist, der musikalische Gewinn hält sich in engen Grenzen. Wohl nicht zu Unrecht sind die Kompositionen der genannten Komponisten heute nahezu alle aus dem aktuellen Repertoire verschwunden. Nur selten wird Aufmerksamkeit erregt, etwa bei Raphaels Praeludium op. 22,3, einem Trio im Bachstil, Peppings Toccata und Fuge Mitten wir im Leben sind oder Benders Toccata. Die weiterführenden Fragen, warum das so ist und ob das schade oder richtig ist, muss hier unerörtert bleiben.

Zu hören ist die Kasseler Orgel in den Mensuren Bornefelds, die Bässe schlicht zu schwach, die Obertonregister interessant, aber nicht endgültig befriedigend, ein inzwischen museales Instrument in einem auch unansehnlichem Gehäuse. Bornefelds Ideen führten letztendlich in eine Sackgasse. Ganz anders die Dom-Orgel in Würzburg, deren sattes Klangergebnis eine durchdachte Konzeption verrät, um ein gültiges Instrument für lange Zeiten zu kreieren. So führte die letzte Domrenovierung auch nur zu einer geringen Revision des Instrumentes.

Für das gut und ausgewogen informierende Booklet ist den Verfassern Bart van Buitenen (Instrumente) und Gerben Mourik (Kompositionen) ein besonderer Dank auszusprechen, nur bei den in Würzburg eingespielten Werken fehlen die Angaben der Registrierungen.

Fazit: eine hochinteressante und wichtige CD, die dem Lauf der Zeit einen Spiegel vorhält. Nicht, wer die schönste im Land ist, ist dabei die Frage, sondern wer grundlegende Möglichkeiten zur Weiterentwicklung offenhält, das muss so ein Spiegel beantworten. Z.Zt. kann der Spiegel darauf eindeutig antworten.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018
Franz Xaver Richter - Te Deum 1781

Interpreten: Czech Ensemble Baroque unter der Leitung von Roman Válek
Label: Supraphon


Seiner phänomenalen Einspielung des Passionsoratoriums La Deposizione dalla Croce di Gesù Christo von 2016 hat Roman Válek nun eine weitere CD folgen lassen, die nicht weniger genial gespielt die Trompetensinfonie D-Dur Nr. 52 (c 1750), das Te Deum (1781), das Oboenkonzert in F (c 1770, Oboe: Luis Haugk) und die Motette Exultate Deo (1775) wiedergibt. Válek versteht es, sein Czech Ensemble Baroque Orchestra & Choir auf einen weiteren Gipfel des Spätbarocks zu führen, abwechslungsreich komponiert von wie zentriert auf den Böhmen František Xaver Richter (1709 – 1789), virtuos wie ausgesucht intim interpretiert auf höchstem Niveau. Wie schade, dass bereits nach 50‘ Spieldauer Schluss ist.

Franz Xaver Richter, nicht immer vom Erfolg verwöhnt, arbeitete seit 1740 als Vize-Kapellmeister in Kempten, seit 1747 unter Johann Stamitz und Ignaz Holzbauer als Bassist, Geiger und Komponist in der Mannheimer Hofkapelle und seit 1769 als Kapellmeister am Straßburger Münster. Hier entstanden die beiden eingespielten Kantaten, das Te Deum (insgesamt 9 Chöre, Arien und Duette) und der Psalm 80, in dem Richter in aller Kürze (gute 3 Minuten) mit grandiosem Einfallsreichtum den text nachzeichnet. Nicht minder delektiert sich der Hörer an den beiden Instrumentalkompositionen, deren Interpreten vor Begeisterung ob dieser Musik höchstes Niveau erreichen. Das ist nicht nur plakativ, sondern dabei von einer Freude an Invention und Spielkunst inspiriert, für die die Vokabel mitreißend arg flach wirkt. Seine Schüler, u.a. Carl Stamitz und Joseph Martin Kraus, wussten wohl, bei wem sie studierten!

Váleks Vorhaben, noch mehr aus Richters umfangreicher Werkliste (u.a.  70 Sinfonien, 30 Messen, das Magnificat C-Dur, 40 Motetten, Konzerte, Quartette und 7 Triosonaten für Cembalo, Querflöte und Cello) einzuspielen, kann man nur unterstützen, sicherlich zu seiner eigenen Freude, aber vor allem auch zur Freude eines höchst dankbaren Publikums!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März/September 2018

Inför dina ögon

Komponist: Fredrik Sixten
ISMN: 979-0-2612-4041-3
Verlag: Cantando


für SSAA a cappella

Ein einfacher vierstimmiger Chorsatz für Frauenstimmen nach einem „Psalm“ von Anders Frostenson.
Der Chorsatz bietet keine sonderlichen Probleme, ist aber auch nicht besonders „spannend“, Vier schwedische Strophen, deren Inhalt ein tröstendes Wort in der Trauer ist.

Für 12 Takte Musik, die auf eine Notenseite passt, ist die Ausgabe mit zwei Titelblättern, drei leeren Seiten und einer Kurzbiographie von Sixten äußerst üppig gestaltet.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - März/September 2018
In Dulci Jubilo

Interpreten: Theatre of Voices, Leitung: Paul Hillier
Label: Dacapo (6.220661)


Aus der in Uppsala verwahrten riesigen Dübensammlung, angelegt zwischen 1640 und 1720, stammen die hier ausgewählten Vokalwerke zu Ankündigung und Advent, Hirten, Geburt und Neujahr und Epiphanias. Dieterich Buxtehude, Christian Geist, Franz Tunder, Matthias Weckmann und  Jan Pieterszoon Sweelinck schrieben diese kurzweiligen geistlichen Spruch- und Choralkonzerte. Die instrumentale Besetzung mit zwei Violinen, Viola und einer Generalbassgruppe ermöglichte dabei auch Sonaten zum Eingang und einen Concerto-artigen Wechsel zwischen Solo- und Tuttipartien. Ein kompositorischer Höhepunkt ist wohl die seltsamerweise unter Advent eingereihte Choralmotette Merk auf, mein Herz des Eisenacher Georgenorganisten Johann Christoph Bach die gekonnt lautmalerisch das Geschehen um die Krippe nachzeichnet. Die witzigen Eselsrufimitate hätte sich der Rezensent dabei noch vorwitziger wiedergegeben gewünscht.

Orgelwerke von Heinrich Scheidemann, Johann Adam Reincken und Buxtehude bringen zusätzliche Abwechslung in das Programm, leider verschweigt das Booklet jede Information über das zu hörende Instrument. Herausragend ist Buxtehudes Choralphantasie über Wie schön leuchtet der Morgenstern, immer wieder gerne gehört zur Weihnachtszeit. Music for the Christmas season by Buxtehude and friends ist denn auch der Untertitel dieser CD, weihnachtlichen Gebrauch des 17. Jahrhunderts nachzeichnend.

So recht vom Stuhl will es den Hörer allerdings nicht heben, auch wenn Hilliers Ensemble gekonnt und mit Engagement musiziert. Da fehlt es den ausgewählten Kompositionen einfach am Esprit, der sie aus der Menge  gleichartiger Werke herausheben würde.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar/September 2018
Praktische Instrumentenkunde

Autor: Andreas N. Tarkmann / Johannes Kohlmann
ISBN: 978-3-7618-1950-0
Verlag: Bärenreiter


Als Musikfreund kommt man immer wieder mal in die Verlegenheit, dass das Gedächtnis einfach nicht alles speichern, bzw. nicht alles auf Anhieb wieder preisgeben kann, was einmal als "Input" hineinkam. Da ist es gut, Nachschlagewerke im Bücherschrank stehen zu haben, die schnell und unkompliziert helfen und rasch und effizient das Gedächtnis wieder auffrischen können.

Ein wunderbares Musiknachschlagewerk ist das Buch "Praktische Instrumentenkunde" aus dem Hause Bärenreiter. Es bietet auf kleinstem Raum, aber doch umfangreich und gut lesbar, Fakten zu 120 Instrumenten. So erfährt der Nachschlagende schnell etwas über Notation eines Instrumente, den jeweiligen Tonumfang, Klangcharakteristiken, kurze Hinweise zur Spieltechnik und vieles mehr.

Was soll ich noch mehr schreiben? Schlicht und ergreifend: Ein Buch, das in jedes Regal mit Nachschlagewerken gehört!


Daniel Kunert
www.notenkeller.de - August 2018

Reger/Bach/Nystedt "Geistliche Gesänge" & Reger "Das Werk für Männerchor - Vol. 2"

Interpreten: MDR Rundfunkchor unter Florian Helgath & Ensemble Vocapella Limburg unter Tristan Meister
Label: Querstand vkjk 1627 & Rondau 6127


Neben den drei großen Motetten Regers op. 110 erklingen auf dieser  CD noch Bachs Motette Komm, Jesu, komm und Knut Nystedts (1915 – 2014)  Immortal Bach – Vokalimprovisation über den Choral: Komm, süßer Tod BWV 478 (1988). Die beiden Anfangszeilen werden  hier zunächst vierstimmig a cappella vorgetragen, dann singen fünf vierstimmige Chöre diese Zeilen gleichzeitig in verschieden gedehntem Tempo. So entsteht in langen Clustern eine sehr eindrucksvolle Meditationsmusik!
Erstaunlich sind nicht nur die gut bekannten Kompositionen Bachs und Regers, sondern vor allem die Maßstäbe setzende Interpretation. Hier spricht Bachs Motette in direkter Weise den Hörer an, die Klangrede wird zur Botschaft, die einen gefangen nimmt. So sollte es immer sein, wird aber leider nur ganz selten erreicht. Ähnliches gilt für die großen Motetten Regers, seine so ganz andere Musik lebt von Stimmungen, von harmonischer Ekstase, von traditioneller Form und vom unbedingten Ausdruckswillen Regers. Nur, hier ist das alles nicht restlos übertrieben wie in vielen anderen Werken des Leipziger Meisters. Wohl kaum jemand kann sich dieser Gipfel-Musik der Lebensendlichkeit, die das Thema dieser CD ist, entziehen. Florian Helgarth hat seinen Chor zu einer Leistung animiert, die alles anderes als selbstverständlich ist.
Zu einer solchen Aufnahme  kann man nur gratulieren!


Nie gehörte Männerchöre sind da zu genießen, u.a. die Zehn  Gesänge op. 83 auf Texte von Brentano, Dehmel, Eichendorff u.a. und die Zwölf Madrigale aus Renaissance und Barock bearbeitet für Männerchor (1900). Die Zehn Gesänge bringen hochkomplizierte Gesänge wie gleich die Nr. 1 An das Meer. Wie hier Reger brandende Wellen und den Sonnenaufgang nachmalt, das ist einmalig ergreifend und faszinierend, ähnliche süchtige Wirkung hat das Abendlied Hör, es klagt die Flöte wieder. Beim Husarendurchmarsch sprengt eine ganze Kavalkade durch ein Städtchen, bis der letzte einen einsamen aber zielgerichteten alternativen Weg gefunden hat. Andere Gesänge sind beinahe volkliedhaft unkompliziert, laden fast zum Mitsingen ein, was denn doch aber lieber geprobt sein sollte.
Geprobt hat das Limburger Ensemble Vocapella bestimmt auch nicht im Vorbeigehen, herausgekommen ist eine großartige Aufnahme, die ihresgleichen sucht. Dieser junge Männerchor singt nicht wie ein Opernchor, die geraden Töne sind ein Ohrenschmaus, der 1. Tenor nahezu süffig elegant, alle mit einer großen dynamischen Breite und guter Aussprache bei geschmackvoller Agogik, was sicherlich ein Verdienst des Chorleiters Tristan Meister ist. So unbekannt diese Chöre sind: wenn man sie einmal gehört hat, fragt man sich, wohin die ehemals weit und breit reiche Männerchorkultur Deutschlands gekommen ist. Ach wie schön wäre es, gäbe es sie doch wieder – weit und breit!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar/August 2018

Fredrik Sixten - Lackans minut

für einstimmigen Chor oder Solist und Harfe oder Klavier
Verlag: Cantando


Das vorliegende Lied „Lyckans minut“ auf einen schwedischen Text von Erik Lindorm wurde zur Taufe von Prinz Alexander von Schweden am 9. September 2016 aufgeführt. Der Text beschreibt, dass man in seinem Kind sich selbst wiederfinden könne. Er ist in Schweden offenbar sehr verbreitet und beliebt.

Musikalisch steht das Lied auf tonalem Boden und ist eher in die „leichteren“ Genres einzuordnen.
Durch den schwedischen Text dürfte das Stück in Deutschland sicher schwer haben Verbreitung zu finden.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - März/August 2018

Telemannisches Gesangbuch & Telemannische Hauspostille

Label: SWR/Carus 83.340/Rondeau 6124

Der Gambist Thomas Fritzsch ist der Initiator dieser beiden CDs, die Telemanns Anregungen zu schulischer wie häuslicher Frömmigkeit erleben lassen. In seinem Fast allgemeine Evangelisch-Musicalisches Lieder-Buch 1730 hat Telemann über 2000 Texte und mehr als 500 Melodien gesammelt, sie auf ihre Urform zurückgeführt und ihre Varianten dokumentiert. 30 von ihnen singen und spielen hier Klaus Mertens, Bassbariton, Vincent Frisch, Knabensopran, Thomas Fritzsch, Viola di Gamba u.a., Stefan Maas, Barocklaute, und Michael Schönheit, Positiv und Cembalo. Die Melodien sind mit einem unauffälligen Generalbass versehen, der die Grundlage für einen vierstimmigen Satz bietet. Ein Register und eine Anleitung zur vierstimmigen Ausarbeitung fügte Telemann noch hinzu. Die Ausführenden haben meist die auch heute noch gut bekannten Choräle herausgesucht, so dass sich gut mitsingen lässt, auf der anderen Seite wird die Neugier auf Neues da natürlich enttäuscht. Klaus Mertens und Vincent Frisch zuzuhören ist aber bereits eine Lust, auch wenn in dieser Kleinbesetzung jede kleinste Unebenheit hörbar wird, wie nicht ganz gelungene Vokalführungen und Schlusskonsonanten. Gleiches gilt für die anderen Mitwirkenden, die die beiden so unauffällig wie vorbildlich begleiten.

Bereits drei Jahre zuvor hatte Telemann einen Evangelien-Jahrgang unter dem Titel Auszug derjenigen musicalischen und auf die gewöhnlichen Evangelien gerichteten ARIEN, welche in den Hamburger Haupt-Kirchen durchs 1727. Jahr vor der Predigt aufgeführet werden, bestehend aus einer Singstimme nebst dem General-Basse veröffentlicht. Darin finden sich je Sonn-, Fest- bzw. Feiertag je zwei Arien, die aus dem Kantatenjahrgang 1726/27 auf Texte des Eisenacher Kapellmeisters Friedrich Helbig stammen, hier aber reduziert sind auf die kleinstmögliche Besetzung. Zu hören bleiben also die bewegte und die Texte einfallsreich interpretierende Vokalstimme sowie der grundierende Generalbass. Thomas Fritzsch hat diese Arien angereichert durch einige Choralvorspiele aus den 48 fugirte und veraendernde CHORAELE von 1736 (im Booklet nicht genannt), sogenannte Dicta (Texte aus den Psalmen, den Paulusbriefen, von Erdmann Neumeister u.a.) und Chorälen (Komponist der Bässe im Booklet nicht genannt), so dass die Form kleiner Hausandachten entstand. Eingespielt wurden die insgesamt 9 Andachten mit 12 Arien an der Migendt/Marx-Orgel in Berlin-Karlshorst. Diese ehemalige Hausorgel der Prinzessin Amalie von Preußen (Disposition im Booklet nicht genannt) bietet reichlich verschiedene Klangmöglichkeiten, von denen man gerne mehr gehört hätte als hier geboten werden, auch steht sie zu sehr im Klangschatten des aufnahmetechnisch zu sehr praeferierten Vokalisten. Dass hervorragend musiziert wird, ist bei der Besetzung natürlich selbstverständlich.
Für diese Ausgrabung kann man Thomas Fritzsch nur dankbar sein. Möge sie dem häuslichen Musizieren auch heute noch Anreiz und Ansporn sein!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar/August 2018

Räuber in Bethlehem. Ein leichtes Weihnachtssingspiel

Komponistin: Elisabeth Michaelis
Texterin: Ilka Greunig
Verlag: Daniel Kunert (kdl-1115-01)


Weihnachten kommt immer so plötzlich! Und jedes Jahr stellt sich die gleiche Frage: Welches Krippenspiel soll es sein? Gehaltvoll, aber nicht zu schwer, einfach, aber nicht banal. Inhaltlich an der biblischen Geschichte orientiert, aber mit ausschmückender Gestaltung, welche Kinder (und Erwachsene) anspricht und welche die christliche Weihnachtsbotschaft nicht in erfundenem Drumherum untergehen lässt.

„Räuber in Bethlehem“ ist ein Stück, das allein schon vom Titel her Kinder anspricht. Es enthält 7 einfache Lieder in einem Tonbereich, den Kinder gut singen können (evtl. sollte man das Lied der Könige einen Ton höher setzen). Eines der Lieder ist für Maria und Josef allein vorgesehen, die anderen sechs Lieder singen Alle. Zur Begleitung genügt ein Klavier, man kann zur Stabilisierung des Gesangs ggf. noch ein Melodieinstrument mitlaufen lassen.
Schon mit dem ersten Lied des Singspiels werden sich die Kinder gut identifizieren können und mit Vergnügen einstimmen: „Wir sind das schlimme Gesindel, das Räuberpack...“ Wobei auch die Räuber einen Ehrenkodex haben: Schwangere und Kinder werden nicht überfallen.

17 Rollen sind im Singspiel vorgesehen, wobei die 5 Räuber die Hauptrollen haben und damit am meisten Text bewältigen müssen. Es empfiehlt sich, die Dialoge hier und da zu kürzen. Die Rollenverteilung überprüft man auf ihre Eignung für die eigene Kindergruppe hin. Warum sollte es z. B. nur 5 Räuber geben, wenn sich da die Bewerber drängeln? Und bei einer sehr kleinen Kindergruppe gibt es Doppelrollen, da haben sich Wirte auch schnell in Hirten verwandelt oder in Weise.

Das Singspiel ist so aufgebaut, dass im Grunde die Räuber durch die Weihnachtsgeschichte führen. Sie schleichen sich nacheinander an alle Figuren der Geschichte heran. Sie beobachten, wie Maria und Josef eine Unterkunft suchen, wie der Engel den Hirten auf dem Feld erscheint, sie überfallen die Könige aus dem Morgenland und klauen ihnen Gold, Weihrauch und Myrrhe. Als sie dann heimlich durch die Stallritzen schauen und das Kind sehen, beschließen sie reuevoll, die gestohlenen Dinge zurückzugeben. Und so wird am Ende des Krippenspiels Schokogeld an die Zuhörer verteilt.


Elke Landenberger
für www.notenkeller.de - August 2017/2018


Hans Koessler - Lieder und Gesänge und Drei ernste Chöre

Herausgeber: Matthias Beckert
Verlag: Helbling (C7932 / C7933)


Mit diesen beiden Heften macht Matthias Beckert, Professor für Orchester- und Chorleitung in Detmold und Würzburg – er hat mit seinem Chor Cantabile Regensburg auch eine phänomenale Einspielung vorgelegt (Helbling HI C7937) - ein Oeuvre wieder zugänglich, das zu den Spitzenerzeugnissen der deutschen Romantik zählt. Seit der Erstausgabe der Lieder und Gesänge bei Simrock 1912 sind sie als Zyklus nicht mehr publiziert worden, Einzelausgaben erschienen vor einigen Jahren im Sonat-Verlag. Hans Koesslers Musik übertrifft alle seiner Zeitgenossen, sei es (der von ihm bewunderte) Brahms mit seinen Liedern op. 64 und 104, der Motette Warum ist das Licht gegeben op. 74,1 und den drei großen Motetten op. 110, sei es (sein entfernter Vetter) Reger mit seinen Männerchören, op. 83 und seinen bewundernswerten Motetten op. 110, sei es Schönberg mit der Conrad Ferdinand Meyer-Motette Friede auf Erden, op. 13 oder andere. Das kann der Rezensent, nachdem er alle diese Werke des Öfteren aufgeführt hat, ohne Übertreibung schreiben.

Der Oberpfälzer Hans Koessler (1853 - 1926) studierte von 1874 bis 1877 Orgel bei Joseph Rheinberger und besuchte die Chorklasse von Franz Wüllner in München. Danach war er Lehrer für Theorie und Chorgesang am Dresdner Konservatorium und Dirigent der Dresdner Liedertafel. 1881 wurde er als Kapellmeister an das Kölner Stadttheater berufen. Von 1882 bis 1908 unterrichtete er zunächst Orgel und Chorgesang an der 1875 von Liszt gegründeten Landesmusikakademie Budapest, 1883 übernahm er auch die Professur für Komposition. Zu seinen 48 Schülern zählten die bedeutendsten ungarischen Komponisten der Zeit wie Zoltán Kodály, Béla Bartók, Emmerich Kálmán oder Ernst von Dohnányi. Nach seiner frühen Pensionierung 1908 aus Gesundheitsgründen wieder in Deutschland nutzte er die Zeit für Reisen, die vorliegenden Lieder und Gesänge entstammen ebenfalls dieser Zeit. Nachdem seine Pension und sein Vermögen nach dem ersten Weltkrieg konfisziert worden waren, wurde er aber auf Vermittlung von Kálmán und Dohnányi nochmals eingestellt, um ihm ein bescheidenes Einkommen zu sichern. 1925 endgültig pensioniert, verstarb er nach einer Beinamputation wegen Arterienverkalkung in Ansbach. Koessler hinterließ über einhundertdreißig Werke, darunter eine Volksoper, zwei Sinfonien, sinfonische Variationen für Orchester, ein Violinkonzert, eine Messe für Frauenchor und Orgel, eine Violinsonate, geistliche und weltliche Chöre sowie kammermusikalische Werke. Etliches wird auch verloren gegangen sein, von Orgelwerken ist nichts bekannt. Vieles veröffentlichte Koessler wohl aus Bescheidenheit auch nicht.

Koesslers Kompositionen für Chor umfassen Psalmmotetten, darunter sein absolutes Meisterwerk, der 1889 vom Wiener Tonkünstlerverein preisgekrönte nahezu eine Viertelstunde dauernde Ps 46, weitere geistliche Werke aus den 80- und 90er Jahren, die Drei ernste Chöre erschienen 1902 in Straßburg. Den Lieder und Gesänge und den Drei ernste Chöre liegen Texte von Goethe, Heine, Geibel, Lenau u.a. zugrunde, gesetzt sind sie für vier bis achtstimmigen Chor. Koesslers Klangsprache zeichnet sich aus durch einprägsame Melodik, textgeprägte aufgefächerte Dynamik und eine warme Harmonik, so dass sie – und das ist wirklich keine Plattitüde – zu Herzen gehen. Koesslers Kunst, den Gehalt eines Textes stimmungsmäßig umzusetzen, ist einfach beispielslos genial. Bei solcher Meisterschaft ist gut vorstellbar, dass seine Schüler auch Schwierigkeiten mit ihrem strengen Professor hatten, aber sie waren dennoch sehr stolz, durch seine Schule gelaufen zu sein.
Die Ausgabe des Innsbrucker Verlages ist gut les- und händelbar, leistungsfähigen Chören sei sie herzlich empfohlen!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2018 / August 2018


Benedict Kraus - Die Schöpfung

Herausgeber: Ullrich Scheideler
Verlag: Ortus


Im inzwischen gut arrivierten Ortus-Musikverlag erschien nun als Band 36 in der Reihe Musik zwischen Elbe und Oder ein bemerkenswertes Werk des nahezu unbekannt gebliebenen Kapellmeisters und Komponisten Benedict Kraus (1725 – c 1810), dessen Leben sich bedingt durch häufige Ortswechsel (nachweisbar u.a. in Ottobeuren (zahlreiche Messen), Linz (über 90 Opern) und Coburg) nur mehr schattenartig verfolgen lässt. Carl Hohnbaum, enger Freund Friedrich Rückerts und Begründer der Psychiatrie in Hildburghausen, schreibt ihm in der AMZ Winter 1818 Vertonungen einer Passion und einer Lutherischen Deutschen Messe zu und auch die der vorliegenden Kantate Die Schöpfung, der er edle Einfalt und nicht zu verkennende Originalität bescheinigt. Als Textdichter vermutet der Herausgeber dessen Vater Johann Christian Hohnbaum, Superintendent in Rodach.

Die Kantate Die Schöpfung reiht sich ein in eine Reihe ähnlicher Werke Ende des 18. Jahrhunderts, als dieses Sujet modisch war. Haydns Werk krönt diese Reihe von oratorischen Werken von u.a. Johann Samuel Possin  (Die Schöpfungsfeier oder Die Hirten in Midian, um 1782), Johann Friedrich Reichardt (Morgengesang am Schöpfungsfeste, 1783), Carl Philipp Emanuel Bach (Ode Morgengesang am Schöpfungsfeste, 1783) und Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen (Das Hallelujah der Schöpfung, 1797). Die Kantate schrieb Kraus wohl um 1784, als er in Weimar arbeitete. Jedenfalls verweist ihn eine Abschrift der Berliner Staatsbibliothek von 1833 dorthin, aber auch ein alternatives  Entstehungsdatum  um 1790 hat einiges für sich. Der Text, im üblichen aufgeklärten Ton geschrieben, erzählt die Genesis der ersten sechs Tage poetisch hymnisch, plastisch und natürlich, ihm stimmt der Hörer heute etwas lächelnd, aber doch gerne zu.

Die Kantate besteht aus insgesamt achtzehn Nummern, einer Orchester-Introduction, sieben accompagnierten Recitativen, fünf Arien, bzw. Duetten, die Sopran, Tenor und Bass einiges an Virtuosität abverlangen, und fünf prächtigen wie durchgearbeiteten doppelchörigen Chören. Kraus schreibt derartig descriptiv, dass es bereits eine Freude ist, die Noten zu lesen. Die Musizierfreude ist buchstäblich, etwa wenn wilde Fluten die Tonleiter hinauf- und herabstürmen oder sinkende und steigende Wasser in Terzfiguren hörbar gemacht werden. In nicht weniger als 15 Takte Koloratur glänzt der Gottesglanz und Gottes Winde treiben die Wolken atemlos über 16 Takte. Wenn Rosen ihren Busen dem Herrn öffnen, erlebt der Hörer, wie der Herr sich zehn Takte lang am Duft ergetzt, und wenn die Sonne aufgeht, ist eine königliche französische Ouvertüre am Platz, die erst tanzenden Sternen um die Königin der Nacht Platz macht (elf Takte Koloratur schließen mit einer verminderten Dezime aufwärts!). Fische schwimmen in leicht bewegten Wassern, der Adler steigt steil auf zur Sonne, bis schließlich König Mensch kommt und die rhetorische Frage, ob das gemalte Paradies den Engeln vorbehalten bleiben soll, für sich entscheidet.

Das alles ist pure Freude über die Schöpfung, darum sei diese beachtlich komponierte Musik, die den Vergleich mit der späteren Haydns (1798) nicht scheuen braucht, empfohlen! Dass das Werk in einer achtbaren gut lesbaren Ausgabe erschienen ist, sei auch noch erwähnt, auch wenn dieser Standard heute selbstverständlich ist.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2018 / Juni 2018


Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn

Autoren: Matthias Henke / Hans-Ulrich Weidemann
ISBN: 978-3-460-08606-7
Verlag: Katholisches Bibelwerk


Werkeinführungen haben in Zeiten nachlassender Schulbildung in Musik, Geschichte, Geographie, Religion etc. in unserer Gesellschaft einen besonderen Stellenwert. Der Musikwissenschaftler Matthias Henke und der Neutestamentler Hans-Ullrich Weidemann - beide lehren in Siegen - haben unter Mitarbeit von Alexander Sieler in der werkbezogenen Reihe bibel & musik des Verlags Katholisches Bibelwerk nun einen Band zu Haydns drittem Oratorium vorgelegt. Es entstand 1796 nach seinem Stabat Mater (1767) und Il ritorno di Tobia (Die Rückkehr des Tobias, 1775), 1798 folgten Die Schöpfung und 1801 noch Die Jahreszeiten.

In acht Kapiteln beschäftigen sich die Autoren mit der biblischen Vorlage, den Evangelien-Harmonien, der Liturgiegeschichte der Karfreitagsgottesdienste, mit Haydns Religiosität, der Entstehungsgeschichte dieser Meditationsmusik der Sieben Worte des Erlösers am Kreuz, Dramaturgie und Form der Komposition, mit der Analyse der einzelnen Sätze und den früheren Fassungen für Orchester und Streichquartett  von 1787. Die neunsätzige  Musica instrumentale sopra le 7 ultime parole del nostro Redentore in croce (Hob. XX/1:A), wie das Werk ursprünglich betitelt war, war eine Auftragskomposition für den Priester Dr. José Saenz de Santamaria, Marqués de Valde-Inigo, aus Cádiz, wo es eine besondere örtliche Tradition der „Tres hora“ gab. Wenn auch die Verständlichkeit der Satzanalyse schnell ihre Grenzen findet, wenn die Partitur nicht daneben liegt, ist doch den beiden Autoren mit dieser Zusammenfassung von Text- und Liturgiegeschichte, Anlass und Werkanalyse ein umfassend gründlicher Blick auf diese so ganz spezielle „Passion“ gelungen, der beispielhaft ist. Das Gesamtkunstwerk von Haydns „Theatrum sacrum“ wird so für Ausführende wie Laien gut nachvollziehbar. Der Band schließt mit einem Literaturverzeichnis, einer Diskographie und dem Namensregister.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2018 / Juni 2018
Abenteuer Musik

Autor: Clemens Kühn
ISBN: 978-3-7618-2085-8
Verlag: Bärenreiter


"Eine Entdeckungsreise für Neugierige" lautet der Untertitel dieses Buches. "Super", dachte ich mir. "Das kann ja nur spannend und vielseitig sein. Und vieles enthalten, was ich noch nicht weiß". So machte ich mich an die Lektüre des Buches, stolperte aber schon auf Seite 7. Dort wird erwähnt, dass keine CD beiliegt, da diese das Buch nur unverhältnismäßig verteuert hätte (wobei 24,99 € für dies Buch schon arg teuer sind). Aber hätte der Bärenreiter-Verlag nicht auf seiner Webseite genügend Platz, um entsprechende Musikbeispiele übersichtlich anzubieten? Statt dessen wird dem Leser die aufwändige Suche bei Youtube (wo man natürlich auch viel spannende Musik finden kann) ans Herz gelegt. Ich kaufe ein teures Buch und werde dann an ein Videoportal verwiesen, auf dem ich lange suchen kann, bis ich das passende Musikstück mit Bezug zu einer Textstelle in diesem Buch finde? Abschreckend!
Vielleicht geht es ja auch ohne Musikbeispiele? Nein, es geht nicht. Immer wieder wird auf das Hören verwiesen. Das verkompliziert die Lektüre enorm.

Weiter im Text. Neugierig machte ich mich an die Lektüre des Buches, schluckte den Ärger über die fehlende Musik herunter und wurde erneut enttäuscht. Der Autor hat eindeutig Fachwissen, aber er sprudelt mit den Hinweisen, Anregungen und musikalischen Kenntnissen dermaßen heraus, dass mir schon auf Seite 27 der Kopf schwirrt. Die Gedankensprünge mögen zwar korrekt sein, folgen aber alle so schnell aufeinander, dass das Lesen eine einzige Qual ist. Ich hüpfe von einem Fachbegriffe zum nächsten, rase durch die musikalischen Themen und hoffe, irgendwie die ganzen Brocken in Bezug zueinander bringen zu können. So ist das Buch für alle, die rund um die Uhr nur in Musikjargon sprechen, bestimmt eine spannende Lektüre. Aber für jemanden, der einfach neugierig ist, ist die Gedankenspringerei eine Qual.

Fazig: Wer Lust hat, das Buch wie ein Puzzle zu lesen, die einzelnen Teile zu nehmen, zu analysieren und zusammen zu setzen, um dann jedes Kapitel, jeden Absatz, jede Phrase durchzuarbeiten, kann dies gern tun. Das hat aber für mich nichts mehr mit Neugierde zu tun, sondern schon fast mit musikwissenschaftlicher Arbeit. Enorm viel Wissen ist im Buch eindeutig enthalten. Aber es ist nur mit viel Aufwand wirklich zu erfassen.


Daniel Kunert
www.notenkeller.de - Juni 2018
"Bis an der Welt ihr Ende" / "Und wenn die Welt voll Teufel wär"

CD Bis an der Welt ihr Ende - Deutsche Lieder der Reformationszeit
Interpreten: Per-Sonat, Ltg.: Sabine Lutzenberger
Werke von Luther, Senfl, Hassler, Lechner, Lassus, Schein
Label: Christophorus

CD Und wenn die Welt voll Teufel wär - Musik um Luther
Interpreten: La Villanella Basel
Werke von Walter, Senfl. Isaac, Obrecht, Josquin Desprez
Label: Querstand


Verwandte Besetzungen und Programme bieten diese beiden CDs, die die bisherigen Editionen zur Liedgattung des 16. Jahrhunderts im Luther-Gedenkjahr ergänzen. Ist die erste CD geprägt von dem Lautenisten Marc Lewon, der neben Sätzen von Senfl, Lassus und Schein Lieder wie Ein feste Burg und Aus tiefer Not in eigenen Sätzen vorträgt, so wird in der zweiten CD ein Positiv (Mechthild Winter) für Sätze von Kleber, Isaac und Obrecht verwendet. Das bringt zwar eine größere Klangfülle, hat aber nur eine geringe historische Wahrscheinlichkeit für sich.

Die prinzipiell variablen Besetzungsmöglichkeiten sind begrenzt auf je zwei Sänger, Blockflöte, Gamben und Violine. Erstaunlich, wie beide Gruppen die z.T. hochkomplizierten Sätze doch ziemlich gleichartig gestalten. Eher begrenzt sind die Tempi und leider auch der Ausdrucksreichtum der MusikerInnen. Zwar lernt man auf der zweiten CD Luthers erstes Lied, das Fahrenslied Ein newes Lied wir heben an von 1524, im Satz von Johann Walter einmal klanglich kennen, mitreißen tut aber der geschilderte Kampf um Leben und Tod der beiden Brüsseler Augustinermönche nicht. Auch die glutvollen Liebestexte wirken abgeklärt wie geschichtliche Ereignisse aus einer anderen Epoche. Mit Andacht und Verehrung beschreibt Sabine Lutzenberger ihr chronologisch in vier Abschnitte gegliedertes Programm, wobei Johann Hermann Schein bereits für eine neue Zeit steht, die sich hörbar absetzt vom Reformationsjahrhundert. Ob das den Zugang zu dieser Musik tatsächlich öffnet, ist doch sehr fraglich. Der Bookletbeitrag von Sonja Tröster schöpft den historischen Hintergrund der Kompositionen gut informierend aus, vermag aber im Bereich der musikalischen Analyse nicht voll zu überzeugen.

Das Programm der zweiten CD ist stärker auf Luther und seinen Freund Walter und deren Zeitgenossen fokussiert, Michael Märker beschränkt sich in seinem knappen Bookletbeitrag auf geschichtliche Anmerkungen, die eingespielten Sätze erfahren keine detailliertere Beschreibung, obwohl gerade die Sätze Walters zu Ein feste Burg und Aus tiefer Not doch dazu verlocken. Ebenso wenig werden die Quellen der Sätze genannt, leider fehlen auch die Übersetzungen der lateinischen, bzw. französischen Textvorlagen. Höhepunkt ist hier Senfl’s Fassung des Fronleichnams-Hymnus Pange lingua, den er echt humanistisch zweisprachig lat./dt. gesetzt hat. Wenn am Schluss Walters Verknüpfung des Da Pacem mit Erhalt uns Herr erklingt, ist das zwar kompositorisch überzeugend, musikalisch aber fehlt der Biss.
Schade, dass die wohldurchdachten Interpretationen doch eher verkopft klingen, eine Wiederbelebung klingt anders.



Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2017 / Juni 2018
Christmas Vespers - Music of Michael Praetorius

Interpreten: Cleveland Baroque Orchestra, Oberlin Choristers u.a., Ltg. Jeannette Sorrell
Label: AVIE


Mit großer Begeisterung hat die amerikanische Dirigentin Jeannette Sorrell hier ein Programm aus Polyhymnia caduceatrix (1619), Musica Sioniae und Puericinium (1621) und Terpsichore (1612) zusammengestellt, das Sätze zum Advent und zu Weihnachten beinhaltet. Das Programm versteht sich nicht als eines in Vesperordnung – hier führt der Titel der CD in die Irre – sondern es umfasst Stücke aus Messe und Vesper in freier Ordnung. So folgt das Gloria auf das Credo und das (gekürzte) Magnificat wird durch einen Choral geteilt. Der Quempas ist ebenfalls gekürzt und das Vater unser erweist sich als die erste Strophe des Luther-Liedes. Durchaus kommen auch einstimmige Choräle, manchmal als Antiphon bezeichnet, vor, wie zu Praetorius‘ Zeiten zu singen üblich war, im amerikanischen Verständnis Luthers dann in der Volkssprache englisch. Auch die ansonsten im Booklet nicht angeführte Orgel darf mit Nun lob mein Seel den Herren (Michael Sponseller) einen Track übernehmen. Tanzsätze und liturgische Sätze wie das Benedicamus vervollständigen das Programm.

Der Booklettext von Sorrell beginnt mit einer etwas eigenartigen aber vielleicht typisch amerikanischen Kurzführung der Reformationsgeschichte, der zweite Satz lautet: „He did not like the Pope … and thus was born the Reformation.“ Auch die Feststellung „Living at the same time as Monteverdi … Praetorius was aware oft he new elements of Monteverdi’s music“ führt in die Irre, eher fußt Praetorius doch auf der Praxis der Vorgänger Monteverdis an S. Marco in Venedig. Nach Monteverdis seconda pratica aus der Marienvesper (1610) jedenfalls klingt da nichts. Schade, dass nicht ein potenter Musikwissenschaftler hier korrigierend eingegriffen hat. 

Das auch mit einem Flöten- und Krummhornensemble besetzte Apollo’s Fire Orchestra spielt engagiert, insbesondere im Schlussstück In dulci jubilo kommt das Ensemble europäischen Vergleichsensembles durchaus nahe. Auch die Chöre sind niveauvoll dabei, vor allem die Kinderstimmen müssen herausgehoben werden. Zuletzt sind es die Trompeten und der Zink, die der CD  im Schlussstück eigentümlichen Glanz verleihen. Allein wegen dieses Schlussstückes lohnt es sich, in die CD hineinzuhören.



Rainer Goede

für www.notenkeller.de - Dezember 2017 / Juni 2018
Frescobaldi Vol. 5

Interpreten: Richard Lester, Schola Gregoriana del Duomo di Bergamo, Ltg. Gilberto Sessantini
Label: Nimbus Records


Richard Lester hat mit dieser CD seine Gesamteinspielung der Werke Frescobaldis auf Cembalo komplettiert. Hierzu spielte er eine Kopie von Colin Booth eines italienischen Instrumentes aus dem frühen 17. Jh. mit zwei 8‘. Das Programm dieser  CD umfasst auch zwei Arien aus den Arie musicali (Florenz 1630), die Londa Ntotila, Sopran, singt, und fünf Werke (eine Toccata und vier Canzonen aus den Canzoni da sonari (Florenz 1628), die von Elizabeth Lester, Blockflöte, und Polly Armitage, Renaissance Flöte (beides Kopien aus dem 16. Jh.), virtuos vorgetragen werden. 

Aufmerken lässt die CD aber bei der Vorstellung der Magnificat- und der Hymnen-Sätze. Hier spielt Lester auf der 1996 von Marco Fratti, Campogalliano (Modena) erstklassig restaurierten Orgel von Costanzo Antegnati (1588) in San Nicola in Almenno San Salvatore (Bergamo) im Alternatim-Wechsel mit der Schola. So sind endlich einmal diese Sätze, die sonst eher Langeweile ausstrahlen, in ihrem liturgischen Zusammenhang zu hören, und siehe da, so wirken sie so ursprünglich und natürlich, dass auch die strenge Satzweise nicht uninteressant wird. Vielleicht hätte die Registrierung noch etwas abwechslungsreicher sein können, aber der Effekt ist auch so überzeugend gelungen. Auch das Capriccio sopra Pastorale erklingt auf dieser Orgel, deren Disposition im Booklet leider nicht mitgeteilt wird. (Principale, Ottava, Decimaquinta, Decimanona, Vigesimaseconda, Vigesimasesta, Cornetto, Flauto in VIII, Flauto in XII, Voce umana, Contrabbassi). Lester spielt unaufgeregt und sachkundig, vielleicht ein wenig zurückhaltend, aber immer sachgerecht und technisch kompetent.

Rainer Goede

für www.notenkeller.de - Dezember 2017 / Juni 2018


Der allerbeste Componist

Autorin: Christina Siegfred
EAN: 978-3-95755-620-2
Verlag: Kamprad


Ein Buch für Heinrich Schütz
mit Holzschnitten von Schülerinnen und Schülern der Grundschule Elstervorstadt in Zeitz

Ein Herz für Kinder, und eines für Schütz, eigentlich ein Herz für Leser jeglicher Couleur! Meint man zunächst, diese glutvolle Schilderung der Schütz-Vita wäre für Kinder bestimmt, ändert sich dieser Eindruck schnell, denn dafür wird zu viel geschichtliches Vorwissen und Kenntnis von Fachbegriffen vorausgesetzt. Für Abiturienten? Die sollten das Büchlein verstehen können, für Musiklaien? Die lernen bestimmt noch was dazu, für Profis? Selbst die haben von der mit warmen Herzen geschilderten Vita des Dresdener Hofkapellmeisters etwas, nämlich ein großes Lesevergnügen!

Wie Christina Siegfried schreibt, ist einfach schön, umfassend, auch scheinbar Nebensächliches aufnehmend zu einem von Sympathie gezeichneten Ganzen, Altes mit Parallelen zu heute vermischend, naives Staunen mit großem Verständnis verbindend. Staunen kann man auch über die naiven Holzschnitte der Grundschüler, unter fachlicher Anleitung 2015/16 entstanden. Auch, wer schon alles weiß über Schütz, gönne sich das Büchlein, ein paar solch schöner Lektürestunden sind nicht oft zu haben.

Rainer Goede

für www.notenkeller.de - November 2017 / Juni 2018


Joy of Bach

Interpretin: Keiko Nakata
EAN: 4260412810086
Label: arcantus


Einerseits Genuss und Freude pur, andererseits Ärgernis: The Joy of Bach mit Keiko Nakata

Ein Cover wie eine aktuelle Pop-CD: Eine lachende, junge, gut aussehende Frau in einem bunten Blumenkleid. Die Japanerin Keiko Nakata ist das. Keine Frage: Dieses Foto vermittelt das, was auch der Titel formuliert: „The Joy of Bach“. Und wenn man diese CD hört, dann bestätigt sich ganz schnell: Ja, diese Musikerin hat Freude, ja geradezu unbändigen Spaß am Spielen von Orgelmusik Johann Sebastian Bach. Das springt einen geradezu an auf dieser CD. Oder hat man sich da vom Cover blenden lassen und hört nun eben das, was einen die Werbeabteilung des Arcantus-Plattenlabels glauben machen will? Aber nein, auch beim zweiten Hören ohne vorher das Cover noch einmal gesehen zu haben, überrumpelt einen diese CD geradezu. Ob die eingespielten großen Orgelpräludien und Fugen, das eine oder andere Einzelwerk oder das Concerto nach Vivaldi: Hier versprüht jedes dieser Werke eine Lebensfreude, die wahrscheinlich fast jeden ansteckt. Und die langsameren Stücke, wie die kleine g-moll-Fuge oder der Schübler-Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, sie haben als Oasen der Besinnung einen ganz besonderen Reiz. Und das nicht nur, weil sie hervorragend registriert und wunderbar entspannt musiziert sind. Diese Fuge könnte zwar vielleicht ein wenig mehr Gesanglichkeit vertragen, statt immer wieder die volle Zählzeit so stark zu betonen, aber letztlich gelingt Nakata das Stück doch sehr überzeugend. Und der Schübler-Choral in seinem ruhigen Fließen und dem Krummhorn als Zungenstimme im Cantus Firmus lässt einen bedauern, dass die anderen Schübler-Choräle hier nicht aufgenommen wurden.

Stattdessen brilliert Nakata mit den Spielfiguren des Großen Präludiums in G oder denen aus der großen Fantasia super „Komm, heiliger Geist“ oder den Tonleitern des D-Dur-Präludium. Auch da könnte man sich zwar generell einmal etwas mehr Legatokultur vorstellen, um diese in Kontrast zu stellen zum geradezu pianistischen Spiel anderer Figuren, aber insgesamt gelingen Nakata die meisten Stücke ihrer CD bewundernswert gut. Geradezu verblüffend gerät ihr das Konzert nach Vivaldi, wo sie nicht nur die richtigen Tempi findet, sondern auch noch dezente Registrierungseffekte auskostet, die neben der Spielfreude auch noch Klangfarbenlust auskostet.

Aber genau da beginnt dann das Problematische dieser CD: Sie ist weitgehend hervorragend musiziert, aber inhaltlich so schlecht ausgestattet, dass man nicht einmal versuchen kann, sich anhand der Disposition, also der Registerangaben des gespielten Instruments, halbwegs zusammenzureimen, wie Nakata registriert haben mag. Es gibt keine Angaben zur Orgel, geschweige denn zu den einzelnen Registern oder zum Raum. Man bekommt lediglich mitgeteilt, dass die Aufnahme 2016 an einem Instrument aus der angesehenen Elsässer Orgelbauwerkstatt Marc Garnier im französischen Belfort entstanden ist. Sorry, aber bei aller künstlerischer Qualität der Produktion, sie entwertet sich durch das Fehlen dieser Angaben von selbst. Eine Orgelaufnahme ohne Infos zur Orgel, das geht gar nicht, wenn es sich nicht um eine Billigproduktion handelt. Das ist hier aber nicht der Fall.
Manch strahlend helle  Plenopassage klingt so, als ob der Orgel fast die Luft ausginge oder einzelne Register mit einem Tremulanten ausgestattet wären, weil der Klang so diffus schwebend wie mit einem leichten Vibrato ausgestattet erscheint. Es wäre für den Hörer schon interessant zu wissen, warum dieser Klang genauso herüberkommt, was aber leider nicht herauszufinden ist im schönen, aber inhaltsarmen Booklet. Generell ist es auffällig, über welche glänzende Obertonregister diese Orgel verfügt. Und trotzdem ist der Klang beim klar konturierten Spiel Nakatas immer transparent. Man hört wirklich alles, was sicher zum Teil auch der hervorragenden Aufnahmetechnik zu verdanken sein dürfte.

Ja, diese sehr moderne Bach-Aufnahme ist ein Genuss wenn auch die Ausstattung der CD ein Ärgernis darstellt.

Reinald Hanke
für www.notenkeller.de - September 2017 / April 2018

Da Pacem - Echo der Reformation

Interpreten: Rias Kammerchor, Capella de la Torre, Katharina Bäuml, Florian Helgath
EAN: 0889854054120
Label: deutsche harmonia mundi


Der auf das 9. Jahrhundert datierte Antiphon Da pacem, Domine, seine Übersetzung ins Deutsche durch Martin Luther 1529 Verleih uns Frieden wie seine Fortsetzung durch Johann Walter 1566 Gib vnserm Fürsten und aller Oberkeit fried vnd gut Regiment sind das eine Thema dieser CD.
Ergänzt werden die Vertonungen dieses Antiphons von Lassus, Jacobus de Kerle (Sanctus aus der Missa Da Pacem) und Heinrich Schütz durch verschiedene Instrumentalsätze, einem Salve Regina von Monteverdi und zwei Magnificat-Vertonungen von Giovanni Gabrieli und Michael Praetorius. Die Musik reicht von Gregorianik über das Kleine geistliche Konzert O süßer, o freundlicher von Schütz (SWV 285), den dreichörigen Psalm Jubilate Deo von Marenzio bis zum Concerto Dulcis Jesu patris imago von G. Gabrieli, beginnend mit einer instrumentalen Sonate, um schließlich in einem 20-stimmigen Satz zu enden. Dass es sein Schüler Michael Praetorius noch besser konnte, beweist sein durchkomponiertes Magnificat (Polyhymnia Caduceatris 1619).

Selten hört man Gregorianik so erfüllt gesungen und das Kleine Konzert von Heinrich Schütz so innig wiedergegeben wie von Anja Petersen wie hier (die Continuo-Spieler nennt das Booklet nicht dezidiert). Barocke Klangpracht pur ist zu genießen nicht nur bei den genannten stark besetzten Kompositionen, sondern auch bei den Instrumentalwerken von Moritz von Hessen, Michael Altenburg (Intrada über Ein feste Burg) und Girolamo Parabosco, der den Antiphon Da Pacem in eine instrumentale Motette verwob. Der Rias Kammerchor allerdings klingt irgendwie nach gebremstem Schaum, liegt es an der zurückhaltenden Präsenz durch die Technik, an der zurückhaltenden Aussprache der Konsonanten, an irgendeiner Reserviertheit? Mitreißend jedenfalls klingt anders. Wenig mitreißend ist auch das ziemlich schmale Booklet, das so nüchtern, wie es Bernhard Schrammek formuliert hat, nur ein recht verklingendes Echo reformatorischen Engagements darstellt.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2017 / April 2018


Ave Maria

Komponist: Vickery, Justin
ISMN: 979-0-2612-3884-7
Besetzung: gemischter Chor SATB
Verlag: Cantando Musikkförlag


Das vorliegende Ave Maria basiert auf dem Anfangsmotiv der gregorianischen Melodie mit der charakteristischen aufsteigenden Quinte. Rondoartig aufgebaut bilden die sich wiederholenden Teile einen nicht ganz strengen Kanon zwischen den Frauen- und Männerstimmen mit scharfen Punktierungen. Die Zwischenteile sind homophon gesetzt mit interessanten harmonischen Farbtupfern. Den Tenören wird einige Male das hohe a1 abverlangt, die tiefen Bässe dürfen bis zum D hinabsteigen.  Das vielleicht zwei Minuten dauernde Stück ist von mittlerem Schwierigkeitsgrad und bietet einen sicher nicht langweiligen Kontrast zu klassischen Ave Maria Vertonungen.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / März 2018

Harvest Introit

Komponist: Coates, Robert
ISMN: 979-0-2612-3804-5
Besetzung: für Unison Voices (2-part) und Orgel
Verlag: Cantando Musikkförlag


Der Introitus für das Erntedankfest bietet eine Vertonung des 145 Psalmes „The Eyes of All Wait upon you“ („Alle Augen warten auf dich“) für zweistimmigen Chor. Die Bezeichnung „unison“ stimmt hier nicht ganz, da einige Abschnitte zweistimmig gesungen sicher sinnvoller sind. Das Stück ist den St. Mary’s Girl Choristers gewidmet und lässt sich sicher gut mit einem versierten Kinderchor aufführen. Es eignet sich sowohl für die Verwendung in der Liturgie, als auch als Teil einer konzertanten Veranstaltung.
Harmonisch nicht sehr kompliziert lässt sich das Stück durch die Abwechslung von solistischen und chorischen Teilen interessant gestalten. Den Sänger(innen) und Zuhörern dürfe das Stück gefallen, wenn sie die Musik von Rutter oder Chillcott mögen.

Eine schöne Repertoireerweiterung für junge Chöre.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / März 2018

Defrost Mashup

Komponist: G. Hofshagen / S. Bjornhaug
ISMN: 979-0-2612-3946-2
Besetzung: für bis zu 8stg. Chor
Verlag: Cantando Musikkförlag


Ein witziges Potpourri aus sechs Popsongs und Händels Halleluja für bis zu 8-stimmigen Chor a cappella, das vor allem Pop- und Jazzchören viel Spaß bereiten dürfte. Der Titel leitet sich aus dem Widmungsträger „defrost youth choir“ ab, der auch die Uraufführung sang.

Die verwendeten Stücke sind: Some Nights, I kissed a girl, Halleluja (Händel), Viva la vida, Give me love, Let it go und Let her go. Teilweise von norwegischen Künstlern, daher in unseren Breiten nicht Alles bekannt.

Alles ist gut singbar von motivierten Sängerinnen und Sängern. Etwa 4 Minuten Aufführungsdauer.

Lohnend!!


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / Februar 2018


Biber: Rosenkranz-Sonaten Folge 3 "Die schmerzreichen Geheimnisse"

Interpreten: Anne Schumann (Barockgeige); Sebastian Knebel (Trost-Orgel Waltershausen)
EAN: 4025796015072
Label: Querstand


In der abschließenden dritten Ausgabe der Kompletteinspielung der Rosenkranzsonaten von Biber verwenden Barockgeigerin Anne Schumann und Organist Sebastian Knebel die monumentale Trost-Orgel der Stadtkirche Waltershausen als Continuo-Partnerin der Violine. Die überaus zahlreichen Grundstimmen dieser größten Thüringer Barockorgel, die trotz ihrer Monumentalität aufgrund ihrer Position und aufgrund ihrer Intonation im Kirchenraum einen eher kammermusikalischen Charakter hinterlässt, sind vorzüglich geeignet, die virtuosen Parten der Barockgeige in ein geradezu „orchestrales“ Kleid zu betten, ohne dabei aufdringlich oder dominant zu wirken. Bei vielen Einspielungen der Rosenkranzsonaten werden oftmals kleine Truhenorgeln mit wenigen Registern bzw. ein Cembalo verwendet, um den kammermusikalischen Charakter der Werke herauszustreichen. Die große Trost Orgel hingegen bietet nun dem Organisten Knebel die idealen Voraussetzungen, um auch aufgrund der Musizierpositionen des „Spielens in die Orgel“ die barocke Praxis des gemeinsamen instrumentalen Musizierens mit der großen Orgel ideal zu demonstrieren. Somit wird, neben den vielen anderen Einspielungen mit Orgelliteratur, die Eignung dieser schönen Orgel als Kammermusik-Partnerin hervorragend beleuchtet. Dass dabei neben den Gedacktregistern auch die zahlreichen Streicher, Principale, Flöten und auch zarte Zungen zur Verwendung kommen, zeigt die vielseitigen Spielarten der barocken Continuo-Praxis auf das Schönste.

Diese Einspielung der glorreichen Rosenkranzgeheimnisse bildet also aufgrund des makellosen Spiels von Anne Schumann und der Leistung des Organisten Knebel, sowie der herrlichen Trost-Orgel einen würdigen Abschluss dieser Reihe.


Thomas Haubrich
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / Februar 2018


Missa brevis

Komponist: Stefan Arason
Besetzung: SATB a cappella
Verlag: Cantando Musikkförlag


Die für die Skálholt Summer Concerts komponierte und von Ensemble Hljómeyki uraufgeführte Missa brevis von Stefán Arason besteht aus den üblichen Teilen des Ordinariums, allerdings ohne Credo. Sanctus und Benedictus sind in einem Satz zusammengefasst. Die Aufführungsdauer sind etwa 12 Minuten, so kann das Stück auch gut im Gottesdienst eingesetzt werden.

Die sehr dicht gesetzte Faktur der einzelnen Sätze erfordert ein gut geschultes Ensemble, dass sich auch dissonante Klänge über lange Strecken zutraut, so haben Alt und Tenor im Kyrie über 40 Takte die Sekundreibung b-c zu summen. Selbst der Chor der Uraufführung schafft das nur mit Mühe, wie im Youtube-Video zu hören ist. Im Gloria hat der Sopran über weite Strecken nur den Ton d‘‘ zu singen, auch hier bietet es sich an, vorher eine Fürbitte an den Hl. Intonatius zu senden.
Die Stimmen teilen sich das ein oder andere Mal und auch rhythmische Sicherheit ist sehr hilfreich, wenn auch die häufigen Taktwechsel oftmals mit der Wortbetonung einher gehen.

Klanglich gibt das Werk eine interessante Wirkung, die sicher in größerer Akustik deutlicher hervortritt.
Ein abwechslungsreiches Werk, das sicher nicht jeder Kirchenchor aufführen sollte. Bei sauberer Intonation und guter rhythmischer Gestaltung aber sicher eine lohnende Alternative für versierte Chöre.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / Februar 2018


Northern Baroque - Sweelinck, Buxtehude & Co

Interpreten: Fabien Moulaert (Schnitger-Orgel St. Jacobi); Zsuzsi Tóth (Sopran)
EAN: 4039956915041
Label: Coviello Classics


Orgelmusik der vorgenannten niederländischen und norddeutschen Komponisten wird in dieser neuen CD in den zeitgeschichtlichen Kontext gestellt mit Vokalwerken von Heinrich Schütz und Dieterich Buxtehude. Dabei werden die Orgelwerke an der Schnitger-Orgel von Sankt Jacobi in Hamburg gespielt, der Continuopart der Vokalwerke wird an der schönen Thomas-Orgel in Hoogstraten ausgeführt.

Moulaert spielt an der Hamburger «Schnitgerin» Variationen, Präludien und und Choralvorspiele von Sweelinck, Scheidemann und Buxtehude, und die kantabel und apart agierende Sopranistin Zsuzsi Tóth interpretiert mit klarer und Vibratofreier Stimme von Schütz «O süßer, o freundlicher Herr Jesus», «Eile mich, Gott, zu erretten» und Dietrich Buxtehudes Trauergesang auf dem Tod seines Vaters («Klag-Lied»). Dabei kommt beispielsweise dem Continuopart zugute, dass - im Gegensatz zu einem kleinen Truhenpositiv - an der Orgel in in Hoogstraten auch stark grundtönige Registrierungen mit Prinzipal 8 Fuß, unterstützt vom Pedal Subbass 16 Fuß möglich sind, und somit dem Gesang die nötige Gravität verleihen. Moulaert nutzt in den Orgelwerken die herrlichen Register der Schnitger-Orgel in immer neuen, farbigen Kombinationen, und stellt so die vielfältigen Qualitäten dieser großen hanseatischen Barockorgel heraus.

Das sorgfältig gestaltete Textheft rundet den überaus positiven Gesamteindruck dieser neuen Veröffentlichung ab.


Thomas Haubrich
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / Februar 2018

Biber: Rosenkranz-Sonaten Folge 2 "Die schmerzreichen Geheimnisse"

Interpreten: Anne Schumann (Barockgeige); Sebastian Knebel (Rommel-Orgel Kaltenlengsfeld)
EAN: 4025796015065
Label: Querstand


Heinrich Ignaz Franz Biber tritt erst allmählich aus dem Schatten berühmterer Zeitgenossen bzw. Barockkomponisten wie Buxtehude oder Bach hervor. Dabei hat er ein durchaus interessantes Oeuvre hinterlassen, das von gigantischen mehrchörigen Messen bis zu, für seine Zeit geradezu herausragend avantgardistischen Kammermusik Sonaten reicht.

Mit den umfangreichen Rosenkranz-Sonaten hat er z.B. auf dem Gebiet der Geigenmusik ähnlich Epochemachendes geleistet, wie Johann Sebastian Bach mit seinen Solowerken für Violine oder Cello. Die Barockgeigerin Anne Schumann und der in historischer Aufführungspraxis bewanderte Organisten Sebastian Knebel legen nun hiermit die zweite Ausgabe ihrer Gesamteinspielung der Rosenkranz-Sonaten vor, wobei sie die Barockorgel von Kaltenlengsfeld als Continuo-Instrument verwenden. Die historische Rommel-Orgel bietet mit ihrer Vielzahl an farbigen Grundstimmen dem Organisten Knebel mannigfaltige Variationsmöglichkeiten, um eine abwechslungsreiche und spannende Begleitung auszuführen. Dabei kommt den Interpreten die frontale Altarstellung der Orgel, sowie die eher kammermusikalische Akustik der relativ kleinen Kirche zugute, damit die Details des interpretatorisch und musikalisch über jeden Zweifel erhabenen Spiels der beiden Interpreten eins zu eins umgesetzt werden können, und keine noch so kleine Nuance verlorengeht.

Neben den fünf Sonaten der schmerzreichen Rosenkranzgeheimnisse spielt Knebel die Ciacona in d von Pachelbel, in der er das Plenum der Orgel vorstellen kann. Die gesamte Spielzeit der CD ist mit 45 Minuten zugegebenermaßen etwas gering - hier hätte man durchaus noch ein weiteres Orgelwerk, z.B. eine Variationenfolge von Pachelbel zur Demonstrationen der Einzelstimmen zugeben können.


Thomas Haubrich
für www.notenkeller.de - Juni 2017 / Februar 2018

Der Flötenvogel

Bestellnummer des Verlages: N2070
Verlag: Heinrichshofen


Eine Sopranflötenschule für die Jüngsten. Teil 1

Der vorliegende erste Band der Blockflötenschule „Der Flötenvogel“ von Hildegard Theisen stammt aus dem Jahre 1989 und das merkt man dem Heft auch an. An der Herangehensweise des Lernens der einzelnen Töne ist sicher nicht viel auszusetzen, allerdings wirken manche Lieder und Übungen etwas „altbacken“, bekannte, einfache Melodien finden sich erst im letzten Bereich des Heftes.

Schulkinder lernen heute zunächst Druckschrift, davon kann man halten, was man will, aber die kompletten Spielanweisungen in „Schreibschrift“ abzudrucken, scheint eher hinderlich zu sein, wenn auch die Sprechblasen mit dem kleinen gelben „Flötenvogel“ recht ansprechend wirken.
Das große Notenbild ist übersichtlich, teilweise aber etwas unglücklich von der Textverteilung der Lieder, da verrutschen die Noten leicht gegenüber einem guten Notensatz.

Merkwürdig sind manche Bezeichnungen, die nicht den Konventionen entsprechen, da ist z.B. von Einschlagnote (für Viertel) und Zähleinheiten die Rede oder das „b“ wird zusätzlich durch einen senkrechten Strich durch die Note gekennzeichnet. Warum lernt man nicht gleich, die gängigen Begriffe und Zeichen? In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass sowohl die immer unsaubere „deutsche“ Griffweise neben der „barocken“ gelehrt wird. Auch hier die Frage: Warum erst etwas „falsches“ lernen?
Für den Gruppenunterricht fehlen leider auch leichte mehrstimmige Stücke, wie sie in neueren Schulen schon sehr früh eingesetzt werden um gegenseitiges Hören zu unterstützen.
Die Grifftabelle ist aus der Sicht des Schülers notiert, das mag den Kindern helfen, verwirrt aber, wenn man zusätzliche Spielmusiken hinzuzieht, die eine „Draufsicht“ als Grifftabelle anbieten. Für Schreibübungen zum Notenschlüssel oder verschiedenen Noten ist leider wenig Platz gelassen, sodass ein zusätzliches Notenheft benötigt wird.
Am Ende des Bandes sollen die Töne von c1-c2 incl. b1 gespielt werden können, zur Übung sind einige Lieder in verschiedenen Schwierigkeiten beigegeben.

Eine moderne Blockfötenschule sieht sicher anders aus, als Ergänzung zum Vertiefen des Gelernten sind zwingend weitere Übungstücke notwendig. Ob die „Kompositionen“ der Übungsstücke heute noch die „Jüngsten“ hinter dem Ofen vorlocken, sei dahingestellt. Einige beigegebene pädagogische Hinweise sollen dabei helfen.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - Mai 2017 / Februar 2018


Unbekannte Orgelmusik aus Italien aus dem 18 Jahrhundert

Bestellnummer des Verlages: BU 2764
Verlag: Butz


In der Vergangenheit sind bereits 4 Hefte mit dem gleichnamigen Titel erschienen. Herausgegeben hat sie seinerzeit der Bozener Domorganist Herbert Paulmichl, der damit schon eine sehr erfreuliche Großtat begangen hat. In diesen Heften wurden bereits Werke bekannterer Komponisten aus den italienischen Land veröffentlicht, die an Spielfreude und Einfallsreichtum kaum zu überbieten sind. Allerdings bedarf es auch hier einer gewissen Improvisationskunst, und Kenntnisse der Registrierkunst sind ebenfalls vonnöten, um diese Werke adäquat zu interpretieren.

Nun erscheint als letzter Band, diesmal herausgegeben von Marco Doni, ein mehr als würdiger Abschluß; hier haben wir es mit Komponisten zu tun, die nicht sonderlich bekannt sind: Namen wie Fenaroli, Capranica, Furno, Botti, Valenti füllen mit ihren Werken 70 Seiten. Dazu gibt es hochinteressante Erläuterungen zur Registrierkunst der alten Italiener. Dispositionsbeispiele und ausführliche Biografien der Komponisten, die sich schon sehr an die typisch italienische Opernkunst in ihrem Orgelschaffen heranwagen, fehlen auch nicht. Dabei sind die vorhandenen Stücke nicht unbedingt leicht zu spielen. Gewisse klavieristische Fähigkeiten sind Voraussetzung für die Interpretation dieser Musik, die allemal im Konzert etwas hermacht. Der Applaus hierfür wird dem Intepreten sicher sein. Und wer es wagt, sollte es auch einmal im Gottesdienst damit versuchen: als Vor- und Nachspiele sind sie allemal geeignet und die ruhigeren Sätze sind bei entsprechener Registrierung wunderbare Meditationen.

Dieser Band ist ein Muß für den Liebhaber der spielfreudigen Musik der Mozartzeit.


Reinhard Kluth
für www.notenkeller.de - Mai 2017 / Januar 2018


Baroque Cantatas from Gdansk

Interpreten: Goldberg Baroque Ensemble, Andrzej Szadejko
EAN: 0760623198965
Label: MDG


Mit dieser CD eröffnet das Label MDG eine neue Reihe „Musica baltica“, in der zunächst Danziger Kantaten aus dem 17. und 18. Jahrhundert aus dem reichen Schatz der Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften ihren Platz finden. Andrzej Szadejko hat aus den Hunderten von Handschriften aus den Beständen von St. Johannis und St. Katharinen – das Archiv der Marienkirche ging bereits im 19. Jh. verloren – sieben Kantaten von Johann Valentin Meder (1649 – 1719), Johann Jeremias Du Grain (c 1700 – 1756), Johann Balthasar Freislich (1687 – 1774) und Johann Daniel Pucklitz (1705 – 1774) ausgewählt.

Der Booklettext von Danuta Popingis teilt einiges Wissenswertes mit, macht aber auch klar, wieviel Forschungsarbeit noch nötig ist, um Fundierteres zu bringen. Freislichs Geburtsjahr ist dabei inkorrekt wiedergegeben, Meder schenkt Popinga gar in Riga, „wo er seinen Lebensabend verbrachte“, eine vermeintlich gute Zeit. In Wirklichkeit wurde er dort (im Alter von 50 Jahren) Musikdirektor, konnte dort aber infolge des Nordischen Krieges seit 1701 nur noch das Amt des Domorganisten ausüben. Schweigen breitet das Booklet auch über Titel und Herkunft des Coverbildes.

Bereits in Meders Michaelskantate beweist das Goldberg-Ensemble, ihm voraus die Solisten Marie Smolka, Franziska Gottwald, Hermann Oswald und Markus Flaig, dass Danzig zur Spitzengruppe barocker Musikzentren gehört hat. Andrzej Szadejkos Hang zu schnellen Tempi kommt der Situation und der sie schildernden Musik entgegen, schier atemlos werden die Sänger, der Hörer muss gar um sie fürchten. Auch in Du Grains Choralkantate zu „Hertzlich lieb hab ich dich, o Herr“ und Freislichs Psalmkantaten (Ps 100 und 73,28) sowie der Kantate „Gott ist die Liebe“ sind die schnellen Tempi berechtigt und verleihen den Kompositionen einen quirligen Esprit. Erst in Pucklitz‘ „Concerti“ zum 22. und 27. Sonntag nach Trinitatis „Kehre wieder, du abtrünniges Israel“ und „Ich will in allen Sachen“ kehrt ein wenig Ruhe ein, zeigt Andrzej Szadejko, dass Spannung nicht nur vom Tempo abhängt. Wunderbar die klar zeichnenden Figuren der Flöten, Oboen, der Trompete und der Violinen, Höhepunkt aber ist die Tenor-Arie „Lass mich, Jesu, dir entgegen / mit dem Licht des Glaubens gehen“, begleitet vom Fagott und der Continuogruppe mit wunderschön gespieltem Violoncello geht der Hörer diesen Weg ganz verzaubert mit. Und wenn es am Schluss dieser „Sterbe“-Kantate machtvoll heißt „Ende gut, alles gut“, so ist das nichts anderes als himmlische Geborgenheit. Das kann man nicht oft genug hören!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2017 / Januar 2018


Heinrich Ignaz Franz Biber "Missa Alleluja"

Interpreten: Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor
EAN: 4015023243255
Label: Accent


Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 - 1704), seit 1670 Mitglied der Hofkapelle des Erzbischofs Max Gandolf von Kuenburg in Salzburg, seit 1684 deren Kapellmeister, schrieb nicht weniger als 10 Messen, außerdem zwei Requien, zahlreiche Violinsonaten, Tafelmusiken und vieles mehr. Sein monumentalstes Werk, die inzwischen gut bekannte Missa Salisburgensis, entstand 1682 anlässlich der 1100-Jahr-Feier des Erzstiftes Salzburg.

Die hier eingespielte Missa Alleluia C-Dur für zwei Vokalchöre zu 4 Stimmen (SATB), 6-stimmigen Streicherchor, zwei fünf-, bzw. siebenstimmige Bläserchören und Continuoinstrumenten wie Theorbe und Orgel schrieb er zwischen 1690 und 1698. Von bescheidener Pracht war in Salzburg damals nie die Rede, dafür brauchte es auch nicht unbedingt ein 53-stimmiges Werk, es ging auch mit 26 Stimmen wie hier, deren satter Sound einfach mitreißend ist, höchst adelig dazu! Biber, 1690 geadelt als „Truchsess Biber von Bibern“, hatte sich zuvor bereits selbst geadelt als einer der größten Violinvirtuosen seiner Zeit, seine Skodaturkünste mit Doppelgriffen, Dreier- und Viererakkorden blieben ziemlich singulär.
Gunar Letzbors Ensemble bleiben Bibers Missa Alleluja nichts schuldig, ihre Freude, die sie an Bibers prachtvoller Messe haben, überträgt sich direkt auf den Hörer. Drei Sängerknaben aus St. Florian geben der Aufnahme einen besonderen Ton, umso genauer hört man hin auf die kunstvollen Klänge aus dem Ende des 17. Jahrhunderts am Hofe der Salzburger Fürstbischöfe.

Ergänzt wird das Programm mit der Kantate „Nisi dominus“ (Psalm 127) für Bass, Violine und Continuo sowie der Bass-Arie „Hic est panis“. Gunar Letzbor spielt hier wie in einer Pastorella den virtuosen Geigenpart mit dem dem Werk und ihm eigenen Verve, der Bassist Gerhard Kenda interpretiert solide und textbewusst.

Wer Biber bisher nur als anspruchsvollen Komponisten für ausgefallene Solo-Violinkünste kennt, der lernt hier einen der bedeutendsten Komponisten des Barock für groß und klein besetzte Ensembles kennen, und das mit Prunk und Gloria!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - April 2017 / Januar 2018


Ockeghem Masses

Interpreten: Beauty Farm
EAN: 4260307437435
Label: Fra Bernardo


Johannes Ockeghem (c 1420 – 1497), einer der grundlegenden Komponisten franko-flämischer Polyphonie, besitzt bis heute einen hervorragenden Ruf, selbst bei denen, die seine Musik gar nicht kennen. Wohl sein berühmtester Schüler wurde Josquin Desprez, der der Kunst Ockeghems nur noch gewichtigere  Ausdrucksstärke hinzufügen konnte. Dieser verkörperte Luthers Ideal eines Komponisten. Und so genießt auch Ockeghem reformatorisches Ansehen im Jubiläumsjahr.

Auf der vorliegenden CD vereint das hochkarätige sechsstimmige Vokalensemble der Beauty Farm, beheimatet in der mittelalterlichen Kartäuse Mauerbach bei Wien - in der Nachbarschaft der seit 1984 hier auch angesiedelten Restaurierungswerkstätte der österreichischen Denkmalpflege - die vierstimmige Missa L’Homme armé und die dreistimmige Missa quinti toni. Unter den 14 überlieferten Messen Ockeghems gilt die Missa L’Homme armé zwar als Frühwerk, beschreibt aber durch die konsequente Verwendung der Themenmelodie und ihre kunstreiche und raffinierte Verarbeitung mit ihren kontrapunktierenden Gegenstimmen bereits einen künstlerischen Höhepunkt des Komponisten. Die Melodie L’Homme armé sollte dannfür weitere rund 40 Messen bis ins Jahr 1600 Vorlage werden. Überraschend klanglich füllig gibt sich die dreistimmige Missa quinti toni, der große Stimmumfang von 2 ½ Oktaven samt der differenzierten kleinteiligen motivischen Verarbeitung lassen diese Musik erstrangig werden.

Das schmale Booklet, das ein völlig unpassendes, für Ockeghem geschmackloses Coverbild zeigt, verweist auf einen deutschen Text zur CD im Internet, der manche Fragen offen lässt. Die sechs Sänger bilden zwar nicht immer ein unbedingt in sich geschlossenes Ensemble, was aber der Erhabenheit der Musik nichts nimmt. Ockeghems Musik nimmt jederzeit gefangen, so gefangen, dass sie die 550 Jahre Musikgeschichte zwischen ihm und dem Hörer heute vergessen lässt.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2017 / Dezember 2017


Josquin Masses

Interpreten: The Tallis Scholars, Peter Phillips
EAN: 0755138104822
Label: Gimell


Mit der CD Missa Di dadi und der Missa Une mousse de Biscaye bringen die Tallis Scholars ihre sechste CD mit Messen Josquins heraus. Dass keine der 18 Messen Josquins irgendwelche Längen haben, beweisen die Topsänger Ton für Ton, im Gedächtnis bleiben sogar längere ausdrucksvolle Passagen einzelner Sätze haften, z.B. aus dem Credo und dem Agnus der Missa Di dadi. Auch wenn die Urheberschaft dieser Messen nicht zweifelsfrei ist, wen kümmert das bei der Meisterschaft der Tallis Scholars? In wunderschöner Balance singt das achtköpfige Ensemble die vierstimmigen Sätze, mit vorbildlicher Diktion wird der Gehalt der Musik lebendig und fasziniert auch noch gut 550 Jahre nach ihrer Komposition.

Im Booklet informiert Peter Phillips genau und sympathisch über die beiden Messen und ihre Chansonvorlagen. Josquin bezeichnet er als Superstar, das war er auch schon in Luthers Augen und Ohren! Nicht minder nimmt er heute gefangen, das beweisen hier die Tallis Scholars aufs Neue. Phillips schreibt, dass die Musik Josquins keine einfache Musik ist, sondern kompliziert, intellektuell und voller Probleme, die eine hohe Herausforderung sind. Die Tallis Scholars machen daraus ein Fest!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2017 / Dezember 2017


Mitten im Leben

Interpreten: Calmus Ensemble, Lautten Compagney Berlin, Wolfgang Katschner
EAN: 4009350834774
Label: Carus


Luther macht sich bei CD-Produktionen selbst nach 500 Jahren noch verdient, verdient hat er es ja auch! Ludwig Böhme und Wolfgang Katschner haben ein 25 Tracks umfassendes Programm erarbeitet, dass sich mit Vorlagen aus dem 16. Jahrhundert in meist selbst, bzw. von anderen  arrangierten Vertonungen beschäftigt.

Die CD beginnt mit dem witzigen „Das Geläut zu Speyer“ von Ludwig Senfl, in dem zeitgleich 5 Sänger auf je ihnen eigenen Tönen ihren zum Gottesdienst ladenden wie stoßseufzenden läuternden Text durchläuten, bis es - nicht ganz fachgerecht – ausgeläutet hat. Ein Spaß, den man gleich ein paar Mal laufen lässt. Kanonisch nach allen Regeln der alten Kunst geht es danach bei Johann Walter mit seiner Weihemusik von Torgau 1544 (Ps 119) zu, lästerlich bei Stephan Zirlers Spottgesang „Ich will fürthin gut päpstlich sein“ und dann ziemlich zeitgenössisch wie geziemend arrangiert bei Melodien und Sätzen aus dem Lochamer Liederbuch, von Orlando di Lasso, Josquin Desprez, gar Martin Luther selbst, Heinrich Isaac, Thomas Stoltzer  u.a. Das hat alles selten etwas mit 1517 zu tun, stammen doch die Vorlagen eher aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, was nichts ausmacht, schließlich kam die Reformation ja auch erst so nach und nach überall an, bei manchen immer noch nicht. So dreht es sich auch mehrheitlich um weltliche Sorgen zwischen Mann und Frau, eigentlich eher Frau und Mann, um Winter und Frühling in jeder Hinsicht, schließlich aber doch auch um Leben und Tod, Krieg und Gottes Segen. Das ist alles sehr unterhaltend und auf höchstem Niveau musiziert, dass es eine wahre Freude ist. Dennoch sind die Arrangements auf die Dauer doch ziemlich gleichartig und in ihrer Stilistik von älteren CDs her bekannt. Um die anfängliche Begeisterung darum aufrechterhalten zu können, kommt am Schluss das Geläut noch einmal.

Nach 76 Minuten hat es nun wirklich ausgeläutet. Es bleibt die Erinnerung an spaßhafte und ernste Vorlagen, die in ihrem eigenen musikgeschichtlichen Umfeld sicher nicht so perfekt, aber doch noch direkter, frecher wie frivoler zu hören waren. Und wohl auch wären.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2017 / November 2017


Luther im Kontext

Herausgeber: Michael Klaper
ISBN: 978-3-487-15484-8
Verlag: Olms


Der Band mit dem Untertitel „Reformbestrebungen und Musik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, erschienen als Bd. 95 der Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, beinhaltet die Referate des Symposions „Luther im Kontext“, das im September 2012 in Weimar stattgefunden hat.

Die neun Aufsätze beschäftigen sich mit Luthers Musiktheologie und –theorie (Carl Bear und Rob C. Wegman), dem theologischen Wert von Musik im 16. Jh. (Patrick Gilday), Melanchthons Anteil an der lutherischen Musikauffassung (Ing Mai Groote), Reformation und Tanz (Marie-Thérèse Mourey), mit dem katholischen Kirchenlied der Zeit (Franz Karl Prassl), der Kirchenmusik in Breslau (Allen Scott), mit dem Konzil von Trient (Peter Walter) und mit der Schul- und Adjuvantenkultur (Dorlies Zielsdorf).

Das bisher viel zu wenig beleuchtete Werden und Wirken protestantischer Musik im 16. Jahrhundert erfährt mit diesen Themen einen Anschub, der hoffentlich in Zukunft Fahrt aufnimmt. Bisherige Musikwissenschaft ging in der Regel von den Kompositionen oder bestimmten Ereignissen der Zeit aus, beschäftigte sich aber kaum mit der Praxis der Musikein- und –ausübung im 16. Jh. und der sozialen Infrastruktur. Hier bringt jeder Aufsatz ein wenig Licht in dieses Forschungsfeld, beginnend mit der Schwierigkeit, dass die Reformatoren in den verschiedenen Ländern sich nicht unbedingt auf direkte Leitlinien Luthers berufen konnten, entwickelte der doch selbst durchaus teils widersprüchliche Standpunkte (NB Eine Zusammenfassung von Luthers Musiktheologie existiert darum wohl bis heute nicht). Erleuchtend ist es, wenn die gottesdienstliche Musik der Kalandgesellschaften in Bezug gesetzt wird zu den Adjuvantengesellschaften oder die Entwicklung der katholischen Liedpraxis als selbstständige Entwicklung erklärt wird anstelle einer „Gegenreformation“.

Schade, dass es nicht gelang, alle Beiträge ins Deutsche zu übersetzen. Jedenfalls müssten wohl noch viele derartige Symposien stattfinden, um mehr Licht ins dunkle Geschehen des 16. Jahrhunderts zu bringen und so die Entwicklung protestantischer liturgischer Musik zu erklären. Was vor Ort bereits häufig geleistet worden ist, bedarf unbedingt einer generellen Zusammenführung.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2017 / November 2017


Johann Staden - Motetten

Interpreten: Windsbacher Knabenchor, Concerto Palatino, Capella de la Torre, Martin Lehmann
EAN: 0888750429421
Label: DHM


Johann Staden (1581 – 1634) dürfte nur wenigen als das bekannt sein, was er war: bedeutender Organist in Bayreuth, Kulmbach und Nürnberg, Orgelsachverständiger zusammen mit Michael Praetorius, Schütz und Scheidt 1619 in Bayreuth, dazu einer der ersten, die nach italienischer Manier den Basso continuo in Deutschland gebrauchten ((Harmoniae sacrae, 1616) und sich deshalb genötigt sah, dafür eine Schule zu schreiben („Kurtzer vnd einfältiger bericht / für die jenigen / so im Basso ad Organum vnerfahren / was bey demselben zum theil in acht zunemen“, 1626), Komponist zahlreicher umfangreicher Sammlungen von weltlichen und geistlichen polyphonen Liedern und großbesetzten Motetten, „Director musices“ der Nürnberger Stadt- und Kirchenmusiker von 1618 bis zu seinem Tod während einer Pestepidemie.

Unter seinen Zeitgenossen z.B. Michael Praetorius, Melchior Franck, Michael Altenburg, Girolamo Frescobaldi, Orlando Gibbons, Schütz, Schein, Scheidt, Tobias Michael und Johann Crüger nimmt er einen ebenbürtigen Platz ein, bisher aber leider nur einen verborgenen Platz, was wieder einmal beweist, wie punktuell und ungerecht unsere Musikwissenschaft arbeitet. An Selbstbewusstsein hat es ihm denn auch nicht gefehlt: „Italiäner nicht alles wissen, Teutsche auch etwas können.“

Hans-Gerhard Dürr hat sich die Mühe gemacht, aus den erhaltenen Stimmen im Archiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg eine moderne Neuausgabe der Kirchenmusic I von 1625 herzustellen, die Windsbacher haben die Partitur mit Hilfe der ION klingend aufbereitet und umgesetzt.
Die 15 Motetten umfassen Psalmen, ein Magnificat, Hymnen, Bibel- und Gebetstexte, gesetzt für 2 bis 14 Stimmen in bis zu drei Chören. Martin Lehmann hat sie unterschiedlich in St. Lorenz, Nürnberg, positioniert, so dass sie auch auf der Aufnahme unterschiedlich nah und fern zu hören sind. Die Pracht, die die beiden Instrumentalensembles bestens abgemischt zu dem in bester Verfassung singenden Knabenchor entfalten, ist nicht nur der freien Kaiser- und Reichstagsstadt würdig, diese Klangpracht gepaart mit profunder Beherrschung versteht auch den heutigen Zuhörer bis ins Herz zu bewegen. Staden versteht sich nicht nur auf die venezianische Kunst des Concertierens mit unterschiedlich besetzten Chören, Einzelheiten malt er so plastisch aus, als wäre es Programmmusik etwa beim Sanctus, deren zwei Seraphim zweistimmig zum großen Geschrei des Heilig führen. Was damals bildlicher Ausdruck protestantischen Glaubens sowohl in den Haushalten Nürnberger Patrizier als auch bei offiziellen Anlässen der Stadt oder gar des Reiches war, Stadens Musik bildet heute das Fundament für eine gute protestantische Tradition in Haus, Stadt und Land.

Das Cover zeigt, was läge näher, den berühmten ‚Behaimschen Spinettdeckel’ aus dem GNM, wo der „Haus-Musikmeister“ Johann Staden am Claviorganum (ein Kombinationsinstrument von Truhenorgel und Spinett) sitzt, umgeben mit auch musizierenden Mitgliedern der Familie Behaim und einigen „Rats-Musici“; rechts daneben sind auch die am Bau des kunstvollen Claviorganum beteiligten Instrumentenmacher sowie der Maler dargestellt. Eine vorbildliche Szene, an der sich die Gegenwart ein Beispiel nehmen könnte, auch das ansonsten gute betextete Booklet, das zwar alle Namen der Vokalsolisten nennt, aber die der Instrumentalisten verschweigt.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2017 / November 2017


buxtehude_21 on the bridge

Interpreten: Franz Danzsagmüller / Bernd Ruf
EAN: 4260213912019
Label: GP Arts


Tunder, Buxtehude, Händel, Bach

Mit Live-Electronic, Orgel und Sopran-Saxophon gehen die beiden Akteure den barocken Vorlagen (BuxWV 149, BWV 565, Bruhns große e-Moll, Tunder An Wasserflüssen, und Händel HWV 366) auf den Grund und versuchen so, den Abstand zum 21. Jahrhundert zu „überbrücken“. Modern wirkt schließlich beides, ein paar Takte unverstelltes Barock - das man nicht von 350-jähriger Patina befreien muss, wie der Werbetext suggerieren möchte -  und viele Takte elektronisch und jazzig Angereichertes - neu wirkt beides heutzutage nicht mehr. Was nicht daran liegt, dass Ruf und Danksagmüller da nichts einfallen würde, sondern schlicht daran, dass die musikalischen Mittel ganz offenbar erschöpft sind. Trotzdem, wer nach einem Klanggewand sucht, welches Barockmusik neu aufbereitet, ist hier recht gut, wenn auch speziell, bedient, gerade der Beginn der CD lässt aufhorchen mit seinem Urgrund von Klang und Klangwerden (Vorbild: Beethoven und Beatles). Die Klänge gehen da zwingend ins Ohr, schade, dass ähnlich Zwingendes nicht mehr folgt. Und wenn das Saxophon über lange Strecken den Cantus coloratus bei Tunder übernimmt, dann beginnt das sogar zu nerven.

Ein Booklet, in dem ein wenig Philosophie zum eingespielten Klangereignis hätte stehen können, gibt es leider nicht. Nur ganz klein ist zu lesen, mit welchen Instrumenten (St. Jacobi Lübeck) die Aufnahme stattfand – eigentlich ja auch unwichtig, da die Verfremdung eben keine Orgeln porträtieren will, obwohl das bei diesen beiden jedenfalls gerechtfertigt wäre. Eine CD, die nur mäßig überrascht und damit eine exakte Momentaufnahme der Situation von heutiger Musikproduktion darstellt.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2017 / November 2017


Ein feste Burg ist unser Gott

Interpreten: Vox luminis, Lionel Meunier, Bart Jacobs
EAN: 5400439001527
Label: Ricercar


„Luther und die Musik der Reformation“, so der Untertitel dieser CD-Edition, macht auch im katholischen Belgien Furore. Das Vokal-Ensemble „Vox luminis“ unter seinem Leiter, dem Blockflötisten, Trompeter und Bassisten Lionel Meunier hat eine Anthologie eingesungen mit Werken von angefangen bei Balthasar Resinarius, Johann Walter und Caspar Othmayr bis hin zu Andreas Hammerschmidt und Christoph Bernhard.

Die CD I widmet sich Kompositionen nach dem Kirchenjahr geordnet, die CD II bringt liturgische Gesänge aus der Vesper, dem Ordinarium Missae, zum Katechismus, einem „deutschen Requiem“ und beschließt beziehungsreich mit Othmayrs „Verba Lutheri ultima“. Bart Jacobs, Titularorganist der Kathedrale in Brüssel, oder die Japanerin Haru Kitamika stützen den Chor mit einem Orgel-Continuo, Jacobs trägt zudem noch Orgelsoli von Steffens, Hieronymus und Michael Praetorius, Scheidt, Siefert, Scheidemann und Strungk bei, gespielt an der neuen Orgel in der baskischen Stadt Ciboure (Thomas (B),  2016, III/40).

Die Aufnahmen bringen die aus der Reformation gewachsene grandiose Musik vornehmlich aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ebenso makelloser Grandiosität. Das elfköpfige Ensemble singt, meist in solistischer Besetzung, mit absolut reiner Intonation und deutlicher Aussprache, so dass jedes Stück wie eine Neuentdeckung herüberkommt. Zwar fragt man sich, warum nur die Orgel mitspielen darf, schließlich waren Streicher und Bläser in der reformatorischen Praxis auch immer vertreten, allerdings vermisst man sie hier ob des vollendeten Wohlklanges nicht. 

Das umfangreiche Booklet, aus dessen Taschen die CDs nur mühsam herauszubringen sind, verschweigt bescheiden alle Informationen zu den Ausführenden, zum Orgelbauer und zu den Registrierungen, datiert dafür die Aufnahme aber ins Jahr 2018. Hoch interessant ist, wie hier aus katholischer Sicht von der Reformation erzählt wird (Jérome Lejeune, Musikwissenschaftler in Lüttich, Gambist und Gründer des Labels RICERCAR). Zuweilen ist der Text getrübt durch Fehlinformationen, so z.B. „Dresden, deren Hof katholisch geblieben war, während die Kirchen der Stadt protestantisch wurden“ oder „besteht die wichtigste Aufgabe des Organisten darin, die von den Gläubigen gesungenen Choräle zu begleiten“ oder der Ausschluss des Credos aus der Messordnung. Die wohl ziemlich wörtliche Übertragung ins Deutsche ist auch nicht unbedingt ein Glanzpunkt.

Das aber schadet der Wiedergabe der Musik  überhaupt nicht. Das Ziel, reformatorische Musik glanzvoll wieder auferstehen zu lassen, ist weit übertroffen. Die missionarische Bedeutung der eingespielten Texte, vor allem der aus dem Katechismus, ist dabei, so ganz nebenbei gesagt, auch heute noch hoch aktuell, Ecclesia (= Gemeinde) semper reformanda est, auch und immer wieder mit Musik aus den ersten Jahrhunderten nach der Reformation!  


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2017 / November 2017


Weihnachten aus dem Berliner Dom

Interpreten: Staats- und Domchor Berlin, Lautten Compagney, Kai-Uwe Jirka
EAN: 0889853156122
Label: Sony


Der Berliner Dom von 1905 im Schneegewand, Glockengeläut, aus dem sich Gregorianik löst, ein in die letzten Klänge von Praetorius‘ In dulci jubilo gemischter vielsprachig gesprochener frommer Weihnachtswunsch, und zwischen diesen Peinlichkeiten hochkarätig musizierte Weihnachtsmusik meist Berliner Provenienz aus dem 15. und 16. Jahrhundert.

Die volkstümliche hohe Kunstmusik dieser Zeit von Johann Walter, Johannes Eccard, Michael Praetorius, Johann Crüger u.a. sah nicht unbedingt eine festgelegte Instrumentierung vor, und so führt denn auch Kai-Uwe Jirka bei den Strophenliedern mit wechselnden Besetzungen ein reiches Klangspektrum vor ohne jede Wiederholung. Zu seinen beiden großen Ensembles treten noch Hanna Herfurtner, Sopran, Jan Kobow, Tenor, und Knabensolisten, deren hervorragende Ausbildung ein Extralob verdient.

Crügers „Nun komm der Heiden Heiland“, Eccards „Übers Gebirg“, Praetorius‘ „Es ist ein Ros“ und „In dulci jubilo“ sind zwar absolute Weihnachtsrenner, hier aber klingen sie wie neu aus der Retorte geschlüpft, klasse musiziert und – echt! Absoluter Höhepunkt ist wohl Crügers Magnificat quarti toni, Mariens Dankjubel mit erheblichen sozialen, ewig aktuellen  Forderungen, dieser Jubel kommt bei Gott und den Menschen direkt an! Die Berliner Lautten Compagney, beteiligt auch mit mehreren rein instrumentalen Vorspielen, hilft dem großen Vokalpartner so manches Mal zu einsamen dynamischen Höhepunkten, geht aber mit den instrumentalen Oberstimmen der Crüger-Choräle dynamisch unter bei der mächtigen und lustvollen Prachtentfaltung des Chores.

Peter Uehling, Kirchenmusiker und Publizist für die Berliner Zeitung, steuert einen profunden und begeisternden Booklettext bei, so recht die rechte Weihnachtsfreude! Irren tut er allerdings beim Entlassungsgrund von Michael Praetorius aus Wolfenbütteler Diensten. Praetorius wurde nicht gekündigt wegen steter Abwesenheit, vielmehr legte sein Herzog Friedrich Ulrich nur Wert aufs Tafeln, noch nicht einmal auf Musik dazu, er war unfähig sein Land und Haus zu regieren. Da war Praetorius woanders lieber gesehen, sinnvoller aufgehoben und verdienter entlohnt.

Zusammen gesehen also eine CD, die Freude macht und zum Grund des Weihnachtsfestes zurückführt. Und das auf einem hohen künstlerischen Niveau und mit Lust und Laune und Liebe musiziert. Wirklich schade, wenn man sie nur an Weihnachten hören sollte!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2017 / November 2017


Dresden Passion

Interpreten: Cappella Sagittariana Dresden, Norbert Schuster
EAN: 4037408061216
Label: Rondeau


Die CD bringt die „Historia des Leidens und Sterbens unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Marcum“ (1668) des Dresdener Kapellmeisters Marco Gioseppe Peranda (c1625 – 1675), dramaturgisch bereichert mit der Symphonia aus den „Sieben Worten“ von Schütz und Geistlichen Konzerten von Christoph Bernhard (1628 – 1692), Peranda, Schütz, Anton Colander (1590 – 1621, um 1616 Hoforganist in Dresden) und Samuel Seidel (1615 – 1665, Kantor und Organist in Glashütten).
Peranda kam 1651 als Altist nach Dresden, 1661 wurde er Vizekapellmeister, und 1663 Kapellmeister als Nachfolger von Vincenzo Albrici. Nachdem Christoph Bernhard seine Stelle in Hamburg angetreten hatte, erhielt er (bis zu seinem Tode Katholik) 1672 als Nachfolger von Heinrich Schütz die Stelle des Hofkapellmeisters in Sachsen. Für die neue Ordnung der Hofgottesdienste, die in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts erlassen  wurde und bis 1697 galt, als Kurfürst Friedrich August zum Katholizismus konvertierte, schrieb Schütz seine drei Passionen. Peranda erhielt den Auftrag, im gleichen Stil die vierte zu ergänzen, da Schütz mit seinem Schwanengesang beschäftigt war.
Da in guter Sitte die Instrumente in der Karwoche schwiegen, ist Perandas Markus-Passion unbegleitet, er verwendet einen gleichbleibenden Lektionston, der erst nach dem Tod Jesu‘ etwas differenzierter gestaltet ist. Die Rahmenchöre und Turbae sind dagegen fast modern zu nennende polyphone Sätze mit eingehender Melodik und Harmonik.

Norbert Schuster hat diese Passion angereichert im spätbarocken Sinn einer oratorischen Passion mit betrachtenden Geistlichen Konzerten zeitgleicher Dresdener Provenienz. Das ist inhaltlich sehr gut gelungen, musikhistorisch natürlich sehr mutwillig zu nennen. Auf diese Weise kommen aber auch alle Instrumentalisten der Cappella Sagittariana zum Zuge und die Vokalsolisten bekommen eigene prägnante Aufgaben. Die Passionslese wird so zu einem richtigen Gottesdienst, indem der Part einer antwortend gläubigen Gemeinde hinzugefügt ist.

Von vorn bis hinten ist das alles höchst engagiert musiziert, dem Hörer tut es gut, die Passion auf diese Art und Weise wieder einmal zu hören! Wenn auch manche barocken Texte, Spiegel der damaligen Zeit, heute nur schwer nachzuvollziehen sind, so ein Text wie „Ich bin die Ursach und Plage deines Leidens“, so vorgetragen wie hier, geht unter die Haut und trifft des Glaubens Kern. Leider kommen nicht alle Texte so klar herüber, weil die Vokalisten der Cappella die Schlusskonsonanten oft vernachlässigen, ein immer wieder hörbares Übel unserer Tage. Auch die Gestaltung der einstimmigen Passagen leidet darunter, auch am Tempo mangelt es hier, wenn die Dramatik des Geschehens es eigentlich verlangt.

Ein gut instruierender Begleittext von Christoph Koop macht das ebenso gut bebilderte Booklet zu einer kleinen Vorlesung in Sachen Peranda-Passion. Diese CD-Edition ist genau die richtige für einen erfüllten Nachmittag eines Karfreitags!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2017 / November 2017


Johann Adam Reincken - Harpsichord Music

Interpretin: Sonja Kemnitzer
EAN: 0760623192864
Label: MDG


Ein Hit sind Reinckens Cembalowerke offenbar nicht, sind doch derzeit nur zwei Einspielungen auf dem CD-Markt greifbar. Verschwindend wenig ist sowieso vom kompositorischen Werk des Hamburger Katharinen-Organisten überliefert, davon ist dank der Bach-Episode von 1721 die Choralphantasie „An Wasserflüssen Babylon“ schon fast überrepräsentiert.

Umso wichtiger ist da die Einspielung der Kölner Cembalistin Sonja Kemnitzer, die sich hier drei von acht Suiten, der drei Toccaten und der berühmten Partite diverse sopra l’Aria "Schweiget mir vom Weiber nehmen", hier eingespielt nach der Apel-Ausgabe von 1967, angenommen hat. Wohl geläutert durch ihren Unterricht in Frankfurt und Detmold wirkt ihr Spiel akademisch gelehrt, in jedem Fall richtig und einfühlsam, aber auch einfallsreich gekonnt in der Gestaltung der Tempi und Verzierungen, der alte Meister spricht förmlich abgeklärt aus diesen Klängen. Dennoch hätte sich der Rezensent noch ein wenig mehr Pep im Zugriff gewünscht, die Toccaten bieten da ja genügend Gelegenheiten.

Das klangschöne Cembalo, eine Arbeit von Lutz Werum aus Radevormwald von 1998, ist lediglich im Bassbereich etwas zurückhaltend, trägt die Aufnahmetechnik im Konzerthaus Marienmünster hier die Verantwortung? Der Booklettext von Sonja Kemnitzer bringt alle nötigen Informationen, dankbar ist man besonders für die Wiedergabe des wahrhaft-amüsanten Textes der Aria. So ist die CD ebenso lehrreich für das Repertoire wie für die Gestaltungsweise.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2017 / November 2017


Luther in Worms

Interpreten: Rheinische Kantorei, Concerto Köln, Leitung: Hermann Max
EAN: 0761203754021
Label: cpo


Als Luther ein deutscher Nationalheld war, als sich das gerade vereinigte Deutsche Reich preußisch-protestantisch definierte, als Antisemitismus dazugehörte, als fehlendes nationales Selbstbewusstsein endlich kompensiert werden konnte und musste, da schrieb der Kirchenhistoriker Wilhelm Rossmann (1832 – 1885), Privatdozent für Reformationsgeschichte in Jena, für den damals in Dresden als Privatdozent am Konservatorium arbeitenden Ludwig Meinardus (1827 – 1896) seinen Text für dessen Oratorium „Luther in Worms“. Der Ostfriese Ludwig Meinardus war besessen von dem Berufswunsch eines Musikers, erfüllen konnte er sich ihn als Leiter der Singakademie in Glogau, nach seiner Dresdener Zeit als Musikkritiker in Hamburg, als Autor von Künstlerbiographien, z.B. von Mozart, „der sein Deutschtum überall hochhielt“, und schließlich als Leiter des Chores der Betheler Zionskirche in der Bodelschwinghschen „Anstalt für Epileptische“. Die Uraufführung fand 1874 mit Unterstützung des Katholiken Franz Liszt in Weimar statt, über 300x soll es um 1883 zum 400. Geburtstag Luthers aufgeführt worden sein. Hermann Max hat es wiederentdeckt und rechtzeitig zum anstehenden Lutherjahr wieder ins Gedächtnis gerufen.

Im ersten Teil des Oratoriums ziehen die Pilger mit Luther nach Worms, natürlich Luther-Choräle singend, der andere Halbchor schickt Bittgesänge gen Himmel. Zwischendurch werden Nonnen, darunter Katharina von Bora, von ihren Klagegesängen hinter den hohen Mauern eines Klosters erlöst. Dabei sind Justus Jonas, humanistischer Erfurter Rektor und Reformator von Wittenberg u.a. und Marta, die ihren Helden eliasgleich anhimmelt. Der sammelt seinen Zweifel an seinem Erfolg in einer Arie, seine Bitte um Gottes Hilfe bestätigt der Pilgerchor mit großer Andacht. Schon naht sich der Versucher in Gestalt des Beichtvaters Glapio des Kaisers, den Luther mit den Worten „Hebe dich von hinnen!“ wieder fortschickt. Und schon naht sich der Chor der Ritter unter Ulrich von Hutten, um freies Geleit zu garantieren. Luther sieht sich genötigt darauf hinzuweisen, dass Gottes Wort eine schärfere Waffe ist als alle Teufel führen.

Im zweiten Teil besingt Kaiser Karl V. zunächst seine Aufgabe vor dem Reichstag, die Anhänger Roms und die Luthers streiten wechselweis. Der Kaiser verlangt wiederholt eine kurze, schlichte Antwort Luthers, der tut‘s nach einigen höflichen Floskeln mit seinen nicht bestätigten Worten „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.“ Wieder streiten die Anhänger Roms und die Luthers wechselweis, Kurfürst Friedrich der Weise gar sowie Katharina, Marta und Luther beschwören den Kaiser, die deutsche Nation vom Römerjoch zu befreien, Glapio verflucht den Leib Luthers. Da kann Katharina nicht mehr anders und besingt Luthers Haltung als ein augenscheinliches Wunder, Marta besingt den Schoß, der Luther getragen hat, und alle singen „Ein feste Burg“.

Das alles ist dramatisch an vielen Stellen vor allem bei den Chören und Arien gekonnt, an wenigen Stellen vor allem bei den orchestral besetzten Rezitativen aber auch etwas gesucht vertont. Maßgeblichen Anteil an der gelungenen Aufnahme haben auch die nicht weniger als acht Solisten – hervorzuheben sind Matthias Vieweg als Luther und Markus Flaig als Glapio und Kurfürst Friedrich der Weise, die doppelchörig besetzte Rheinische Kantorei, die ein wenig mehr Stütze durch die Aufnahmetechnik verdient gehabt hätte, und das triumphal spielende Concerto Köln. Wenn das Sujet nicht so peinlich wäre, könnte man das Oratorium unter die großen seiner Zeit einreihen. Die Musik folgt dem Text mitreißend, gebraucht ohne Scham natürlich auch alle verfügbaren Plattitüden, was hier aber gar nichts schadet.

Der ausgezeichnete Booklettext von Ulrich Kahmann liest sich so informierend, wie er nur sein kann, wenngleich die Punktgröße am Rande des Lesbaren angesiedelt ist. Die CD kann nur empfohlen werden, obwohl dieses Oratorium nur demonstriert, auf welch hohem Niveau man sich verirren kann. Wer gar die Gelegenheit hat, dieses Werk im kommenden Jahr wieder aufzuführen, dem sei nur dazu geraten (Verlag Noetzel). Als mahnendes Beispiel, wie sich früher viele guten Glaubens und ohne Vernunft nach rechts zur Geschichtsverklitterung verirrten, mag es ein gutes Beispiel für viele unserer Zeitgenossen sein, die ähnliches wieder im Sinn haben!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2016 / August 2017
Johann Ludwig Krebs - Das Orchester- und Kantatenwerk

Interpreten: Merseburger Hofmusik, Collegium Vocale Leipzig, Leitung: Michael Schönheit
EAN: 4025796013061
Label: Querstand


Wer bisher nur die Orgelwerke von Johann Ludwig Krebs kennt, der lernt hier einen anderen Krebs kennen, nicht den strebsamen Epigonen, sondern den gereiften modernen Komponisten der Bachschülergeneration, immer aufgelegt zu neuen spritzigen galanten Einfällen. Die Recitative sind nun nicht mehr vom Continuo-Apparat, sondern von den Streichern begleitet, die prachtvollen Besetzungen mit Trompeten und Pauken erinnern zwar gelegentlich an Bach, sind aber nicht von gelehrter Faktur, sondern von frischer geistvoller Virtuosität, Instrumental- und Vokalanteil der Arien sind gleichgewichtig, und immer schließen sie auch rechtzeitig wieder, ehe ein kompositorischer Gedanke in die Länge gezogen wird.

Die Aufnahmen der Vokalwerke fanden in Ponitz statt, was die Einbeziehung der Silbermann-Orgel als Continuo-Instrument (Denny Wilke) ermöglichte. Das entspricht mit den größeren klanglichen Mitteln, z.B. eines 16‘-Registers, den historischen Gegebenheiten auch eher als ein Positiv, hatte aber zur Folge, dass sich der große Aufführungs-Apparat raumgreifend auch auf die Nebenemporen verteilt werden musste. Die Solisten Gesine Adler, Britta Schwarz, Tobias Hunger und Tobias Berndt, aus dem seitlich aufgestellten Chor heraus singend, bereiten ihre Partien lustvoll und gekonnt auf, besser wäre es allerdings gewesen, wenn die Aufnahmetechnik sie noch ein wenig mehr gestützt hätte, denn Orchester und Chor wirken dagegen viel präsenter. Michael Schönheit ist dem allen ein kompetenter Conducteur, bei den Aufnahmen im Musikinstrumentenmuseum Leipzig und in St. Viti Merseburg auch am Continuo.

Der Verlag schließt mit dieser Edition zum 300. Geburtstag des Komponisten eine Lücke gerade im Bereich der Bachschülergeneration, die bisher viel zu wenig auf dem CD-Markt vertreten ist. Dass die Kassette mit viel Sorgfalt und Einfallsreichtum gestaltet ist, ist mit großem Dank zu vermerken. So wird die Edition schon rein äußerlich ein ästhetischer Genuss. Der ausführliche und gut bebilderte Einführungstext vom ersten Krebsfachmann Felix Friedrich lässt keine Wünsche offen!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2016 / August 2017


Von Bach zu Bach

Interpreten: Leipziger Cantorey, Continuogruppe des Sächsischen Barockorchester, Leitung: Gotthold Schwarz
EAN: 4025796016093
Label: Querstand


Motetten von Johann Bach, Johann Christoph Bach, Johann Ludwig Bach und Johann Sebastian Bach sind hier mustergültig eingespielt - mehr braucht ein Rezensent zu dieser Aufnahme eigentlich nicht zu schreiben!

Oder doch? Dass die allesamt allzu bekannten Motetten nur so gestaltet wieder hörbar werden, dass die Leipziger wohl kaum einen kompetenteren neuen Thomaskantor hätten finden können als Gotthold Schwarz, dass es schade wäre, wenn dieses Ensemble nicht weitere Aufnahmen singen würde, dass dieses Ensemble wohl keine Grenzen kennt, eben mustergültig singt!

Nein, mehr kann man wirklich nicht schreiben!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Dezember 2016 / August 2017


Melchior Vulpius - Cantiones sacrae I

Interpreten: Capella Daleminzia unter René Michael Röder
EAN: 4025796015232
Label: Querstand


Sachsens kirchenmusikalische Vergangenheit ist für seine breite und bürgerliche Qualität berühmt, so bildete sich bereits 1561 in Waldheim (zwischen Mittweida und Döbeln gelegen) eine städtische Cantorey-Fraternität, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts Werke des Stadt- und Hofkirchenkantoren im ernestinischen Weimar Melchior Vulpius (c 1570 – 1615) erwarb.
In diesem Amt schrieb Vulpius, dessen Sonntägliche Evangelien Sprüche (1612/14) bis heute lebendige Tradition sind, seit 1602 umfangreiche Zyklen groß besetzter Kompositionen, darunter drei Teile lateinischer Cantiones sacrae (1602, 1604 und 1610). Sein kompositorisches Werk, darunter eine Matthäus-Passion (1613) und Kirchengesänge und geistliche Lieder Dr. Luthers (1604), stellt ihn auf eine Ebene mit Michael Praetorius.

Waldheims heutiger Kantor René Michael Röder befleißigt sich vorbildlich der Schätze, die seine Kantoreibibliothek bis heute getreulich verwahrt, nach Aufnahmen mit Werken von Tobias Zeutschner und Johann Havemann (Berlin 1659) steht nun eine Gesamtaufnahme der Werke von Melchior Vulpius auf dem Plan, auch eine Notenedition, die erste überhaupt, ist geplant.

Die Cantiones Sacrae I bringen sechs- und siebenstimmige Vertonungen von Hymnen, Psalmen, Evangelien und freien Texten. Dabei nutzte Vulpius zwar den Vulgata-Text, formulierte ihn aber um, wohl mit pädagogischen Hintergedanken für seinen Lateinunterricht. So sind auch manche deutsche Übertragungen nicht nach Luther übertragen. Von großer Inspiration sind etliche Stellen gezeichnet, zu Herzen geht der Aufschrei des reichen Mannes „Pater Abraham“ oder der himmlisch schwebende Engelsakkord zu Beginn des Osterevangeliums.

Röders Capella Daleminzia singt die Motetten engagiert und astrein, wunderbar klangschön, begleitet nur von einem Positiv, nur bei den siebenstimmigen Motetten treten noch Bläser (Zink und Posaunen) und eine größere Continuogruppe hinzu. Einziger Wermutstropfen dieser Aufnahme ist die schlechte Aussprache vor allem der Schlusskonsonanten, die es manchmal mühsam macht, dem Text zu folgen. Auch die kurze Akustik der kleinen romanischen Saalkirche Tanneberg macht sich einige Male unvorteilhaft bemerkbar.
Mehr als vorbildlich ist aber das Booklet zu nennen, in dem Röder fundierte Überblicke zur Vita von Vulpius, zur Herrschaftsgeschichte der ernestinischen Wettiner, denen die Kompositionszyklen von Melchior Vulpius geschuldet sind, zur Waldheimer Kantoreigeschichte und zur Gattungsgeschichte liefert. Die sorgfältige Gestaltung der CD-Hülle durch den Verlag schließlich ist das Nonplusultra für eine Aufnahme, die schlichtweg in die Kategorie von vorbildlichen Editionen gehört.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2016 / September 2017


Renaissance-Duos aus Holland und England

Herausgeber: Loel Newman
ISMN: 979-0-2044-1224-2
Besetzung: für Sopran- (oder Alt-) und Tenor-Blockflöten
Verlag: Heinrichshofen & Noetzel


Der Heinrichshofen und Noetzel Verlag legt mit diesem Heft eine der ehemaligen Pegasus-Ausgaben von 1968 neu auf. Der von Joel Newman zusammengestellte Band enthält auf elf Seiten fünf Duette für zwei Blockflöten, die, wie der Untertitel suggeriert, aber auch auf anderen Melodieintrumenten spielbar sind.

Versammelt sind hier zwei anonyme Stücke aus Sammlungen von Pierre Phalèse und drei Stücke von Thomas Morley. Vom Schwierigkeitsgrad sind die Stücke höchstens mittelschwer und dürften von fortgeschrittenen Schülern gut zu spielen sein. Benötigt werden Sopran-, Alt- und Tenorflöte um alle Stücke aufführen zu können. Andere Kombinationen sind durchaus denkbar.

Die Stücke aus den Phalèse Sammlungen schrieb er als Übungsstücke, die dazu dienen sollen zu zweit zu üben um den „Frust“ des allein Studierens zu vermeiden. Dankbare Literatur für Unterricht und Konzerte mit Alter Musik. Empfehlung.


Sven Dierke
für www.notenkeller.de - November 2016 / August 2017


Luthers Lieder

2 CDs
Label: Edition Chrismon


Das Reformationsgedächtnisjahr naht mit großen Schritten, mit ihnen kommen zahlreiche Editionen von Büchern, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Devotionalien aller Art, Events und was da sonst noch unsere Aufmerksamkeit beanspruchen will, auf den Markt. Da ist eine CD mit Luthers Liedern nicht das Schlechteste. Gelegenheit, sich wieder einmal optisch und akustisch dem Urgrund evangelischer Gottesdienstpraxis zu widmen.

Klaus Martin Bresgott hat sich der Aufgabe gestellt, diese CD-Edition zu konzipieren und zu gestalten. Den Großteil der Choralaufnahmen steuert er deshalb selbst bei mit seinem hervorragenden Athesinus Consort Berlin, das in alten und neuen Sätzen Luthers Dichtungen, die die Wahrheit des Glaubens postulieren, beschreiben und dazu animieren, wie es nur wenige andere konnten, in ganz lebendiger Weise singt. Dabei belebt Bresgott durchaus die Sätze, indem auch einmal die Unterstimmen nur summen dürfen, mancher Text wird so markanter.

Auf der zweiten CD sind Mendelssohns Choralkantaten über Lutherlieder in älteren Aufnahmen des Stuttgarter Kammerchores unter Frieder Bernius zu hören, die restlichen Luther-Lieder trägt Sigrid Harmsen, Mezzosopran, vor wie sie ursprünglich praktiziert wurden, nämlich einstimmig. Matthias Ank, Orgel, dupliziert diese Choräle mit Choralbearbeitungen von Buxtehude, Bach und Reger. Im Booklet sind so manchem Luthertext Kommentare zugeordnet, einige sind herrlich geglückt wie die von Uwe Kolbe, Andreas Hillger und Frank Walter Steinmeyer, anderen spürt man die Distanz ab, die die Verfasser zu Luther und seiner Zeit haben wie bei Judith Zander, Matthias Hartig und Lutz Seiler.

Schmunzeln möchte man bei der Lektüre der beiden Vorworte, das eine von dem Theologen Johann Hinrich Claussen, der Luthers Texte beschreibt als Verse, die aus einem konzentrierten Schweigen erwachsen, das andere von dem engagierten Musiker und Kunstgeschichtler Bresgott, der dazu schreibt: … Luther muss sich mitteilen. Und das tut er mit voller Emphase, mit großer Wucht.

35 geistliche Lieder hat er in dieser Einspielung versammelt, gerne hätte man auch noch die anderen Lutherlieder unseres Gesangbuches Die beste Zeit im Jahr ist mein, das Kyrie (EG 178,3), das Tedeum und die Litanei gehört.  Eine dritte CD hätte wohl gefüllt werden können. Die Orgeln, die Matthias Ank in St. Lorenz in Nürnberg bespielt, finden leider keine Erwähnung, auch nicht die Sammlungen, aus denen die Vokalsätze stammen, so Scheidts Cantiones sacrae, Scheins Cantional und die Musae Sioniae  von Michael Praetorius. Vielleicht würden diese Sätze auch noch mehr beeindrucken, wenn Bresgott sie in der Weise der gottesdienstlichen Praxis des 16. Und 17. Jahrhunderts vorgestellt hätte: mit einer einstimmig kräftig (auch ungenau) singenden Gemeinde im Wechsel mit einem studierten Vokal- und Instrumentalchor und einer virtuos gespielten Orgel, das wäre ein Luther-Festgottesdienst geworden!

Das ändert nichts daran, dass mit dieser CD für jedermann ein gewichtiger Anreiz zur Aufarbeitung des Reformationsjubiläums vorliegt. Damals konnten die Leute selten lesen, konnten die Lieder aber auswendig singen, heute können sie in der Regel zwar lesen, können aber ihre Glaubenslieder nicht auswendig und oft genug auch gar nicht singen. Dem kann diese CD abhelfen, Glaube verständlich und bewusst machen, mitsingen ist erlaubt! Zugleich kann man auch noch gute Musik dazu hören! Und wer Luthers Lieder denn dann (auswendig) singen kann, der kann diese CD verschenken, zum Nutz und Trost so vieler anderer in einer säkularisierten Welt, die ihre Herkunft zu vergessen droht!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2016 / August 2017


Beethoven "Missa solemnis"

Interpreten: Nikolaus Harnoncourt, Arnold-Schönberg-Chor, Concentus musicus Wien
Label: Sony


Das ist sie also, die allerletzte Aufnahme Harnoncourts, aufgenommen Anfang Juli 2015 im Stephaniensaal in Graz (A), da war der Maestro des Echtklangs 85 Jahre alt.  
Der Grübler und Grantler Beethoven, inzwischen nahezu taub, war 52 Jahre alt, als er 1823 seine Missa solemnis nach jahrelanger Arbeit fertiggestellt hatte und sie seinem Freund Erzherzog Rudolph von Österreich, der inzwischen Erzbischof  von Olmütz geworden war, überreichen konnte. Danach folgten nur noch die 9. Sinfonie und die letzten Streichquartette. Zur reinen Schreibtischarbeit, ohne Rücksicht auf Musiker und Publikum zu nehmen, hatte Beethoven schon bei seiner Missa gefunden. Sie ist seine persönliche Bekenntnis-Messe, darum so ganz anders als so viele Messen zuvor oder danach, einmalig in der Glaubensaussage, spürbar das Ringen Beethovens um Form, Gestaltung und eben Aussage.

1988 hatte Harnoncourt die Missa zum ersten Mal aufgeführt, eine Missa mit so viel Ecken und Kanten, überraschenden Wendungen, gegen die Physik geschriebenen Passagen, Hyperanstrengungen verlangend von den Ausführenden. Harnoncourt lässt nicht nur die historisch verwendeten Instrumente auf richtiger Tonhöhe in richtigen Tempi spielen, überraschend ist die Skala der Dynamik, die Harnoncourt mit seinen Ensembles erreicht. Da dreht man verwundert am Regler, wenn das Kyrie in einem verhaltenen Forte beginnt und das Osanna bei vollem Orchester im Piano verschwindet. Einzig das teilweise heftige Vibrato der Solisten ist historisch wohl nicht zu begründen. Der Dringlichkeit der Bekenntnisaussage Beethovens, der im Zweifelsfall gegen Takt- und Tonart, gegen Grenzen jeder Art anschreibt, setzt Harnoncourt seinen letzten Versuch, dem gerecht zu werden, mit überlegener Ruhe entgegen. Das Dona nobis pacem mit seinen Kriegsklängen interpretiert Harnoncourt als Bitte um den inneren Frieden. Beethoven und er selbst werden ihn nun gefunden haben.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2016 / August 2017

Diese CD ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Apostolisches Liederbuch

Herausgeber: Mathias Eberle
ISBN: 978-3-939291-12-1
Verlag: Edition Punctum Saliens


Kennen Sie das Lied „Jesus, Heiland meiner Seele“? Oder „Mächtige Ströme des Segen“? Oder vielleicht doch eher „Zehntausendmal zehntausend“? Sie sind enthalten in dem 2017 von Mathias Eberle herausgegebenen Apostolischen Liederbuch, in dem, gemäß dem Untertitel, beliebte Lieder und Gesänge aus der Tradition der Apostolischen enthalten sind.

In den Kategorien „Zum Kirchenjahr“, „Gottesdienst“ und „Sakrament/Allgemeines“ finden sich Lieder, die für viele Gelegenheiten des christlichen Lebens erbauend und stärkend sein können. Melodien, die wie Ohrwürmer wirken, aber auch Texte und Melodien, die uns ungewohnt und völlig veraltet vorkommen und dem derzeitigen „Geschmack“ so überhaupt nicht mehr entsprechen. Nichtsdestotrotz ist das Liederbüchlein inhaltlich eine reiche Fundgrube und es lohnt sich, darin zu stöbern, die Texte auf sich wirken zu lassen und die Melodien einfach mal anzuspielen oder zu singen.
Wie man es von Mathias Eberle, der schon mehrere Bücher zum Thema Apostolische Kirchengeschichte herausgab, erwarten kann, sind akribisch Informationen zu Komponisten, Textdichten und ursprünglichen Tonarten zu jedem Lied notiert.

Ergänzt sind auch einige vierstimmig gesetzte Lieder. Leider nur sehr wenige, aber es bleibt die Hoffnung, dass der Verlag noch ein Chorbuch oder ein Orgelbuch veröffentlicht.

Im Anhang finden sich noch ein Nachwort, ein Ablauf für eine „apostolische Andacht“, ein liturgisches Register, Liedervorschläge für Kinder und natürlich ein alphabetisches Verzeichnis der Lieder. Was wünscht man sich mehr? Wer im Umfeld Apostolischer Kirchen tätig ist, hat mit diesem Büchlein ein Werk an der Hand, das in Gottesdiensten und Andachten Material bietet und durchaus einmal die kircheneigenen Gesangbücher reichhaltig ergänzen kann. Eine gute Möglichkeit, die „Apostolischen“ im Bereich der Musik etwas näher zusammen zu führen.

Der äußere Eindruck des Buches? Ganz hervorragend. Der Druck ist sauber, übersichtlich und sehr gut lesbar. Für alle, die nicht mehr gut sehen können, wäre eine Großdruckausgabe schön, denn der Text ist zwar gestochen scharf, aber doch recht klein.
Ein Lesebändchen hilft, das Lieblingslied zu markieren und der stabile Einband und die gute Bindung sorgen dafür, dass man an dem Buch auch bei reichhaltiger Nutzung lange Freude hat.

Fazit? Wer einer apostolischen Gemeinde angehört, sollte dies Liederbuch nicht nur im Schrank, sondern auf dem Lesestapel oder noch besser – auf dem Klavier oder Harmonium – stehen haben. Für alle, die sich für Choräle, geistliche Lieder oder die musikalische Geschichte der Kirchen interessieren, ist das Buch ein Muss. Spannend zu lesen, manchmal vielleicht auch ob der „alten“ Sprache und Formulierungen für ein Schmunzeln gut. Entdeckenswert.


Daniel Kunert
August 2017

Dieses Liederbuch ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Max Reger, Drei Motetten op. 110

Interpreten: SWR Vokalensemble Stuttgart, Frieder Bernius
EAN: 4009350832886
Label: Carus


Da legt man alle Dinge aus der Hand, um sich diesen Motetten ganz hingeben zu können!!!

Die drei geistlichen Gesänge, die Reger 1909ff schrieb, lassen die Vorbilder Bach und Brahms - siehe dessen Motetten op. 109 und 110 von 1889!! – zwar durchhören, doch sind sie gewiss alles andere als „Nach“-Bilder! Regers Arbeitswut schuf auch den Höhepunkt aller Ausdruckskunst hochromantischer Chorkunst, Vergleichbares lieferte vielleicht noch Arnold Schönberg mit seinem Chorwerk „Friede auf Erden“ op. 13 von 1907.

Die Friedhofsstimmung des Eingangssatzes „Mein Odem ist schwach“ reißt!!! bereits mit den ersten fünf Tönen, einem zur verminderten Quinte abwärts gerichteten Motiv, den Hörer mit, entführt ihn entlang den Hiob-Texten von direkter Todesahnung über die ganz unvergleichlich innige Bitte des Chorals „Sei du selbst mein Bürge vor dir, wer will mich sonst vertreten?“ zur Glaubensgewissheit der fünfstimmigen Schlussfuge „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebet“, Höllenfahrt und Auferstehung am Ostermorgen sind in dieser akustischen Plastik wohl völlig einsam geblieben, so mitgenommen wird man kaum die Kraft haben, diese Motette noch einmal zu hören!!!

Erst 1911 fand Reger zur zweiten Motette „Ach Herr, strafe mich nicht“, zusammengestellt aus dem Bußpsalm 6 u.a. Eindrücklich der einstimmige Chorsatz, den die Seufzer „Ach Herr“ immer wieder unterbrechen, unübertroffen eindrücklich der Choral „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden“, enorm aussagekräftig die Doppelfuge „Herzlich lieb hab ich dich“: Fritz Busch brachte sie 1913 in Aachen mit 200 Sängern zur Uraufführung: „Unleugbar steht man vor dem geistig hochwertigen Erzeugnis eines Meisters…, es finden sich Momente berückender Schönheit...“ (Neue Musikzeitung 1914/9)
Im Sommer 1912 folgte die dritte Motette „O Tod, wie bitter bist du“; dem Andenken von Lili Wach, der 1910 verstorbenen jüngsten Tochter Mendelssohn Bartholdys, gewidmet. Hochexpressive chromatische Seufzer, dissonante Reibungen, schließlich der Umschwung in leuchtende lichtvolle Erlösung im Schlusschoral „O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen“, es gibt nichts Ergreifenderes!!!

Den Motetten hinzugefügt ist noch die Choralkantate „O Haupt voll Blut und Wunden“, München 1906. Hier wie in den drei Motetten ist das SWR Vokalensemble ein kongenialer Partner des vor 100 Jahren verstorbenen Komponisten, Frieder Bernius ein Chorleiter, der es versteht, die Stimmungen der Kompositionen bis ins letzte Zweiglein auszuloten und umzusetzen. Heute oft so leichtfertig hintan gesetzt mit der Vokabel Hohe A-Cappella-Chorkultur sind für diese Motetten eigentlich keine Bezeichnungen zu finden, die ihren künstlerischen und emotionalen Wert richtig beschreiben könnten!!! Und nochmals !!!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2016 / Juni 2017

Diese CD ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Der eine Gott und die Vielfalt der Klänge

Herausgeber: Michael Gassmann
ISBN: 978-3-7618-2330-9
Verlag: Bärenreiter


Der Band 18 der Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart mit den acht Vorträgen des Symposions im Rahmen des Musikfestuttgart 2012 zur Sakralen Musik der drei monotheistischen Religionen gewinnt täglich mehr an Aktualität. So schnell und aktuell derzeit die Welt dieser drei Religionen zusammengeführt wird, so wenig wissen wir über die Musik der drei Religionen.

In diesem Band versucht Hans Maier in seinem Einführungsbeitrag das Bekannte zusammenzufassen, das ist über katholische und reformatorische Musik knapp informierend, über jüdische und islamische Musik kann das kaum gelingen.
Hier schreibt denn Jascha Nemtsov interessant und grundlegend über die Assimilation jüdischer Musik im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland, vermag über die ursprüngliche jüdische Musik aber nicht hinreichend aufzuklären.
Dominik Skala versucht sich in einer Erklärung der katholischen Grundhaltung zur Musik in der Kirche, wie sie schwankt zwischen einer wohlmeinenden Wertschätzung der traditionellen deutschen Kirchenmusik und einer theologischen Grundhaltung, die die Zeugnisse der Bibel wörtlich nehmen möchte und die Musik auf die liturgische Gregorianik beschränken möchte.
Gustav A. Krieg hat mit seinem Themengebiet der reformatorischen Kirchen die dankbarste Aufgabe. Da gibt es halt am meisten zu berichten, insbesondere zur lutherischen Musik.
Christian Hannick schreibt über das Schöne und Erhabene in der byzantinischen Musik, die die lebendige Frühzeit der Kirchenmusik lebendig versteinern lässt.
In Milad Karimis Beitrag zu Glaube und Musik im Islam ist zu lesen, wie aus dem Geist einer ästhetischen Theologie Musik entsteht und gerechtfertigt wird. Seine Sätze zur suchenden und begründenden Philosophie könnten genauso für die christliche Musik gelten.
Interessanter ist da noch der Beitrag von Samir Odeh-Tamini zur Koran-Rezitation. Geschichte, Traditionen und Techniken werden beschrieben und lassen im Resümee eigentlich jede aktuelle Version offen.
Christoph Schwöbel schließlich bringt in 10 Thesen Gedanken zur Idee einer Theologie der Musik. Da merkt man, dass ein konkreter Musikauftrag schlüssiger zu einem Ergebnis führt als unter theologischen Voraussetzungen darüber zu „fabulieren“.

Fazit: Von diesen Bänden braucht es noch etliche mehr, bis den Christen jüdische und islamische Musik vertraut sein kann, und umgekehrt gilt das natürlich genauso!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - August 2016 / Juni 2017

Dieses Buch ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Das Geheimnis der Wartburg

Komponistin: Henrike Thies-Gebauer
ISBN: 978-3-95423-014-3
Verlag: Zebe


Die Geschichte ist gut ausgedacht: Vier Kinder auf der Wartburg kommen im Jahr 1521 dem Geheimnis des Junker Jörg alias Martin Luther auf die Spur. Dabei wird der zentrale theologische Gedanke der Reformation wie nebenbei kindgerecht und nachvollziehbar vermittelt. Die gesprochenen Theatertexte sind sehr gut entwickelt; jeder Satz sitzt und treibt die Geschichte voran.

Die Lieder des Stückes sind alle im 4/4 Takt, in leichtem Pop-Stil geschrieben, eingängig in den Melodien und im Tonbereich c‘ bis c‘‘, d.h. die Kopfstimme der Kinder wird nicht eingesetzt. Manche Gruppenleiter wird dies freuen, für andere wird es ein Grund sein, das Musical nicht auszuwählen. Zwei Luther-Lieder sind im Stück untergebracht. Manche der insgesamt 9 Lieder brauchen schon beim Einüben die harmonisch-rhythmische Begleitung als Stütze. Der Verlag bietet eine Demo-CD und eine Playback-CD an; auch dies für die Einen eine gern angenommene Unterstützung und für Andere undenkbar. Die Streicher sollten intonationssicher sein und der Drummer zuverlässig im Tempo-Halten, ansonsten aber sind die Instrumentalstimmen nicht sehr schwer, am ehesten rhythmisch herausfordernd.

Die Lieder sind relativ schnell gelernt; Arbeit machen vor allem die Theaterszenen. Es muss organisatorisch getrennte Probenzeiten für die Schauspielenden geben, damit man nicht den Kinderchor ewig warten lässt. Einige wenige Theaterrollen gibt es, die kein Singenkönnen verlangen; es kann ja entlastend sein, wenn „Brummer“ an anderer Stelle eine wichtige Aufgabe erfüllen.

Ein Musical im eigentlichen Sinn ist dieses etwa einstündige Stück nicht, eher ein Musiktheaterstück, denn zum Musical würde auch Tanz gehören bzw. es müssten die Lieder mit Bewegung gut ausgestaltet sein. Evtl. könnte dies ja durch einen guten Regisseur bewerkstelligt werden. Ob mit oder ohne Bewegungsgestaltung - jemand mit Erfahrung sollte Regie führen. Allenfalls muss man bei Kleinigkeiten von den Regieanweisungen der Partitur abweichen (z. B. ist fraglich, ob Junker Jörg auf der Bühne „versehentlich“ ohne Schadensrisiko einen Pfeil abschießen kann), das tut aber dem Ganzen keinen Abbruch.

Lichttechnik ist vonnöten, um die Übergänge zwischen einzelnen Szenen zu verdeutlichen. Und Mikrophontechnik muss den Solisten helfen, sich gegenüber den Instrumenten zu behaupten. Drei Bühnenbilder sind vorgesehen; sie wären zur Not entbehrlich und das Stück würde auch ohne sie funktionieren.

Zur äußeren Aufmachung: Gut, dass es die Partitur mit Ringbindung gibt; schlecht, wenn die Ringe zu eng sind. Der Notendruck ist für den Überblick beim Partiturlesen zu groß und es muss zu oft geblättert werden. Abgesehen davon aber ist er sauber und fehlerfrei.

Fazit: Wer einen nicht zu kleinen Chor hat, über die nötige Technik, die nötigen Instrumentalisten und einen guten Regisseur verfügt und wer bezüglich der Probenzeit einen langen Atem hat, dem sei das Stück empfohlen. Denn die inhaltliche Aufbereitung des zentralen Gedankens der Reformation ist hier hervorragend gelungen.


Elke Landenberger
für www.notenkeller.de - Dezember 2016 / Juni 2017

Diese Noten sind im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


KUNST & GLAUBE - Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg

Herausgeber: Brigitte Langer / Thomas Rainer
ISBN: 978-3-7954-3068-9
Verlag: Schnell + Steiner


Im Vorfeld des Reformationsjubiläums ist es Zeit, sich auch mit den speziellen baulichen und räumlichen Voraussetzungen evangelischer Kirchenmusik im Reformationsjahrhundert zu befassen.

Die Schlosskapelle in Neuburg/Donau (geweiht 1543) ist der erste als protestantischer Saalbau fertig gestellte Raum. Ein Jahr vor diesem Jubiläum wurde seine erneute Restaurierung abgeschlossen und der Raum mit einer bedeutenden Ausstellung wieder eröffnet. Zur Ausstellung in Schloss Neuburg – inzwischen dient die Kapelle wieder als evangelischer Kirchenraum - ist ein Begleitbuch erschienen, das in erster Linie in die hohe Kunst der Prachthandschrift der Ottheinrich-Bibel, dem ersten reich bebilderten Neuen Testament in deutscher Sprache, einführt. Der kunstsinnige Pfalzgraf Ottheinrich (1502 – 1559), seit 1522 Regent des 1505 gegründeten Fürstentums Pfalz-Neuburg, wo er 1542 mit Hilfe des Nürnberger Reformators  Andreas Osiander die Reformation durchführen ließ, und seit 1556 Kurfürst der Pfalz mit Sitz in Heidelberg, hat diese Bibel, die Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt bereits um 1430 hatte anlegen lassen, im evangelischen Verständnis vervollständigen lassen. Der monumentale heute in acht Teile gegliederte Band ist als einer der ersten evangelisch gestalteten Prachtbibeln singulär, seine vollendete Bildausstattung von höchstem kunst- wie reformatorisch-historischen Interesse! Zur Bibel gesellten sich zudem rund 150 andere hochkarätige Leihgaben aus internationalen Bibliotheken.

Von eigentlichem Interesse hier aber ist der Kirchenraum mit den Deckenbildern eines monumentalen Bibelzyklus von Hans Bocksberger d. Ä. aus Salzburg, bezeichnet als „Bayerische Sixtina“. Das Bildprogramm war vermutlich durch Andreas Osiander und den ersten Hofprediger Adam Bartholomaei vorgegeben. Zur Ausstattung des Raumes gehörten gegenüber der Fürstenloge der zentrale Altar, daneben etwas erhöht die Kanzel und auf einer Empore oberhalb des Altars die Orgel. Von ihr ist immerhin der Name des Orgelbauers überliefert, Hans Schachinger  (*1485 in Passau, † um 1558 in München, wahrscheinlich ein Schüler Paul Hofhaimers). Näheres über die Orgel und was auf ihr wer gespielt hat, auch über eine Kantoreiarbeit, ist nicht bekannt. Da die Hofkirche 1614 im Zuge der Gegenreformation durch Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm entwidmet wurde, werden vermutlich alle Zeugnisse protestantischen Kultus damals vernichtet worden sein. Nach Übertünchung der protestantischen Fresken und schließlich der vollkommenen Profanisierung wurde 1849 die Nutzung des Raumes durch die inzwischen gewachsene evangelische Gemeinde vom bayerischen König Max II. Joseph genehmigt. Als Begleitbuch zur Ausstellung berichtet der Band über die damalige wie heutige evangelische Nutzung verständlicherweise nichts.

Die Ausstattung des Bandes lässt nichts zu wünschen übrig, prächtiger als dieser ist nur die Wirklichkeit in Neuburg, ein Besuch der Hofkapelle lohnt sich immer, um frühe reformatorische Gottesdienstpraxis sich vorstellen zu können. Wem das nicht möglich ist, hat mit diesem Band einen instruktiven wie „bildschönen“ Ersatz!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - August 2016 / Juni 2017

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Martin Luther

Autor: Hichael Märker
ISBN: 978-3-95775-610-3
Verlag: Kamprad

Eine bescheidene Randbemerkung dieses 144 Seiten starken Buches ist folgende: Der Autor Michael Märker (geb. 1956) ist habilitierter Musikwissenschaftler, langjähriger Hochschuldozent in Leipzig und Halle und in der 13. Generation Nachkomme von Martin Luther. Das lässt denn einen Band erwarten, der in großer Verantwortung vor dem Ahnen und dennoch populär-wissenschaftlich gestaltet ist. Diese Erwartung wird auch voll erfüllt, beginnend mit dem Titelbild (Pauwels: Luthers Thesenanschlag, 1872), zu dem Märker dann schreibt: So ist das Bild des hammerschwingenden Geistes- und Glaubensheroen Martin Luther, der – umgeben von einer bewundernd aufschauenden Menschenmenge – mit dem Thesenanschlag von Wittenberg 1517 ein neues Zeitalter einläutet, eine geniale Erfindung aus späteren Zeiten, die der komplexen Wirklichkeit nicht standhält. Trotzdem fällt es uns schwer, von diesem Bild abzulassen…

In 23 Kapiteln stellt der Autor das Leben des Reformators chronologisch und thematisch dar, von den Eltern über den Werdegang in Schule und Studium, von seiner Reise nach Rom, Ablasshandel und 95 Thesen, über die Auseinandersetzungen in Augsburg, Leipzig und Worms bis hin zur Bibelübersetzung auf der Wartburg und seinen Stellungnahmen zu Thomas Müntzer, Zwingli, Calvin und den Juden und Türken sowie sein Leben mit seinen Freunden Spalatin, Melanchthon, Cranach und schließlich mit seiner Käthe. Das wird alles zwar kurz, aber dennoch gründlich und entschieden abgehandelt und einsichtig und ausgewogen gewertet, kein falscher Ahnenkult ficht den Autor an. Zwar hätte der Rezensent als Musiker gerne mehr gelesen zu Luthers Vorworten zu den ersten Gesangbüchern und der liturgischen Gestalt in Formula missae und deutscher Messe, doch sind diese Fachgebiete woanders bereits gründlich aufgearbeitet und dort nachzulesen.

Märker zeichnet den Reformator als entschiedenen, auf der Bibel basierenden Theologen, der wenig diplomatisch und verständnisvoll handelte, gerne genussreich sein familiäres Leben führte, der Verkündigung von Sola Scriptura, sola fide, sola gratia, sola Christus vehement lebte und damit Europa eine Wendung gab, deren Auswirkungen noch heute prägend sind. Märker schließt: Nur ein entheroisierter, demytholgisierter Luther, dessen Grenzen nicht tabuisiert werden, hat uns nach einem halben Jahrtausend noch etwas zu sagen – dies allerdings in eindringlicher Klarheit. Solche Sätze sind es, die damals und heute zusammenbinden und die Aufgabe der (ecclesia) semper reformanda immer wieder neu anmahnen.

Mit seinen über 100 ausgesuchten Abbildungen und einer Seite mit von Luther geprägten Sprichwörtern, Redewendungen und Wörtern vermag der Band auch ästhetisches Vergnügen zu bereiten, die hohe Druckqualität und der niedrige Preis machen das Buch zum idealen Geschenkband für Lutherfreunde - und erst recht für Luthermuffel!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2016 / Juni 2017

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Emblematik im Ostseeraum

Herausgeber: Ingrif Höpel / Lars Olof Larsson
ISBN: 978-3-86935-278-7
Verlag: Ludwig

Der Band, Band III der Reihe Mundus Symbolicus der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), sammelt auf 232 Seiten mit 162 scharz/weißen und 58 Farbabbildungen insgesamt 16 Beiträge einer Internationalen Tagung der Society for Emblem Studies, die in Kiel im Sommer 2014 stattfand. Bis zum  4.9.2016 noch läuft eine Ausstellung gleichen Titels in der Universitätsbibliothek der CAU.

Buch und Ausstellung beleuchten die Wechselwirkungen der gedruckten Bücher auf Architektur, Alltagsleben und Festkultur in der Ostseeregion. Ein europäisches Netzwerk von ikonographischen Mustern und Motivwanderungen führte, im 16. Jahrhundert beginnend, bis ins Ende des 18. Jahrhunderts zu ritualisierten Formen in Bildern,  Sprache und Architektur, deren Verständnis erarbeitet sein will.

Hoch interessant ist zu lesen, wie verschieden Vorlagen hier verwendet und umgestaltet wurden zu eigenen programmatischen Aussagen, z.B. auf dem Taufdeckel der St.-Jürgen-Kirche zu Gettorf.  
Die Emblematik (Sinnbildforschung) ist aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Bild und Text interdisziplinär. So finden sich in diesem Band Aufsätze von Kunsthistorikern, Literaturwissenschaftlern und Theologen. Piotr Kociumbas beschäftigt sich als Musikwissenschaftler mit dem emblematischen Denkprinzip im Danziger Kantatenschaffen des 18. Jh., vornehmlich also mit Kantaten von Johann Balthasar Christian Freislich und seinem Schwiegersohn, dem Bachschüler Friedrich Christian Mohrheim, bleibt aber mit dieser Arbeit leider allein in dem Band. Was bezeichnend ist für die derzeitige Situation von interdisziplinärer Forschung, in der die Musikwissenschaft viel zu wenig eingebunden ist.

Wer sich den Band zulegt, erfährt aber so nebenbei vieles über das, was man sehen kann, aber kaum versteht, wenn es nicht hier benannt worden wäre, z.B. über das Fest der Hamburger Bürgerkapitäne (nicht aber Telemanns dazugehörige Musiken), Funeralschmuck und –rhetorik in Mecklenburg (nicht aber Funeralmusik), und die Kraniche in Heilig-Geist in Wismar. Denn wer weiß schon, dass die Wachsamkeitshaltung des Kranichs sinnbildlich eine Mahnung darstellt, Christus immer im Geist zu tragen?


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2016 / Juni 2017

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Martin Luther - Lebensspuren

Autoren: Jutta Krauß / Ulrich Kneise
ISBN: 978-3-7954-2855-6
Verlag: Schnell + Steiner


Wie sich „Bilderbücher“ im Verlauf der letzten einhundert Jahren geändert haben, lässt sich trefflich an dieser Ausgabe studieren. Zwar haben nicht Umfang (hier 288 Seiten) und Inhalt zugenommen, die Qualität der Bild-Wiedergabe aber ist heute auf unvergleichlicher Höhe und die inhaltliche Stringenz wie sachliche Information sind ausgewogen und rundum nüchtern informativ. 93 farbige und 75 schwarz/weiße Illustrationen des Eisenacher Ulrich Kneise bebildern nicht nur, sondern vermitteln künstlerisch Informationen und dazu landschaftlich/jahreszeitliche Stimmungen. Jutta Krauß, ebenfalls Eisenach, untergliedert ihre Texte in chronologischer Weise, gut nachvollziehbar wie schnell auffindbar sind da Luthers Sentenzen wiederzufinden.

Zwei Probleme machen sich dennoch bemerkbar: Die Abbildungen tragen keine Unterzeilen, obwohl genügend Platz vorhanden ist, umständlich mit viel Blättern sind sie erst am Ende des Bandes zu finden. Und nur einmal spricht Krauß von Luthers Nähe zur Musik, u.z. in seiner Studentenzeit. Sein Leben in Musik, seine Motivation dazu, sein Choralschaffen, die Vorworte zu den ersten Gesangbüchern u.ä. werden gar nicht erwähnt.

Fazit: Für die schnelle Information zu Luthers Leben ist der Band mehr als dienlich, sogar angenehm zu lesen und zu beschauen, vollständig kann er nicht sein, aber ein Geschenkband von hoher Güte und das zur rechten Zeit vor dem Reformationsgedächtnisjahr ist er allemal.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2016 / Juni 2017

Dieses Buch ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Musikort Kloster

Herausgeberin: Susanne Rode-Breymann
ISBN: 978-3-412-20330-6
Verlag: Böhlau


Im Band 6 der Reihe Musik-Kultur-Gender versammelt die Herausgeberin die Beiträge eines Symposions„Das Kloster, Ort kulturellen Handelns von Frauen in der Frühen Neuzeit“, das im Sommer 2008 in Hannover als gemeinsames ProjektderMusikhochschule mit der Klosterkammer durchgeführt wurde.

Mit den Themenbereichen Wissen und Tradierung, Spiritualität, Komponieren in Klöstern, Musik in den Lüneburger Frauenklöstern, Bild Abbild Lebensbild und Garten nähern sich die Beiträge einem bisher nur wenig beleuchteten Forschungsgebiet, dem der kulturschaffenden Frauen vor und nach der Reformation. Epochale Arbeit hatte da bereits Ulrike Volkhardt 2010 mit ihrer 6 CDs umfassenden Einspielung von Musik aus den Heideklöstern geleistet. Grundlagen zur klösterlichen Praxis erläutern Eva Schlotheuber zu Bildung und Bibliotheken sowie Nina Noeske zur Disziplinierung des Wissens und Carsten Winter zur Kulturellen Rationalität von Gesellschaft im Wandel. Einen besonderen Beziehungspunkt bildet die Reformation der Calenberger Klöster, durchgeführt von der Regentin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, auf sie geht die heutige Klosterkammer ja zurück. Ulrike Hascher-Burger und Ulrike Volkhardt widmen sich noch einmal der Musik in den Heideklöstern, Karin Schrader widmet sich den Frauenbildnissen von Fürstinnen und Äbtissinnen. Der Band schließt mit einem Autorenverzeichnis und einigen Farbtafeln, beigegeben ist auch eine CD mit weiteren Beispielen aus verschiedenen Heideklöstern.

Auch wenn immer wieder angemerkt wird, wie dünn die Forschungslage derzeit noch ist, so stellt der Band doch die partielle Gliederung des Wissensstandes vor, auf der sich gut weiterarbeiten ließe. So macht dieser Band die große Wissenslücke auf dem thematisierten Gebiet erst richtig bewusst. Einen guten Anlass, bisher verborgenes Geschehen aus den Klöstern und Stiften der Reformationszeit weiter zu erforschen, bietet jedenfalls das Reformationsjubiläum im kommenden Jahr.

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Juli 2016 / Mai 2017

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Trio Spielbuch für drei Blockflöten

Herausgeber: Ulrich Herrmann
ISMN: 979-0-2045-3963-5
Verlag: Heinrichshofen & Noetzel


Das vorliegende Sammelalbum für drei Blockflöten enthält Spielstücke vom 14. bis zum 20. Jahrhundert. Die wenigsten Werke dürften originale Blockflötenliteratur sein, was den Wert der Sammlung aber keineswegs schmälert. Vor allem die Abteilung mit der Alten Musik enthält einige unbekannte Miniaturen, die eine Aufführung durchaus verdienen. Neben bekannten Namen wie Johann Sebastian Bach oder Georg Friedrich Händel, die jeweils mit verschiedenen Bearbeitungen zu finden sind, finden sich ausserhalb der spezialisierten Welt fast unbekannte Komponistennamen wie Giuliano Tiburtino oder Johann Christoph Schulze.
Benötigt werden alle Lagen der gängigen Blockflötenfamilie (SATB) in verschiedenen Kombinationen. Die meisten Bearbeitungen klingen gut und sind auch schon von fortgeschrittenen SchülerInnen spielbar.

Einige Merkwürdigkeiten bieten die Bearbeitungen aus der Romantik. Hat man den Klang der Equale von Bruckner in der originalen Posaunenbesetzung im Ohr, wirken die Stücke auf Blockflöten etwas eigenwillig. Ebenso ergeht es mir bei den Stücken von Beethoven, Mendelssohn und Rimski-Korssakow. Die Liedbearbeitungen von Brahms dagegen klingen ob der Volksliedvorlagen erstaunlich gut.

Der Band schließt mit einem Siciliano des Herausgebers, dass sich sehr an alte Stile anlehnt.
Nicht nur für Blockflötenfreunde eine schöne Sammlung, deren Eigenwilligkeiten auf anderen Instrumenten sicher nicht ins Gewicht fallen. Also, „om singhen ende spelen op alle instrumenten“, wie es schon die alten Niederländer schrieben.
Lohnende Literatur für Unterricht und bedingt für Konzert.

Sven Dierke
für www.notenkeller.de - November 2016 / Mai 2017

Diese Noten sind im gut sortierten Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de) - erhältlich.


Music at San Marco

Interpreten: ensemble Officium
Label: Christophorus


Wilfried Rombach, Kantor an der kath. Universitäts- und Stadtpfarrkirche St. Johannes in Tübingen, geht mit seinem Ensemble Officium seinem Steckenpferd nach, der Musik der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts. Die ist evangelisch wie katholisch mehr oder weniger noch diktiert von der franko-flämischen Polyphonie, Orlando di Lassos Werke waren überall vertreten - und die seines Freundes Andrea Gabrieli (1532/33  - 1585), dem späteren Lehrer von u.a. seinem Neffen Giovanni, dem Augsburger Organisten Gregor Aichinger, des Dresdener Hofkapellmeisters Rogier Michael und des Nürnberger Hans Leo Haßler.  

Den Organisten ist der Markusorganist wohl vertraut durch mehrere Gesamtausgaben, sein umfängliches Vokal-, bzw. Instrumentalwerk von Messen, Motetten und Madrigalen gilt es aber ebenso zu beachten. In Gabrielis erster Publikation, den Sacrae Cantiones (Venedig 1565), einer Sammlung von 37 fünfstimmigen geistlichen Gesängen, gewidmet Albrecht V. von Bayern, Lassos Arbeitgeber, seit Kurzem im Neudruck wieder greifbar (Neuausgabe Verlag C. Hofius, Ammerbuch 2013, ISMN 979-0-50248-001-1), widmet sich Gabrieli dieser Kunst der Polyphonie.

Rombach bringt 14 Motetten aus dieser Sammlung, wechselnd besetzt mit einem chorischen Ensemble und Bläsern und natürlich einem Positiv (leider keiner italienischen Orgel), dazu die zehnstimmige Motette Laudate Dominum in sanctis eius, 1587 veröffentlicht von seinem Neffen Giovanni. Der Aufnahme mangelt es an nichts, Klangfreude wie Deutlichkeit und Präsenz sind vorzüglich, nur die Akustik des Aufnahmeraumes, der Ev. Kirche Peter und Paul Mössingen, hätte man gerne eingetauscht gegen eine größere, wie sie in San Marco gegeben ist. Das sich bescheiden gebende Booklet bringt einen kundigen Aufsatz von Rombach, verschweigt aber Daten zu den Ausführenden.

Empfehlenswert? Sehr empfehlenswert!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2016 / Januar 2017

Diese CD ist im gut sortierten Musikhandel - unter anderem im Notenkeller in Celle (tel. Bestellung 05141-3081600 oder per Mail an info@notenkeller.de möglich) - erhältlich.
Protestantischer Kirchenbau der Frühen Neuzeit in Europa

Autor: Jan Harasomowicz
ISBN: 978-3-7954-2942-3
Verlag: Schnell + Steiner


Grundlagen und Forschungskonzepte

26 deutsch- und englischsprachige Beiträge eines Workshops, das Ende 2013 in Wien stattfand, bündelt dieser hervorragend gestaltete Band. Mit treffenden Zeichnungen und Abbildungen reich versehen beschäftigen sich die Autoren mit der Entwicklung des protestantischen Kirchenbaus in Dänemark, Finnland, in den Niederlanden, England, Nassau, Hessen, Kursachsen, Estland, Schlesien, Böhmen, Slowakien und Osteuropa.

Zur Thematik gehören Aussagen Luthers und anderer Reformatoren, evangelische Sakralität, die spezifische Gestalt von Jesuitenkirchen und Hugenotten-Kirchen, von Simultaneen, die Bauten unter verschiedenen politischen und sozialpolitischen Gegebenheiten wie Schlosskapellen und Gemeindekirchen als Breitsaalkirchen, Wandpfeilerkirchen, Querkirchen etc. Übersichtlich sind diese Aspekte zusammengetragen für ein Forschungsprojekt zur Online-Database, in dem dann jeder nachblättern kann. Es soll so die eigene Kulturidentität des reformatorischen Kirchenbaus systematisch nachgewiesen werden, was auf der einen Seite natürlich längst gesichertes Wissen, aber in seiner Vielfältig- und Reichhaltigkeit bisher kaum einsichtig und nachschlagbar ist.

Herausgeber ist der Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte der Renaissance und Reformation an der Universität Breslau, Prof. Dr. Jan Harasimowicz, der mit seinem umfangreichen Netzwerk die Autoren für diese Aufgabe zusammenbrachte.

Was kunstwissenschaftlich für die Principalstücke wie Altar, Taufe und Kanzel dabei unbedingt überzeugt, lässt aber das weite Feld der gottesdienstlichen Musikpraxis leider fast ganz offen. Nur nebenbei finden sich die unterschiedlichen Standorte von Orgeln, Emporen oder anderen Gegebenheiten für Musikerensembles aufgeführt. Aber das Forschungsvorhaben ist ja auch noch nicht beendet!

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Mai 2016 / Januar 2017

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Max Reger - Werk Statt Leben

Autor: Susanne Popp
ISBN: 978-3-7651-0450-3
Verlag: Breitkopf & Härtel


Zum 100.Todestag erschien nun eine neue Biographie von Max Reger, von der man schlichtweg sagen muss, sie wird nicht nur allen Anforderungen an eine Lebensbeschreibung gerecht, sondern sie übertrifft in ihrer sprachlichen Gestaltung, ihrer spürbaren Sympathie mit dem seinem Werk manisch ergebenen Komponisten, der als Mensch bis heute nur wenig Sympathien auf sich zu ziehen vermochte, und der konsequenten Darstellung aller Querbezüge zwischen Werkentstehungen, Niederschriften, Ausarbeitungen, Verhandlungen mit den Verlegern und Werbemaßnahmen wie Briefwechseln und Konzertreisen alles bisher Dagewesene!

Mit großer Genauigkeit und Zielstrebigkeit widmet sich Susanne Popp, die ehemalige Leiterin des Reger-Institutes in Karlsruhe, der genauen chronologischen Darstellung und kurzen, aber sehr treffenden Werkbeschreibungen wie auch den so ganz persönlichen Briefwechseln mit seinen wenig gebliebenen Freunden. Ihr gelingen fundamental einleuchtende Sätze, die Regers Streben vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund deutlich machen und die den ursächlichen Zusammenhang seines „Arbeitsteufels“ aus der eigenen Familientradition, der ungünstigen gesellschaftlichen Situation, der eigenen z.T. fehlgeleiteten Kompensation und seinem vulkanischen Drang zur Komposition zu beschreiben und zu erklären suchen.

Herausgekommen ist ein großformatiger Wälzer von 455 Seiten, hinzu kommen noch Anmerkungen, Werkregister und diverse Verzeichnisse, und das zu einem Preis, für den man dem Verlag nur dankbar sein kann. Susanne Popp versteht es, den hoch geachteten Meister von Kompositionen für Orgel, Kammer-, Orchester- und oratorischer Musik dem Leser in all seiner Zwiespältigkeit  zwischen einsamer Genialität, bajuwarischer Gemeinheit eines Emporkömmlings und auch gegenüber sich selbst rücksichtslosen Kämpfers um sein eigenes Werk nahe zu bringen. Unverständlich wird so, dass sein epochales Werk so bald nur als epochal angesehen wurde. Selbst heute machen sich nur wenige Organisten und noch weniger Pianisten, Kammermusiker, Chor- und Orchesterleiter die Mühe, Regers Werk ein gerechtes wie berechtigtes Interesse entgegen zu bringen. Wer z.B. nur einmal seine Motette op. 110,3 „O Tod, wie bitter bist du“ erlebt hat, den wird das choralartige „O Tod, wie wohl tust du“ nicht mehr loslassen, ein Moment, den Reger wohl auch selbst so erlebt hat.

Fazit: ein Buch, das jeder Regerverehrer wie -verächter unbedingt durcharbeiten soll!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de -Juli 2016 / Januar 2017

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800 Jahre Dresdner Kreuzchor

Lieder aus 8 Jahrhunderten
Label: Berlin Classics


O Crux, Spendidor cunctis astris (leuchtender als alle Sterne), salva praesentem catervam (bewahre die hier anwesende Schar), ja, bis heute ist die im 14. Jahrhundert gestiftete musikalische Verbindung der Crucianer zum Erlöser hörbar wirksam, wie es im Antiphon gleich zu Beginn besungen wird. Bei gregorianischen Gesängen blieb es nicht, es folgen auf dieser CD in Aufnahmen von 1964, 1983, 1984, 2002, 2003, 2009, 2010, 2015 unter Mauersberger, Flämig, Kopp und Kreile ein Messesatz, eine Sequenz, Choral- und Spruchmotetten und Geistliche sowie Volkslieder. Da ist der Untertitel „Lieder“ (aus 8 Jahrhunderten) ein wenig irreführend vereinfachend geraten.

Präsentiert sind Werke von natürlich Johann Walter und Heinrich Schütz, aber auch von Schein, Kuhnau, Rheinberger, Theodorakis, Buchenberg, Senfl, Wipo von Burgund (hier von Solothurn genannt), Dunstable, Eccard, Anerio, Mendelssohn, Brahms, Mozart und  Mauersberger. Und eigentlich vermisst man dann doch Werke der Kreuzkantoren Homilius, Christian Ehregott Weinlig und Friedrich Oskar Wermann, die bei einer Spielzeit von knappen 56 Minuten doch noch Platz hätten finden können.

Immer hört sich der Chor frisch an und immer anders, was natürlich bedingt ist durch die jährliche Fluktuation. Wünschen würde man dem Chor auch das G9, um den Bass noch tragfähiger hören zu können, und von Herzen eine beständige „weltliche Hoheit“!

Und wünschen wird man dem Chor noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte nimmermüde Kreuzkantoren, Mühe, Arbeit und viele Erfolge und vor allem den immerwährenden Beistand des leuchtenden Salvators!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - April 2016 / Januar 2017

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Das Geheimnis der Wartburg

Autorin/Komponistin: Henrike Thies-Gebauer
Verlag: Zebe

Ein Luther-Musical für einstimmigen Chor, 12 Solisten, Streicher, Piano, Drums und Bass

Die Geschichte ist gut ausgedacht: Vier Kinder auf der Wartburg kommen im Jahr 1521 dem Geheimnis des Junker Jörg alias Martin Luther auf die Spur. Dabei wird der zentrale theologische Gedanke der Reformation wie nebenbei kindgerecht und nachvollziehbar vermittelt. Die gesprochenen Theatertexte sind sehr gut entwickelt; jeder Satz sitzt und treibt die Geschichte voran.

Die Lieder des Stückes sind alle im 4/4 Takt, in leichtem Pop-Stil geschrieben, eingängig in den Melodien und im Tonbereich c‘ bis c‘‘, d.h. die Kopfstimme der Kinder wird nicht eingesetzt. Manche Gruppenleiter wird dies freuen, für andere wird es ein Grund sein, das Musical nicht auszuwählen. Zwei Luther-Lieder sind im Stück untergebracht. Manche der insgesamt 9 Lieder brauchen schon beim Einüben die harmonisch-rhythmische Begleitung als Stütze. Der Verlag bietet eine Demo-CD und eine Playback-CD an; auch dies für die Einen eine gern angenommene Unterstützung und für Andere undenkbar. Die Streicher sollten intonationssicher sein und der Drummer zuverlässig im Tempo-Halten, ansonsten aber sind die Instrumentalstimmen nicht sehr schwer, am ehesten rhythmisch herausfordernd.

Die Lieder sind relativ schnell gelernt; Arbeit machen vor allem die Theaterszenen. Es muss organisatorisch getrennte Probenzeiten für die Schauspielenden geben, damit man nicht den Kinderchor ewig warten lässt. Einige wenige Theaterrollen gibt es, die kein Singenkönnen verlangen; es kann ja entlastend sein, wenn „Brummer“ an anderer Stelle eine wichtige Aufgabe erfüllen.

Ein Musical im eigentlichen Sinn ist dieses etwa einstündige Stück nicht, eher ein Musiktheaterstück, denn zum Musical würde auch Tanz gehören bzw. es müssten die Lieder mit Bewegung gut ausgestaltet sein. Evtl. könnte dies ja durch einen guten Regisseur bewerkstelligt werden. Ob mit oder ohne Bewegungsgestaltung - jemand mit Erfahrung sollte Regie führen. Allenfalls muss man bei Kleinigkeiten von den Regieanweisungen der Partitur abweichen (z. B. ist fraglich, ob Junker Jörg auf der Bühne „versehentlich“ ohne Schadensrisiko einen Pfeil abschießen kann), das tut aber dem Ganzen keinen Abbruch.

Lichttechnik ist vonnöten, um die Übergänge zwischen einzelnen Szenen zu verdeutlichen. Und Mikrophontechnik muss den Solisten helfen, sich gegenüber den Instrumenten zu behaupten.
Drei Bühnenbilder sind vorgesehen; sie wären zur Not entbehrlich und das Stück würde auch ohne sie funktionieren.

Zur äußeren Aufmachung: Gut, dass es die Partitur mit Ringbindung gibt; schlecht, wenn die Ringe zu eng sind. Der Notendruck ist für den Überblick beim Partiturlesen zu groß und es muss zu oft geblättert werden. Abgesehen davon aber ist er sauber und fehlerfrei.

Fazit: Wer einen nicht zu kleinen Chor hat, über die nötige Technik, die nötigen Instrumentalisten und einen guten Regisseur verfügt und wer bezüglich der Probenzeit einen langen Atem hat, dem sei das Stück empfohlen. Denn die inhaltliche Aufbereitung des zentralen Gedankens der Reformation ist hier hervorragend gelungen.


Elke Landenberger
für www.notenkeller.de - Dezember 2016

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Bach in Brazil


Original Motion Picture Soundtrack
Label: Berlin Classics

Die vielen Vorschusslorbeeren, die der gleichnamige Film bereits erhalten hat (Publikumspreis Filmfest Emden 2015, Bernhard-Wicki-Publikums-Preis, NDR Filmpreis für den Nachwuchs, "Schreibtisch am Meer"-Preis etc.), sind die eine Seite, die CD mit dem Soundtrack des Films die andere. Was im Film getragen von der positiven sozialen Handlung zu einem emotional guten Ergebnis führt, kann die CD zwar in Erinnerung rufen, alleine aber ohne die Filmhandlung will sich das gehabte Glücksgefühl nicht einstellen – welches Schicksal sich dieser Soundtrack mit fast allen anderen Soundtracks teilt.

Gar keine Frage, die Musik ist gut gemacht, da wird mit Klarinette, Violine, Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Euphonium, Cavaquinho gekonnt musiziert, auch der Knabenchor Hannover, das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder und das Barockorchester L’Arco sind zu hören, von Bach sind etliche passend zerlegte Melodiefetzen hervorragend verarbeitet, alles das ist nur positiv zu vermerken. Trotzdem springt von der CD kein Funke über, es ist ja nur ein Soundtrack – leider, bei dem deutlich zu hören ist, dass die Musik nur Mittel zum Zweck ist und keinen unmittelbaren Anspruch erhebt, originär oder gar mit einem innermusikalischen roten Faden versehen sein zu wollen.
Wie bereits geschrieben, gut zum Nachhören, wenig gut zum Zuhören!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2016 / September 2016

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Ich gieng einmal spatieren

Interpret: Jan Katzschke
Label: Querstand

Ein Wanderer zwischen den Welten war Hans Leo Hassler, zwischen der evangelischen Welt seiner Geburtsstadt Nürnberg (Leonhard Lechner und Friedrich Lindner) und der katholischen Welt seiner Studienzeit in Venedig (Andrea und Giovanni Gabrieli, Gioseffo Zarlino, Claudio Merulo u.a.), zwischen den Fuggern in Augsburg (Organist) und Nürnberg (Oberster Musicus) und Dresden (Kammerorganist), zwischen einem Leben als Organist (Teilnehmer an der Orgelprobe in Gröningen 1596), Komponist (evangelischer Choral, franko-flämischer polyphoner Stil, italienisch homophone Madrigale und mehrchörige Werke, Motetten, Messen und vieles mehr), Musikautomatenbauer und von Ulm aus Geschäftsmann im Silber- und Kupferbergwerkhandel und Geldverleiher u.a. für den Kaiser, der ihn dafür 1595 in den Adelsstand erhob. Gewandert sind auch die Texte seiner Melodien, aus Mein Gemüth ist mir verwirret wurde Herzlich tut mich verlangen, aus dem geistlich Lied, von Adam und Eva Ich gieng einmal spatieren im Ton: Ich weiß ein stolze Müllerin (Ju He!) wurde Von Gott will ich nicht lassen. Eine unsterbliche Melodie, über 450 Jahre alt, ein Lied über Adam, Eva und den Sündenfall, über die Menschwerdung Christi und die wiedergewonnene Freude an der Natur. Den Text (nach Ernst Moritz Arndt) findet man dankenswerterweise im Booklet.

Mit den31 Variationen zu dieser Melodie schuf Hassler zu seiner Zeit, lange vor Sweelincks und Scheidts Lehrtätigkeit und Steigleders 40 Variationen über Luthers Vaterunser-Lied, ein unvergleichliches Standardwerk clavieristischer  Kunstfertigkeit. Für diese seine bedeutendste Instrumentalkomposition benötigt Katzschke mehr als 35 Minuten, monumentale 35 Minuten unaufhörlicher Inventio, Dispositio, Elaboratio, Decoratio, Elocutio und Executio, fesselnd von Minute zu Minute überlegter Choralsatz und figurierter Satz, nachdenklich bis virtuos wechselnd, mal gering-, mal vollstimmig, mal auch in scheinbarer Mehrchörigkeit in einem einzigartig planvoll durchdachten dramaturgisch geschlossenen Spannungsbogen von vielschichtiger kompositorischer und emotionaler Tiefgründigkeit. Vielleicht waren diese Variationen das Modell zu Bachs Goldberg-Variationen, ebenso ein Kompendium der Stilmittel und gleichfalls in 31 Sätzen?

Dem immensen Anspruch der spieltechnischen Anforderungen dieses Gipfelwerkes der Spätrenaissance genügt der Dresdener Organist Jan Katzschke mit dem ihm eigenen Feuereifer wie überlegener Gestaltung, der Hörer könnte schier atemlos werden! Drei weitere Kompositionen Haßlers, die dessen italienische Einflüsse und seine Vielseitigkeit widerspiegeln, geben einen Einblick in seine Formenkunst. Auf einem Regal (Kopie eines Nürnberger Instrumentes von 1600) erklingen eine Canzon und ein chromatisches Ricercar, auf einer Zuberbier-Orgel von 1754 (rest. 2011) das Magnificat 4. Toni in der Alternatimpraxis  der Vesper um 1600, hierbei ergänzt Katzschke die ungeraden Verse als Sänger. Nur empfehlenswert? Nein, fesselnd und begeisternd!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - März 2016 / September 2016

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Te Deum laudamus

Interpret: chordae freybergensis, Ensemble Freiberger Dom-Music, Leitung: Albrecht Koch
Label: cpo

Der CD liegen Handschriften und Drucke aus der Bibliothek der Freiberger Lateinschule um 1600 zugrunde. Die Schule war seit 1515 das erste humanistische Gymnasium des Landes, in dem der Musikunterricht zur Durchführung der Musik im Dom seinen täglichen Platz hatte. Um Pilipp de Montes Missa super mon coeur se recomande und das Te Deum von Rogier Michael gruppiert Hauskantor Albrecht Koch weitere liturgische Motetten von Albinus Fabricius, Leonhard Lechner und Alfonso Ferrabosco d.Ä.

Der damaligen Praxis entsprechend liegen manche Stück wie die Messe auch im Druck vor, für die gottesdienstliche Praxis der Zeit und wohl auch aus Ersparnisgründen wurden die Kompositionen aber eher abgeschrieben. So liegt die Missa von Pilipp de Monte, über den der Booklettext von Christa Maria Richter leider nichts Weiteres vermeldet (1521 - 1603, nach Stationen in Neapel und Cambrai Hofkapellmeister am Habsburger Hof seit Sommer 1568), in Freiberg in  handgeschriebenen großen Chorbüchern vor, das Booklet erwähnt diese fälschlich im Singular. Entsprechend dem bekannten Kupferstich der Dresdener Schlosskapelle von David Conrad (1604–1681), das Heinrich Schütz mit seinen Sängern zeigt, hatten die Pulte im Altarraum mehrere Auflageflächen, auf denen die Chorbücher lagen. In  ihnen waren entweder die Oberstimmen oder die Unterstimmen jeweils links und rechts nebeneinander notiert.

Bemerkenswert ist ferner Rogier Michaels Te Deum, in dem er Luthers deutschen und den lateinischen Ursprungstext versweise nacheinander vertont hat, so vereinbarte er Tradition und Ansprüche der Gegenwart in kluger Weise miteinander. Im Gegensatz zu der liturgischen Stellung des Te Deums im evangelischen Gottesdienst der Zeit (entweder vor oder nach dem Frühgottesdienst), setzt Koch es zwischen Gloria und Credo quasi als Predigt, ein schöner Einfall! Durch die Verwendung von Zink und Posaunen, wie sie in der 1585 bis 1594 errichteten Grabkapelle des Freiberger Doms – hier halten 21 Engel in 12 m Höhe originale Renaissance-Instrumente, gebaut um 1592/94 in Randeck bei Mulda (Region Freiberg) in Händen – zu sehen sind, ist auch der Bassbereich der Musica coelestis klangvoll vertreten. Das Vokalensemble Freiberger Dommusik singt ausgesprochen schön, leider auch mit sächsischer Vernachlässigung der harten Konsonanten.

Die CD ist eine Bereicherung für alle, die reformatorische Gottesdienstmusik studieren möchten. Als lateinische Musik war sie konfessionsübergreifend, von katholischen und evangelischen Komponisten in katholischen wie evangelischen Gottesdiensten üblich. Ebenmäßige Polyphonie in der Tradition der alten Niederländer dominierte, lieferte aber durch die Kunst der Instrumentierung mit dem damaligen Instrumentarium absolute Hochformen, die damals wie heute den Hörer ergreift.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2016 / August 2016

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Im Himmel und auf Erden

Interpret: chordae freybergensis, Leitung: Susanne Scholz
Label: Querstand

Als Herzog Heinrich der Fromme aus der albertinischen Linie des Hauses Wettin, der 1537 die Reformation in Freiberg eingeführt hatte, 1539 Landesfürst, also Markgraf von Meißen und Herzog von Sachsen, wurde, bekam auch die bisherige Nebenresidenz Schloss Freudenstein in Freiberg, in der er residiert hatte, Bedeutung für ganz Sachsen. Für ihn wurde 1541 die Grablege im 1501 geweihten Dom der Stadt eingerichtet, seine Söhne Moritz, seit 1547 Kurfürst und 1548 Gründer der sächsischen Hofkapelle, und August folgten ihm 1553, bzw. 1586 dorthin, bis 1717 blieb sie die Grablege des protestantischen sächsischen Fürstenhauses. Unter August I. wurde 1585 die Umgestaltung des Chores in Angriff genommen und dieser bis 1594 von dem aus Lugano stammenden Giovanni Maria Nosseni prachtvoll ausgestaltet. 34 Engel in 12 m Höhe spielen himmlische Musik, 21 halten originale Renaissance-Instrumente, gebaut um 1592/94 in Randeck bei Mulda (Region Freiberg), in Händen. 2002 wurden die Instrumente restauriert und Kopien angefertigt, aus denen nun seit 2005 Susanne Scholz und ihr Streicherensemble chordae freybergensis typische Klänge des 16. Jahrhunderts zaubern können.

Der Dresdener Hofkapellmeister Antonio Scandello (1517 – 1580), Nachfolger von Johann Walter (1548–1554) und Mattheus Le Maistre (1555–1568) - bekannt durch seine Messe zum Tod des Kurfürsten Moritz (1553), seine deutsche Johannespassion (c 1561) und die Auferstehungshistorie Österliche Freude der siegreichen und triumpfierenden Auferstehung (c1562) - ließ 1568 Newe Teutsche Liedlein in Nürnberg drucken und vier Jahre später das El primo libro de le Canzoni Napolitane a IIII Voci. Aus der ersten Sammlung  sind 8 Lieder mit Clarissa Thiem, Sopran, zu hören, aufgenommen im Dom, aus der zweiten 9 weltliche Canzonen mit Giovanni Cantarini, Tenor, aufgenommen in der kleineren Akustik der Kirche von Kleinwaltersdorf, um dem verschiedenen Gebrauch dieser Literatur auch im akustischen Bereich gerecht zu werden. Da in der Grabkapelle keine großen Bassinstrumente überliefert sind, erklingt das Ensemble (sowieso im Chorton gebaut) praxisgerecht z.T. in Quart- oder Quinttransposition nach oben, eben eine „musica coelestis“, wie sie ja auch die F-Orgeln der Zeit erklingen ließen. Leider pflegt Clarissa Thiem keine verständliche Aussprache und die Übersetzungen der italienischen Texte der Canzonen fehlen im ansonsten gut informierenden Booklet.

Die Streicher chordae freybergensis spielen untadelig, ja aufregend, gerne würde man ihnen noch länger zuhören.


Rainer Goede
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Schütz - Praetorius ----- Reformationsmesse

Interpret: Musica Fiata, La Capella Ducale, Leitung: Roland Wilson
Label: deutsche harmonia mundi

Die erste Saecularfeier der Reformation wurde in Dresden unter Kurfürst Johann Georg von Sachsen festlich begangen. Drei Tage lang wurde je eine Messe und eine Vesper in der Schlosskapelle gefeiert, deren Musik Oberhofprediger Hoe von Hoenegg im Vorwort zum Druck seiner drei Predigten 1618 nannte: Psalmvertonungen aus den Psalmen Davids von Heinrich Schütz, Verleih uns Frieden aus der Geistlichen Chormusik, dazu zwei Choralbearbeitungen von Schütz, die fragmentarisch überliefert sind: Ein feste Burg und Jesaia dem Propheten das geschah.

Roland Wilson hat sich und den Hörern das Vergnügen beschert, die Fragmente zu vier-, bzw. fünfchörigen Fassungen zu ergänzen und dabei für die mittleren Strophen die Sätze aus dem Becker-Psalter zu verwenden. Dazu kommen die Missa gantz Teudsch aus Polyhymnia Caduceatrix und Das Silber, durchs Feuer sieben mal/ aus dem deutschen Gesang Ach Gott vom Himmel sieh darein von Michael Praetorius. Mit seinen beiden Ensembles entfacht Wilson ein herrliches starkes Gethön, wie es natürlich nicht nur zur Andacht diente, sondern ebenso auch die Pracht des Kurfürsten zur Schau stellte.

So erfreulich es ist, dass diese Musik mit Selbstverständlichkeit die hergebrachte Gottesdienstordnung nutzt und in Erinnerung ruft, mit welcher Lust und Liebe Gottesdienst zu feiern geht, so dringlich ist auch die Mahnung an unsere Zeit, die vor Jahrhunderten schon einmal gekonnten Künste auch zur anstehenden Saekularfeier erneut zu nutzen!

Wer noch keine Lust auf den 30.10.2017 hat, der wird sie mit Sicherheit beim Anhören dieser CD bekommen und sie dann gleich an Reformationsmuffel weiter verschenken!


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Februar 2016 / August 2016

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Musicalische Seelenlust

Interpret: Ensemble Polyharmonique, Alexander Schneider
Label: edition raumklang


Tobias Michael (1592–1657), Sohn des Franko-Flamen Rogier Michael – dieser war Schüler von Andrea Gabrieli gewesen, dann Tenorist in der Ansbacher Hofkapelle von Georg Friedrich I., Musiker in der Dresdner Hofkapelle und später deren Hofkapellmeister, Komponist der ersten Weihnachtshistorie (seine Nachfolger waren Michael Praetorius und Heinrich Schütz) - brachte also alle Voraussetzungen mit, um das zu werden, was er geworden ist: Chorknabe in Dresden, Schüler in Pforta und Theologie- und Philosophiestudent in Leipzig und Wittenberg, dann Kapellmeister der Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen an der Trinitatiskirche in Sondershausen und Stadtschreiber, schließlich 1630 mitten im Dreißigjährigen Krieg Nachfolger von Johann Hermann Schein, der auch schon Schüler seines Vaters gewesen war, im Leipziger Thomaskantorenamt. Heinrich Schütz adelte seine Tätigkeit in der Widmung seiner "Geistlichen Chormusik“ 1648 mit den Worten, dass der Musicalische Chor zu Leipzig, in diesen Hochlöblichsten Churfürstenthum allezeit für andern einen großen Vorzug gehabt, und iedes mahl fast wohl bestallt gewesen ist.

An den Zeitläuften und einer chronischen Gichterkrankung wird es wohl gelegen haben, dass dieser verantwortungsbewusste leistungsstarke Kantor nur wenige Kompositionen hinterlassen hat: in zwei Bänden erschien seine Sammlung "Musicalische Seelenlust“. Der erste Band von 1634 enthält 30 geistliche Konzerte für fünf Stimmen und Basso continuo, der zweite von 1637 50 geistliche Konzerte in wechselnder Besetzung. Außerdem sind sechs- bis achtstimmige konzertierende Motetten zu Kasualien überliefert - und seine eigene Begräbnismusik.
Nur mit Mühe entsinnt sich die Gegenwart dieses profunden Komponisten wie auch seiner Nachfolger Sebastian Knüpfer, Johann Schelle und Johann Kuhnau. Umso verdienstvoller ist die vorliegende Aufnahme mit einer kleinen Auswahl dieser so direkt ansprechenden kunstvollen Motetten, nur vergleichbar mit Motetten von Schein und Schütz, ein Schatz an polyphoner Kunst in lebendigster Faktur. Ob „Trübsal“, „Schreien“, „Tröste“ oder schließlich „Ich liege und schlafe“, alles ist greifbar hörbar unmittelbar deutbar.

Das Ensemble Polyharmonique unter Alexander Schneider (fünf Sänger und Continuo mit Gambe, Theorbe und Orgel) zeichnet Michaels Kompositionen hoch kompetent nach. Homogen im Klang mit guter Textdeklamation gelingt eine Auslegung, die den Kompositionen entspricht und den Hörer zu bewegen versteht, Ausdruck  eines tiefen Glaubens in einer bewegten Zeit, eben Glaubens=Seuffzerlein, Andacht und Freude auf sonderbare madrigalische Art.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Januar 2016 / Juli 2016

Die Buchholz-Orgel in St. Nikolai Stralsund

Interpretin: Yuka Ishimaru
Label: organum classics

Yuka Ishimaru aus der Klasse Ludger Lohmanns in Stuttgart spannt ihren Programmbogen von Liszt‘ getreuer Bach-Übertragung des BWV 21 (1860) über Regers Orgel-Adaption von BWV 867 (1903), über Klassiker wie Mendelssohns 4. Sonate (1845), zwei Choralvorspielen aus op. 122 von Brahms (1897) und der 8. Sonate von Rheinberger (1882) hin zu Liszt‘ „Weinen, Klagen“ (1863). Yuka Ishimaru spielt die Werke ausgesprochen solide und unaufgeregt, was der Musik sehr zu statten kommt.

Die Buchholz-Orgel kommt ihr dabei entgegen, ihre romantischen Klangfarben stehen auch noch in älterer Tradition und bieten somit auch ein geeignetes Klangspektrum für Liszt‘ Bach-Übertragung und der Mendelssohn-Sonate.
Auch die Klanggewänder der Kompositionen von Brahms und Rheinberger nehmen gefangen, vollends natürlich Liszt‘ düster-drohend daher kommende Variationen zu Bachs Kantaten BWV 12 und 21.

Michael Kaufmann liefert im Booklet kompetent Texte zur Zeit der Kompositionen und zu den Kompositionen selbst. Fröhliche Urständ feiert der Starrummel mit dem zweifachen ganzseitigen Portrait der Solistin auf dem Titel und U4. Solider wäre da die Wiedergabe der Registrierungen gewesen.
Was der CD keinen Abbruch tut, auf der erstklassige Musik auf einer erstklassigen Orgel erstklassig eingespielt ist.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2015 / Juni 2016


Felix Mendelssohn & Fanny Hensel
Lieder ohne Worte


Interpret: Matthias Kirschnereit
Label: Berlin Classics

Ein Universum für sich bilden sie, diese Lieder ohne Worte, in denen Endlichkeit und Unendlichkeit miteinander verschmelzen. Mendelssohn pflegte sie seit 1828 immer wieder, drückte darin zu bestimmte Gedanken für das aus, was mir eine Musik ausspricht, die ich liebe, … die einem die Seele erfüllt mit tausend bessern Dingen als mit Worten.
In der Tat, diese Kleinodien von hochgeistiger Konzentration wie einer elegant beiläufigen Tiefgängigkeit bezaubern auch noch heute in ganz ungewohntem Ausmaß, die zahlreichen Einspielungen, die auf dem Markt sind, sind dafür ein klingender Beweis.

Matthias Kirschnereit, Professor in Rostock, hat nun seine Version veröffentlicht und fügt dem achtbändigen Kanon von je sechs Liedern noch einen neunten Band hinzu, der weitere sechs Lieder aus dem Nachlass bringt, darunter auch das allererste Exemplar dieser Mendelssohn ureigenster Liedgattung, jenen Erstling, mit dem er seiner Schwester zum 23. Geburtstag am 14.11.1828 gratulierte. Was ist das Faszinosum, das diese Lieder beinhalten, dieser so selbstverständliche zentriert gefasste Duktus von vollendeter Liebesfülle, den so viele nicht aushielten und diffamierten?

Nicht genug damit, Kirschnereit vereint das Geschwisterpaar hier aufs Neue durch die Ersteinspielung der Klavierlieder Fannys, 13 Pretiosen anderer, eigener Faktur, die aber denselben Geist atmen, hörbare geschwisterliche Achtung und Liebe jeder auf seine Art. Als Schönste Musik …  auf Erden bezeichnete denn auch Felix die Musik seiner Schwester.

Kirschnereit hat die drei CDs in drei mehrtägigen Sitzungen 2013 und 2014 eingespielt, hat seine Achtung und Liebe diesen Kleinodien beigegeben in durchaus zeitgemäß nüchterner Klaviertechnik, die Mendelssohn und Hensel pur sprechen lässt ohne jede Überinterpretation und Hineingeheimnisserei. Seine Virtuosität überdeckt nie die Empfindsamkeit der vielfarbigen kleinen Klanggemälde. Da wird keine der 190 Minuten lang, Mendelssohns Bann wirkt ohne Unterbrechung! Wer könnte sich von seiner überströmenden Spiel-, Mal-, Sing- und Sageart nicht bannen lassen?

PS: Der Rezensent hat  Mendelssohns Lieder ohne Worte komplett für die Orgel übertragen (Verlag Dohr).


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2015 / Juni 2016


Wiederaufnahme?

Autor: Matthias Pasdzierny
Verlag: edition text+kritik

Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, so lautet der Untertitel dieses fast 1000 Seiten umfassenden Bandes, der in der Schriftenreihe Kontinuitäten und Brüche im Musikleben der Nachkriegszeit der UdK Berlin erschienen ist. Matthias Pasdzierny hat in mühevoller Kleinarbeit Daten und Fakten zusammengetragen, die die Musikszene in ihren einzelnen Prozessen wie in Hamburg (Hans Henny Jahn), Stuttgart, München, Darmstadt etc. beleuchten. Insbesondere hat er sich den Vorgängen in Bayreuth, Köln (Amadeus-Quartett, Alphons Silbermann), Saarbrücken (Stekel und Müller-Blattau)  und Frankfurt (Hindemith, Adorno) zugewendet, flächendeckende Recherchen für die ganze BRD und sogar noch für die DDR bleiben eine Zukunftsaufgabe.

Wie vielschichtig der meist weniger gelungene Wiedereingliederungsprozess - die Rückkehrerquote insgesamt war nicht sehr hoch - abgelaufen ist, abhängig von den persönlichen Charakteren, dem inneren oder äußeren Exilverlauf, die nicht unkomplizierte Kommunikation untereinander und mit den Trägern der Musikeinrichtungen, der Rundfunkanstalten usw., schildert der Autor mit neutraler Sympathie. Wie die gleichzeitigen Umbrüche in der Stilistik und des gesellschaftlichen Umfelds verliefen, gibt er an Hand einiger Teilnehmer der Darmstädter Kurs beispielhaft wieder. Eingebettet in die Vitae anderer Musiker geht es auch um die so unterschiedlichen Schicksale eines David, Raphael u.a., über die in kirchenmusikalischen Fachzeitschriften nun schon öfter referiert wurde.

Thematisch berührt wird, wie die Dagebliebenen, mehr oder weniger in das zwölfjährige Reich integriert, mit den neu/alten Zuzüglern aus dem Exil zusammenkommen konnten. Da geht es um Selbstfindung in einem sich neu definierendem Deutschland, um die Brüche oder reinen Gastrollen wie bei vielen Dirigenten, die ihren Wohnsitz dann doch lieber in der Schweiz o.a. suchten, um Tradition und Aufbruch. Einen umfangreichen Teil des Bandes nehmen dazu die Kurzbiographien ein, ein ganz reicher und wertvoller Abschnitt zum leichten Nachschlagen.

Die vorliegende Arbeit ist nicht nur ein umfangreicher Beitrag zur Remigrationsforschung, sondern beleuchtet auch die persönlichen Nöte, die neuerliche Existenzgründungen in einem Land bereiteten, dass Rückkehrer durchaus auch als Vaterlandsverräter bezeichnete. Willkommen waren sie als Feigenblätter, aber als Menschen, Nachbarn? Nachdenkenswert ist der Band auch gerade in unseren Tagen, in denen wir wieder mit der Thematik der Integration von Flüchtlingen gefesselt werden.


Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2015 / April 2016


Bibliotheken bauen - Die Barther Bibliothek im Kontext

Herausgeber: Jochen Bepler / Ulrike Volkhardt
Verlag: Schnell + Steiner

Als Separatum aus dem Jahrbuch kirchliches Buch- und Bibliothekswesen (NF 2, 2014) erschien nun ein übersichtlicher Band, der sich mit der in Barth seit dem 14. Jh. überkommenen Kirchenbibliothek und seiner Sanierung beschäftigt. Erst vor knapp sechs Jahren, angeregt durch die emsige Essener Blockflöten-Professorin Ulrike Volkhardt, entstand der Förderverein der Kirchenbibliothek in Barth, dessen Vorsitzende sie auch ist. Im Zusammenhang mit der Entdeckung und Einspielung mittelalterlicher Musik aus den Heideklöstern (6 CDs bei cantate und dazugehörige Notenausgabe bei Olms) wurde sie auch auf die Kirchenbibliotheken in Vorpommern, in denen nach wie vor ungehobene Schätze warten, aufmerksam gemacht.

Im vorliegenden Band beschreiben Falk Eisemann im Absatz Die Wiederauferstehung der vorpommerschen Kirchenbibliotheken (Barth, Greifswald, Wolgast)den geschichtlichen Hintergrund, Jan Simonsen in Gedanken zum Kirchenbau und zur Kirchenbauerhaltung in der Nordkirche den kirchenaufsichtlichen Hintergrund, Gerd Albrecht in Die Kirchenbibliothek im Barther Kulturverbund die ortsgeschichtlichen Zusammenhänge, Christine Johannsen in Sanierung und Umgestaltung die baulichen Maßnahmen und schließlich Ulrike Volkhardt in Suche nach musikalischen Quellen den Bestand an Musikalien, Christian Heitzmann in Die mittelalterlichen Handschriften den Bestand an Manuscripten und Inkunabeln, Jochen Bepler in Aus Schaden klug die Konservierung der Bücher und ihre Neuordnung.

Ist mit der baulichen Sanierung in der Barther Marienkirche bereits ein grundlegender Schritt getan, die Arbeit des Sichtens und der Katalogisierung, des Konservierens und der Aufarbeitung für weitere Veröffentlichungen steht erst noch an. Der Band lässt den Leser teilhaben an der Entdeckung der bis 2010 sich im Dornröschenschlaf befindlichen Bibliothek, deren Geheimnisse nun aufgedeckt werden können dank der Entdeckung und des Einsatzes von Ulrike Volkhardt, kurz bevor die Bestände abgegeben werden sollten. Derartige Gefahren durch fehlende Wertung und unsachgemäßen Umgang drohen leider allen Beständen in nicht oder nur von wenigen Eingeweihten genutzten Bibliotheken in Kirchen und Kantoreien in Ost und auch West! So kann also unmittelbare Zeitgeschichte unheimlich spannend werden, und so sollte das Barther Beispiel beispielhaft werden!  

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - November 2015 / April 2016


Thomas Müntzer - Revolutionär am Ende der Zeit

Autor: Hans-Jürgen Goertz
ISBN: 978-3-406-68163-9
Verlag C.H.Beck, München  2015

Von Stolberg am Harz führte ihn sein Weg über Braunschweig, Wittenberg, Orlamünde, Jüterborg, Zwickau, Prag, Erfurt, Nordhausen, Glaucha, schließlich Allstedt, Mühlhausen und Frankenhausen, wo sechstausend Bauern von den Truppen Philipps von Hessen mit Unterstützung Braunschweiger und sächsischer Truppen hingeschlachtet wurden, die Fürstenheere verloren dabei sechs Mann! Keine zwei Wochen später wurde Müntzer am 27. Mai 1525 vor den Toren Mühlhausens mit dem Schwert hingerichtet, wie damals üblich wurde sein Leichnam nicht bestattet, sondern aufgespießt und zur Schau gestellt, bis die Aasfresser alles getilgt hatten.

Jeder kennt heute Thomas Müntzer, um ihn zu verkennen, die Nachwelt hat ja genug Schlagwörter und verzerrte Bilder geliefert. Hans-Jürgen Goertz macht sich in diesem Buch an eine nüchterne Bestandsaufnahme von Fakten und misst an ihnen die Aussagen von Forschern und Kommentatoren, Theologen und kommunistischen Sagenschreibern. Goertz kommt so zu einer Beurteilung, die dem Theologen, der aus der Mysrtik eines JohannesTauler schöpfte, den Geist der Apokalypse atmete, Seelsorger und Reformator wurde, eher gerecht zu werden vermag. Zwar ist Müntzers Werdegang zum Revolutionär durchaus konsequent, begründet sich in einer tiefen Gläubigkeit und Bibelverständnis. „Es ist nicht der Klerus, der die Gläubigen führt, sondern der Heilige Geist“, da braucht es denn keine geistliche und weltliche Obrigkeit mehr und auch keinen theologischen Intellektualismus. „Der revolutionäre Umsturz war religiös geboten.“ Müntzer nannte das eine „fügliche Empörung“. Luther benennt da seine Zweireichelehre, unterstellt die Reformation dem Schutz der weltlichen Obrigkeit. Was müssen das für innere Kämpfe und Dispute gewesen sein, bis diese Positionen damals formulierbar waren!

Luther behielt Recht, nur mit der weltlichen Obrigkeit ließ sich die Wittenberger Reformation durchsetzen. Müntzer behielt Recht, als sich mit der Französischen Revolution Werte wie Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit durchsetzten. Ist die Wertschätzung Müntzers heute  passgenau?

Rainer Goede
für www.notenkeller.de - Oktober 2015 / März 2016


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